u ee _ ANATOMIE, PHYSIOLOGIE WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN, IN VERBINDUNG MIT MEHREREN GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN von Dr. JOHANNES MÜLLER, x At [| ORD. ÖFFENTL. PROF. DER ANATONIE UND PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGL. ANATOM, MUSEUM$ UND ANATOM. THEATERS ZU BERLIN, MITGLIED DER KÖNIGL. ACADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, JAHRGANG 1834. MIT ZWÖLF KUPFERTAFELN. BERLIN. IM VERLAG VON G. EICHLER. MP0IOK RE AN SHIT TE M' fer \ Si En ERRURIRDN u FUTUNA im EA ER Er 4 FERNEN vera ae“ Win, | us Mate Liu ray Kin EA 23 nme „are ihr il Deal Falter Flabe A N Ta erre FR AN ee) 72 77 22 WE Deere r e Fe Hayıpı yx -Inhaltsanzeige. Seite Jahresbericht über die Fortschritte der anatomisch -physiologi- schen Wissenschaften im Jahre 1833. ..-.....rr...+ en & Originalaufsätze, Ueber die Structur der eigenthümlichen Körperchen in der Milz einiger pflanzenfressenden Säugethiere. Von Joh. Müller. (Hierzu Tafel I.) »»...--+--urennenenenen en 8 dur 80 Anatomische Beobachtungen über die Anzahl der Steissbeinnerven, ihren Ursprung und über die an ihnen befindlichen, neu ent- deckten Knoten. Von Prof. Dr. Schlemm. . 2... erurerr ern 91 Anwendung des Kreosotwassers zur Conservation und Präparation des Gehirns und Rückenmarks, «»....-s022H0s 00er e RR RR nn RR 95 Ueber die Veränderungen der Kräfte durchschnittener Nerven und über Muskelreizbarkeit. Von Dr. Leopold Sticker....... 202 Beschreibung einiger neuen Muskeln am Kehlkopfe eines langarmi- gen Affen (Hylobates albimanus). Von Prof. Dr. Eschricht in Copenhagen. (Hierzu Tafel I.) -»uunnseenneseeeenneaneenn en 218 Zwei Beobachtungen von Darmincarceration durch Diverticulum ilei hervorgebracht. Von Prof. Dr. Eschrichtin Copenhagen. 222 Anatomisch -physiologische Bemerkungen über Rückgratsverkrüum- mungen. ‘Von Dr./N. ‘Stern. sr. .cenmernssnenesheeren denne ee 225 Gesichtsverdoppelung mit Mangel an Gehirn und Rückenmark. Von Prof. Dr. Eschricht,. (Hierzu Tafel III. Fig. 1.) -...- 268 Ueber ein neuentdecktes Band, Jochband der Rippen ( Ligam. costarum conjugale). Von Prof. Mayer in Bonn. (Hierzu Tafel. IT. Fig. 2) .224.....- LS N ERTULER,,:} Ueber die menschliche Epidermis. Von Dr. Alphons Wendt. (Bierzu Tafel IV.) .20000.0222220020 00. TE ge Air are anna 278 Ueber den Circulus venosus im Auge, Von Prof. A, Retzius Stockholm, oongasgzegsncnppe: asien hr ee een na. DZ Ueber den Zusammenhang des sympathischen Nerven mit den Spinalnerven. Von Prof. Dr. utzer in Bonn. 2... ..r.r:»- 305 Einmündung des Ductus thoracicus in die Vena azygos. Von Prof: Di. "Wüutzer. (Hierzu Tafel V.) .:.....-. r2.-06= AR \ I | Ueber die äusseren Geschlechtstheile der Buschmänninnen. Von Müller. (Hierzu. Tafel VEDEas zw sn duee sa nn creme 319 Beschreibung des Muskelsystems eines se bivittatus. Von Prof. Dr. E. d’Alton. (Hierzu Taf. VIl.. X, und XU.) 346, 432, 5285 Iv Seite Der microtomische Quetscher, ein bei mieroscopischen Untersu- chungen unentbehrliches Instrument. Von Prof. Dr. Pur- kinje. (Hierzu Tafel VIIL. Fig. 1-6.) =... 2004442802 0000 385 Entdeckung continuirlicher, durch Wirperhaare erzeugter Flim- merbewegungen, als eines allgemeinen Phänomens in den Klas- sen der Amphibien, Vögel und Säugethiere. Von Prof. Dr. Purkinje und Dr. Valentin in Breslau. .»zueusrerensann.. 391 Ueber die Dicke der varikösen Fäden in dem Gehirne und dem Rückenmarke des Menschen, Von Dr. Valentin in Breslau. 401 Ueber das Gewebe der Tunica dartos und Vergleichung dessel- ben mit anderen Geweben. Von Dr. Hermann Jordan. (Hierzu Tafel IX.) ........ N EEE EB ne munnn ee) Ueber die Möglichkeit der Bildung von Muskelfasern durch pa- ıhologische Processe. Von Professor Dr. Wutzer in Bonn. 451 Ueber die Retina im Auge der Grätenfische. Von Dr. Gottsche in Copenhagen. (Hierzu Tafel VII. Fig.7.) »r0u...0n0r2000.- 457 Ueber die Zeugungsorgane der Cirripeden und ihre Stellung im System. Von Rudolph Wagner, Professor in Erlangen. (Hierzu Tafel VII. Fig. 8$—13.)..... EN era 22076 Die Metamorphose des Eies der Batrachier vor der Erscheinung des Embryo und Folgerungen aus ihr für die Theorie der Erzeugung. Von Prof. Dr. K. E. v.Baer. (Hierzu Tafel XI. Ei L—I6,) error esen sun ee onen aa ER BIER RER AHT Ueber die sogenannte Erneuerung des Magens der Krebse und die Bedeutung der Krebssteine. Von Prof. Dr. K.E. v. Baer. 510 Beitrag zu der Entwickelungsgeschichte der Schildkröten. Von Prof. Dr. K, E. v. Baer. (Hierzu Tafel XI. Fig. 17. 18.).........- 544 Ueber den Begriff des latenten Lebens. Von Medicinalrath Dr. Carus. sr... FRE SEE BR EL en Vorläufige Mittheilung einiger bisher unbekannter Structurverhält- nisse bei Acalephen und Echinodermen. VonC.G,Ehrenberg. 562 Uebersetzungen und Auszüge. Ueber die Existenz von vier getrennten, regelmässig pulsirenden Herzen, welche mit dem Iymphatischen System in Verbindung stehen, bei einigen Amphibien. Von Joh. Müller. .........- 296 Ueber die Lymphherzen der Amphibien. Von Panizza. ......- 300 Untersuchungen über die wesentliche Ursache der Bewegung des Bluts in den Venen. Von Poiseuille...es.-.usssrersenmere- 365 Ucber die reflectirende Function (Reflex function ) des verlän- gerten und Rückenmarks. Von Marshall Hall............. 374 Ueber die Farbenveränderungen des Chamäleons. Von Milne- TE WS N De a en En a ea un. 474 Ueber den Ramus lateralis Nervi vagi bei den Batrachiern. Von WANNDIECH. ununashenennneces A ER 477 Jahresbericht “ über . ‚die Fortschritte der anatomisch- physiologischen Wissenschaften im Jahre 1833. Gerosse Entdeckungen im Gebiete der Physiologie sind in der Geschichte dieser Wissenschaft bisher ausseror- dentlich selten gewesen und wenn man nur diejenigen hierher rechnet, welche eine gänzliche Reform der phy- siologischen und pathologischen Ansichten hervorgebracht haben, so hat die Geschichte der Physiologie wohl nur zwei vom er: Range aufzuweisen, ich meine die Ent- deckung des Kreislaufs und die Entdeckung der verschie- denen Funktionen der vorderen und hinteren VVurzeln der Rückenmarksnerven, welche eine Zierde der neuern Zeit geworden ist. An diese schliesst sich die wichtigste Entdeckung im Gebiete der thierischen Chemie an, näm- lich die Beobachtung von Wöhler über die künstliche Zusammensetzung des Harnstofls, eine Erfahrung, welche von unendlicher Wichtigkeit für die Physiologie zu wer- den verspricht. Die Fortschritte der Anatomie sind viel weniger von gewissen Ereignissen abhängig. Diese Wissenschaft t uns seit dem WViederaufleben der beobachtenden Methode eine fortlaufende Reihe von Entdeckungen ken- nen, und das verflossene Jahr zeigt sich in dieser Hin- sicht nicht weniger reich als die nächst vorhergehenden, in welchen sich ein grofser Aufschwung der Anatomie Müller’s Archiv, 1834, 4 = 2 durch die Anwendung der Entwicklungsgeschichte auf dieselbe und durch die Fortschritte der mikroskopischen Beobachtungen kund gethan hat. Nicht weniger charakteristisch ist für den Zustand der Anatomie in der neuern Zeit das Streben, nicht al- lein die Gesetze aufzufinden, durch welche eine grosse Anzahl anatomischer Facta begreiflich werden, sondern auch mit der Kenntniss dieser Gesetze durch Combina- tionen neue /WVege zur empirischen Auffindung wichtiger Facta zu bahnen, Diese Richtung, welche Einige die philosophische Methode genannt haben, war nach so grossen Entdeckungen in der Entwicklungsgeschichte unausbleiblich. Denn, da uns diese die naturgemässe Formation der Organe aus einer mit productiven Kräf- ten versehenen Materie oder die beständige Entwicklung des Besondern aus einem Ganzen zeigt, welches die be- sonderen Theile nicht präformirt, sondern nur die Kraft zu ährer Erzeugung enthält, so ist gleichsam die Theorie der Anatomie gefunden, welche in unfruchtbaren Specu- lationen nicht erst gesucht zu werden braucht. Ver- dienstvolle Männer, welche dem philosophirenden Geiste die Fähigkeit absprachen, in die Geheimnisse der Natur einzudringen, müssen zuletzt im Stillen gewahren, dass die Natur selbst in der Entwicklungsgeschichte den Plan ihrer gedankenreichen Operationen an den’Tag legt und dass die Fortschritte der Beobachtung in diesen Fällen selbst zum Theil eine Arbeit des denkenden Geistes sind, Gleichwohl ist die exacteı Methode in der empiri- schen Analyse der Thatsachen die unerlässlichste Aufgabe des Naturforschers. Liegt auch die Aufstellung gewisser möglichen theoretischen Ansichten in seinem Gebiete, so darf doch diess, was man eben Hypothese nennt, nur als Veranlassung zu neuen empirischen Untersuchungen Werth behalten, und man muss immer bedenken, dass nicht die blosseAufstellung der Theorie, sondern die Entscheidung über ihre Richtigkeit das eigentliche Gebiet des empirischen 3 Naäturforschers ist. Je weniger aber Jemand exact in der empirischen Analyse der Thatsachen ist, um so weniger ist er zu theoretischen Combinationen berechtigt, Be- trachtet man die Controverse zwischen den beiden be- rühmten Mitgliedern der französischen Akademie über die Methode in den Naturwissenschaften, unabhängig von ihrem nationalen Interesse, so erleidet es keinen Zweifel; dafs die Methode Cuvier's es ist, welche den Naturwis- senschaften dauernde und reelle Früchte bringt, Diese Methode ist so wenig bloss empirisch, dass, obgleich sie vor der Aufstellung von Gesetzen Scheu trägt, doch die Analyse der Facta von einer beständigen, exacten, logi- schen Operation des Geistes abhängt. Dagegen der be- rühmte Geoffroy durch das Streben nach Analogien und Gesetzen trotz allem Talent, Geist und Verdienste, sich oft und stark geirrt hat. Es ist jedoch nicht zu verkennen, dass der unsterbliche Cuvier in jenem Streite nicht Einmal ungerecht gewesen und zu weit gegangen ist, Die Methode, welche er bekämpft, hat in Deutschland, wie in Frankreich oft unfruchtbare Speculationen her- vorgebracht. Aber die erhabene Gestalt, welche die Ana- tomie durch die Entwicklungsgeschichte und verglei- chende Anatomie in philosophischem Sinne in der neu- ern Zeit namentlich in Deutschland erlangt hat, entspricht sehr wenig den Mängeln der Prinzipien, welche Cuvier bekämpft. Es ist wirklich nicht zu läugnen, dass die Natur bei jeder grofsen Abtheilung des Thierreichs von einem gewissen Plane der Schöpfung und Zusammenset- zung aus theils verschiedenen, theils analogen Theilen nicht abweicht, dass dieser Plan allen Wirbelthieren zu Grunde liegt, dass sie sich Reductionen und Erweiterun- der Zahl nur nach der individuellen Natur der ein- zelnen Geschöpfe ausnahmsweise erlaubt. “Die Phantasie ist das Organ des Geistes, durch wel- ches die meisten Irrthümer in den Naturwissenschaften entstanden sind; denn sie verdirbt nicht bloss die Resul- 4% 4 tate, sondern die Beobachtungen im Keim, Gleichwohl ist sie ein unentbehrliches Gut; denn: sie ist es auch, durch welche neue Combinationen zur Veranlassung wich- tiger Entdeckungen gemacht werden. Die Kraft der Un- terscheidung des isolirenden Verstandes sowohl, als der erweiternden und zum Allgemeinen strebenden Phanta- @sie sind dem Naturforscher in einem harmonischen Wech- selwirken nothwendig. Durch Störung dieses Gleichge- wichts wird der Naturforscher von der Phantasie zu Träumereien hingerissen, während diese Gabe den ta- lentvollen Naturforscher von hinreichender Verstandes- stärke zu den wichtigsten Entdeckungen führt, Bei der folgenden Zusammenstellung hat man, um von einem gewissen Zeitraume auszugehen, nur die im Jahre 1833 erschienenen Arbeiten beachtet, dagegen alle, auch noch so reichhaltigen Schriften übergangen, welche im Jahre 1832 erschienen sind. 4. Menschliche Anatomie. Die Arbeiten des verflossenen Jahres beziehen sich, wie aus der vorhergehenden Betrachtung leicht erklär- lich ist, fast allein auf die Entwickelungsgeschichte des Menschen, auf die Anatomie der Nerven und auf die mi- kroskopische Untersuchung der Gewebe. In ersterer Rücksicht ist ein wichtiges Werk von Velpeau*) er- schienen, dessen Verdienst hauptsächlich weniger in neuen Beobachtungen, als in der Mittheilung zahlreicher Er- fahrungen in Hinsicht der schon bekannten Ansichten von Velpeau liegt, welches sich aber auch durch hi- storische Kenntnisse und eine reichhaltige Sammlung ei- gener und fremder Abbildungen auszeichnet. Von der hinfälligen Haut behauptet er, dass sie nie naturgemäss durchbohrt seyy obgleich er, wie Gran- *) Embryologie ou Ovologie humaine. 15 Tab. Paris 1833, fol. 5 ville*), die zuweilen aber nicht immer vorkommende Verlängerung in die Tuben zugiebt. Seine Ansicht von der Bildung der Decidua reflexa ist ganz die von Bo- janu's, dass sie nämlich durch Umstülpen entstehe, Ein von mir beobachtetes Ei, welches Bock in seiner Dis- sertation **) beschrieben hat, macht diese Ansicht ziem- lich wahrscheinlich, indem der eingestülpte Theil au- Sserordentlich klein im Verhältnifs zu der ganzen Deci- dua war. Indessen muss ich freilich gestehen, dass diese Einstülpung durch das zarte Ei nur bei einem noch ge- latinösen Zustande der Decidua denkbar ist. , So gross auch die Schwierigkeiten dieser Ansicht sind, wie neu- lich E, H, Weber gezeigt hat, so ist es doch schwer sich die Entstehung der Decidua reflexa, wenigstens in dem von Bock beschriebenen Falle, so vorzustellen, dass das Ei in die Höhle der Decidua vera gelange und darin liegend erst eine Decidua reflexa erhalte. Denn in dem von Bock beschriebenen Falle war das Ei dem kleinen umgestülpten Theile der Decidua gleichsam auf- gepflanzt. Mayer hatte aus seiner Beobachtgng, dass bei der Graviditas tubaria eine Decidua im Uterus und eine Decidua um dasEi in der Tuba sich gebildet hatte, zu der schwer zu beweisenden Ansicht sich bestimmt, dass die Decidua reflexa in der Tuba, die Decidua vera im Uterus gebildet werde. Dass aber nach des verdienst- vollen Seiler’s Ansicht die Decidua vera die aufgelok- kerte und später sich losstossende Schleimhaut der Ge- bärmutter sey, und dass das Ei durch die Oeffnung der Decidua vera hindurchgegangen, die Reflexa als eigene Hülle vom Mutterkörper aus erhalte, widerspricht aller Analogie mit, den Schieimhäuten. Obgleich Edward We- ber 7 Tage nach der Befruchtung zottenförmige gefäss- reiche Verlängerungen des Uterus in dieDecidua vera fand, *) Graplue illustrations of abortion and the diseases of menstruation. *) Bock Diss, de mernbrana decidug Hunteri, Bonn, 1831, 6 so hatte er doch auch eine von diesen Zotten verschiedene, sie bedeckende Lymphe gesehen. Näher zu prüfen ist noch die Ansicht, dass das Exsudat der Decidua vera vor dem Eintritte des Eies in den Uterus entstehe, dass aber das einmal schon organisirte Exsudat just bei dem Eintritte des Eies ein neues Exsudat an der Eintritts- stelle um das Ei bilde, Granville sieht die Decidua reflexa als eine Veränderung der ursprünglichen eigen- thümlichen Haut des Eies (Membrana corticalis Baer.) an, Dass die Decidua Hunteri, wie Velpeau behauptet, gar nicht organisirt sey, ist mir, ohne eigene Beobachtun- gen im Vertrauen auf die Erfahrungen von Haller, Hunter, Lobstein undSeiler sehr unwahrscheinlich, Das Exsudat der Schleimhäute wird zwar sonst in der Regel nicht organisirt; wie sollte sich aber ferner auch eine Haut ohne Zersetzung erhalten, welche keine Ge- fäfse enthält? wie sollten die Veränderungen der Dicke dieser Membran ohne Organisation denkbar seyn? Gran- ville beschreibt nun gar die Gefässe der Decidua als Fortsetzähg der Uteringefässe, als gewundene und sehr dünne Kanäle. Indessen haben eben diese Gefässe Gran- ville zu der unerweisbaren Annahme einer Communi- cation zwischen den arteriösen Gefässen des Uterus und der Placenta vermittelst der Gefässe der Decidua ver- führt, Das Wachsthum des Eies verursache die Ber- stung der Membrana corticalis (Decidua refilexa), wo- durch die Zotten des Chorions frei würden, Dies ge- schieht aber nicht durch Berstung. Auch diess halte ich für unwahrscheinlich, dass, wie Velpeau behauptet, das Chorium villosum, ausser an der Bildungsstelle der Placenta, ®keine Zweige von den Nabelgefässen erhalten soll. Dagegen spricht sowohl das gefässhaltige Chorion der Säugethiere, als auch eine Erfahrung von mir, wo an einem Ei, das noch keine Placenta gebildet hatte, sich die Zweige der Nabelgefässe, frisch untersucht, deut- lich bluthaltig von der Eintrittsstelle in das Chorion aus 7 zwischen den Zotten desselben in einigem Umfange ver- breiteten, Ich weiss sonst sehr gut, dass es späterhin nicht gelingt auf der Oberfläche des Chorions selbst Ge- "fässe nachzuweisen, Die ‚Zotten des Chorions selbst können indess ohne Gefässwechselwirkung mit dem Em- bryo sich nicht ausbilden, Velpeau behauptet, dass das Chorion nie aus mehr als aus einer Platte bestehe; ich habe indess an einem Ei, welches sich auf dem anatomischen Museum befindet, deutlich eine an der innern glatten Seite des Chorions befindliche, sehr feine Haut gesehen, auf welche ich in andern Fällen nicht gestossen war. Granville *) sagt, dass das Chorion zwei- vielleicht dreiblättrigsey. Seine innere Fläche sey vasculös, was man durch Injectionen beweisen könne (2), Velpeau beschreibt auch eine feine Haut, an der innern Seite des Chorions, welche einen Theil eines eigenthümlichen Körpers ausmache, den er Sac reticul& nennt, Innerhalb dieser Membran sey eine dem Glaskörper ähnliche Substanz, welche er für die Serosität der Allantois hält. Velpeau’s Vergleichung der Eischaa- lenhaut mit dem Chorion lasse ich auf sich beruhen. Im Am- nion hat er niemals Gefässe bemerkt. In Hinsicht des letz- tern hat er seine frühere Meinung zurückgenommen, dass es nämlich eine Fortsetzung derEpidermis sey. Ueber die erste Bildung des Amnions hat er keine Beobachtung; nie- mals soll es aus mehr als einem Blatte bestehen. Ueber die Vesicula umbilicalis und ihren Ductus, den ich Ductus omphalo-entericus nenne, finden sich mehrere interes- sante Beobachtungen vor; er hat ihre Flüssigkeit -mehr- mals in diesen Kanal und einmal bis zum Darmkanal fort- drücken können, Nach ihm ist dieser Gang bis zum W. bis 30. Tage deutlich hohl. In diesem Punkte stimmen seine Beobachtungen mit denen von Hunter, Boja- nus, Müller und Seiler. *) Siehe, die angeführte Schrifi, nn 8 Ich ergreife diese Gelegenheit um eines Eies zu erwähnen, welches das jüngste ist, das ich bisher unter- suchte und welches ich noch nicht beschrieben habe. Von diesem Ei, welches ich Herrn Dr. Wolf in Bonn verdanke, weiss ich mit Bestimmtheit, dass es entweder 34 oder, was unwahrscheinlich ist, 9 Tage alt ist; denn am 2, Dezember hatte der Coitus stattgefunden, am 25. war die erwartete Periode ausgeblieben, am 27. Dezem- ber hatte abermals Coitus stattgefunden und am 5. Januar war dasEi abgegangen. Die Höhle dieses Eies mit dem zottigen Chorion hat 7—8 Linien Durchmesser; der Embryo ist 24 Linien, der Nabelstrang 2 Linien lang, das Nabelbläschen hat 11 Linien im Durchmesser, Das Amnion liegt so dicht auf dem Embryo, dass es mit blossen Au- gen noch nicht unterschieden werden kann. Es geht von den Bauchplatten aus und ist an der untern vordern Seite mit der ganzen Länge des Nabelstranges verwachsen. Die Darmhöhle ist ein die Carina einnehmender Kanal, wel- cher ganz breit in das Nabelbläschen übergeht, so dass an der Stelle des spätern Stiels bloss eine geringe Ein- schnürung sich findet. Dieser Fall, von dem ich’ eine herrliche Zeichnung durch die Güte des Herrn Prof. D’Alton besitze, setzt das Verhältnifs des Darms zum Nabelbläschen ausser allen Zweifel. Die Substantia vitrea zwischen Amnion und Chorion der jungen Eier ist nach Velpeau von unzähligen Fä- den und Lamellen durchzogen, welche von einer, an der innern Fläche des Chorions liegenden, überaus zarten Haut zu einer andern Lamelle herüber gehen, die ohne Unterbrechung die ganze Peripherie des Amnions, des Nabelbläschens und seines Stiels berührt. Diess wäre denn vielleicht die Allantois, Die Vesicula erythroides von Pockels hat Velpeau niemals gefunden; er hält sie für abnorm, Velpeau nimmt bei dem Menschen bloss eine Pla- centa foetalis an. In Hinsicht des Fötusblutes bemerkt 9 er, dass es nicht das Ansehen des Blutes der Mutter habe: ‚il est d’abord rose,;puis il devient plus rouge, puis noirätre et ne presente pas la difference de cou- leur dans les veines et dans les arteres.“ Ueber die erste Entwickelung des Eies hat Velpeau keine Auf- schlüsse gegeben. Das jüngste Ei, welches er untersucht hat, war circa 12'Tage nach der Befruchtung abgegan- gen, es hatte die Grösse einer dicken Erbse, der Em- bryo war deutlich, eben so die Blasen und alle Mem- branen; auch der Nabelstrang war vorhanden. In Lond, med. gazette, Jun. 1833, ist eine Abhand- lung von Ley über die Structur des Mutterkuchens und seinen Zusammenhang mit dem Uterus enthalten, nach der Untersuchung einer im neunten Monat der Schwan- gerschaft gestorbenen Frau. Die Resultate sind: 1) dass der Mutterkuchen nicht bloss aus Verzweigungen der Nabelgefässe besteht, sondern auch aus zwei Schichten der Decidua, nämlich aus einer auf der Uterinfläche und aus einer andern auf der Foetalfläche liegenden Schicht; 2) dass mit diesen Schichten verbunden und von ihnen ausgehend kleine Fortsetzungen durch die Substanz des Mutterkuchens durchdringen; 3) dass diese Fortsetzun- gen, nach jeder Richtung sich erstreckend und sich durch- . kreuzend, aus diesem Grunde oft kleine Höhlen oder Räume zwischen sich lassen; 4) dass diese Räume von der durch die Arteriae spermaticae der Mutter einge- spritzten Flüssigkeit ohne Extrayasation angefüllt wer- den können; 5) dass in einem eben ausgetriebenen Mut- terkuchen diese Räume voll flüssigen Blutes sind, wel- ches ausserhalb der WVandungen der kleinen Gefässe sich befinde und daher von der Mutter kommen müsse. Die hier beschriebenen Räume sind wohl dasselbe, was E. H. Weber, im 4ten Bande von Hildebrandt’s Anatomie, als dünnwändige, zwischen den Läppchen der Placenta verlaufende, dem Uterus selbst noch angehö- rende Venen beschrieben hat. Stanley und H. Maya 10 beschreiben indess sowohl Arterien als Venen der Deci- dua, welche in die Placenta eindringen und yom Uterus kommen, nach Hunterschen Präparaten *). Die Art wie sich die Gefässschlingen der Zotten der Placenta in die Uterin- Venen hineinsenken, ohne dass die Fötalgefässe sich hier öffnen, wie Weber gezeigt hat, ist den englischen Ana- tomen und Aerzten, wie es scheint, unbekannt geblieben. Wie eine physiologische Entdeckung auf die Fort- schritte der Anatomie wirken kann, davon geben einige neuere Arbeiten über die Nerven Zeugniss, die man fast als eine Folge der von Charles Bell gemachten Ent- deckung von der verschiedenen Function der hinteren und vorderen Wurzeln der Rückenmarksneryen ansehen kanu. Von den Gehirnneryen schien ausser dem Trige- nimus keiner eine Analogie mit den Rückenmarksnerven darzubieten. Indessen hat Mayer**) die wichtige Entdek- kung gemacht, dass bei mehreren Säugethieren (Ochse, Hund, Schwein) eine überaus feine hintere Wurzel des N. hypoglossus vorhanden ist, welche von der hintern Fläche der Medulla oblongata entspringt, über den N. accessorius weggeht und ein deutliches Ganglion über dieser Stelle bildet, ohne mit dem N. accessorius zusam- menzuhängen. Aus diesem Ganglion geht ein dickerer Nervenfaden hervor, welcher durch eine Oeflnung in dem ersten Zahn des Ligamentum denticulatum hindurch- geht (oder, wie wir es neulich sahen, über dem ersten Zahn des Lig. denticulatum weggeht) um sich zur be- kannten Wurzel des N. hypoglossus zu begeben. Diese hintere Wurzel und das Ganglion hat Mayer bis jetzt nur einmal beim Menschen gefunden. WYir haben sie bei Menschen wiederholt gesucht und nicht gefunden, aber ganz deutlich beim Ochsen gesehen. *) Lond. med. gaz. Jul. **) Act. Nat. Cur. Vol. XVI, P.II. pag, 743. 11 Obgleich diese Beobachtung nicht zur menschlichen Anatomie gehört, so wird sie doch hier darum ange- führt, weil sie mit-der folgenden innig zusammenhängt. J. Müller *) hat nämlich an der Wurzel des N. glos- sopharyngeus des Menschen, von welchem man bisher bloss das Ganglion petrosum am untern Ende des Fo- ramen lacerum- kannte, ein ganz kleines Ganglion gefun- den, welches an der hintern äussern Seite der Wurzel dieses Nerven, am obern, der Cavitas cranii Zugewand- ten Anfang des Foramen lacerum liegt. Man sieht dieses Knötchen von 4 Millimeter Länge erst, wenn män die Dura mater an der Durchgangsöffnung weggenommen und den hintern Rand des Felsenbeins abgemeisselt hat. Es gehört nicht der ganzen Wurzel an, sondern einem einzigen feinen Faden derselben, welcher, nachdem er durch das Ganglion gegangen, viel stärker geworden ist, übrigens aber keinen, von den übrigen VVurzelfäden des N. glossopharyngeus verschiedenen Ursprung hat. Dieses Ganglion ist in den meisten Fällen beim Men- schen vorhanden. Mayer war diese Entdeckung beim Menschen entgangen, obgleich er an derselben Stelle beim Ochsen zwei kleine Knötchen richtig beobachtet hat. Unsere Beobachtung, so wie das Mayer’sche Knöt- chen der hintern Wurzel des N. hypoglossus beim Och- sen beweisen übrigens, dass die Nervenfäden in dieser Art von Ganglien sich vermehren. Diess ist hier' ganz sicher, weil man Gelegenheit hat, den Faden vor und hinter dem Ganglion zu vergleichen, ehe der Nerve durch ein Neurilem verstärkt worden ist. Das seit älterer Zeit schon bekannte Ganglion pe- trosum N. glossopharyngei scheint die Bedeutung der Ganglien der Empfindungsnerven nicht zu haben und mehr mit denjenigen Anschwellungen überein zu stimmen, welche zuweilen entstehen, wenn Aeste des N. sympa- *) Medizinische ( Vereins-) Zeitung. Berlin, 1833, Nr, 52, 12 : thicus sich mit Nerven verbinden, wie z. B. die geringe Anschwellung des N. facialis am Knie desselben hierher gehört, wo er den Ramus petrosus superficialis N. vi- diani aufnimmt. In der That verbindet sich das Ganglion petrosum mit einem aufsteigenden Aste des Ganglion cervicale supremum und durch den Ramus tympanicus Ganglii petrosi mit dem Ramus carotico-tympanicus N. sympathici. s Mayer hat mehrere Varietäten des N. accessorius beschrieben. Er sah einmal ein kleines Ganglion an ei- nem Faden‘ der hintern Wurzel des zweiten und des dritten Cervicalneryen, welches sich durch einen Faden mit dem N. accessorius verband. Sehr interessant sind die von Mayer beschriebenen Varietäten der hintern Wurzel des ersten Cervicalnerven. Diese WVurzel sah er zuweilen mit dem N. accessorius in Verbindung stehen. Unter ‘fünfzehn Fällen sah er einmal das Gan- glion der hintern Wurzel des ersten Cervicalnerven in- nerhalb der Dura mater liegen. Neu ist der von J. Müller beobachtete Fall, wo der N. accessorius ganz allein die hintere Wurzel des ersten Cervikalnerven ab- gab und sich, an der Abgangsstelle dieser VVurzel, an der letztern ein Knötchen innerhalb der Dura mater zeigte. Diese Fälle beweisen, dass die Ansicht von Scarpa, Arnold und Bischoff, nach welcher der N. accesso- rius nur motorisch seyn soll, und der N. vagus als bloss empfindlich wegen seines sehr deutlichen Ganglions, seine motorischen Fäden von dem N. accessorius erhalten soll, nicht ganz richtig seyn kann. Mayer hat endlich die von Wutzer, Müller und Retzius gemachte Beob- achtung bestätigt, nach welcher der N. sympathicus so- wohl mit den hinteren als vorderen Wurzeln der Rücken- marksnerven zusammenhängt; er will sogar 2 bis 3 Fä- den des N. sympathicus getrennt und isolirt mit den Fä- den der vorderen Wurzeln bis in das Rückenmark deut- 13 lich verfolgt haben. Ein von Mayer*) wiedergefunde- nes und schon öfter beobachtetes Knötchen der Nervi molles an der Theilungsstelle der Carotis ist von Va- lentin **) bestätigt worden. Ueber das Ganglion oticum Arnoldi sind zwei Ar- beiten erschienen, von Hagenbach und Bendz. Ha- genbach ***) fand das Ganglion deutlich beim Menschen, auch den Nerv. tensoris veli palatini, konnte aber den N. petrosus superficialis minor nicht bis in die Pauken- höhle verfolgen. Bei den Wiederkäuern sah er, wie „Müller, das Ganglion mit dem N. buccinatorius zusam- menhängen. Schlemm’s Entdeckung, dass der N. ten- soris tympani nicht aus dem Ganglion, sondern aus dem N. pterygoideus entspringt, hat er wie Müller und An- dere bestätigt; dass dieser Nerve dem Ganglion übrigens nicht ganz fremd ist, beweisen zwei auf dem hiesigen anatomischen Museum befindliche Präparationen von Mül- ler, wo beim Kalbe ausnahmsweise in einem Falle der N. tensoris tympani deutlich dicker aus dem Ganglion herauskommt, als er hineingegangen ist; im zweiten Falle dünner heraustritt, als er hineintrat. Desswegen lässt sich die Ansicht von Bendz nicht für erwiesen halten, dass das Ganglion oticum gar nichts mit dem Gehörorgane zu thun habe und nur ein Ganglion des sympathischen Systems sey. Die Abhandlung von Bendz +) hat die Jacobson- sche Anastomose und das Ganglion oticum zum Gegen- stand und bestätigt den von Arnold gefundenen N, pe- trosus profundus minor Nervi Vidiani, welcher in die Trommelhöhle tritt. Dieser Nerve verbindet sich mit *) Froriep’s Notizen, Nr, 771, *) Hecker’s Annalen. August. p. 398. **) Hagenbach Disquisitiones anatomicae circa musculos au- ris internae hominis et animalium,, adjectis animadversionibus non- nullis de Ganglio auriculari sive otico, Basil, 1833. 7) De anastomosi Jacobsonü et Ganglio Arnoldi. Hafn. 14 dem. N. earotico-tympanicus und geht dann horizontal über das Promontorium, Hier giebt er an der Fenestra ovalis einen sehr feinen Zweig ab und verbindet sich mit der Jacobson’schen Anastomose, Bendz hat das Ganglion oticum bestätigt, was er indessen wohl etwas zu grofs abgebildet hat. Nach ihm hängt dasselbe durch feine Fäden mit dem N. buccinatorius und mit dem Stamme des N, maxillaris inferior zusammen. Er fand den von Arnold entdeckten N, peirosus superficialis minor, wel- cher von dem. Ganglion oticum abgeht und in einen ei- genen Kanal des Felsenbeins tritt, welcher vor und an der äussern Seite des aditus Canalis Fallopii liegt; durch diesen Kanal tritt er in die Trommelhöhle, geht an dem Promontorium herab und vereinigt sich ver der Fenestra ovalis mit einem Aste des N. petrosus profundus minor. Ehe er indess in den genannten Eingang vor dem aditus Canalis Fallopii tritt, giebt er einen kleinen Ast zu dem Knie des N. facialis. Vom hinteren Ende.des Ganglion oticum gehen, nach Bendz, wie nach Arnold, zwei Aeste zu den Wurzeln des N, temporalis superficialis. Bendz hat auch den N. tensoris tympani als.Ast des Ganglion einigemal gefunden. Vom untern hintern Theile des Ganglions sollen noch mehrere strahlenför- mige Aeste ausgehen: einer oder zwei sollen sich unten und hinten mit der Chorda iympani vereinigen, ein an- derer soll sich, die Arteria meningea media begleitend, mit den vegetativen Nerven der Art. maxillaris interna verbinden. Vom vordern Theile des Ganglions sollen zwei oder drei Aeste in den Musc. pterygoideus internus abgehen; am obern Rande des Ganglions sollen mei- stens mehrere feine Nerven abgehen, die sich auf- steigend mit der untern Fläche des Ganglion Gasseri verbinden. Den Neryus tensoris tympani leitet er, wie Schlemm, von dem N. pterygoideus ab. Ueber die Richtigkeit der neuen Nerven des Gang]. oticum können wir uns kein Urtheil erlauben; was aber 15 den Plexus tympanicus oder die Jakobson’sche Anasto- mose betrifft, so freut es ufs, bemerken zu können, dass wir seine Zusammensetzung aus den von Arnold und Bendz angegebenen Nerven, nach wiederholten Unter- suchungen, aufgefunden haben, Wir haben nicht allein die Anastomose des Ramus tympanicus N. glossopharyn- gei mit dem N. carotico-tympanicus Nervi sympathici wie- derholt gesehen, sondern auch nunmehr den Ramus petro- sus profundus minor und superficialis minor Arnoldi, den wir früher im Felsenbein beim Menschen nicht weiter ver- folgen konnten, jetzt deutlich in seinem Verlaufe erkannt. In einer Abhandlung über den Nervenplexus des Tympanum *) wiederholt Breschet so ziemlich dasjeni- ge, was man über die Jakobson’sche Anastomose und ihr Verhältnifs zum Ganglion oticum nach Arnold weiss. Eigenthümlich ist ihm die Behauptung, dals die genannte Anastomose mit dem N. facialis nicht zusammenhängt. Bendz hat auch genaue Untersuchungen über das Ganglion oticum bei den Thieren angestellt und seine Beobachtungen mit Abbildungen begleitet, welche sehr gelungen sind und einen Beweis liefern, wie viel man durch saubere und genaue Linearzeichnungen in diesem Theile der Anatomie, ohne die so kostbare und oft übel angewandte Malerei, erreichen kann. Seine Untersuchun- gen über das Ganglion oticum der Thiere sind sehr aus- führlich, aber keines Auszugs fähig. . Bei allen unter- suchten Thieren sah er das Ganglion mit den vegetativen Nerven zusammenhängen, welche von dem Ganglion cer- vicale supremum die Carotis facialis, sofort die Arteria maxillaris interna und dann die Art. meningea media be- gleiten. Beim Ochsen sah er von dem Ganglion nach aufwärts einen Faden in das Rete mirabile treten; die- ser Faden hing mit einem Aste des Ganglion cervicale supremum zusammen vor der Stelle, wo der N. sympa- *) Heusinger, Zeitschr, für organ, Physik, Bd.IIT. H 6. p.581. 16 thicus den Ramus anastomoticus vom N. abducens er- hält. Die Verbindung, die das Ganglion mit dem N. buccinatorius eingeht und den weitern Verlauf dieser Fä- den auf dem ganzen Buccinatorius sah er, wie Müller; er sah auch, wie der Letztere, den Nervenring um die äussere Seite des N. maxillaris inferior. Den N. tensoris tympani vom N. pterygoideus internus beschreibt er wie Schlemm und Müller; den Nerven zur Jakobson’schen Anastomose sah er, wie Müller, vom Ganglion selbst ab- gehen. Seinen Verlauf und seine Verbindungen hat er viel ausführlicher als seine Vorgänger beschrieben. Beim Pferde geht der Nervus tensoris tympani, wie auch an Schlemm’s Präparaten sehr schön zu sehen ist, einen ganzen Zoll weit vom Ganglion oticum entfernt, vom N. pterygoideus ab. Bendz’s Arbeit ist eine der ge- nauesten Untersuchungen über die Anatomie der Nerven, welche in den letzten Jahren erschienen sind, Breschet hat in,der angeführten Abhandlung noch die Jakobson’sche Anastomose und ihr Verhältnils zum Ganglion oticum beim Pferd, Kalb und Schaf untersucht, den wahren Ursprung des N. ad tensorem tympani beim Kalb, nämlich aus dem N, pterygoideus, hat er über- sehen. Bei den Vögeln vereinigt sich der N. glossopha- ryngeus nach Breschet, unmittelbar nach dem Austritt aus dem Schädel, mit dem obern Halsganglion. Von die- ser Stelle geht der N,tympanicus ab. Dieser theilt sich in zwei Zweige, der erste tritt aus der Pauke, geht hin- ter der Gelenkverbindung des Quadratbeins mit dem Schädel weg und vereinigt sich, an der Austrittstelle des fünften Paars aus dem Schädel angelangt, mit diesem; der zweite Zweig entspricht dem Verbindungsfaden der Jakobson’schen Anastomose mit dem Plexus caroticus der Supügliäere. Er geht am vordern Ende der Pauke über den Canalis caroticus hin und tritt, nachdem er vom Plexus carot. einen Faden erhalten, nach aulsen von der Eustachischen Trompete, aus dem Schädel, Hier theilt 17 er sich in zwei Aeste; der innere geht unter der Regio basilaris vorwärts, zwischen den beiden Gelenkknorren an der Basis des Keilbeins und vertheilt sich endlich im hintern und untern Theile der Nasenschleimhaut, Der äussere Zweig steigt in die Orbita und erreicht den er- sten Ast des Trigeminus, mit welchem er in die Nasen- höhle eindringt. Diese Aeste hat E. H, Weber (ana- tomia comparata N. sympathici) bereits als Zweige des Sympathicus beschrieben. Bei Coluber natrix verbreitet sich ein Zweig vom dritten Ast des Trigeminus, unter dem ovalen Fenster weggehend, mit dem gemeinschaftlichen Stamm des Va- gus und Glossopharyngeus. Breschet beschreibt bei dieser Gelegenheit merkwürdiger Weise eine Spur von Trommelhöhle bei den Schlangen. Man sehe deutlich die eustachische Trompete, und die Trommelhöhle sey nichts als das etwas erweiterte Ende derselben; der Ge- hörkinochen liege in der hintern Wand dieses Rudiments einer Pauke. Bei den Fröschen entspringe vom fünften Nervenpaare, an der Austrittsstelle desselben, ein Ner- venfaden, der durch eine besondere Rinne im hintern Rande der Augenhöhle verlaufe, durch die Trommel- höhle hindurchgehe und sich mit dem N. glossopharyn- geus vereinige, wenn der hier beschriebene Nerve wirk- lich der N. glossopharyngeus und nicht der N. facialis ist. E. H. Weber beschreibt diesen Nerven als eine Verbindung zwischen dem Trigeminus und dem Ganglion des N. vagus, in welches auch der Sympathicus übergeht. Nach Untersuchungen von Berard und Chaussaig- niac*) befindet sich die Kreuzung der vorderen Rük- kenmarksstränge nicht auf der Fossa basilaris, sondern schon ausserhalb der Schädelhöhle, Leuret hat der französischen Akademie der Wis- senschaften Untersuchungen über die lamellöse Structur *) Behrend, Repertorium der med, chirurg, Journalistik des Auslandes. Oct. pag. 68. Müller’s Archiv 1834. 2 18 des Gehirns mitgetheilt, worauf sich zwischen ihm und Serres ein Streit über die Priorität dieser Beobachtung erhob. Da es sich hier nicht um neue Entdeckungen, sondern um bekannte Dinge handelt, werden wir uns dabei nicht länger aufhalten. Ueber die Vertheilung der Nerven auf die Muskeln hat Chaussaigniac*) Beobachtungen angestellt, welche indessen von keinem besondern physiologischen Interesse scheinen. Bei Muskeln mit mehreren Sehnen erhält je- der Bauch einen besondern Nervenast. Hagenbach **) hat eine dankenswerthe Untersu- Chung über die Muskeln des innern Ohrs angestellt, wor- aus hervorgeht, dass bloss der M. tensor tympani und stapedius beim Menschen, wie bei den Säugethieren, wahre Muskeln sind. Damit stimmt auch Breschet überein***), Die muskulöse Natur des Laxator major bezweifelt Ha- genbach mit Recht; den Laxator minor hat er so we- nig, wie wir und Andere gefunden. Es ist überhaupt zu verwundern, wie man diese beiden sogenannten Mus- keln der Autorität von Albinus und Sömmering zu Liebe so lange aufgeführt hat. Hagenbach hat den längst unwahrscheinlich gewordenen Faden des.N, facialis zum M, tensor tympani auch nicht gefunden, Dagegen habe ich den Nerven zum M. stapedius vom Facialis in diesem Winter selbst gesehen. Der M. stapedius kommt mit seinem Muskelfleische bis ganz nahe zum Canalis Fallopiae, so dass der Nerve dieses Muskels, der vom N. facialis abgeht, nur die Länge von einer Linie hat. Breschetf) hat eine vergleichend anatomische Ar- *) Societ@ anatomique de Paris. — Behrend, Repert, der med. chir, Journalistik des Auslandes. Mai. " ) In der oben angeführten Abhandlung. #%) Heusinger, Zeitschrift für organ, Physik, Bd. III, Hft. 6, p. 588. 7) Annales des sciences natur, T. XXIX, 19 beit über das Gehörorgan des Menschen und der Säuge- thiere gegeben. Diese Arbeit enthält im Ganzen theils eine Wiederholung des Bekannten, theils mehrere eigen- thümliche Beobachtungen. Was man zu wissen ge- wünscht hätte, ob das elliptische Säckchen des Vorhofs mit dem runden Säckchen, welehe nach Breschet innig verbunden sind, durch Höhlengemeinschaft zusammen- hänge, lässt der Verf. ungewiss, Die Flüssigkeit der halbzirkelförmigen Kanäle und der Säckchen soll sich in chemischer Hinsicht nicht von der Aqua Cotunni, wel- che dieSäckchen und die halbzirkelförmigen Kanäle um- giebt, unterscheiden. Die membranösen halbzirkelför- migen Kanäle füllen die Höhle der knöchernen Kanäle nur zum vierten Theil aus; auch gelangen die Schwin- gungen von der Basis des Steigbügels nicht unmittelbar zu dem elliptischen Säckchen, indem dieses nicht an der äussern Wand des Vorhofs anliegt, sondern durch die Aqua Cotunni auf das elliptische Säckchen und dessen Wasser, Im Innern des elliptischen Säckchens, unter und etwas hinter der Stelle, wo die beiden vorderen Ampullen eintreten, liegt eine weisse pulverige Substanz, wahrscheinlich aus kohlensaurem Kalk bestehend. Sie zeigt bei Anwendung des Mikroskops eine krystallinische Form der Pulverkörner. Die einzelnen Krystallchen sollen auf einer Platte von weichem schwammigen Ge- füge liegen, die sie zusammenhält. Gleichwohl soll die- ses Häutchen von 4 bis 4 Linie Durchmesser in der Flüssigkeit des elliptischen Säckchens, Breschet’s Sinus medianus, schwimmen, aber durch die Enden der Nerven, die gerade an der bezeichneten Stelle in das Säckchen treten und sich bis zur Kallkmasse zu erstrek- ken scheinen, seine Lage behalten. Auch das runde Säckchen, das noch mit der Knochenwand vermittelst sei- ner Nervenfäden zusammenhängt und sich‘ bis zum Ein- gang der Scala vestibuli erstreckt, enthält ein kleines Häufchen Kalkstoff, Die beiden Gänge der Schnecke 3% 20 communiciren mit einander am Gipfel derselben durch eine Oeffnung (Helicotrema Breschet). Diese Beob- achtungen gelten sowohl von dem Menschen als von den Säugethieren. In dieser Abhandlung von Breschet ist viel Literatur benutzt und es sind darin selbst die we- niger bekannten, in Deutschlard erschienenen Monogra- phieen citirt. Ueberflüssig sind wohl die vielen neuen Namen für ganz bekannte Dinge. Von den Abbildungen dürfte nur die von den häutigen Theilen des Labyrinths von besonderem Interesse seyn. Am interessantesten ist, was Breschet über den Bau der Schnecke mittheilt, nachdem er eine vollstän- dige Geschichte der Arbeiten der Deutschen, namentlich von Sömmering, Meckel, Wildberg, Ilg, Fi- scher, Rosenthal, Pohl vorangeschickt hat. Es han- delt sich vorzüglich um das Ende des Modiolus und der Lamina spiralis. Ueber das Ende des Modiolus sagt Breschet, dass sich die Spitze desselben gegen die knö- chernen Wände der Schnecke erhebe und damit ver- schmelze. Er bestätigt hier was Ilg beobachtet hat, obgleich er Ilg in den allgemeinen Tadel seiner Vor- gänger mitbegreift. Ilg hat gezeigt, und wir haben es wieder gesehen, dass der Modiolus nur in der ersten und zweiten WVindung rund herum frei ist; dass in der drit- ten halben Windung aber die dünne Fortsetzung des Modiolus zwar gegen die Spitze der Schnecke aufsteigt, jedoch nur grösstentheils, aber nicht allseitig frei ist, in- dem das Säulchen an einer Seite mit der Seitenwand .. des spitzen Schneckenendes verschmilzt und also einen wandartigen Vorsprung der Seitenwand bildet, wodurch eben das blinde Ende der dritten halben Schneckenwin- dung entsteht. Um so wichtiger ist dagegen seine Be- obachtung über das Ende der Lamina spiralis. Diese ist nämlich nach seiner Ansicht nur in der ersten und zweiten Windung eine ganze Scheidewand der beiden Gänge, in der dritten halben Windung aber in sofern 21 eine unvollständige Scheidewand, als sie einen Haken bildet, dessen innerer Rand einen rundlichen Zwischen- raum zwischen sich und dem Ende des Säulchens lässt, wodurch nun der obere und untere Schneckengang com- municiren. Dieser Haken war zwar bekannt, aber jene Ansicht über die Communikation der beiden Gänge an seinem innern Rande, welcher nicht wie der übrige Theil der Hamina spiralis mit dem Modiolus zusammenhängt, ist neu. Breschet nennt diese vom innern Rande des Halens eingeschlossene Oeffnung Helicotrema. Wir ha- ben sie und die beschriebene Disposition kürzlich an der Schnecke eines Kalbes sehr deutlich gesehen, haben auch unterscheiden können, dass der hakenförmige Theil der Lamina spiralis auch hier aus einem membranösen und knöchernen Theil besteht. Das Ende des membra- nösen Theiles vorzüglich ist es, welches durch seine Umbiegung an seinem innern Rande die Oeffnung bildet, während der äussere Rand des Hackens an der Seiten- wand der letzten Schneckenwindung angeheftet ist. Das Infundibulum fällt hiernach, wie nach den Unter- suchungen von Ilg weg. Ilg beschrieb noch, wie sich das Centralkanälchen des Modiolus zuletzt in der dritten halben Windung zwischen dem wandartigen Säulchen und dem Haken öffnet. Hiervon erwähnt Breschet nichts. Bei der Untersuchung der Kalbsschnecke sahen wir nicht bloss die Communication zwischen dem obern und untern Gang der Schnecke, oder das Helicotrema, sondern auch von dort aus eine kleine, herabsteigende Vertiefung, welche der von Ilg bemerkte Theil ist, Wir wissen indess nicht, ob sich dies später ganz so erhält. Der Name Cupula bezeichnet die Decke der letz- ten halben Windung und ist in sofern unnöthig, als jede Windung eine Decke besitzt, Ueber die Aquaeductus bemerkt Breschet, dass sie nur am Gehörorgan der Fötus und Kinder bemerk- bar seyen, sich allmählig mit dem Alter vermindern und er 22 zuletzt schliessen. Die Membran, welche sie ausklei- det, sey eine Art Periostium, das mit der Dura ma- ter zusammenhänge und keinen, gegen die Gehirnober- fläche der Dura mater offnen Gang enthalte, Diese knö- chernen Gänge entsprechen den Theilen des Felsenbeins, wo die Ossification am längsten aufgehalten werde; in ih- nen seien Gefässe und namentlich Venen enthalten, wie Breschet es öfter constatirt und Ribes gesehen habe. Wir fürchten indess, dass Breschet sich hier zu leicht an die Autorität von Ribes angeschlossen habe, denn wir haben bei unsern gemeinschaftlichen Untersuchungen mit Dr, Henle beim Schaf und Kalb keine Venen in die- sen Gängen finden können. Breschet sieht die Aquaedu- cetus als eine Art Stiel oder Nabelschnur an, durch welche das Labyrinth mit dem umgebenden knöchernen Gewebe und seinen Gefässen communieire. Das Labyrinth wird indess wohl einer solchen gefässreichen Nabelschnur nicht bedürfen, da es von andern Seiten her Gefässe genug er- hält. Breschet giebt an, dass die Beinhaut des Laby- rinthes sich nach aussen in die Aquaeductus umbiege. Dies ist aber wohl nicht richtig ausgedrückt, da beide Theile zwar zusammenhängen, die Haut des Labyrinths ° aber keine Oeffnungen an der Abgangsstelle der Aquae- ductus hat, Dies können wir wenigstens vom Aquaedu- etus cochleae mit Sicherheit behaupten, Ich will bei dieser Gelegenheit anführen, was mir mein verehrter Freund Retzius im Jahr 1832 über diesen Gegenstand brieflich mitgetheilt hat und einige Be- obachtungen anschliessen, welche Herle und ich über diesen Gegenstand gemacht haben. Retzius hat die Aquaeductus des neugebornen Füllens untersucht. Der Aquaeductus cochleae ist hier sehr weit und trichterför- mig; er liegt an der innern Seite der Fenestra ro- tunda. Dass die Membran, welche die innern Wege des Schneckenganges bildet, sich unmittelbar in diesen Aquaeductus fortsetzt, davon hat sich Retzius voll- nn Beni 23 kommen überzeugt. Der Aquaeductus iendigt sich in dem festen Zellgewebe, welches um das Ganglion pe- trosum Nervyi glossopharyngei liegt, in dessen Nachbar- schaft der Knochenkanal ausläuft, Retzius denkt, dass die Aquaeductus wirkliche Fortsetzungen des membra- nösen Labyrinthes sind (nämlich bloss der Beinhaut des Labyrinthes) und dass sie den Nutzen von Sicherheits- röhren haben, Nach den gemeinschaftlichen Untersuchungen von Henle und mir, welche sowohl an erwachsenen Scha- fen, wie beim Schaffötus und neugebornen Kalb ange- stellt wurden, sind die Aquaeductus bloss Fortsetzungen der Beinhaut, durch welche die innere Beinhaut des La- byrinthes theils mit der Dura mater (Aquaeductus vesti- buli), theils mit der äussern Beinhaut (Aquaed. cochleae) zusammenhängen, gerade so wie die Beinhaut der Trom- melhöhle durch die Fissura Glaseri mit der äussern Beinhaut zusammenhängt. Bei dem Kalbe war einmal die Beinhaut des Labyrinthes besonders in der Nähe des Einganges in den Aquaeductus cochleae schwarz gespren- kelt, und so erschien auch ihre Fortsetzung in den Aquaeductus als ein schwärzlicher, weicher Faden, den ıman leicht für eine Vene halten könnte, Er ist aber nicht hohl. Beim neugebornen Kalbe ist diese Untersu- chung nicht sehr schwierig, besonders die des Aquae- ductus cochleae, indem sich die Substanz des Felsenbeins ausnehmend leicht abbrechen lässt. So verlängert sich die Beinhaut am Aquaeductus ceochleae trichterförmig in diesen Kanal, allein eine Communication mit der Scala tympani der Schnecke wurde in keinem Falle gefunden; im Gegentheil war die innere Beinhaut in der Scala tympani an der Stelle, wo sich das Knochenkanälchen des Aquaeductus cochleae in die Scala tympani neben dem runden Fenster öffnet, sehr viel fester als in der übrigen Schnecke und zeigte durchaus keine Oeflnung, Die von mehreren Anatomen vorgebrachte Meinung, dass 24 diese Kanälchen Emissaria von Venen aus dem Labyrinth in die Dura mater seyen, können wir nach unseren Un- tersuchungen auch nicht theilen, indem wir niemals eine Vene in diesen Kanälchen vorgefunden haben, Shrapnell*) hat Beobachtungen über das Os len- ticulare am langen Fortsatz des Ambosses angestellt, welche ihn zu der richtigen Annahme bestimmen, dass dieses Hnöchelchen ein Theil des Ambosses selbst ist. Ganz richtig ist der von ihm angeführte Grund, dass, wäre dasselbe mit dem Amboss bloss verwachsen, es gewiss eben so häufig mit dem Steigbügel anchylotisch verwachsen würde. Huschke**) fand beiSchaf- (auch Menschen-) Em- bryonen eine genaue Verbindung des obern Zungenbein- horns und des mit diesem zusammenhängenden Processus styloideus mit den Gehörknöchelchen,. Der Griffel ver- binde sich beim Schafembryo durch feste Bandmasse mit der Spitze des queren Schenkels des Ambosses, Der Gürtel, welcher durch diese Verbindung mit dem obern Zungenbeinhorn entstehe, laufe mit dem, dem Embryo eigenthümlichen, von einem langen Fortsatz des Ham- mers gebildeten Gürtel, der an der innern Seite des Un- "terkiefers herabsteigt, parallel, Diese Theile seyen ab- gelöste Rippenstücke und Kiemenbogenstücke. Huschke ***) hat neuerdings Untersuchungen über das sogenannte Foramen centrale retinae gemacht und wiederum bestätigt, dass diese Oeffnung nicht existirt, Dagegen nimmt Berres+) diese Oeffnung an, welche beim Fötus eine Spalte sey, die sich im 9. Monat in eine runde Oeffnung umwandle. Das intensive Licht falle auf die Chorioidea durch dieses Loch ein. Hier- *) Lond. med. gaz. Juny. **) Isis, Heft 7. **) Ammon’s Zeitschrift für Ophthalmologie. Bd.1l, H£t.1. r) Isis, Hft, 4, p: 425. 25 durch werde die Chorioidea gereizt, die Kapsel ge- spannt und gewölbter, und dadurch die brechende Ei- genschaft vermehrt, und Alles dies ist noch nicht ge- nug, sondern es soll auch darum geschehen, dass die Retina weniger gereizt werde. Nachklänge aus einer Zeit, wo die Physiologie mit physikalischen Kenntnissen in VWYiderspruch seyn konnte. Die Drüsen des Oesophagus, welche den ersten Grad der Glandulae conglomeratae bilden, und in deren Inneres das Epithelium nicht einzudringen scheint, hat Lelut*) beschrieben. Lauth**) hat ein sehr ausgezeichnetes Werk über den Bau des menschlichen Hodens herausgegeben; er leugnet die von Astley Cooper angenommenen häuti- gen Scheiden um die einzelnen Läppchen des Hodens, giebt indessen zu, dass Hoden, die in Weingeist aufbe- wahrt worden, durch Coagulation des Zellgewebes ent- standene, häutige Scheidevyändchen zeigen. Die Samen- kanälchen haben sämmtlich die Richtung gegen das Rete testis. Man kann sie gleichsam als einen Kegel vorstel- len, dessen Spitze an dem genannten Orte liegt; auch ist jedes Samenkanälchen so gelagert, dass es durch die Abnahme seiner Windungen gegen das Rete testis gleich- sam einen Kegel bildet. Die Samenkanälchen haben alle denselben Durchmesser. Er beträgt nach Lauth bis „45 Zoll, im Durchschnitt ‚1; Zoll; Müller hat ihren Durchmesser 0,00470 par. Z, angegeben. Injicirt betragen sie nachLauth im Durchschnitt -—- Zoll, nach Müller 0,00945 p. Z, Die Läppchen bestehen nach Lauth bald aus einem, bald aus zwei, bald aus meh- reren Samenkanälchen. Lauth berechnet die Zahl der Samenkanälchen auf 840, und die Länge von einem auf *) Journ. hebdomadaire. Mai. **) Mönm. de la Soc, d’hist, nat, de Strasbourg, Vol,1. Livr.2, 26 2 Fuss 4 Zoll. Müller hatte schon Enden der Sa- menkanälchen bei Säugethieren aufgefunden, wo diess bei den Nagethieren, wegen der Grösse der Samenka- nälchen, nicht so schwer ist. Lauth hat nur einmal ein geschlossenes Ende eines Samenkanälchens im Hoden des Menschen bemerkt. Dieses seltene Erscheinen der blin- den Enden kommt nach Lauth davon her, dass die Sa- menkanälchen zuletzt sich schlingenförmig mit einander verbinden. Diese Theilungen und Vereinigungen der Samenkanälchen sind nach Lauth so häufig, dass er auf einer entwickelten Portion, deren Kanälchen circa 45 Zoll zusammen an Länge betrugen, gegen 15 Anastomo- sen auffand; diese Anastomosen finden jedoch nur gegen das Ende der Samenkanälchen Statt. Die Beobachtung dieser Anastomosen ist ganz neu. Da diese Kanälchen übrigens überall einen gleichen Dnrehmesser behalten, da sie theils durch ihre blinden Enden, theils durch ihre Anastomosen geschlossen sind, so darf man sich die Ab- sonderung des Samens nicht an den Enden derselben, sondern in ihrer ganzen Ausdehnung denken. An eme Communication der feinen Arterien mit Enden der $a- menkanälchen ist ohnehin nicht zu denken. Die Samen- kanälchen sind 15 mal dicker als die feinsten Arterien und die feinsten Blutgefässe verzweigen sich nur auf den Wänden der Samenkanälchen. WVenn die Vasa semini- fera bis auf eine oder zwei Linien Entfernung zum Rete testis gelangt sind, so hören ihre Windungen auf; meh- rere vereinigen sich in ein Kanälchen, und so gehen die Ductuli recti in das Rete testis über. Dieser geraden Kanälchen sind nach Lauth jedenfalls mehr als 20, wie Haller annahm; ihr Durchmesser ist stärker, wie der der Samengefässe, im Durchschnitt 1; Zoll. Das Rete testis nimmt einen grossen Theil des obern Randes des Hodens ein; es fängt dort cin wenig nach aussen von der Extremitas interna an und dehnt sich bis zum äus- sern Drittheile des obern Randes aus; es liegt in der 27 Dicke der Albuginea, 6 bis 114 Linien lang und bildet nach innen einen weissen Vorsprung der Albuginea. Die Höhe dieses Vorsprungs oder des Corpus Highmori beträgt 2 bis 4 Linien, seine Basis 3 bis 5 Linien. Das Rete testis besteht aus 7 bis 13 Gefässen, welche wel- lenförmig verlaufen, sich unter sich vereinigen und wie- der theilen und alle unter sich zusammenhängen. Diese Gefässe haben „I; bis „1; Zoll Durchmesser. Die Vasa efferentia, welche aus dem Rete testis in den Kopf des Nebenhodens treten, sind anfangs grad, fangen aber bald an sich zu winden, so dass jedes der Kanälchen die Fi- gur eines Conus annimmt, dessen Spitze mit dem Rete testis und dessen Basis mit dem Kopf der Epididymis zusammenhängen. Nach Lauth wird dieser Kanal ge- gen die’ Epididymis zu enger; anfangs haben sie „.;, zuletzt 2 Zoll Dicke; die Zahl der Vasa efferentia ist 9 bis 30, sie haben 7 Zoll 4Linien Länge. Der Kanal des Nebenhodens nimmt diese Gänge nach einander auf, nach Lauth’s Berechnung in einer Entfernung von 3 Zoll zwischen je zweien. Die mittlere Länge des Ka- nals des Nebenhodens beträgt nach Lauth’s Berechnung 19 Fuss 4 Zoll SLinien. Das Vasculum aberrans findet sich gewöhnlich an dem Winkel, welchen der Ductus deferens bildet, indem er sich gegen den Nebenhoden anlehnt. Meistens verbindet es sich mit dem Ende des Kanals des Nebenhodens, seltener mit dem Anfange des Ductus deferens. Selten finden sich mehrere Vasa ab- errantia. Dieser Appendix hat eine gelbliche Farbe. Die Länge des entwickelten Kanals beträgt 14 bis 13 Zoll. Die Verbindungsstelle des Kanals mit dem Nebenhoden ist immer dünner als der übrige Theil und viel dünner als der Kanal des Nebenhodens. Gegen sein blindes Ende zu wird er allmählig dicker, zuweilen, nachdem er sich erweitert hat, zuletzt ausserordentlich fein; offen- bar ist dieses Gefäss zur Absonderung eines Saftes in den Nebenhoden bestimmt. Ob dieser Kanal mit dem 28 Wolff’schen Körper des Fötus in einer Beziehung steht, ist unbekannt. Sehr selten ist dieser Kanal verzweigt. Die Injectionen mit Quecksilber, welcheHr. Lauth in grosser Anzahl an menschlichen Hoden angestellt hat, sind die schönsten, welche ich jemals von diesem Organe gesehen habe. Eduard Weber *) hat interessante anatomisch- physiologische Untersuchungen über das Hüftgelenk an- gestellt. Nach ihm hat das runde Band den dreifachen Nutzen: 1) den Druck und die Friction zu vermindern, welche entstehen würden, wenn der übrige Körper mit seinem Gewicht unmittelbar auf den Schenkelköpfen lastete. Durch dieses Band hängt der übrige Körper an den Schenkelköpfen ungefähr wie eine Kutsche an den Riemen. Doch wird die Last des Körpers nicht von diesen Bändern allein getragen, denn schon bei dem Drucke des ganzen Körpers schwindet die Entfernung zwischen Kopf und Pfanne gänzlich; 2) macht das runde Band bei der Stellung des Körpers auf einem Fuss ge- wisse Bewegungen des Rumpfes auf dem Schenkelkopfe unmöglich oder schränkt sie ein; 3) führt dieses Band den Schenkelkopf beim Auftreten des Beins während des Gehens in seine ursprüngliche Lage zurück, nachdem er aus der Gelenkpfanne ein Stück heruntergesunken war, als das Bein beim Gehen am Rumpfe hing; denn ohne dieses Band würde der Schenkelkopf an das Gewölbe der Pfanne anstossen. Nach Weber hat das Ligament. teres bei dem aufrechtstehenden Menschen eine senk- rechte Lage, daher hat ein Becken dann die richtige Nei- gung, wenn die Incisura acetabuli die unterste Stelle an der Pfanne des Skelettes einnimmt. Die mit Fett er- füllte Grube der Pfanne dient dem Bande zu einem Pol- *) Wöchentliche Beiträge zur medic, und chirurg. Clinik von Clarus uud Radius, N, 16, 29 ster, wenn Kopf und Pfanne gegen einander drücken. Diess Polster musste aber so weit seyn als der Raum, den das Band bei den verschiedenen Bewegungen des Schenkels beschreibt. Hieran schliesst sich eine Betrachtung von Mayo *) über den Nutzen der Ligamenta eruciata am Kniegelenk. Er fand, dass sie, nach Trennung aller übrigen Bänder, allein in jeder Lage die Seitwärtsbewegung des Unter- schenkels hindern. Man kann sich vorstellen, dass das vordere, welches schief nach innen geht, als inneres Sei- tenband, das hintere, welches in schräger Richtung nach aussen tritt, als äusseres Seitenband wirke. Seitenbän- der verhüten aber die Seitwärtsbewegung nur, wenn sie gespannt sind. Sollen also die Ligamenta cruciata den ihnen zugeschriebenen Nutzen haben, so müssen sie bei jeder Stellung des Kniegelenks gespannt seyn. Das ist nun nach Mayo wirklich der Fall. Denn der hintere Abschnitt der Gelenkfläche des Oberschenkels bildet, im Längendurchschnitt betrachtet, einen Bogen, dessen Cen- trum der Ansatzstelle des hintern Ligam, cruciatum ent- spricht, so dass diess, als Radius des Kreisabschnitts, dieselbe Länge haben muss, an welchem Theile der Ge- lenkoberfläche sich, bei der Beugung des Unterschenkels, sein unteres Ende befinden mag. Das vordere Ligam. eruciatum wird ausgespannt erhalten, dadurch, dass der vordere Theil der Gelenkfläche, und ihm entsprechend die Gelenkfläche der Tibia, flach sind. Durch diese An- ordnung vermögen auch die Kreuzbänder der übermäs- sigen Streckung des Kniegelenks Grenzen zu setzen. Wäre der Condylus femuris vorn eben so convex, wie hinten, so würden die Kreuzbänder die Streckung in eben dem Grade gestatten, wie die Beugung. Unter den mikroskopischen Untersuchungen über den *) Lond, med, gazette. Sept, 30 Bau der Gewebe, ist, hier zuerst die treffliche kleine Schrift von Wendt, über die menschliche Epidermis zu erwähnen. Da sie in einem der nächstfolgenden Hefte übersetzt erscheinen soll, so wird hier nur das Wesentlichste angeführt, Wendt *) beschreibt die Epidermis, wie alle zuverlässigeren Vorgänger, als ge- fässlos. Ich-erlaube mir hier eine, mir vom Hrn. Prof. Schultze in Greifswalde mitgetheilte, sehr interessante Beobachtung zu erwähnen. Er fand, dass nach Injection der Blutgefässe mit blossem Terpenthinöl nicht allein die feinsten, sonst nicht sichtbaren Gefässe angefüllt werden, sondern dass auch die abgezogene Epidermis an’ ihrer innern Seite ein mit dem Mikroskop erkennbares deutli- ches Gefässnetz zeigt. Um die Injection auf das Wei- teste zu treiben, hat Schultze den Stumpf des injieir- ten unterbundenen Arms in heisses Wasser gethan. Die- ser Gelehrte hatte die Güte, mir nicht allein das Gefäss- netz der innern Seite der Epidermis an abgezogenen und getrockneten Stücken unter dem Mikroskop zu zeigen, sondern auch ein Stückchen dieser Epidermis mir mit- getheilt, ‘woran ich den deutlichen Beweis dieser Ge- füsse in den Händen habe. Es lässt sich aus dieser Be- obachtung indess freilich noch nicht schliessen, dass die Epidermis selbst Gefässe enthalte; denn diese Schicht von Gefässen, an der innern Seite der Epidermis, kann sehr wohl mechanisch beim Ablösen der Epidermis von dem Stratum Malpighianum subepidermieum mit abgelöset seyn. Auch liesse sich erst an senkrechten Durchschnit- ten der Epidermis unter dem Mikroskop der Beweis führen: ob diese Gefässe bloss eine innere Schicht an der gefässlosen Epidermis selbst bilden, oder ob die Gefässe wirklich bis zu einiger Tiefe in die Substanz der Epidermis eindringen. Sie verhalten sich übri- gens bei ihrer Verzweigung und netzförmigen Endigung *) De epidermide humana, Diss, inaug. anatom, Vratislav. 31 gerade so, wie Blutgefässe. Von den rothes Blut füh- renden Gefässen unterscheiden sie sich nach Schultze nur, dass sie einige Mal dünner sind, als menschliche Blutkörperchen. Wäre diese Messung an nicht, getrock- neter Epidermis angestellt, so wäre wohl der. Beweis geliefert, dass es wirklich Ramuli serosi der Blutgefässe gäbe. Nach Wendt besteht die Epidermis aus: Lamel- len. Wendt hält das Stratum Malpighianum (Rete Mal- pighii) nicht, für eine blosse, noch nicht erhärtete Lamelle der Epidermis; denn die Epidermis bestehe aus Lamel- len, das Rete Malpighii aber aus Körnern. Nach Wendt kommen die Haare wirklich aus den Glandulis sebaceis, obgleich nicht alle Glandulae sebaceae Haare aus- schicken. Der Bulbus der Haare sitzt in dem Boden der Glandula sebacea; er durchbohrt nicht: die mit eingebogener Epidermis besetzte VVand der Glandula, sondern geht durch ihren Ausführungsgang selbst. Bei der Entstehung der Haare soll 'man ein Gefäss zu dem Boden jeder Drüse treten sehen, das. in einen Punkt schwarzen Pigmentes endigt, welches durch Zuwachs von neuem Pigment in den Bulbus des Haars auswächst. Am interessantesten sind Purkinje's Be- obachtungen über die Schweisskanälchen. Die kleinen Poren auf den erhabenen Linien der Vola und Planta sind bekannt, Purkinje hat nun entdeckt, dass diese Oeffnungen in der Haut zu fadenförmigen Organen: füh- ren, welche durch das Stratum Malpighianum in» die Haut selbst übergehen, einen spiralförmigen Verlauf haben und zuletzt in einen nicht mehr gewundenen, blindgeschlos- senen, länglichen Balg sich endigen. An den Hautstellen mit dünner Epidermis sind diese Kanäle dünner und we- niger gewunden, in der Vola manus dagegen machen sie gegen 6 bis 10 Windungen. Die Kanälchen machen übri- gens schon in der Epidermis ihre meisten Windungen. Zu dieser Untersuchung wird ein Stück der Haut, am besten aus der Vola manus, durch Liquor kali carboniei 32 erhärtet und in senkrechte Lamellen, die mit den Fur- chen der Vola parallel laufen, mit einem sehr scharfen Messer zerschnitten, darauf diese Durchschnitte mikros- kopisch untersucht. Von dem Stratum Malpighianum an hören die Windungen auf; das Kanälchen tritt gerade in die Cutis ein, indem es allmählig anschwillt und mit einem rundlichen, geschlossenen Fundus endigt, Die Länge der Kanälchen beträgt kaum mehr als das Dop- pelte der Dicke der Epidermis der Vola oder Planta. Die VWYindungen sind in der linken Vola von rechts nach links, in der rechten umgekehrt. Diese Beobachtung ist eine der wichtigsten Entdek- kungen im Gebiete der mikroskopischen Anatomie. Der ganz vortrefflichen Kupfertafel dieser Schrift ist auch eine interessante Abbildung von dem Bau der Schleim- drüsen der Nymphen beigefügt. Ueber die verschiedenen Formen der Capillargefässe hat Berres*) eine sehr ausführliche Arbeit, mit Abbil- dungen nach Barth’s, Lieberkühn’s und eigenen In- jeetionen gegeben, und dadurch die Untersuchuugen von Prochaska, Döllinger, E. H. Weber und Anderen über diesen Gegenstand weiter ausgeführt, Er hat diese verschiedenen Formen der Capillargefässe, die sich aus Injectionen der Arterien füllen und welche er Arterien- netze nennt, in folgende Classen eingetheilt: 1) das ge- schlängelte Arteriennetz (Plexus arteriosus undulatus), welches ein Netz von einzelnen geschlängelten Zweigel- chen darstellt, wie es vorzüglich in dem Zellgewebe vorkommen soll. Er hat davon eine Abbildung aus dem Plexus chorioideus lateralis gegeben. Die grösseren Ge- fässe enthielten im Durchmesser 0,0018, die zartesten 0,0002 eines wiener Zolls. 2) Das Schlingenarteriennetz (Plex. arteriosus ansatus). Die feinsten Zwyeige des Ader- *) Medicinische Jahrbücher des Oecstreichischen Staats. Bd. XIV, Heft 1. 2, 3, 33 netzes treten hier in kleineren und grösseren Abständen als mehr oder weniger über den Horizont desselben emporgezogene Gefässschlingen hervor und unter man- nichfaltiger Schlangenwindung wandert das Muttergefäss mehrere Schlingen weiter und zuletzt in die Tiefe, wo es‘dann, nach seinem Verschwinden von der Oberfläche, bald durch ein zweites, ähnliches Gefäss ersetzt wird. Berres unterscheidet hiervon wieder mehrere Modifi- 123 Anwendung von Gerbestofl' dauerte die Entzündung ent- weder ungestört fort, oder die Adstringenz war stark, aber die veränderte Durchsichtigkeit der Membranen hin- derte die weiteren Vorgänge zu studiren. Mayer*) hat eine Reihe von Versuchen über die Folgen der Unterbindung beider Carotiden mit und ohne Verletzung des Gehirns und über die Folgen der Inje- etion fremder Flüssigkeiten in dieselben angestellt. Jene waren bald tödtlich, bald nicht; unter den Symptomen war unter andern auch T'eetanus zu beobachten. In Hin- sicht des Details dieser Versuche und der Schlüsse, wel- che der Verf. daraus zieht, müssen wir auf die schon er- wähnte Abhandlung verweisen, die uns jedoch in anato- mischer Hinsicht viel wichtiger erscheint, Dieffenbach's zahlreiche Erfahrungen über die Transfusion des Blutes und die Infusion der Arzneimit- tel finden wir neuerdings wieder von ihm zusammenge- stellt**). Da die Beobachtungen unseres hochgeschätzten Freundes bereits aus älteren Mittheilungen bekannt sind, so müssen wir auf diese, wie auf die gegenwärtige Zu- sammenstellung verweisen. Dieffenbach’s Erfahrun- gen sind um so wichtiger, als dadurch die Versüche von Prevost und Dumas durch eine viel grössere An- zahl von Beobachtungen bestätigt worden sind, Ueber die Reproductionskraft des VWVassersalaman- ders hat Derselbe ***) neue und sehr merkwürdige Be- obachtungen mitgetheilt. Wenn der Schwanz gespalten oder wenn er nur mehrmals durchstochen wurde, so fiel der ganze Theil ab und es reproducirte sich ein neuer Schwanz. Eben so ersetzte sich eine Extremität wieder, wenn auch nur an einer Seite ein tiefer Querschnitt oder *) Nov, act. nat. cur. T.XVI, p. 2. **) Rust’s Handbuch der Chirurgie. Art. Infusion. ***) Medicinische (Vereins-) Zeitung. Nr. 20 124 " ein Längenschnitt durch Haut und Muskeln gemacht wurde, oder wenn durch eine kleine Hautwunde die Resection eines Röhrenknochens vorgenommen wurde, ja selbst das Zerbrechen eines Röhrenlinochens ohne Hautverletzung, das Abtrennen eines ringförmigen Hautstreifens an einer Extremität, das Anlegen einer Ligatur, hatte das Abfallen des Gliedes und die Reproduction eines neuen zur Folge, Der Unterkiefer wurde nicht wieder erzeugt; die Thiere starben nach der Resection desselben. Auch wurde keine, Regeneration des zerstörten Auges beobachtet; nur die Feuchtigkeiten und die Linse erzeugten sich wieder Ausschneidung der Rippen, eindringende Brust- und Un- terleibswunden verursachten immer den Tod, Brodie *) hat über die Callusbildung neue Beob- achtungen angestellt. Nach Verlauf einer Woche sind die gebrochenen Enden des Knochens von einer weichen aber festen, in der Consistenz zwischen Ligament und Knorpel stehenden Substanz vereinigt. Diese hängt über und unter dem Bruch an dem Knochen an, steht mit den nahe liegenden Muskeln und Sehnen in Verbindung und die gebrochenen Enden des Knochens liegen gewisser- massen frei in einer Höhle mit einem von Gefässen durch- zogenen Eiweissstoff von halbdurchsichtiger, gallertarti- ger Beschaffenheit umgeben. Einige Tage nachher ist diese dünne Gallerte verschwunden und die Knochen sind durch eine dünne Substanz (Callus) vereinigt; nach ungefähr 3 Wochen entstehen in dem Callus kleine Ver- knöcherungspunkte, während die gebrochenen Enden noch fast ihre ursprüngliche Gestalt haben, so dass sie, wie früher in eine Masse von Callus, jetzt in eine neue Masse von Knochen eingekeilt liegen. Nun erst werden die Knochen fester vereinigt und die übrige Hnochen- masse aufgesogen. *) Froriep’s Notizen, Nr. 836. 125 Ueber die Functionen der hinteren und vorderen Wurzeln der Rückenmarksneryen sind zwei kleine Schrif- ten von Seubert und vonFränzel erschienen, Schon im vorigen Jahre ist eine vollständige Bestätigung der Müllerschen Versuche durch Stannius (Hecker’s Annalen Dec.) erschienen. Seubert*) hat unter andern die von J. Müller angewandte Beweisart des Bellschen Lehrsatzes bei einem Bock, bei einem Hunde, bei einer Ziege, bei einem Schaf, bei einem Kaninchen und bei Fröschen angewandt. Er schliesst aus seinen Versuchen, dass die hinteren VYurzeln der Spinalnerven nur der Sen- sibilität vorstehen. WVenn er die hinteren Wurzeln un- versehrt reizte oder die mit dem Rückenmark in Ver- bindung stehenden Stümpfe ihrer durchschnittenen Wur- zeln reizte, empfanden die Thiere Schmerz; die vorde- ren Wurzeln ’zeigten diess niemals, Die Glieder, deren hintere Wurzeln durchschnitten waren, waren aller Em- ‚pfindung beraubt; diess war dagegen bei der Zerstörung der vorderen Wurzeln nicht der Fall. Die vorderen Wurzeln sind allein motorisch; bei ihrer Reizung ent- stehen Conyulsionen. Werden die hinteren WVurzeln, so lange sie noch mit dem Rückenmark verbunden sind, ge- reizt, so können zwar zuweilen Zuckungen entstehen, aber diess bloss darum, weil das Rückenmark mit ge- zerrt wird oder die Reizung, auf das Rückenmark verpflanzt, wieder auf die motorischen Nerven wirkt. Werden dagegen die von dem Rückenmark abgeschnit- tenen hinteren Wurzeln gereizt, so entsteht niemals eine Zuckung. Nach Durchschneidung der vorderen Wurzeln sind die Glieder aller Bewegungskraft be- raubt. So definitiv diese Resultate in Hinsicht der Wur- zeln sind, so wenig sind sie es hinsichtlich der Rücken- *)Seubert de functionibus radicum anteriorum et posteriorum nervorum spinalium, Comment. a medicorum ordine facultatis Hei- delbergensis praemio ornata. Carlsruhae et Badae, 126 marksstränge selbst. Die vordere Gegend, d. h. die Ab- dominalgegend des Rückenmarks, scheint nach diesen Versuchen vorzüglich, aber nicht allein, der Bewegung vorzustehen; die hintere vorzugsweise, aber nicht allein der Empfindung. Dass dasjenige, was von den Wurzeln der Rückenmarksnerven ausgemacht, von den Strängen desRük- kenmarks noch durchaus zweifelhaft ist, habe ich bereits in meinem französischen Memoire in den Annales des sciences nat, bemerkt. Seubert erwähnt noch, dass als die wässrige Flüssigkeit unter der Arachnoidea des Rük- kenmarks in der Regio cervicalis ausfloss, ohne dass das Rückenmark verletzt war, unregelmässige und trunkene Bewegungen des Thieres entstanden seyen. Auch hat Seubert die mit der Respiration übereinstimmende Be- wegung des Rückenmarks gesehen. Ich muss übrigens hier nochmals bemerken, dass ich die Anwendung von Säugethieren zum Beweis des Bellschen Lehrsatzes we- gen der Grösse der Verletzung nicht für angemessen halte; dagegen es bei den Fröschen kein Kunststück ist, wie ich e& thue, in einigen Minuten das Rückgrat ohne irgend eine Verletzung des Rückenmarks aufzubrechen, worauf die Thiere ihre vollkommene WVillkühr und Be- wegungskraft noch haben müssen. Ich habe diese Ver- suche bei den Fröschen nun schon ganz ausserordentlich oft angestellt; es ist mir aber noch niemals begegnet, ‚ wie in Treviranus Versuchen, dass einer der Frösche Tetanus bekommen hätte. Dieser Versuch kann unmög- lich gut und zweckmässig angestellt worden seyn. Der Verfasser geht sodann zu den galvanischen Experi- menten über. Er beschreibt zuerst die vonMüller an- gestellten Versuche, aus welchen hervorgeht, dass man mit dem galvanischen Reiz eines einfachen Plattenpares durch die vomRückenmark abgeschnittenen hinteren VVur- zeln kein Zucken der Muskeln bewirken könne, während dieser Reiz durch die vorderen VVurzeln: sogleich die heftigsten Zuckungen erregt, ja dass selbst eine kleine 127 Säule von 34 Plattenparen von 4 Quadratzoll, deren Pole auf das Ende der hintern Wurzel (die auf einem Glasplättchen lag) angewandt wurden, noch keine Zuk- kungen hervorbrachte. Diese letzteren galvanischen Ver- suche sind ihm nicht so, wie Müllern, gelungen, weil er sich ungeschickt genug dazu angestellt hat. Statt, wie Müller, zuerst mit einem Plattenpare zu experimenti- ren, hat der Verf., gleichsam um es recht gut zu ma- chen, mit 50 Plattenparen operirt. Nun ist es aber be- kannt, dass man, um locale Wirkungen zu erzeugen, bei Thieren nur mit ganz schwachen Apparaten experimen- tiren darf, indem man bei einiger Stärke des Apparats nicht mehr sicher ist, ob man bloss den durch die Pole berührten Theil galvanisirt, oder ob das durch alle nassen Theile leitungsfähige galvanische Fluidum auf andere Theile überspringt. Es ist daher kein Wunder, wenn der Verf. in einigen Fällen beim Galvanisiren der hin- teren Wurzeln der Frösche durch eine Säule von 50 Plat- tenparen doch Zuckungen entstehen sah; hätte er noch mehr Plattenpare angewandt, so hätte er eben so gut Convulsionen des ganzen Frosches erzeugen können, Diese Betrachtung drängt sich bei einiger Kenntniss der Wirkungsart und Leitung des galvanischen Fluidums dem Leser so sehr auf, dass ich mich bei diesen Missgriffen des Verfassers nicht länger aufhalten werde. Hätte derselbe mit einem einfachen Plattenpare operirt, so würde er den unabänderlichen Erfolg gesehen haben, wie ich ihn jetzt schon so ausserordentlich häufig und nie mit irgend einer Aenderung gesehen habe, ‘wie ich ihn regelmässig in meinen Vorlesungen bestätigt finde, wie ich ihn in Paris den Herren Al. v. Humboldt, Dutrochet, Valenciennes, Laurillard, in Heidel- berg den Herren Tiedemann und Arnold, in Bonn Hrn. Professor Retzius aus Stockholm und meinen ver- ehrten ehemaligen Collegen, Weber und Wutzer vor- gezeigt habe. Nachdem nun Hr. Seubert mit dem ein- * 128 fachen Plattenpare diesen Erfolg gesehen, hätte er zwei, dann drei, dann vier, dann fünf u,s. w. Plattenpare neh- men müssen, bis er eine Höhe von 10—20—30 Paren erreicht hätte; er würde dann die Grenze kennen ge- lernt haben, bis zu welcher er bei seiner Säule gehen durfte. Dann wäre er nicht Gefahr gelaufen, den Gegen- stand von neuem zu verwirren und es wäre ihm nur zur vollkommenen Bestätigung der Müilerschen Versuche Gelegenheit übrig geblieben. Die von Müller gemachte Beobachtung über den verschiedenen Einfluss des Gal- vanismus auf die vorderen und hinteren Wurzeln der Rückenmarksnerven ist übrigens keine blosse Bestätigung des Bellschen Lehrsatzes, sondern ein Fortschritt in der Physik der Nerven überhaupt, welcher noch viele Früchte bringen kann. Aus der leichten Empfänglichkeit ‘ der Nerven für den galvanischen Reiz, wenn nur ein Pol einer galvanischen Säule den Nerven berührt, schliesst Seubert zuletzt, dass die Nerven bessere Leiter der Electricität sind, als andere thierische Theile, Diess ist die alte falsche Schlussfolge aus den galvanischen Ver- suchen, dass nämlich aus der lebhaftern organischen Reizbarkeit der Nerven für-die Electricität auf die ganz davon verschiedene physicalische Leitungsfähigkeit für die Electricität geschlossen wird. Ein zerschnittener, zer- quetschter Nerye ist als nass noch ein trefflicher Leiter der Electrieität zwischen dem an beiden Stücken ange- «brachten Pol, aber kein Leiter des Nervenprincips mehr; der galvanische Reiz, durch Application beider Pole über die gequetschte Stelle applieirt, wirkt jetzt nicht mehr, weil die Leitungsfähigkeit in der gequetschten Stelle für die Electricität aufgehoben ist, sondern weil das durch den galvanischen Reiz in Bewegung gesetzte Nervenprincip nicht durch die gequetschte Stelle hin- durch wirken kann. Die Nerven sind keine besseren Leiter der Electricität wie jeder thierische nasse Theil, wie die Versuche von Person und Müller gezeigt 129 haben; aber sie sind durch ihre organische Reaction die allerempfindlichsten Electrometer. Interessant ist Seu- berts Zusammenstellung der pathologischen Fälle aus den Schriften der Aerzte, welche zur Erläuterung des Bellschen Lehrsatzes dienen können. Fränzel*) hat einige Experimente über das Gehirn und die Nerven angestellt, Er schliesst aus einigen feh- lerhaften und nicht einmal richtig beurtheilten Versuchen, dass die vorderen Bündel des Rückenmarks und ihre Wurzeln zur Bewegung im Allgemeinen nöthig seyen, dass dagegen die hinteren Bündel zwar ‘der Sensibilität dienen, aber auch zu den für einen Zweck bestimmten Bewegungen erforderlich seyen. Bei einem Frosch soll nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln Bewegung und Empfindung zugleich verloren gewesen seyn. Die Bewegung hört indessen, wir können es versichern, bei einem gut angestellten Versuche niemals auf. Bei zwei Fröschen schienen die Muskeln nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln paralytisch; die Sensibilität sey dagegen zum Theil geblieben. Illatis nimirum incitamen- tis extremitates movebantur, i. e. iterum attrahebantur, si a me extensae fuerant, quem motum etiam rana li- bero impulsu suscipiebat etc. War das Thier paraly- tisch, warum zog es die Beine an? Dass es noch Em- pfindung gehabt haben soll, schliesst der Verf. daraus, dass es die Beine anzog, wenn sie künstlich gestreckt worden waren und fügt noch gar hinzu, dass es diese Bewegung auch aus freien Stücken ausführte. An zwei Fröschen durchschnitt er die vorderen Wurzeln, weiss aber nicht, ob nicht die hinteren dabei gezerrt worden sind. Die Extremitäten sollen ihre Empfindungskraft ver- . loren haben und das schliesst der Verf. wieder daraus, dass der Frosch diese Beine nicht bewegte, wenn sie *) Fraenzel, Hodiernae doctrinae de nervorum cerebralium spinaliumque functionibus epitome. Dresdae, Müller’s Archiv. 1834, 9 130 gekniffen oder gestochen wurden. Warum soll er sie bewegen, da sie ihre Bewegungskraft verloren haben? Dass sie noch Empfindung hatten, diess konnte der Frosch wohl an anderen Theilen des Rumpfs, aber wie Jeder leicht einsieht, nicht mit den gelähmten Beinen ausdrük- “ken. Hätte der Verf. bloss eine genaue Beschreibung der Versuche Anderer gegeben, so hätte man ihm Dank gewusst, aber wer soll ihm dafür danken, dass er Ver- suche anstellt, die er selbst nicht richtig, zu beurtheilen versteht. Der Verf. beschreibt zwei interessante Präparate, welche für eine theilweise Decussation der Fasern im Chiasma sprechen. In einem Fall ging das Uebel von einer Seite des Gehirns zum entgegengesetzten Auge, in einem andern Fall ging von einem zerstörten Auge die Atrophie bis zum Thalamus der andernSeite, Er redet von einer Bewegung der Iris bei Blinden, unterlässt aber zu bemerker, was die Hauptsache ist, ob das gesunde Auge offen war. Eine physiologische Abhandlung über die Augennerven von demselben Verfasser *) enthält nichts Eigenthümliches, Folgende, von Montault in der Academie de Me- decine. vorgetragene Beobachtung ist für die Physiologie des Nervensystems von Wichtigkeit **). Nach einem Fall auf das Genick entstanden Spannung und Zittern der Muskeln des Halses, heftige Schmerzen an der lin- ken Seite des Kopfes und Halses und beschwerliches Sprechen. Die Zunge wurde allmählig verkleinert, vor- züglich an der linken Seite atrophisch und beim Aus- strecken nach der rechten Seite hingezogen, Der Ge- schmack war auf beiden Seiten der Zunge vorhanden, „Später entstand eine kleine Geschwulst hinter dem Zit- zenfortsatz, das Schlucken wurde beschwerlich, Schluch- zen, Aphonie und Erbrechen kamen hinzu, zuletzt epi- M) v. Ammons Zeitschrift für Ophthalmologie. *) Journal hebdomad, Mars. 131 leptische Anfälle. Bei der Section fand sich zwischen der linken Hinterhauptsgrube, der linken Hemisphäre des kleinen Gehirns und der Medulla oblongata eine hydati- döse Geschwulst, worin eine Menge Hydatiden. Diese Cyste hob die linke Hemisphäre des kleinen Gehirns auf und drängte die Medulla oblongata etwas nach rechts; sie drang, innerhalb der Arachnoidea gelegen, einige Linien tief in den Rückgratscanal und war zugleich in das Foramen condyloideum anterius eingesenkt. Von der Basis der Cyste ging eine Verlängerung durch die vor- dere Portion des Foramen lacerum sinistrum nach Aus- sen unter das obere Ende des Musc. complexus und ster- nocleidomastoideus. Innerhalb der Schädelhöhle waren die betheiligten Nerven gesund, vom Austritt aus dem Cranium an war der linke Hypoglossus atrophisch bis zur Zunge, auch der Nerv. glossopharyngeus, nicht aber der Vagus und Accessorius. Die Muskeln der Zunge und des Gaumensegels auf der linken Seite und das linke Stimmband wurden atrophisch gefunden. Dieser Fall zeigt, dass der Nerv. lingualis Geschmacksnerve der Zunge ist, und dass die Lähmung und Atrophie der Zunge von der Atrophie des Nerv. glossopharyngeus und hypoglos- sus abhing. Er war von Dupuytren richtig diagnosti- eirt worden, welcher voraussagte, dass der Nerv, hypo- glossus, und zwar von seinem- Austritt aus der Schädel- höhle an krankhaft verändert sey, weil bei einem Leiden dieses Nerven an seinem Ursprunge, Paralyse der Glied- massen vorhanden seyn musste. Die Beziehung des kleinen Gehirns zur Geschlechts- function bestätigt eine von Chauffard *) mitgetheilte Krankengeschichte. Ein sanfter, frommer Mann bekam, nach einem Fall auf den Nacken, heftige und anhaltende Satyria- sis und erotische Delirien, so dass er seine Frau, seine Tochter und andere Frauenzimmer auf’s Unanständigste *) Transactions med. Avril. p, 39. 9%* 132 verfolgte. Der Zustand nahm 3 Monate lang zu, dann, nachdem sich der Kranke bedeutend erzürnt, verfiel er in Krämpfe, klagte über Schmerzen im Vorderkopf statt der bisher im Hinterkopf gefühlten; die Satyriasis hörte auf, er wurde fromm, murmelte Gebete und starb nach 8 Tagen. Die Section wurde leider nicht gemacht. J. Bishop hat in der Royal society einen für die Nervenphysiologie sehr lehrreichen Krankheitsfall mitge- theilt *). Eine Dame wurde von völliger Unempfind- lichkeit der linken Seite des Gesichts und Kopfes und Strabismus mit Doppeltsehen befallen, wobei die will- kührliche Bewegung in allen betreffenden Theilen nicht beeinträchtigt war. Der linke Augapfel nahm keine Be- rührung wahr, das Sehvermögen auf demselben aber war uugeschwächt, ausser dass Kurze Zeit vor dem Tode keine Farben mehr unterschieden werden konnten. Auf das linke Nasenloch machten die stärksten Reizmittel, wie Tabak oder Ammonium, keinen Eindruck; doch Ares die Fähigkeit zu riechen fort. "Die linke Seite der Zunge war sowohl gegen Gefühls- als Gesehmackseindrücke völ- lig unempfindlich. Nach dem Tode fand sich eine scir- rhöse Geschwulst auf der innern Fläche des Keilbeins, welche sich seitlich zum Porus acusticus internus und rückwärts bis an den Pons Varoli erstreckte. An die- sem befand sich eine oberflächliche Ulceration. Die Ge- schwulst füllte die Oeffnungen, durch welche die drei Zweige des Quintus treten, gänzlich aus. Dieser Fall beweist, dass Gesichts- und Geruchssinn unabhängig vom fünften Nervenpare bestehen, und der Gefühlssinn wie der Geschmaekssinn von demselben abhängt, In den Philosoph. Transact. 1833. P. I. ist eine Ab- handlung von W. Phili p über das Verhältniss zwischen Nervensystem und Muskelsystem erschienen, welche we- ‚nig neue Thatsachen enthält, aber ein Resume älterer *) London medical gazette, Dechr, 133 und neuerer Untersuchungen von Philip über das Ner- vensystem bildet. Neu ist nur folgende Beobachtung: Wilson zerschnitt mit Field das Rüekenmark eines Esels nahe dem Kopfe so, dass er die Sensibilität zer- störte, dass aber das Athmen nicht ganz unterbrochen wurde, Das Ganglion semilunare wurde darauf bloss gelegt. Das Herz pulsirte in dieser Zeit 16mal in 10 Secunden. Obgleich nun das Ganglion mit der Spitze des Scalpells irritirt wurde, so schlug doch das Herz gleichförmig fort, selbst dann noch, als Weingeist und Tabaksinfusion auf das Ganglion applicirt wurden, Er schliesst daraus, dass dieGanglien bloss Einflüsse aus ver- schiedenen Theilen des Nervensystems sammeln und wei- ter vertheilen, selbst aber keine besonderen Kräfte be- sitzen. Philip kommt sodann zu der Frage, ob die Muskeln ihre Zusammenziehung bloss auf Wirkung der Nervenkraft äussern, oder ob der Nervenreiz nur wie alle übrigen Reize auf die Muskeln wirke. Er nimmt das letztere an, weil nämlich die chemischen Reize, auf den Nerven applicirt, keine Zuckungen in den Muskeln veranlassen, während diese Reize doch, auf die Muskeln selbst angewandt, diese zur Zusammenziehung erregen. Hierbei ist jedoch zu bemerken, dass nach meinen Be- obachtungen das letztere im Allgemeinen zwar richtig ist, dass jedoch eine Substanz, nämlich Lig. Kali caustici, auf die Nerven applieirt, häufig sehr heftige und anhal- tende Zuckungen der Muskeln verursacht, in denen sie sich verbreiten. Philip stellt darauf noch weitere theo- retische Betrachtungen an und giebt zuletzt eine Art von Glaubensbekenntniss in Hinsicht der Nervenfunctionen, das wir hier mittheilen, obgleich sich unsere Ansichten ' in mehreren Punkten ganz davon entfernen. Die Kraft der Muskeln, sowohl der willkührlichen als unwillkührlichen Bewegungen, sey unabhängig vom Nervensystem, aber den Einflüssen des Nervensystems unterworfen, Diese Einflüsse des Nervensystems seyen 134 die constanten Reize der Functionen der willkührlichen Muskeln; sie seyen dagegen nur gelegentlich reizend für die Functionen der unwillkührlichen Muskeln, welche gewöhnlich durch ihre eigenthümlichen Reize afficirt werden, Die Muskeln der willkührlichen Bewegung seyen von bestimmten Theilen des Gehirns und Rückenmarks abhängig, die Muskeln der unwillkührlichen Bewegung von allen Theilen des Gehirns und Rückenmarks in- fluencirt. . Gehirn und Rückenmark seyen bloss die activen Or- gane, die Nerven bloss die Leiter; denn die Kräfte bei- der Systeme der Nerven stehen im Verhältniss mit der Erregung des Gehirns und Rückenmarks, hören bald auf, nachdem ihnen dieser Einfluss entzogen worden ist, und seyen durch Ursachen nicht erregt, welche unabhängig von diesen Organen auf die Nerven selbst oder die Gan- glia, Plexus wirken. Das Gangliensystem combinire den Einfluss »jedes Theils des Gehirns und Rückenmarks, um ihn den von ihm bestimmten Organen zuzuleiten. Endlich wiederholt Philip die unerwiesene und unerweisbare Behauptung, dass das Prineip der Nerven Electricität sey, welche, wenn man die Electrieität nach den Körpern, die sie iso- liren und leiten, characterisirt, sich gerade als von dem Nervenprincip verschieden zeigt, Ueber den Gegenstand, welchen Philip hier be- spricht, ist eine kleine, aber interessante Dissertation von Dr. Sticker hier erschienen *) die der Verfasser in diesem Hefte deutsch mittheilt. Grant Calder **) hat eine zufällige Durchschnei- dung des Nerv. ulnaris, hinter dem innern Condylus (des Humerus, beobachtet, wo der Nerve nach vier Jahren *) De nervorum persectorum mutationibus, Berol, **) The lancet, Jan, 135 seine Leitungsfähigkeit nicht wieder erhalten haben soll. Leider ist nur auf die Bewegung, ;Beugung und Strek- kung der Finger, die bekanntlich von anderen Nerven wesentlich abhängt, nicht aber auf die Empfindung Rück- sicht genommen, Von Huschke *) ist ein Versuch zu einer Theorie der Sympathieen bekannt gemacht worden, welche eine Uebersicht aller Formen uud Verhältnisse der Sympa- thien giebt, zugleich aber erkennen lässt, dass die Zeit noch nicht gekommen ist, durch eine glückliche An- wendung der Nervenphysik auf diesen Gegenstand ein- fache Gesetze in diesem Dunkel räthselhafter Wechsel- . wirkungen geltend zu machen. Der erste Schritt zu die- ser Anwendung ist die Kenntniss derjenigen zahlreichen Sympathieen, welche durch Vermittelung des Rücken- marks und nicht des Sympathicus entstehen, nämlich der Bewegungen, welche auf Empfindungen folgen. Auf diese hat nun Marshall Hall**) aufmerksam ge- macht. Bei Salamandern bewegte sich der ganz vom Körper getrennte Schwanz wie bei lebenden Thieren, wenn man die Spitze einer Nadel leicht über seine Ober- fläche führte, Die Bewegung hörte auf, sobald das Rückenmark in den Schwanzwirbeln zerstört wurde. Ich habe dieselbe Erfahrung bei Salamandra maculata ge- macht, Diese Bewegung auf Empfindung folgt in einer Theile nur dann, wenn er mit dem Rückenmark zusam- menhängt, Obgleich daher das Ende des Schwanzes noch zu dieser Beobachtung geschickt ist, so zeigen die Extremitäten abgeschnitten keine Spur von auf Reizung der Haut erfolgender Bewegung. Frösche, welche man zwischen dem dritten oder vierten Wirbel oder noch tiefer quer durchschneidet, zeigen in den Hintertheilen dasselbe Phänomen. Bei diesen Erscheinungen wird die *) Isis. 4833. **) Philosoph, transactions, 1833, PU, 136 Empfindungsreizung auf das Rückenmark und von die- sem zurück auf die Bewegungsnerven verpflanzt. M. Hall geht darauf zu den noch ausgedehnteren Erschei- nungen ähnlicher Art über, die, sich bei narcotisirten Fröschen zeigen; das Rückenmark befindet sich hier in einem äusserst irritirten Zustande, so dass die leiseste Berührung der Haut das ganze Rückenmark reizt und diess wieder alle Bewegungsnerven zu tetanischen Zuk- kungen veranlasst. Ich habe selbst schon auf diese Er- scheinung (Handbuch d. Physiologie I. p. 335.) aufmerk- sam gemacht und sie zur Erklärung eines grossen Theils der Sympathieen ohne Mitwirkung des Sympathicus an- gewandt, wohin namentlich die krankhaften Athembewe- gungen, das Niesen, Husten u. s.f. gehören. Die Ab- handlung von Hall geht merkwürdiger Weise ganz in denselben Ideengang ein. Mayer *) hat beobachtet, dass beim Durchschnei- den des Ganglion ceryicale supremum, so wie bei Rei- zung des Plexus solaris die Thiere deutliche Schmerzens- äusserungen von sich geben. W. Philip **) hat Untersuchungen über die Natur des Schlafes mitgetheilt. Er geht von der von ihm be- obachteten Thatsache aus, dass die Nerven des Gehirns und Rückenmarkes nur die Einflüsse gewisser Theile die- ser Organe leiten, die sympathischen Nerven dagegen von allen Theilen des Gehirns und Rückenmarkes influen- eirt werden. Die willkührlichen Muskeln und ihre Ner- ven und ‚die Sinnesorgane werden durch die Erregung während des Tags eine Erschöpfung ihrer Reizbarkeit erleiden; diese wird hingegen während des Schlafs durch die anhaltende und nicht periodische Thätigkeit des Sy- stems der sympathischen Nerven wieder hergestellt, weil unter dessen Einflusse die Ernährung und Blutbildung *) Act, Acad. Nat, Gur. Vol. XVI. P. II, 9) Philos, transactions. 1833. P. I. 137 fortdauere, Das Nervensystem der organischen Functio- nen gehorcht dagegen einem besser regulirten Reiz. Ur- sachen zur Erschöpfung seiner Thätigkeit sind im ge- wöhnlichen Leben nicht vorhanden; wird es aber durch Krankheiten übermässig erregt, so kommt es in den Fall, in welches das System der Cerebro-Spinalnerven täg- lich durch übermässige Erregung fällt. Aber diese über- mässige Erregung und ihre Folge, die Erschöpfung, führt bei dem organischen Nervensysteme leicht zum Tode, weil nämlich die Restauration der Cerebro -Spinalnerven von der Integrität der von dem organischen Nervensy- stem abhängigen Lebensfunctionen bedingt wird. Philip betrachtet daher den Schlaf bloss als einen Zustand des ani- malischen Nervensystems. Genau genommen ist diese ganze Exposition keine Erklärung, sondern eine Beschreibung der Thatsachen, Ohne seinen Gegenstand zu erschöpfen, geht Philip nun auf den Zustand des Athmens bei dem Schlafe über. Er leitet die Athembewegungen von dem Gefühl des Bedürfnisses zu athmen in den Lungen |ab. Im Schlaf sey dieses Gefühl vermindert, aber nicht er- loschen; daher athme man fort, aber langsamer. Diese Erklärung der Athembewegungen ist indess nicht rich- tig; denn wenn man bei einem Thiere, wie ich that, die Nervi vagi und selbst den N. laryngeus superior auf bei- den Seiten durchschneidet, und den ganzen Kehlkopf bei einem Kaninchen wegnimmt, so muss die Empfindung in den Lungen und dem Kehlkopf aufhören, ‘die Thiere athmen aber mit regelmässigem, wenn auch verändertem Rhythmus fort, (Handb. d. Physiol. I. p.337.) Andere Erscheinungen des Schlafes sind, nach Philip, von der verminderten Häufigkeit des Athmens bedingt. Auch bei der Apoplexie leitet Philip das verminderte Ath- men von dem verminderten Gefühl ab, und von dem ver- minderten Alhmen die anderen Symptome; so sey es beim Druck auf das Gehirn. Wenn dagegen die apoplectische Ursache ausser dem Gefühlsyermögen auch die Kraft des 138 Herzens wie z.B. durch Erschütterung des Gehirns ver- mindere, so sey nicht leicht eine Erholung möglich, wäh- rend im ersten Fall die Entfernung des Drucks das Ge- fühlsvermögen und damit das Athmen herstelle, ‘ Ohne diese beiden Arten ‘der Apoplexie zu läugnen, will ich nur bemerken, dass die Ursache, welche das Gefühl weg- nimmt, auch zugleich das Athmen hemmt, ohne dass letzteres von ersterem abhängig ist. ‘Ueber den Process der Träume hat Philip keine neuen Aufschlüsse mit- getheilt, Ueber die Entstehung des Schwindels — eine Ma- terie, welche Purkinje das schöne Verdienst hat, in das Gebiet der Experimentalphysiologie gebracht zu ha- ben — sind physiologische Bemerkungen von Romberg*) mitgetheilt: worden. Er unterscheidet Empfindungen von Schwindel, welche durch subjective Gefühle in den Mus- keln entstehen, von dem centralen Schwindel von Schein- bewegungeh in den centralen Theilen, welche sich auf die Sinnesorgane beziehen, und die sich auf die in ihnen reprä- sentirten Objecte reflectiren. Wenn wir den Verf. recht verstehen, so denkt er sich diese Bewegung in den Cen- traltheilen als Empfindung von örtlich fortschreitenden Affectionen in den Centraltheilen, wodurch eben die Em- pfindung ‘von Bewegung und Scheinhewegung entstehen kann, ‘Wer sich das Nervenprincip als ein bewegliches Fluidum' vorstellt, kann sich die Schwindelbewegungen in. den 'Centraltheilen «des Nervensystems auch als eine Störung des Gleichgewichts in ‚den Strömungen dieses Prineips durch seine natürlichen Wege, die Nervenfa- sern, denken oder wofern man nicht eine fortschreitende Bewegung ‚des Nervenprincips, sondern nur Schwingun- gen bei seiner Thätigkeit, gleichwie bei demLichte, nach der Undulationstheorie annehmen will, als Störungen des *) Wochenschrift für die gesammte Heilkunde, Nr, 46, 139 Gleichgewichts dieser Schwingungen vorstellen. Wir wissen nicht, welcher von diesen Ansichten der Verf. bei seiner Supposition von Schwindelbewegungen in den Centraltheilen huldigt; jedenfalls betrachtet er die Schwin- delbewegung als eine gegen den Willen erfolgte Störung des Gleichgewichts in den Actionen derjenigen Theile des Gehirns, welche mit den Empfindungsnerven in Ver- bindung stehen. Ganz sinnig ist die Erinnerung des Ver- fassers an die merkwürdigen Bewegungen, welche spon- tan in einer Richtung nach Verletzung gewisser Theile des Gehirns bei Thieren entstehen, wobei er annimmt, dass, weil das Gleichgewicht der Actionen durch die Ver- letzung an einer Stelle aufgehoben ist, die Thiere noth- wendig nach der nun vorwaltenden Richtung der. Actio- nen durch Bewegungen hingerissen werden, _Indessen unterscheiden sich doch gerade diese Fälle wirklich un- willkührlicher Bewegung in einer Richtung von den bloss empfundenen Schwindelbewegungen dadurch, dass die Action im ersten Falle nach den Bewegungsnerven hingeht, wodurch unwillkührliche rotatorische: Muskel- bewegungen entstehen, während die Action bei dem Schwindel ‚bloss in den empfindenden 'Theilen des Ner- vensystems statt findet, Chevreul *) hat die Täuschung physiologisch un- tersucht, dass ein mit der Hand über manche Körper ge- haltener Pendel bei scheinbar unbewegtem Arme in Schwingung geräth, ‘Diese Bewegung, wird durch eine unbevwyusste, leise Muskelbewegung ausgeführt, in die man unwillkührlich geräth, wenn man, indem man das Pendel trägt, zugleich darauf sieht, die aber ‚bei verbun- denen Augen wegfällt; Die beiden Hauptthatsachen hier- bei sind, dass ein in der Hand ‚gehaltenes Pendel durch so leichte Bewegungen, wie sie selbst dem Bewusstseyn entgehen, bewegt werden kann, und dass das Betrachten *) Froriep’s Notizen, N, 831. N 140 der einmal entstandenen Beyyegung unwillkührlich 'eine Reihe unbewusster Bewegungen zu ihrer Verstärkung ver- ursachen kann, Cheyreul sagt, dass das Streben zu eier Bewegung durch den Anblick eines bewegten Körpers her- vorgerufen, häufig vorkomme. Betrachtet man z. B. ge- spannt einen fliegenden Vogel, einen geworfenen Kör- per, fliessendes Wasser, so wendet sich der Körper des Beobachters mehr oder weniger deutlich nach der Linie der Bewegung hin; wenn Jemand Kegel oder Billard spielt, so folgt er mit den Augen der Kugel und giebt seinem Körper die Richtung, welche sie nehmen soll, nachdem sie schon geworfen ist. Ich erinnere hier an eine ganz ähnliche Erscheinung, welche den Zuschauern bei Fechtspielen oder Duellen begegnet und wo die Zu- schauer je nach dem gespannten Interesse, welches sie für die eine oder die andere der Parteien haben, bei einem Hiebe unwillkührlich in Bewegungen gerathen, welche so aussehen, als wenn sie diesen Hieb verstärken oder verhindern könnten. Chevreul wendet diess auch auf die Erklärung des Gähnens an. Von B, Ritter *) ist 'eine physiologische Betrach- tung über das Auge erschienen. Obgleich diese Abhand- lung mannichfaltige Beweise von guten Kenntnissen lie- fert, so ist sie doch nur eine fleissige Compilation von einem denkenden und zugleich beobachtenden Arzte. Ob das menschliche Auge im Dunkeln vermöge sub- jectiver Lichtentwicklung sehen könne, ist Gegenstand gerichtsärztlicher Untersuchung geworden **), Ein wür- diger Geistlicher wurde bei finsterer Nacht von zwei Männern überfallen und mit einem Steine auf das rechte Auge geschlagen. „In demselben Augenblicke ist Licht, wie electrisches Leuchten, wie die Erhellung vom Wet- terleuchten aus seinen Augen geströmt, so dass er den *) Journ. für Chirurgie u, Augenheilk. Bd. XIX, Hit, 3. *) Henke’s Zeitschr, Ates Quartal p, 266. 141 einen der Thäter deutlich erkennen konnte.“ Herr Hof- rath Seiler, dem die Entscheidung obiger Frage über- tragen war, erklärt sich zwar nicht direct dafür, da es an gehörig constatirten Fällen fehle, doch hält er es für wahrscheinlich, weil manche Menschen und Thiere im Dunkeln sehen können (das beweist doch nur, dass sie eine reizbarere Netzhaut haben), Hieher zählt er na- mentlich Caspar Hauser, der in der Dämmerung sogar besser sah, als bei Tage, Ferner, weil sich durch Druck auf das Auge Lichterscheinungen hervorbringen lassen; endlich, weil man bei vielen 'Thieren und einigen Men- schen deutliches Leuchten beobachtet habe. Seiler selbst will Katzenaugen in ganz finstern Kellern leuchten gese- ‘hen haben und um so glänzender, wenn die Thiere durch einen Affeet, Lauern' auf Beute etc. aufgeregt waren. Dass die Katzenaugen kein Licht ausströmen, sondern nur reflectiren, ist, denke ich, hinreichend durch die übereinstimmenden Beobachtungen vonPrevost, Gruit- huisen, Rudolphi, Esser, Tiedemann und von mir selbst bewiesen worden. Renger, der diess Leuchten wieder von amerikanischen Thieren behauptet, kann sich hierbei nicht anders als getäuscht haben. Die subjecti- ven Lichtempfindungen von Stoss auf das Auge gehören gar nicht hieher, Kastner ist freilich der Einzige, wel- cher bei diesen subjectiven Lichtempfindungen auch die äusseren Gegenstände bis zum deutlichen Lesen erhellt gesehen haben will; indessen ist diess gewiss eine un- überlegte Aeusserung. Keiner von uns, die sich so viel mit Experimenten über subjective Lichtempfindungen be- schäftigt haben, haben je dergleichen beobachtet. Wie leicht hätte Seiler diess auch an sich selbst prüfen können, wenn er das Auge gedrückt und bei der Em- pfindung des hellen Lichtes versucht hätte, im Dunkeln zu lesen. Diese subjective Lichtempfindung ist eben nichts, als Empfindung, weil die Nervenhaut bei jeder Reizung eben so Licht empfindet, wie andere Theile 142 Schmerz empfinden können und eben so ‚wenig beleuch- ten kann, wie mein subjectiver Schmerz einem Andern Schmerz machen kann. Hier wäre es zu wünschen ge- wesen, dass der verdienstvolle Seiler, dem die gericht- liche Frage vorgelegt wurde, wirklich genauer mit den ausführlichen Arbeiten über die subjectiven Lichtempfin- dungen vertraut gewesen wäre. So kann man es nur bedauern; dass ein so trefflicher und anerkannter Gelehr- ter dem medicinischen Aberglauben in diesem Punkt eine Stütze gelassen hat. (Vergl. Müller’s Handb. der Phy- siologie I. 88.) Es ist immer bis jetzt zweifelhaft geblieben, ob die complementären Farben unter die subjectiven oder ob- jeetiven optischen Phänomene gehören. Namentlich ge- hören hierher die farbigen Nachbilder farbiger Gegen- stände, welche nach Entfernung des farbigen Objects gesehen werden und in der complementären Farbe der ursprünglichen erscheinen, Man hat davon eine physika- lische und eine physiologische Erklärung; im letztern Falle nimmt man an, dass die Nervenhaut, welche z. B, Roth gesehen hat, an den afficirten Stellen noch fort rea- girt, dass aber die Empfindung für Roth erschöpft ist und dass die Nervenhaut aus eigener Kraft die Empfin- dung der complementären Farbe, nämlich Grün, produ- eirt. Osann *) hat einen eigenthümlichen Versuch zur Erzeugung complementärer Farben beschrieben, bei wel- chem sich beweisen lässt, dass die bei diesem Versuch vorkommenden complementären Farben objectiv sind, Auf einen Tisch legte er ein viereckiges Stück farbiges Papier, dessen Seiten ungefähr die Länge eines Fusses hatten; in die Mitte desselben eine runde Scheibe weis- sen Papiers von 14 Zoll Durchmesser, in einiger Ent- fernung hinter dem Tisch wurde an die Wand ein Bo- gen schwarzes Papier befestigt. Nun neigte er eine *) Poggendorf’s Annalen, Bd, XXVIl. p« 696. 143 Glasscheibe so gegen das farbige Papier, dass sie einen nach ihm offenen Winkel bildete; er stellte sich jetzt so vor die Gla$scheibe, dass das Auge den Reflex der weis- sen Scheibe von der spiegelnden Glasfläche erhielt. Das Auge erblickte nun auf dem schwarzen Papier hinter der Glasscheibe die runde Scheibe mit der Farbe gefärbt, welche die complementäre von der des farbigen Papiers ist. Man verschaffe sich nun eine viereckige Pappscheibe von der Grösse des gefärbten Papiers, mache in der Mitte derselben eine runde Oeflnung von etwas gerin- germ Durchmesser als dem der weissen Scheibe und stelle sie vertical vor den Winkel, welchen die Glasscheibe mit dem farbigen Papiere macht. Sieht man jetzt durch diese Oeffnung, indem man das Auge dicht vor dieselbe hält, so gewahrt man. die oben erwähnte Erscheinung. In dieser Form entscheidet sie nichts über die Frage, ob sie subjectiver oder objectiver Natur ist; diese Frage wird aber sogleich entschieden; wenn man den Versuch auf folgende Art verändert, Man gehe etwas zurück, fortwährend die Oeffnung im Auge behaltend; in dem Verhältnisse, als man zurückgeht, schwindet der Reflex der farbigen Einfassung der Scheibe, herrührend von der Spiegelung des farbigen Papiers, und man kommt bald in die Entfernung, in welcher der Rand der Scheibe mit dem Rande der Oeffnung zusammenfällt; jetzt ge- wahrt das Auge nichts mehr von dem Reflex des farbi- gen Papiers, dessenungeachtet sieht man die Scheibe noch immer in,der complementären Farbe, wie früher, und zwar ohne die geringste Schwächung. Dasselbe er- folgt, wenn man gleich anfänglich in dieser Entfernung durch die Oeflnung sieht, wo also gar kein Reflex des farbigen Papiers ins Auge kommt. Dass das Phänomen in diesem Versueh von Osann ein objectives ist, erleidet wohl keinen Zweifel; damit ist aber nicht entschieden, ob die farbigen Nachbilder "farbiger Gegenstände in den complementären Farben ob- 144 jeetiv sind. Die Erklärung, dass die Nervenhaut, von der’ Farbe eines Bildes erschöpft, desswegen auf einer weissen Wand die complementären Farben "sehe, weil die in dem weissen Lichte der WVand enthaltenen drei Farben, mit Ausnahme derjenigen, für welche das Auge erschöpft ist, zum Vorschein kommen, ist übrigens nicht richtig; denn wenn man ein farbiges Feld auf einem - schwarzen Grunde betrachtet, so kann man auch die complementäre Farbe sehen. In diesem Fall ist kein Weiss vorhanden und die Erklärung der complementären Farbe aus objectiven Gründen also nicht möglich. ' Wenn man eine Lichtflamme dem rechten Auge nahe hält, so dass sie mit diesem, aber nicht mit dem linken Auge gesehen wird, und wenn man ‘nun beide Augen auf einen Streifen weissen Papiers richtet, bei solcher Stellung der Augen, dass man ihn doppelt sieht, so er- scheint das Papier dem rechten oder gereizten Auge grün und dem linken oder gegen die Lichtflamme ge- schützten Auge röthlich. Diese von-Smith zuerst ge- machte Erfahrung ist von Brewster *) weiter unter- sucht worden, Smith schloss aus seinen Beobachtun- gen, dass das auf das rechte Auge einwirkende Licht wirklich Einfluss habe auf das Sehen mit dem linken Auge, vermöge einer Wirkung des Gehirns; dass die grüne und rothe Farbe complementär zu einander seyen; dass die grüne Farbe von ‘einer verminderten Empfind- lichkeit des rechten Auges für rothes Licht und die ro- the Farbe von einer gleich erhöhten Empfindlichkeit des linken Auges für rothes Licht herrühre. Brewster behauptet dagegen, dass die Farben von der Natur des auf den Papierstreifen fallenden Lichtes bedingt werden, dass sie nicht complementär sind, und dass, wenn reines weisses Licht angewandt wird, das unerregte Auge das *) Phil. Mag. Ser, I, Vol., p.168. — Poggendorf’s An- nalen, 1833, Hit, X, 145 Papier farblos sieht. ‘, Er hat viele Versuche angestellt, welche diesen Gegenstand nicht ins Klare zu setzen schei- nen. Es lässt sich dieser Versuch mjt einem einzigen Auge anstellen, wobei man das andere schliesst. Be- trachtet man mit dem einen Auge den auf schwarzem Grunde liegenden dünnen Papierstreifen, während dieser auch zugleich von der Seite her von dem Kerzenlicht beleuchtet ist, so erscheint der Papierstreifen blass-weiss. Betrachtet man ihn mit demselben Auge, während es beschattet ist, so erscheint der Papierstreifen gelb-weiss. Man sehe nun den Papierstreifen undeutlich an, indem man die inneren Veränderungen im Auge für eine andere Ferne macht, so sieht das Auge, wenn es zugleich be- leuchtet ist, den Papierstreifen grün, wenn es dagegen beschattet war, röthlich. Dieser Versuch beweist, dass das röthliche Kerzenlicht nur dann den Papierstreifen in gelblichem Teint erscheinen lässt, wenn der übrige Theil des Auges nicht zugleich von demselben röthlichen Licht afficirt, d. h. wenn das Auge beschattet ist; dass dage- gen, wenn dasselbe Auge zugleich noch im übrigen Theile der Netzhaut von gelbrothem Lichte beleuchtet wird, ein physiologischer Contrast zwischen dem übrigen Theil der Netzhaut und demjenigen, welcher den Papierstreifen sieht, entsteht, wodurch der Papierstreifen blasser als im ersten Falle erscheinen muss und wegen des Contrastes mit den übrigen gelbroth beleuchteten Theilen der Netz- haut blassgrünlich erscheinen kann. Warum diese grün- liche Farbe gerade beim undeutlichen Sehen eintritt, ist mir nicht klar, Dass ein Gegenstand, dessen Ausdehnung unter 13 Sekund, erscheint, mit freiem Auge nicht mehr deutlich gesehen werden kann, rührt, nach Baumgärtner *), nicht von einem stattfindenden zu starken Uebereinan- *) Zeitschrift für Physik und verwandte Wissenschaften. II, Bd, 3tes Hft. p. 236. Müller’s Archiv. 1834, 10 146 dergreifen der einzelnen Abweichungskreise der Bilder einzelner Punkte her, sonst könnte diese Undeutlichkeit nicht durch vergrössernde Linsen gehoben werden, wel- che sowohl die chromatische als sphärische Abweichung durch ihre unvermeidlichen Unyvollkommenheiten noch erhöhen müssen, und sie könnte nicht stattfinden, wenn das Object von homogenem Lichte beleuchtet würde, bei. welchem doch an keine chromatische Abweichung zu denken ist. Er schreibt daher die Undeutlichkeit mehr einer Undeutlichkeit des Sehens als des Bildes zu, mehr einer physiologischen, als physikalischen Abweichung, Der vom Lichte gemachte Eindruck bleibt nämlich wahr- scheinlich nicht auf die getroffene Stelle beschränkt, sondern erstreckt sich rings um dieselbe auf eine gewisse Entfernung, woraus nothwendig dieselbe Wirkung her- vorgehen muss, wie von der Undeutlichkeit der Bilder selbst. Bei verschiedenen Individuen muss daher die Deutlichkeit des Bildes um so grösser seyn, je geringer diese physiologische Abweichung ist. „Vielleicht besteht in einem hohen Grade dieses Undeutlichsehens der Zu- stand derjenigen, welche bei einer grossen Reizbarkeit wohl einen Lichtschein haben, aber durchaus nichts mit scharfen Umrissen wahrnehmen.‘ Vielleicht erklärt es sich daraus, dass bei zu grellem, blendendem Licht, kein Bild wahrgenommen’wird. Der Verfasser knüpft hieran eine neue Erklärung des Aufrechterscheinens der Objecte. Die Affection der Netzhaut durch das Licht ist höchst wahrscheinlich mechanischer Natur und erfolgt durch Stoss. Die Wirkung dieses Stosses muss sich um die getroffene Stelle weiter erstrecken und sich auch nach Innen bis zu einer gewissen Tiefe fortpflanzen. Lichteindrücke, die von unten kommen, pflanzen sich also _ in der Richtung nach oben fort, „Da wir nun das dem Bilde entsprechende Object ausser uns versetzen, so müssen wir auch den Eindruck, welcher von einem un- tera Punkt ins Auge gelangt, in der Richtung von oben 147 nach unten, und den von einem obern Punkte herrüh- renden in der Richtung von unten nach oben ausser uns versetzen, und demnach das Untere unten, das Obere oben sehen.“ Auch vonChaupart*) ist wieder eine neue Erklä- rung des sogenannten aufrechten Sehens der Gegenstände bei der verkehrten Lage des Bildes auf der Netzhaut erschienen. Der Verfasser hat wie alle, welche sich bisher mit der Erklärung dieses Gegenstandes beschäftigt haben, gezeigt, dass ihm der eigentliche Process des Sehens unbekannt geblieben ist; denn bei dieser Kennt- niss kann man sich unmöglich mit jener Frage beschäf- tigen. Da das Auge alle Objecte und selbst die ihm sichtbaren Theile des eigenen Körpers verkehrt erblickt, da selbst die tastende Hand im Bilde der Netzhaut mit dem betasteten Bilde umgekehrt erscheint, so giebt es gar keine Gelegenheit, des Verkehrtsehens sich jemals bewusst zu werden, als bloss die Untersuchung der opti- schen Gesetze. Es braucht daher auch nicht erklärt zu werden, ‘warum man die Gegenstände aufrecht sieht. Wir sehen die verkehrt erscheinenden Bilder nicht auf- recht, sondern, wie wir sie eben sehen, das nennen wir das aufrechte Sehen. Chaupart glaubt übrigens, dass nicht das Bild auf der Netzhaut gesehen werde, sondern dass diess bloss zur Vergleichung und Analyse der Di- mensionen diene und dass das eigentliche Sehen durch kleine schnelle Bewegungen der Be ennze von Punkt zu Punkt ausgeführt werde. Durch die Bewegung der Seh- axe auf alle Punkte des Gegenstandes entstehe eine Wie- derumkehrung des Bildes und so entspringe die aufrechte Perception des Gegenstandes, und so geht diese Verwir- russ weiter fort. "Thomas Smith **) hat über eine von ihm ange- *) Froriep’s Notizen. Nr. 826, **) Lond, and Edinb. philos. magaz. July. 10 * 148 nommene Muskelsiructur der Linsenkapsel und der Zo- nula Zinnii geschrieben, Theile deren Bewegungen die Veränderung des Auges zum Sehen in verschiedene Fer- nen bewirken sollen. Die Abplattung der Linse lässt er durch den Ciliarkörper und die Zonula, die Abrundung durch die Contraction der Kapsel selbst bewirken. Da nun hierzu der Beyyeis von der Zusammenziehungsfä- higkeit dieser Theile fehlt, so vergleicht er sie mit Mus- kelfasern in ‘ihrem Verhalten nach dem Tode gegen ko- chendes Wasser; ziehen sie sich um ein Drittel ihrer Länge zusammen und werden sie undurchsichtig und weiss, so sind es Muskelfasern; ziehen sie sich nicht zu- sammen, so sind es keine Muskelfasern, selbst wenn sie weiss werden. Ziehen sie sich um mehr als 4 zusam- men und bleiben durchsichtig, so sind es Sehnenfasern. Die Kapsel zieht sich nun in heissem VVasser etwas zu- sammen; nämlich die Linse einer Kuh wird von 0,7 Zoll Durchmesser und 0,5 Zoll Dicke auf 0,65 Durchmesser ‘und 0,55 Dicke verändert; sie wird also sphärischer. Auch die Zonula soll sich zusammenziehen. Dergleichen Beweise sind so unmündig, dass man sie bloss in dieser Hinsicht als Beispiel anführen kann, Caswall hat eine Physiologie des Gehörs heraus- gegeben *). WVenn man nach einer in der Med, gazette mitgetheilten Probe urtheilen darf, so könnte man von seiner Art, den Gegenstand zu bearbeiten, wenig Gewinn eryyarten. Blackwall**) hat die Thatsachen über die Instincte der Vögel zusammengestellt. Seine Abhandlung hat kein theoretisches Interesse, In Poggendorf's Annalen der Physik und Oheizie, *) The physiology of the organ of hearing. London, *) Froriep’s Notizen, Nr. 806, 807. — Aus Edinb. new ’philos, Journal, Jan, — April, 149 XXYII. Hft.1. befindet sich eine interessante Zusam- menstellung der Thatsachen über die Wanderung der Zugyögel. Der Verf. zeigt zuerst das Unhaltbare der bereits von Jenner widerlegten Annahme, dass Vögel, wie z.B. die Schwalben, am Boden der Flüsse und Seen die Winterzeit in einem schlafsüchtigen Zustande zu- bringen. Er beweist auch, dass die Schwalben und an- dere periodische Vögel überhaupt nicht in Schlupfwin- keln anderer Art die Winterzeit betäubt verleben kön- ' nen; denn die Thiere, die bei uns den WVinterschlaf halten, sind, wenn sie im Frühling hervorkommen, ab- gezehrt, die Schwalben sind dagegen bei ihrem Wieder- erscheinen eben so beleibt wie im Sommer. Die Win- terschläfer werden zuweilen im Winter durch eine milde Witterung hervorgelockt; unter den periodischen Vögeln hat man diess nie beobachtet. Andere Beweise liegen in den Temperaturverhältnissen. So verschwindet nach Blackwall der Kuckuk Ende Juni's oder Anfang Juli’s, wenn die Jahrestemperatur ihrem Maximum nahe ist, und die Thurmschwalbe in der Mitte Augusts, kurz nach” diesem Maximum, Diese Thiere kommen wieder, bei ei- ner Temperatur, welche niedriger ist als die, bei welcher sie fortziehen; nun können aber Thiere unmöglich in Winterschlaf verfallen bei einer T’emperatur, die höher ist als die, bei welcher sie aus dem Winterschlaf er- wachen. Der entscheidendste Beweis liegt jedoch darin, dass die periodischen Thiere in der Zeit zwischen ihrem Verschwinden und WViedererscheinen mausern. Es ist sogar gelungen, Schwalben in geheizten Zimmern über- wintern zu lassen, wo man ihre Mauser beobachtete. Endlich sind Schwalben auch auf der Wanderung beob- achtet worden. So hat man Hirundo cauda aculeata americana im October auf, einer Reise von London nach Philadelphia auf offenem Meere in unzählbaren Schwär- men nach Süden ziehen gesehen und nach Adanson halten sich europäische Schyyalben in unserem Winter 150 in grosser Menge am Senegal auf, ohne dort zu nisten oder zu brüten, Die Nachtigall findet sich in den Win- termonaten im Nildelta; Wachteln hat man, auf dem Mit- telmeere, im Frühjahr nach Norden, im Herbst nach Sü- den ziehen gesehen. Was die Ursache des Wanderns betrifft, so ist der Hunger allein nicht die Triebfeder; die Zeit, wo der Kuckuk und die Thurmschwalbe uns verlassen, widerlegt diess, eben so die im Winter bei uns lebenden Vögel, wie die Krammetsvögel und Dros- seln, welche uns zu einer Zeit verlassen, wo sie mehr Nahrung als vorher bei uns finden würden. Auch ist der Wechsel von Wärme und Kälte nicht die einzige Ursache des Wanderns; denn nach Blackwall’s Beob- achtungen ist die Temperatur zur Zeit der Ankunft der bei uns übersommernden Vögel geringer als bei ihrem Abzug, und bei der Ankunft der bei uns überwinternden Vögel grösser als bei ihrem Abzug. Die Hauptursache des allgemeinen Zuges im Frühling gegen Norden scheint vielmehr der Begattungstrieb zu seyn. Die Ursache des *Abzugs nach wärmeren Gegenden scheint vorzüglich die bevorstehende Mauser zu seyn; gleichwohl hängt der Eintritt der Periode in jedem Jahre von Temperatur und Witterungsverhältnissen nothwendig ab. Der Weg, wel- chen jede Vogelart zu ihren Reisen nimmt, kann nach Eckström durch zufällige Ursachen im Laufe mehrerer Jahre um mehrere Meilen verändert werden. Einige Zugvögel nehmen auch auf ihrer Hinreise zum Norden einen andern Weg als auf ihrer Rückreise, wie einige Falkenarten. Merkwürdig ist endlich noch der Umstand, dass bei einigen WVandervögeln, z.B. der Nachtigall und dem Weisskehlchen, die Männchen einige Tage früher als die Weibchen ziehen: bei anderen dagegen nur die Weibchen Zugvögel sind, bei anderen nur ein Theil der Individuen regelmässige Wanderungen macht, der andere aber ansässig ist, wie bei einigen Lerchen- und Bach- stelzenarten, Die Abhandlung schliesst mit Tabellen über 151 die Zeit der Ankunft und des Abgangs der Zugvögel nach Necker, Gough, Markwick, Blackwall, Burney, Bree, Wright und Eckström. Ueber die Oekonomie der Spinnen und den Bau ih- res Netzes haben wir Beobachtungen von Blackwall*) anzuführen. Rathke hat die lang ersehnte Entwickelungsge- schichte des Blennius yiyiparus nunmehr mitgetheilt **). Da die Resultate dieser wichtigen Arbeit bereits früher bekannt geworden sind, so muss ich mich mit dieser Anzeige begnügen und die Physiologen auf das reiche Detail der Abhandlung verweisen. Die Wolffschen Körper sind bei dem Fötus des Blennius vivip. nicht vor- handen, auch bei den mir vom Professor Rathke gü- tigst mitgetheilten Exemplaren dieser Fötus konnte ich keine Spur derselben auflinden. Ueber das Verhältniss der Ausführungsgänge der Wolffschen Körper des Säugethierfötus zu den Ausfüh- rungsgängen der Geschlechtstheile, sind nun Rathke’s neuere Beobachtungen erschienen ***). Bathke hielt früher beiderlei Ausführungsgänge für identisch. J. Mül- ler dagegen hatte den Ausführungsgang, des VW olffschen Körpers als aus dem untern Ende desselben hervorge- hend beschrieben, während der ausführende Geschlechts- theil, Trompete oder Samengang, ohne alle Commünica- tion mit dem W olffschen Körper über die ganze Länge desselben hingeht. Nun hat sich Rathke wirklich überzeugt, dass beiderlei Ausführungsgänge verschiedene Dinge sind. Anfangs sey nur der Ausführungsgang des Wolffschen Körpers in der ganzen Länge desselben vor- *) Transactions of the linncan society, Vol. XVI. P.3. ") Abhandlungen zur Bildungs- u. Entwiekelungsgeschichte der Menschen und Thiere, Zter Theil mit 7 Kplirn. Leipz. **) Meckel’s Arch, für Anat. u. Physiol. Bd. VI. Ne. 3. u. 4 152 handen, bei Embryonen dagegen von etwas über 1 Zoll Länge verlaufe auf der einen Seite des Ausführungsgangs des Wolffschen Körpers ein äusserst zarter, von hinten nach vorn dünner werdender, mit dem W olffschen Kör- per verwachsender Faden, welcher zum ausführenden Geschlechtstheile werde; dagegen verschwinden allmäh- lig die eigenthümlichen Ausführungsgänge der VV olffschen Körper, Diess Schwinden erfolge von vorn nach hinten, so dass diese Gänge zu einer gewissen Zeit des Frucht- lebens nur aus dem hintern Ende der Wolffschen Kör- per hervorzugehen scheinen, wie z. B. bei einem Schaf- embryo von 34 Zoll Länge. Diess ist zun gerade der von Müller beobachtete Fall, welcher Rathke’s frü- heren Beobachtungen widersprach. Ueber diess Verhält- niss bei den Vögeln, wo Rathke schon früher eine Verschiedenheit an beiden Gängen bei beiden Geschlech- tern annahm, ist die Differenz zwischen Rathke's und meinen Beobachtungen in Hinsicht des männlichen Ge- schlechts noch nicht gelöst. Man wird sich erinnern, dass ich bei weiblichen Vögeln immer die Eierleiter und den Ausführungsgang des Wolffschen Körpers neben einander gefunden habe, dass ich dagegen bei den männ- lichen Vögeln immer nur einen Canal vorfand. Bei den Säugethieren ist nach meinen Beobachtungen Eier- leiter und Samenleiter immer ein eigenthümliches Gebilde. Nach Rathke sollen sich ferner wirklich die Ausführungs- gänge der Wolffschen Körper in die Gartnerschen Ca- näle des Uterus und derScheide der Wiederkäuer und des Schweins umbilden. Auf die Möglichkeit dieser Beziehung hatten sowohl Müller als Jacobson aufmerksam ge- macht*). Man muss indess gestehen, dass man diese Um- *) Obgleich die hierher gehörigen Schriften von Müller und Jacobson keine grosse Aehnlichkeit in Rücksicht ihres Inhaltes ha- ben, so ist es doch nöthig zu bemerken, dass die Schrift von Mül- ler bereits im Frühling 1830 erschienen und sogleich Hrn. Professor Rathke mitgetheilt worden ist und im Sommer an die Herren Prof. 153 wandlung noch nicht für erwiesen halten kann, AuchRath- ke hat den Beweis, wie er selbst gesteht, nicht'strenge ge- führt. Er beruft sich nur darauf, dass bei älteren Rinds- “ embryonen und bei der erwachsenen Kuh, die Gartner- schen Canäle geräde da liegen, wo sich, wenn Gebärmutter und Scheide ihre Entwicklung begonnen haben, die End- stücke der Ausführungsgänge der Wolffschen Körper befinden, Zu diesem Beweis gehört meines Erachtens die Darlegung des Zusammenhangs der Gartnerschen Canäle mit den mikroskopischen,-gelb-weissen, blinddarm- ähnlichen Resten der Wolffschen Körper, die sich, wie ich gezeigt habe, noch bei sehr entwickelten weiblichen Embryonen in der Bauchfellfalte zwischen Eierstock und Tuba vorfinden. Rathke *) hat auch die Entwickelungsgeschichte der Nieren der WViederkäuer abgehandelt, Die Niere bildet sich fern von dem Organe, in welches sich her- nach ihr Ausführungsgang einmündet und macht da- durch von den Verdauungsdrüsen eine Ausnahme, da diese sich aus dem Darmcanal bilden. Diese Beob- achtung, die auch Müller gemacht hat, findet sich hier wieder bestätigt. Ungefähr bis zur Mitte des Frucht- lebens derSchafe und Rinder ist die Niere an ihrer Ober- fläche glatt, dann aber entstehen. an derselben mehrere Furchen, welche der Niere ihre traubenförmige Gestalt geben, Ueber die Unterschiede in der Bildung der Coty- ledonen bei dem Elenn, dem Schaf und Rind, hat Rathke Beobachtungen bekannt gemacht **). Retzius in Stockholm, Prof. Treviranus in Bremen, dem letz- tern zur gefälligen Mittheilung bei der Versammlung der Naturforscher in Hamburg zugesandt wurde und dass die Schrift des Herrn Prof. Jacobson bei der Versammlung der Naturforscher in Hamburg, 1830, von ihm selbst vorgelegt wurde. *) Abhandlungen zur Bildungsgeschichte, a, a. O. *) Meckel’s Arch. a. a. ©. 154 Wir haben ferner noch Rathke's Untersuchungen über dieEntwicklungsgeschichte einiger wirbellosen Thiere zu erwähnen. Bei der Kellerassel *) geschieht die Ent- wickelung des Embryo während des Aufenthalts der Eier in einer besondern Höhle, die theils von der untern Wand der fünf vordersten Rumpfgürtel, theils von ei- genthümlichen Klappen derselben gebildet wird, Nach Rathke bildet sich der Darmcanal der Assel durch Ver- engerung und Verlängerung des ganzen Dottersacks, wie beim Frosch; verschieden dagegen von dem des Fluss- krebses, da bei diesem nur die beiden Enden des Dot- tersacks in den Darmcanal sich umwandeln, der grössere Theil des Dottersacks aber’ allmählig sich vom Darm ab- schnürt. Der zweite Theil von Rathke’s Abhandlun- gen enthält auch die Entwicklungsgeschichte einiger En- tomostraceen, Daphnia pulex, Lynceus sphaericus, Cy- clops quadricornis. Bei Blatta germanica **) liegen die Eier innerhalb einer Hülse in zwei Schichten in Zellen, die mit ihrem grössern Durchmesser quer von einem Seitenrand der Hülse zum andern hinübergehen. Jeder Embryo liegt mit der Rückenseite der äussern Wand der Hülse und mit der Bauchseite der Scheidewand der Hülse zugekehrt, welche sie in zwei gleiche Hälften theilt, so dass die Embryonen beider Schichten ihre Bauchseite gegen einander kehren. Alle liegen mit dem Kopf an dem einen, mit dem Hinterleibsende an dem andern grössern Rande der Eihauthülse. Ein besonde- rer und vom Darm sich abschnürender Dottersack wird nicht gebildet, sondern das Schleimblatt der Keimhaut wandelt sich lediglich nur in den Darmcanal um, wie bei den Entomostraceen. CGosteund Delpech***) haben Untersuchungen über *) Abhandlungen zur Bildungsgeschichte, a, a, O. *%) Meckel’s Archiv, a. a. O. **) Annales des sciences nat, Tom. XX VIII. 155 die Bildung des Vogelembryo bekannt gemacht. Diese Bemühungen, eine auf die Annahme electrischer Strömun- ‚gen gebildete Bildungsgeschichte zu entwerfen, scheinen fast ein Zerrbild der ernsthaften Arbeiten zu seyn, welche in den letzten Jahren über Entwickelungsge- schichte erschienen sind. Ich habe die Spuren oder die hinterlassenen Figuren dieser hypothetischen electri- schen Strömungen vor mehreren Jahren in Paris bei Herrn Cuvier, dem sie gezeigt werden sollten, auch sehen sollen, Cuvier äusserte sich, dass man, was man glaube, von dem, was man sehe, wohl trennen müsse. Von electrischen Figuren und Strömungen und demgemäss erfolgender Anordnung der Kügelchen ist in der Keimhaut auch nicht eine Spur zu sehen. Für die- jenigen, welche mit den Arbeiten von C. Fr. Wolff, von Pander und von Baer bekannt sind, dürfte diese Arbeit vonCoste und Delpech wohl ohne besonderes Interesse seyn. Coste hat auch die in Deutschland er- schienenen Untersuchungen über das Ei der Säugethiere wiederholt. Er ist es nicht, der zuerst die Beobachtung von der Verschiedenheit des Graafschen Bläschens und des Eies gemacht hat; es ist jedoch nöthig zu bemerken, dass sich die weiteren Beobachtungen von Coste in mehreren Punkten von denen von Baer entfernen. An dem Eichen der Säugethiere, welches in dem Graaf- schen Bläschen enthalten ist, unterscheidet Coste 1) eine äussere Hülle, welche er Vitellinmembran nennt, 2) in- nerhalb derselben eine sphärische Masse von gelbgrauer Farbe, aus Hügelchen zusammengesetzt, den Dotter, 3) an der Oberfläche des Dotters bemerkt man eine häu- tige Schicht von gelbgrauer Farbe rund um den Dotter. Obgleich die Cicatrieula des Vogels eine Scheibe ist, so hält doch Coste jene Schicht unter der Vitellinmembran des Säugethiers für das Analogon der Cicatricula, weil nämlich die Cicatricula wenigstens nach der Befruchtung auch den Dotter umywachse. Nun zeigt aber die Heim- 156 scheibe des Vogeleies, so lange sie im Eierstocke ist, in ihrem Centraltheile noch das kleine Purkinjesche Bläs- chen, welches zur Zeit der Conception zerreisst. Coste suchte daher, ob eben dieses Bläschen auch bei den Säu- gethieren vorhanden sey, und hat die Existenz desselben in dem Ei eines nicht befruchteten Kaninchens gesehen und zwar an der Oberfläche des Dotters und in der Dicke der Keimhaut. Zwei Tage nach der Befruchtung sind die Eier in den Oviduct eingedrungen, 4 Tage nach der Befruchtung sind sie in den Mutterhörnern angelangt, sie sind nur eine Linie gross; am fünften Tage haben die Eier nun einen festen Sitz angenommen, ihr Durchmes- ser beträgt 2 Linien; das Keimbläschen nimmt nur etwa 2 der Höhle der Vitellinmembrän ein; es hängt nur mit einem Punkt seiner Oberfläche an der Vitellinmembran und zwar an der Stelle, wo diese letztere am Uterus sitzt; an derselben Stelle zeigt ‚es einen runden oder elliptischen Fleck, die Spur des Embryo. Später *) hat Herr. Goste der Acad. des sciences mitgetheilt, dass er das Purkinjesche Bläschen mehreren berühmten Französ. Gelehrten gezeigt habe, nämlich in den Eiern eines Kaninchens, die sich in den Muttertrompeten 3 Tage nach der Begattung vorgefunden hatten. Ueber die Eier einiger Lachsarten sind Beobachtun- gen von Rathke**) mitgetheilt worden. Dr. Coldstream ***) hat bei Untersuchung eines lebenden Fötus von Sepia officinalis im Ei,. die interes- sante Beobachtung gemacht, dass diese Embryonen re- gelmässig (32 mal in der Minute) athmen, indem, ‘wie beim erwachsenen Thier, der Sack ausgedehnt und der Trichter erhoben wurde. r Bekanntlich ist es noch immer zweifelhaft gewesen, *) Froriep’s Notizen, Nr. 830. **) Meckel’s Archiv, a, a. O. ***) Lond, and Edinb. philos, mag. Oct, 157 ob die Arbeitsbienen verkümmerte VVeibchen sind, und ob aus ihnen, unter Umständen, vollkommene Weibchen sich ausbilden können, Brandt fand im Frühling, in St. Petersburg, bei Arbeitsbienen die Rudimente der Oya- rien als einen in zwei Zipfel endenden Gang; da er im Herbste durchaus kein Ovarienrudiment wiederfand, so vermuthete er, diese Organe könnten sich in einem pe- riodischen Wechsel ihres Zustandes befinden, Ueber diesen Gegenstand hat nun Ratzeburg *) zu beobach- achten fortgefahren. Er fand Anfangs April bei den Ar- beitsbienen einen kleinen blinddarmähnlichen Theil, wel- cher zur Seite des Giftbläschens liegt und mit demselben gemeinschaftlich ausmündet, Dieser Theil zeigte hier und da kleine Einschnürungen. In der Mitte des Juli waren die Rudimente der Ovarien so ausgebildet, dass die Ovarien der WVeibchen vollständig darin zu erken- 'nen waren. Dagegen fand er die Ovarien im Winter unvermuthet ganz deutlich wieder. Es haben übrigens Cuvier und Demoiselle Jurine die Rudimente der Oya- rien bei den Arbeitsbienen schon früher gesehen. Nach Rat- zeburg's vervollständigten Untersuchungen lassen sich sämmtliche Theile der weiblichen Eierstöcke, nicht allein Ovarien, Eierleiter und Scheide, sondern auch Bläschen zur Absonderung der Eierüberzüge nachweisen. Die Ovyarien enthalten im Juli in den Auftreibungen dunkle kleine Flecke von körniger Beschaffenheit. Hierdurch verlieren Treviranus frühere Einwürfe gegen die Möglichkeit der Umwandlung einer Arbeitsbienenlarye in eine Königin viel von ihrem Gewicht. Ein Beispiel von Superfötation wird in Cas- per’s Wochenschrift (Nr. 13.) mitgetheilt. „Eine Kuh, die bald nach dem Abwerfen eines Kalbes liegen blieb und die Fresslust verlor, wurde geschlachtet, weil man fürchtete, dass sie crepiren werde. Bei der Eröfl- *) Act. acad, nat, cur, Vol, XVI, Pars II, 158 nung fand man noch zwei Kälber im Uterus, von denen das eine ziemlich ausgewachsen und schon behaart, das andere aber noch nackt und von der Grösse eines Mops- hundes war.“ Ehrenberg*) und Huschke **) haben zu gleicher Zeit sehr interessante Beobachtungen über normale Cry- stallbildung im lebenden Thierkörper gemacht. Sie ha- ben die, zuerst von Swammerdam mitgetheilte Beob- achtung verfolgt, dass der Rückgratscanal des Frosches und die Schädelhöhle über den Centraltheilen des Ner- vensystems eine weisse, breüige Materie enthält, welche in kleinen Säckchen durch die Intervertrebrallöcher zum Vorschein kommt. Diese Materie ist seit Jahren ein Ge- genstand gemeinsamer Aufmerksamkeit von Hrn. Prof. van derHoeven und mir gewesen. Mein Freund hatte mir längst mitgetheilt, dass diese Materie aus kohlensau- rem Kalk bestehe. Ich habe sie bei vielen Amphibien, auch beim Axolotl im Rückgratscanale geschen. Beim Krokodil ist sie nicht vorhanden, Bei keinem Thiere aber ist ihre Quantität grösser, als bei den Geckonen. Wir besitzen einen, bei welchem sie in ungeheuern Bla- sen hinter dem Hinterhaupt und zwischen den Halswir- beln zum Vorschein kommt. Ehrenberg undHuschke haben nun die Beobachtung gemacht, dass diese Materie aus mikroskopischen Crystallen besteht, die der erstere genau bestimmt hat. H. Rose hat sie untersucht und abermals gefunden, dass sie kohlensaurer Kalk ist. Herr Professor Ehrenberg, der treffliche und von uns hochverehrte Beobachter wird uns unsern Zweifel nicht übel nehmen, dass diese Blasen die Stelle der Gan- glien der Vögel und Säugethiere vertreten sollen. Diess könnte wohl an sich nicht gut möglich seyn; es ist aber *) Poggendorf’s Annalen. Bd. XXVII. H,3. **) Isis, Heft 7. 159 auch nicht schwierig zu beobachten, dass die Rücken- marksnerven der Frösche eben so wahre Ganglien an der gewöhnlichen Stelle besitzen, als die der übrigen Wirbelthiere. Ehrenberg hat auch mikroskopische Crystalle an der Bauchhaut der Fische entdeckt, welche deren Sil- berglanz erzeugen. Sie sind spiessig, etwa 10mal so lang als dick, von „1; Linie Länge. Ganz ähnlichen Cry- stallen verdankt die Choröidea und die Vorderfläche der Iris der Fische ihren Silberglanz, (Im Auge der Frö- sche entsteht der Silberglanz nicht durch Crystalle.) Die Substanz derselben ist nach Rose eine eigenthümliche organische, in Säuren, Alkohol und Alkalien lösliche, Die mikroskopischen Crystalle im Labyrinthe der Am- phibien hatHuschke*), der sie schon im Ohr des Men- schen und der Vögel gefunden, neuerdings untersucht. Auch Carus hat bei der Versammlung der Naturforscher in Breslau über die hochseitigen, doppeltzugespitzten Crystalle im Labyrinth der Frösche berichtet. Bei der Versammlung der Naturforscher in Breslau sind mehrere physiologische Gegenstände zur Sprache gekommen So hat C. H, Schultz über die Ver- dauung, Banzmann über das Stammeln, Carus über Leueochloridium paradoxum, einen Eingeweidewurm von Helix putris, einen Vortrag gehalten. Dieser Wurm ist bloss ein freiwillig sich bewegender Keimstock, welcher merkwürdiger Weise in seinem Innern lauter Würmer ganz anderer Art enthält, eine Beobachtung, welche an die von Bojanus und Baer schon beschriebenen ähn- lichen gelben Würmer im Limnaeus stagnalis, welche lauter Cercarien enthalten, erinnert. Diess ist bis jetzt eins der grössten Räthsel in der Physiologie der Gene- „)A,a 0. 160 ration. Bartels theilte eine Erklärung des Phänomens des Geradesehens der Gegenstände mit, eine Bemühung, die wir, wie alle Erklärungen in dieser Art, im besten Fall für eine erfolglose Verschwendung des Scharfsinns halten müssen und welche Missverständnisse in den ersten Principien der Physiologie des Sehens herbeiführt, statt das Räthsel zu lösen, welches man sich bloss durch unrichtige Vor- stellungen zu einem Räthsel macht. C. H. Schultz berichtete über die Monaden, welche sich in den Sporen des Fucus vesiculosus befinden und unter Wasser durch Springen der Schläuche zum Vorschein kommen; ferner über die erste Entwickelung des Cyprinus erythroph- thalmus und über die von ihm sogenannten Lebensge- fässe der Pflanzen. Carus zeigte die Beschaffenheit der “ Placenta beim dreizehigen Faulthier.. Valentin trug seine Beobachtungen über künstlich hervorgebrachte Missgeburten von Hühnerembryonen vor. Es ist dem- selben gelungen, eine Theilung in der Art hervorge- bracht zu haben, dass Doppelbildungen entstanden sind. Diese Beobachtungen dürften, wenn sie sich bestätigen, von sehr grosser Wichtigkeit für die Theorie der Generation und Entwickelung werden. Hammerschmidt theilte die mikroskopischen Beobachtungen von Berres über die peripherischen Gefässverbreitungen, insbesondere über die peripherischen Arteriennetze der Leberkörner, Speicheldrüsen, Nieren und Milzkörner mit. Ritgen be- richtete über Zaserpusteln in der Mucosa des Uterus und ihre periodischen Entwickelungen während der natürli- chen Absonderungen desselben, Corda über Kromb- holz’s mikroskopische Untersuchungen gesunder und kranker Peyerscher Drüsen, über die Entwickelung von Darmgeschwüren, die Blut- und Lymphgefässnetze der Zot- ten und der Schleimmembran des Darmcanals. Bartels sprach über die Genesis der Eier des Octobothryum hi- rundinaceum; Agassiz über den Instinct des männlichen Bufo obstetricans, welcher, wie wir selbst vorgefunden, 161 haben, die Eierschnüre um den Schenkel wickelt und sodann sich in feuchte Erde eingräbt und die Entwicke- lang abwartet. Czermack hat einige theoretische Betrachtungen über die Samenthierchen mitgetheilt, die nunmehr im „Druck erschienen sind *). Von Treviranus trefflichem VWVerke: über die Erscheinungen und Gesetze des organischen Lebens, ist des zweiten Bandes zweite Abtheilung erschienen, womit das Werk geschlossen ist. Diese Ab- theilung behandelt die Zeugung, den periodischen Wechsel, Consti- tution und Temperament, Gesundheit, Krankheit und Tod, Von Müller’s Handbuch der Physiologie ist des ersten Bandes erste Abtheilung. Coblenz, 1833. erschienen und die zweite folgt im Laufe des Sommers 1834. Das WVerk soll im Ganzen 2 Bände ein- nehmen, Die bis jetzt erschienene Abtheilung enthält unter Andern neue Beobachtungen über Blut, Lymphe, Lymphgefässe, Resorption, über die Veränderungen des Blutes durch das Atlımen und über das Athmen selbst, über Regeneration der Nerven. Schultz, Grundriss der Physiologie. Berlin. Alison, outlines of physiology and pathology. Lond. and Edinb. Dumortier, recherches sur la structure compar€e et le deve- loppement des animaux et des vegetaux. Bruxelles. ; Surun, le vitalisıme expligu€ ou nouvelle doctrine physiologique et mädicale, Paris, Raspail, nouveau systeme de chimie organique, (Für Thier- chemie unwichtig.) ’ Earle, a new exposition of the functions of the nerves. Lond. Marianini, m&moire sur quelques paralytiques gueris avec P&- lectrieit€ par des appareils voltaiques, avec un appendice sur un nou- veau phenomöne £lectro -physiologique, Padoue, Fourcault, m@moire sur le mecanisme des secretions et le mode d’action du systeme nerveux dans les fonclions organiques, (Bloss räsonnirend.) Julia de Fontenelle, recherches me&dico -l&gales sur les guil- lotinds et sur V’existence de la douleur apr&s la decollation. (Zusam- menstellung der bekannten Versuche von Sue, Mojou u. Anderen.) Dubois d’Amiens, examen historique et raisonne des exp£riences prötendues magnetiques. Paris. *) Beiträge zur Lehre von den Spermatozoen, mit 1 Steintaf. 4, Müller’s Archiv, 1834, 11 162 Alexander, a treatise of vision. London, Bennati, &tudes physiologiques et pathologiques sur les organcs de la voix humaine. Paris. (Wiederholung und Ausführung seiner be- kannten Ansichten.) Matteuci, sulla digestione, Forli, Voisin, nouvel apergu sur la physiologie du foie et sur l’usage de la bile. Paris. R. Vines, a critical inquiry into the various opinions on the physiology of the bloodvessels, absorbents. P. I. London. Radford, on the structure of the human placenta and its con- nexion with the uterus. m, K. Manchester. * * Toulmouche, über einige unfreiwillige Verrichtungen des Ap- parats der Locomotion und ‚des Fassens. Mem. de l’acad. roy. de med. V.I. 3. Duval, Sensibilität der harten Substanzen der Zähne, Transact. med. Mai. Fr. Kiernan, the anatomy and physiology of the liver. Lond. med. gaz. 21. Dechr. LeSauvage, Entwicklung, Organisation und Function der Mem- brana caduca, Arch. gen, Mai. 4. Pathologische Anatomie. Die pathologische Anatomie fährt in der Art ihrer Bearbeitung fort, uns ein grosses Material der Beobach- tungen darzubieten, während die Einsichten in dasselbe ungemein langsam voranschreiten, indem diese von der physiologischen Kenntniss der Krankheiten abhängen. Wir gehören indess nicht zu den Aerzten, welche sich über den geringen Erfolg der pathologischen Anatomie beklagen und uns gern zu dem bequemern gelehrten Studium der Arzneikunde und zu der Autorität alter, dunkler Ehrenmänner zurückführen wollen; wir halten vielmehr ausser der Physiologie die pathologische Ana- tomie für die wesentlichste Quelle richtiger Ansichten in der Arzneikunde. \WVer dürfte hieran mit Recht zwei- feln, wenn er allein bedenkt, was durch die patho- logische Anatomie für die Kenntniss mancher Krankhei- ten geschehen ist. Ich erwähne als Beispiele nur den 163 Typhus abdominalis, die Venenentzündung, ie Phlegmatia alba dolens, die Metritis septica, die Entzündung der Hirnhäute, die Untersuchungen über die krankhaften Ge- websveränderungen bei den Tuberkeln, dem Mark- schwamm und der Melanosis. Unter den Hindernissen, welche der Ausbildung der pathologischen Anatomie in unserem Vaterlande noch immer entgegenstehen, ist vor- züglich zu nennen, der unwissenschaftliche casuistische Sinn, in welchem dieselbe betrieben wird, und worin sie bloss zur Correction der Diagnosen, und nicht als eine Wissenschaft für sich zum Zweck der Vervoll- kommnung der Pathologie angewandt wird. Ich rechne ferner hierher den eben so geringen Sinn für patholo- gische Chemie, ja für thierische Chemie überhaupt unter den Aerzten, Es ist in der That zu verwundern, wie _ die besseren Aerzte sich höchstens etwa auf eine chemi- sche Kenntniss der Arzneimittel beschränken, während die Chemie des gesunden und kranken Organismus doch die gleiche Aufmerksamkeit von ihnen erfordert, auch wichtige Thatsachen genug vorhanden sind (wie sie z. B. in Berzelius Lehrbuch der thierischen Chemie auch für die Pathologie vorliegen), welche zu weitern Fortschritten aufmuntern. Wenn man auch die Rich- tung, welche die pathologische Anatomie hier und da im Auslande genommen hat, tadeln muss, so muss man sich doch gestehen, dass in Deutschland, welches die wich- tigsten Arbeiten im Gebiete der Physiologie und feinern Anatomie hervorgebracht hat, die einflussreichsten Be- obachtungen aus der pathologischen Anatomie nicht ge- macht worden sind, und dass wir uns mit dem Ruhme begnügen müssen, das Feld der angeborenen Missbildun- gen in dem, unseren Fortschritten in der Entwickelungs- geschichte angemessenen Grade bearbeitet zu haben. Es ist-auch kein Vortheil, dass sich unter uns in der Regel nur die Anatomen mit pathologischer Anatomie beschäf- tigen. Davon rührt die eigene Gestalt dieser Wissen- ar 164 schaft unter uns, und der geringe Zusammenhang der- selben mit der practischen Mediein bei uns her. Dagegen hat Bichat in Frankreich die anatomische Richtung der beobachtenden Arzneikunde durch seine in die Patholo- gie tief eingreifende allgemeine Anatomie vorzüglich ver- ursacht. ‘Wenn aus dem Studium der pathologischen Ana- tomie etwas werden soll, so dürfen sich die Aerzte nicht auf Sectionsberichte beschränken; die veränderten Ge- webe müssen in ihrer feinern Structur untersucht wer- den, was wieder nicht ohne gediegene anatomische und physiologische Kenntnisse geschehen kann. In Holländi- schen Privat- und öffentlichen Sammlungen haben wir die feinsten Injectionen pathologischer Gewebe bewun- dert, Präparationen, die zum Theil von den Aerzten selbst angefertigt worden, “Wir haben mit Freude bemerkt, dass hier ein wahrer Schatz für pathologische Anatomie zu heben ist. Wir haben dabei oft an so viele herr- liche Krankenanstalten in unserem Deutschlande ge- dacht, ‘wo man vergebens dergleichen feine Arbeiten, ja überhaupt pathologische Präparate suchen wird. Grösseren Krankenhäusern ist freilich ein eigener Pro- sector ganz unentbehrlich, eine Einrichtung, welche bis jetzt nur in einigen grösseren Städten, an grossen Kran- kenhäusern, wie z. B. in Paris, Wien, Berlin besteht. Aber die Aerzte, namentlich an Krankenhäusern, können ja selbst für die sorgsamere Beobachtung der patholo- gisch- anatomischen Veränderungen so Vieles thun, sie, welche durch ihren ärztlichen Antheil den Untersuchun- gen ein Interesse zu geben vermögen, welches dem blos- sen Anatomen auch bei der besten Untersuchung fremd bleibt. Wir beginnen unsern Bericht mit den angebornen „Missbildungen. Ueber den Mangel des Herzbeutels habenSchlemm*) *) Medicinische ( Vereins-) Zeitung. Nr, 27. und Nr. 6, 165 und Phoebus Bemerkungen mitgetheil. Phoebus unterwirft die vorhandenen Fälle der Critik, Nach ihm sollte es keinen vollständigen Mangel des Herzbeu- tels geben. Die hierher gerechneten Fälle sind nämlich: 1) partieller Mangel des Herzbeutels, bei ausserhalb der Brust frei vorliegendem Herzen; 2) Verschmelzung des Herzbeutels mit einem Pleurasack; 3) totale Verwach- sung des Herzbeutels mit dem Herzen, Dagegen hat Schlemm einen Fall beobachtet, in welchem die Ver- schmelzung der Herzbeutelhöhle mit der Höhle eines Pleurasackes (des linken) auf einem wirklichen Mangel des Herzbeutels beruht; der linke Pleurasack umschliesst dieLunge und das Herz und die daran befindlichen gros- sen Gefässtämme ganz: in der Art, wie sonst der Herz- beutel. So tritt der linke Saccus Pleurae rechterseits neben dem Herzen mit dem rechtem Brustfellsack in Be- rührung, wodurch vor den rechten Lungengefässen und hinter dem Brustbein ein Mediastinum gebildet wird, in welchem die beiden Nervi phrenici liegen. Der Nervus phrenicus sinister befindet sich nicht auf der linken Seite des Herzens, sondern auf der rechten hinter dem Brust- bein im vorderen Theile des’ Mediastinum, woraus der wirkliche Mangel des Herzbeutels deutlich hervorgeht. Schlemm hat ferner einen Fall von unvollkommener Scheidewand des Herzens beobachtet, wo sich nicht bloss im Septum atriorum ein eirundes Loch, sondern auch unter dem Septum atriorum und über dem nicht mit ihm vereinigten Septum ventriculorum eine grosse Verbin- dungsöffnung befand, wodurch sowohl die beiden Vor- kammern, als die beiden Kammern communieirten. Die Arteria pulmonalis hatte 4 Zoll, die Aorta 2 Zoll 11 Li- nien Circumferenz. Die Person war eine Frau von 40 Jahren, Mutter von 2 Kindern, früher ganz gesund, zu- letzt an allgemeiner Wassersucht erkrankt und ge- storben. Blausüchlig war sie niemals gewesen. Fer- ner hat Schlemm das Fehlen einer Klappe der Aorta 166 beobachtet, wobei die beiden übrigen von ungleicher Grösse waren. Derselbe sah auch eine seltene Anoma- lie der Arteria epigastrica, welche nämlich aus der, wie gewöhnlich entspringenden Obturatoria in der Höhle des kleinen Beckens abging. Tourtual*) fand in der Leiche eines 14jährigen Kindes die Scheidewand der Kammern, wie der Vorkam- mern durchbrochen, Die Valvulae semilunares am Osti- um arteriosum beider Kammern fehlten. Diess beweist, dass die Richtung der Blutbewegung, bei einem 14 jähri- gen Leben, in dem Pumpwerk des Herzens allein durch die Klappen des Ostium venosum beider Kammern be- stimmt werden kann. Die Aorta, hier aus beiden Kam- mern zugleich entspringend, steigt über den. rechten Bronchus hinter die Speiseröhre, ein bei den Vögeln constanter Fall, der seine Erklärung in den, bei dem Embryo frühzeitig vorkommenden mehrfachen, hinten sich, wieder vereinigenden Aortenbogen findet, wovon bei den Säugethieren und dem Menschen ein Arcus aor- tae sinister, bei den Vögeln der rechte bleibt, und im gegenwärtigen Fall ein rechter statt des linken geblieben ist. Der noch offene Ductus Botalli geht hier nicht in die Aorta, sondern in die Arteria subclavia sinistra über; diess, auf frühere Zeit des Fötuslebens bezogen, wo der Ductus Botalli ein wahrer Aortenbogen ist, welcher das Blut aus dem rechten Ventrikel an der Arteria pulmo- nalis grösstentheils vorbei nach der Aorta descendens führt, zeigt, dass die Arteria subelavia sinistra aus dem Ductus Botalli entsprang. Die Vena jugularis comm, si- nistra verlief unter dem Bogen der Aorta, Eine seltene Abweichung in dem Ursprung der gros- *) Zweiter anatom. Bericht, enthaltend eine Beschreibung der seit meinem Antritt des Lehramts der Anatomie im Frühjahr 1830 zum anatom. Museo zu Münster hinzugekommenen patholog. Präpa- rate von Dr. C, Th. Tourtual. Münster. Nr. 88, 167 sen Gefässe sah Dr. Blumhardt*) bei einem Knaben, ‘der neun Tage nach der Geburt gestorben war. Er hatte immer kurz und schnell geathmet und mit einem eigenthümlichen, schrillenden Tone geschrien. Dem Tode waren Neigung zu Verstopfnng, Wimmern und schwache Convulsionen vorangegangen. Das Herz war ungewöhn- lich gross; aus der Basis desselben entspringt ein einzi- ger grosser Gefässstamm, vorzugsweise aus dem rech- ten Ventrikel. Er ist aber so gestellt, dass er den lin- ken Ventrikel, aus dem kein Gefäss weiter hervorgeht, noch berührt, und mit diesem, da die Scheidewand oben durchbrochen ist, durch eine kleine Oeffnung in Verbin- dung steht. Dieses, hinsichtlich der Lage, der Art. pul- monalis entsprechende Gefäss ist sehr weit, schwillt un- mittelbar über dem Herzen nach vorn an und giebt hier auf seiner rechten Seite einen grossen Gefässast ab, der die oberen Theile des Körpers allein versorgt, zuerst die Carotis sinistra, etwas weiter oben die Carotis dextra abgiebt und sich zuletzt in die T'hyrioidea inf. dextra und Subclavia dextra vertheilt, Hierauf steigt der all- gemeine Pulsaderstamm weiter in die Höhe und bildet den Arcus Aortae, von dessen hinterer Fläche zwei be- trächtliche Aeste entspringen , welche als Art. pulm. (bronch.?) der eine zur rechten, der andere zur linken Lunge abgehen. Wo der Bogen der Aorta seinen höchsten Punkt erreicht hat, befindet sich eine, einige Linien lange Einschnürung, aus welcher da, wo der Arcus in die Aorta descendens übergeht, die Art. subeclavia sinistra entspringt. Hierauf erweitert sich der Stamm wieder zu dem bei Neugeborenen gewöhnlichen Umfang der Aorta descen- dens, und verläuft als solche weiter, Bemerkenswerth ist eine Anomalie im Verlauf der Venen, welche Peygot **) mittheilt. Zu beiden Seiten *) Mittheilungen des Würtemb. ärzıl. Vereins. Heft 1. pg. 193. **) Revue medicale, Fevr. 168 derMittellinie bestand eine weite Verbindung zwischen den Venae crurales und iliacae (int.?) einerseits, und der nicht obliterirten Vena umbilicalis und portarum andererseits, Die Communication wurde durch Hautvenen des Unter- leibes vermittelt, die so varikös ausgedehnt waren, dass sie in Form zweier grosser pyramidaler GERN die vordere Wand des Unterleibs bedeckten. Eine grosse Anzahl von Varietäten im Verlauf der Arterien hat Lauth *) gesammelt. Spessa**) berichtet von einem Anencephalus, der 41 Stunden nach der Geburt gelebt ‚hat. Grosses und kleines Gehirn und verlängertes Mark sollen gefehlt haben. Das Rückenmark begann oben in der Haut des Nackens an einem, dem Ende des kleinen Fingers gleichenden VWVärz- chen, dessen Berührung während des Lebens eine Be- schleunigung der Athembewegungen und ein Kreischen und Schluchzen heryorbrachte, Diess war wohl offen- bar die Medulla oblongata. Die Gehirnnerven waren zwar an ihrer Stelle, aber verschwanden gegen die Schä- delbasis; dass die Ursprünge derjenigen, welche aus der Medulla oblongata abgehen, gefehlt haben, bezweifle ich, wenn das Kind wirklich geschrieen haben soll. Im Ja- nuarheft des Med. chirurg. review ist ein ähnlicher Fall enthalten. In physiologischer Beziehung schliesst sich hieran die Beobachtung, dass ein neugebornes Kind, bei welchem wegen Enge des Beckens der Mutter die Exce- rebration gemacht werden musste, nach gänzlicher Ent- fernung des Gehirns noch minutenlang athmete, schrie, Hände und Füsse bewegte ***), Merkwürdig ist der von Tourtual +) erwähnte Foetus acephalus ohne Kopf und Hals, wo sich gleich- wohl ein Herz vorfand. *) Mem. de la soc, d’hist. nat. de Strasbourg. Livr. II, ”*) Gaz. med. Janv. ***) Medic. (Vereins-) Zeitung, Nr, 22. DA a 0,p.9%. 169 Einen sehr deformen und, ‘wie gewöhnlich, herzlo- sen Acephalus unsers Museums hat Wulfsheim *) beschrieben. Eine seltene Form von angebornem Hirnbruch hat Niemeyer**) von einem ausgetragenen Fötus bekannt ge- macht. Von der Mitte der Stirn hing ein 4 Zoll langer, häutiger Sack bis zu den Schlüsselbeinen herab, seine Basis war schmaler und nahm die Glabella, Wurzel und Rücken der Nase bis zur Nasenspitze ein. Er fühlte sich elastisch an und enthielt eine Flüssigkeit, die sich fast ganz in die Schädelhöhle zurückdrücken liess. Die Schädelknochen waren regelmässig gebildet, mit Aus- nahme derjenigen, durch welche der Bruch hervorgetre- ten war. Das Stirnbein war nach oben gedrängt, die Orbitaltheile desselben waren vergrössert, die Nähte in der innern Wand der Orbita weit getrennt. Die Sieb- platte war aus der Verbindung mit dem Stirnbein ge- trennt und bildete den Boden des Canals, durch den der Bruch hervortrat; die Nasenbeine lagen fast vertical, ihr oberer Rand maehte den untern der abnormen Oeffnung aus. Die Oberfläche des grossen Gehirns war gesund, seineBasis und die vorderenLappen erweicht, und diese füllten nebst einer serösen Flüssigkeit. den Bruchsack, der innen von den Hirnhäuten ausgekleidet schien, Der Verf. hat sieben ähnliche Fälle gesammelt und Bemer- kungen über die Entstehung der Hirnbrüche hinzugefügt. Auch Adams ***) hat mehrere Fälle von angebornem Hirnbruche beschrieben. Von Seiler sind genaue und gründliche Beobach- tungen angeborener Bildungsfehler der Augen mitgetheilt worden‘). Der hochgeschätzte Verfasser betrachtet zu- *) Monstri acephali descr, anatom. Diss. inaug. Berol. 4, c.tab. 1. **) De hernia cerebri congenita, Diss.inaug, Halae. c. tab, 2, ***) Dublin journ. of med. et chem. science. Jan, *) Beobachtungen ursprünglicher Bildungsfehler und gänzlichen Mangels der Augen. Mit 1 Kpfrtaf. Dresden. Fol, 170 erst (die angeborene Kleinheit und ‚den gänzlichen Mangel der Augen. : So interessant die’ eigenen pathologisch- anatomischen Beobachtungen des Verfassers sind, so kön- nen wir doch nicht die Ansicht theilen, dass der-'Zustand der Augen bei einem 'hydrocephalischen Fötus über die ursprüngliche Bildungsgeschichte des Auges Aufschlüsse geben könne. Seiler erkennt im Allgemeinen als rich- tig an, dass die Nerven solcher Organe fehlen, die nicht gebildet sind, erweist jedoch, ‘dass es Ausnahmen von diesem Gesetze giebt, indem bei dem gänzlichen Mangel der Augen und aller zu denselben gehörenden Theile, doch der Sehnerve selbst bis zur Verbindung beider Nerven, die Sehhügel und Vierhügel nebst allen anderen für das Auge bestimmten Nerven vorhanden waren, In- dessen kann. der von Seiler angeführte Fall nicht als Ausnahme von jenem Gesetze gelten, da, nach der Ab- bildung zu urtheilen, nicht die. Entwickelung der Theile gehemmt, sondern vielleicht schon gebildete Theile zer- stört worden sind. Der Verf. führt ferner mehrere ge- nau beschriebene Fälle an, welche beweisen, dass Or- gane zuweilen ohne ihre Nerven vorhanden sind. Sehr ausführlich sind die Untersuchungen über die Weiss- sucht (Leucosis) und über das Coloboma iridis.. Gegen Diejenigen, welche das Coloboma iridis auf eine Hem- mungsbildung zurückführen, wie‘auch J, Müller, be- merkt der Verf., dass dasColoboma choroideae und Cor- poris ciliaris allerdings zu den Hemmungsbildungen ge- hören, nicht aber das der Iris, weil die Spalte, die man in der Iris bei sechs- und siebenwöchentlichen Embryo- nen. gesehen haben wollte, sich nicht in der Iris, son- dern in.der Choroidea und dem Ciliarkörper selbst be- finde; dagegen erscheine: die Iris gleich anfangs in Form eines Ringes, Diese Bemerkung ist von Wichtigkeit, um so mehr, da sie mit den Beobachtungen von Rie- ser, v.Baer, Ammon undArnold übereinstimmt. . Bei einem Fall von Coloboma iridis auf dem. hiesigen Mu- 171 seum, den ich 'untersuchte, ist die Spalte bloss in ‚der Iris, ‚nicht im Corpus ‚ciliare und in der Choroidea. Seiler’s Schrift, zeichnet sieh ‘besonders auch durch sehr reichhaltige Literatur aus, Römer *) hat den gewiss seltenen Fall beobachtet, dass die Pupillarmembran noch bei einem ‚halbjährigen Kinde. vorhanden war. . Ueber die Cataracta congenita sind pathologisch-anatomische Beobachtungen von Am- mon mitgetheilt, worden **). Hierher gehört auch: Prinz, über das angeborne Glaucom bei Lämmern, in v.Ammon’s Zeitschrift Bd. III. p. 367, Dr. Casper ***) theilt folgende seltene Missbildung mit. Man fand bei einem Mädchen, das gleich nach ‚der Geburt gestorben war, ungefähr in der Mitte der Mund- höhle eine starke, sehnige Haut, welche beide Kiefern fest verband, so dass man sie mit Gewalt nur einen ‚Viertel- zoll von einander entfernen konnte. In der Mitte der Haut war. eine Oeflnung, worin man nur mit Mühe eine gewöhnliche Sonde einführen konnte, Zunge und Mundhöhle waren übrigens regelmässig gebildet. Isidore Geoffroy St.Hilaire-+)hat die verschie- denen Fälle von Hermaphroditismus .classifieirt. Die Fälle, welche wir für Pseudohermaphroditen' halten, bil- den seine erste Classe, Es sind diess diejenigen Fälle, welche ihre Erklärung finden, theils in dem Stehenblei- ben einer früher normalen Form des Fötus, indem die ‚ äusseren männlichen Geschlechtstheile auf’ ‚dem 'anfängli- chen fötalen, mehr weiblichen Zustand verharren, theils in.der excessiven Ausbildung, indem die weiblichen äus- sern Geschlechtstheile sich so fortschreitend entwickeln, wie sich die männlichen Genitalien sonst nur aus dem *) v,. Ammon’s Zeitschrift für Ophthalmologie. Bd, III. Hft, 2, **) Zeitschrift für Ophthalmologie. Bd. III. H. 1. **) Wochenschrift für die gesammte Heilkunde, Nr. 9. +) Revue encyclop6dique, Mars. — Froriep’s Notizen, Nr. 801. 172 früher mehr weiblichen Typus auszubilden pflegen, Die zweite Classe umfasst die wahren Hermaphroditen (per excessum), wo überzählige Rudimente von Genita- lien der zweiten Art vorhanden sind. Uebrigens enthält die im Allgemeinen lobenswerth durchgeführte Classifica- tion keine neuen Thatsachen und in Hinsicht der Pseu- dohermaphroditen für Diejenigen, welche mit dem be- kannt sind, was bei uns in der Entwickelungsgeschichte geschehen ist, keine neuen, fruchtbaren Ansichten. Bouillaud *) hat einen sehr merkwürdigen Fall eines menschlichen Hermaphroditen beschrieben, wo bei einem Menschen mit einer Ruthe von mittlerer Grösse, aber leerem Hodensack, im Becken sich zwei Eierstöcke, zwei Trompeten und ein Uterus befanden, der sich in eine Art Scheide öffnete, die indessen sich nicht nach aussen mündet, sondern gegen den Hals der Blase sich _ plötzlich verengt und mit einem kleinen Gang in die Ure- thra einsenkt. ‘ Die Harnröhre ist an ihrem Anfang von einer Prostata umgeben; auch die Cowperschen Drü- sen sollen vorhanden gewesen seyn, dagegen fehlten die Hoden und die Samenbläschen. Bouillaud hielt diesen sogenannten Hermaphroditen für einen wirk- lichen Zwitter, Manec dagegen hielt ihn für ein Weib, Mir war dieser Fall von Hermaphroditismus spurius sehr interessant, Die meisten bis jetzt bekannt gemachten Fälle der Art nämlich sind unvollkommene Ausbildungen oder Hemmungsbildungen der männlichen Genitalien, wogegen die gewiss nicht minder häufigen Veränderungen der weiblichen Geschlechtstheile noch nicht recht bekannt geworden sind. Der gegenwärtige‘ Fall nun ist ein solcher, Bekanntlich gleichen sich die männlichen und weiblichen äussern Genitalien lange Zeit im Fötus in hohem Grade, indem der Penis der Männ- chen unten gespalten ist und die Harnrühre oflen liegt, *) Journ. uniy. et hebd. de med. T.X. Nr. 13h 173 die Clitoris der Weibchen verhältnissmässig sehr gross ist und an ihrer untern Fläche einen Halbcanal darstellt. Nun giebt es Hemmungsbildungen des Penis, woraus Hy- pospadia wird; es giebt aber auch sowohl physiolo- gische, als pathologische progressive Umbildungen der weiblichen äusseren Genitalien. Im letztern Falle entsteht durch die Raphe an der Clitoris eine, dieselbe durchlaufende Harnröhre, während bei der Hypospadia die eintreten sollende Raphe ausbleibt. Als Physiologi- sche Fälle einer progressiven Ausbildung der weiblichen äusseren Genitalien gehören hierher die Geschlechtstheile der Maki’s und Lori’s, deren Harnröhre durch die Cli- toris durchgeht und dicht hinter der Spitze derselben endigt. Diese progressive Ausbildung und Theromor- phie findet mit starker Entwickelung der Clitoris bis zur Form des Penis pathologisch im gegenvvärtigen Falle statt, indem die inneren Genitalien uns ein Weib anzei- gen. Es folgt hieraus, dass ich mich ganz zu der An- sicht des Hrn. Dr. Manec hinneige und die des Hrn, Dr. Bouillaud nicht theilen kann. Merkwürdig bleibt zwar der einer Prostata ähnliche Körper; dieser könnte jedoch eine grössere Entwickelung der Folliculi mucosi Vestibuli Vaginae seyn, welche man Prostata Bartholini genannt hat. R.Froriep *) beschreibt einen besonders wegen seines psychischen Verhaltens merkwürdigen Hy- pospadiaeus, der sich übrigens an die bekannten Formen dieser Hemmungsbildung anschliesst. - Hesselbach **) hat eine für die Entstehungsge- schichte des Prolapsus Vesicae urinariae inversae sehr interessante Missbildung mitgetheilt, mit welcher zu- gleich ein Prolapsus des unteren Endes vom Dünndarm verbunden ist. Das untere Ende des Dünndarms mündet ” Casper’s Wochenschrift Nr. 3. "*) Medieinisch - chirurgische Beobachtungen und Erfahrungen Bd. I. Hfi.2. Bamberg, 174 auf. einem penisähnlichen Fortsatz eines zwiebelartigen Körpers nach Aussen, zu dessen beiden Seiten die Ure- teren sich nach Aussen öffnen. Dieser penisartige Fort- satz unter der Insertion des Nabelstrangs ist nichts an- deres, als das untere umgestülpte Ende des Dünndarms. Am unteren Theil der zwiebelartigen Geschwulst, wel- che das erweiterte Ende des Dünndarms ist, befinden sich wieder zwei Spalten und eine mittlere trichterför- mige Vertiefung. Die Spalten führen zu blossen Taschen, Der Wulst, in welchem sich diese drei Gruben befinden, ist das Ende des Dickdarms; die rechte Spalte dieses Wulstes führt in den Appendix vermiformis. Zwei ganz ähnliche Missbildungen sind aus dem anatomischen Mu- seum zu Bonn von Rossum beschrieben (Diss. de in- versione et prolapsu vesicae urinariae simulque: intesti- norum. Colon. Agrippinae. 1830.). Auch hier bildet das umgestülpte perforirte Ileum einen penisartigen Körper unter dem Nabelstrang, und besondere Oeffnungen füh- ren von aussen, die eine in den Processus vermiformis, die andere in das Coecum, eine andere wieder in das Colon. Die Eichel ist in zwei Theile gespalten. So wie der Prolapsus vesicae urin, inversae durch Ruptur der vorderen Blasenwand geschehen muss, so haben wir in diesen drei Fällen das Beispiel einer Ruptur an der Ver- bindungsstelle des Ileums und des Dickdarms. : Dieser letztere Fall ist für die Entstehungsgeschichte des Pro- lapsus vesicae urin. durch Ruptur sehr instructiv. Dr. Otto *) sah bei einem Mädchen die Oeffnung der Harnröhre in der Mitte des Randes der linken innern Schamlippe. An der Stelle der Harnröhrenmündung fand sich eine, nur 4 Zoll eingehende, blinde Vertiefung. Tiedemann **) hat Fälle von zwei milchenden Brustwarzen auf einer Seite beobachtet. *) Hufeland u. Osann Journ. der pract, Heilk. Febr. p. 109. **) Zeitschrift für Physiologie. Bd. V. H.1. 175 M. M, Levy *) hat einen Fall von monströser Mo- nopodie sehr genau beschrieben, mit den bekannten ver- glichen und das denselben Gemeinsame hervorgehoben, Er unterscheidet zwei Formen dieser Missbildung, eine unvollkommnere, wo nur ein Oberschenkelbein, und eine vollkommnere, wo deren zwei vorhanden sind. Bei al- len ist die untere Extremität so um ihre Axe gewandt, dass ihre vordere Fläche nach hinten, die hintere nach vorn sieht. Immer sind Hüft- und Kniegelenk vorhan- den, häufig auch, wo der Fuss mehr oder weniger aus- gebildet ist, ein Knöchelgelenk, Aeussere Geschlechts- theile und After fehlen gewöhnlich. Die Knochen des Beckens sind meistens sehr verkümmert und die Seiten- wände bei der unvollkommenen Form verschmolzen, so dass die Beckenhöhle fehlt, oder statt derselben nur ein Foramen bleibt. Hier ist nur ein Acetabulum vorhanden, welches entweder in dem Rudiment der Hüftbeine, oder am untern Theil der Schambeine liegt. Die Theilung des einzigen Femur in zwei beginnt bald vom untern, bald vom obern Ende. Der Unterschenkel besteht aus einem einzigen, 2 oder 3 Knochen. Im letztern Fall liegt eineFibula nach hinten und in der Mitte von 2Schienbeinen. Bei der vollkommenen Form ist gewöhnlich eine, obwohl enge Beckenhöhle vorhanden. Im Unterschenkel finden sich dann immer 3—4 Knochen, (in dem von Levy beobachte- ten istnur eine Tibia vorhanden), der Fuss trägt eine bis zehn Zehen. In den meisten fanden sich auch andere, aber nicht constante Missbildungen des übrigen Skelets. Die Muskeln sind, ausser dem vom Verf. beobachteten, nur in zwei Fällen beschrieben, daher sich keine allgemeinen Beziehungen auffinden liessen. Bei jenem waren unter- halb des Knie’s nur wenige Rudimente von Muskeln, die des Oberschenkels aber fast normal und nur durch die Umdrehung der Extremität aus der Lage gebracht. Be- *) De sympodia seu monstrositate sireniformi. Havn. 176 merkenswerth ist, dass sich bei allen Monopoden nur eine Art. umbilicalis fand, die gewöhnlich aus der Aorta, als deren eigentliche Fortsetzung, entsprang. Die bei- den Iliacae waren immer vorhanden, die Hypogastr, waren klein oder fehlten. Die Venen folgen dem Ver- lauf der Arterien, die Nerven zeigen nichts Constantes, einigemal fehlten die Ischiadiei, bei Andern waren sie in einen verschmolzen, bei Andern getrennt. In dem von Levy beobachteten Fall verlief der einfache Ischia- dicus an der hintern Fläche der Extremität bis zum Knie, und trat dann an die vordere (der Bauchseite entspre- chende). Der Darmcanal endet gewöhnlich als Colon descendens blind, die Nieren fehlen meistens beide, oder es ist nur eine vorhanden, doch sah man auch beide völlig entwickelt; die Nebennieren wurden nur in drei Fällen vermisst, die Harnblase fand sich nur bei zweien, einmal ohne Nieren und Ureteren, eine Urethra nur bei einem einzigen, Aeussere Geschlechtstheile fehlen fast immer, die inneren sind selten ausgebildet und zeigen mancherlei Deformitäten, Tourtual beschreibt in dem oben angeführten Berichte unter Nr. 93. einen siebenmonatlichen, männli- chen Anencephalus mit Klumpfüssen. Auf der linken Seite sind nur 7 Rippen vorhanden und zum Theil zu Knochenplatten verschmolzen. Die linke Pars costalis diaphragmatis fehlt ganz, so dass der Fundus ventriculi, ein Theil des Colon transversum und die Milz im linken Pleurasack liegen. Das Septum ventriculorum ist durch- bohrt,. Aorta und Arteria pulmonalis entspringen aus der rechten Kammer, statt des Ductus Botalli ist ein faseriges Band zwischen Art. pulmonalis und dem untern Rand des Aortenbogens. Bei Untersuchung der Klumpfüsse fand sich, dass der Talus nicht mit der obern, sondern mit der hintern Fläche am Unterschenkel eingelenkt war, so zwar, dass diese nach auf- und auswärts gerichtete Fläche mit der Basis der Tibia und der innern Fläche 177 des Wadenbeinendes articulirt, Der Processus ant. cal- caneı ist parallel der Längenaxe des Talus ab- und ein- wärts gerichtet, so dass die Tuberositas calcanei nach oben und aussen steht. Die Dorsalflächen der übrigen Fusswurzelknochen liegen mit dem Talus und Calcaneus nicht in einer Ebene, sondern bilden mit ihnen einen rechten Winkel, indem erstere nicht mit den Gelenkenden der letzteren articuliren, sondern sich an den vordersten Theil ihrer innern Fläche anlegen, und der Gelenkkopf des Talus und die vordere Gelenkfläche des Calcaneus frei nach unten heryorragen, Die obere Fläche des Os nayiculare ist zur vordern, die hintere zur äussern ge- worden, das Os cuboideum steht mit der hintern Gelenk- fläche nach oben und aussen, mit der Dorsalfläche, die eine Fortsetzung der vordern Gelenkfläche des Calcaneus ist, nach abwärts. Die drei Ossa cuneiformia und die Ossa metatarsi bilden mit dem Os naviculare und cuboi- deum eine fortlaufende Ebene, Merkwürdig war noch der Verlauf des Musculus tibialis anticus, dessen Sehne sich von aussen nach innen um den vordern Winkel der Tibia herumwendete und nicht vor, sondern hinter dem Malleolus internus zum Os cuneiforme primum verlief. Tourtual schliesst aus diesem Bestand, dass Subluxa- tion, und, zwar Abweichung des Sprungbeins im Fussge- lenk und die Verschiebung des Os naviculare und cu- boideum die bedingenden Ursachen der Totalverkrüm- mung sind, ; a Im St, Georges-Spital in London ist ein Fall beob- achtet worden, wo beide Kniescheiben fehlten. Das Knie ist platter als gewöhnlich, doch wird dieser Mangel übri- gens ohne Nachtheil ertragen. Der Fehler ist erblich, Vater und Grossyater und auch andere Glieder der Fa- milie leiden an dieser Missbildung *). *) Lond. med, gaz. Febr, Müller’s Archiv 1834. 12 178 Dr. Mansfeld *) hat einen der seltenen Fälle von angeborner Rhachitis beschrieben und abgebildet. Lenoir”**) fand einmal, dass die geraden Bauch- muskeln sich bis zum Schlüsselbein erstreckten. Eine merkwürdige Doppelmissgeburt hat Scoutet- ten ***) beschrieben. Die beiden zusammengewachse- nen Kinder waren weiblichen Geschlechts, und an der Basis des Thorax und dem obern Theile des Bauches mit einander verbunden. In einem Alter von beinahe einem Jahre war das eine, wohlgebildete, 1 Fuss 11 Zoll lang; das andere, 11 Zoll lang, war acephalisch; alle Hals- wirbel, vielleicht den siebenten ausgenommen, schienen zu fehlen, die Wirbelsäule hörte in der Höhe der Schul- tern plötzlich auf, an ihrem obern Ende war sie nur von Haut und reichlichem Zellgewebe bedeckt; an derselben Stelle fand sich, was Beachtung verdient, eine runde Narbe von etwa 4 Linien Durchmesser. Die Gelenke waren fast alle anchylosirt, die obern Extremitäten theil- weise missgebilde. Der After fehlte, der Nabel eben- falls. Die Nabelschnur ging von dem grössern Zwilling aus und war einfach, wie die Placenta. Bei der Geburt war der acephalische Zwilling nicht grösser als eine Faust und reichte nur bis zum Nabel des andern her- ab. Der Acephalus zeigte keine eigenthümliche Bewe- gung in den Muskeln des animalen Lebens. Er entleerte aber den Harn selbstständig und der Zeit nach unabhängig von seiner Zwillingsschwester. Auch äusserte er keine Zeichen von Schmerz in den angestellten Versuchen, nur Einmal schrie der wohlgebildete Zwilling, als man die Haut des andern heftig kneipte. Die Missgeburt starb’ bald nachdem Scoutetten diese Beschreibung gegeben hatte, Die leider etwas leichtfertig angestellte Section er- *) Journal von v. Graefe und v. Walther. Bd. XIX. p, 552. *%) Revue m&dicale. Feyrier. 9) D’institut. Nr. 12, u. 13. 179 gab, dass die Arterien aus dem grössern Zwilling in den birnlosen übergingen und zwar, dass. die linke Mamma- ria interna des erstern die beiden Arteriae brachiales (2) im letztern abgab, und dass die Arterien des Beckens und der unteren Extremitäten des kleinern Zwillings aus einer Arterie kamen, die am Truncus coeliacus des än- dern entsprang, In dem Acephalen sollen keine Venen vorhanden gewesen seyn (?). J. Müller hat zwei merkwürdige Missgeburten - be- obachtet *). 4) Defecte Missgeburt. Im Laufe des Sommers erhielt das anatomische Museum aus Eupen eine menschliche Frucht, welche fast nur aus einem Kopf bestand,‘ indem statt des Rumpfes und Halses nur ein beutelförmiger Anhang der Basis des Kopfs vorhanden war. Dieses Monstrum hatte, nach Mittheilung der Heb- amme, durch Gefässe mit dem Nabelstrange eines wohl- gebildeten, ausgetragenen Kindes zusammengehangen. Die Gefässstimme (eine Arterie und eine Vene), wel- che durch den beutelförmigen Anhang des Kopfes ein- traten,% waren dicht an demselben abgeschnitten. Der Kopf ist wie der eines ausgetragenen Kindes, das Ge- sicht ist vollständig; statt des Schädelgewölbes und Ge- hirns eine schwammige, mit dem Innern der Basis cra- nii verbundene Geschwulst, Der Unterkiefer ist vorhan- den; das linke Ohr fehlt und der linke äussere Gehör- gang ist durch eine blinde Vertiefung angedeutet. Im Innern der beutelförmigen Geschwulst befinden sich meh- rere sehr unförmliche, schwer zu enträthselnde Knochen- stücke, auch ein blind endigendes Rudiment von Darm. Kopf und beutelförmiger Anhang bilden“ ungefähr gleich grosse Hälften des ganzen Monstrums. Dieser Fall gleicht sehr dem bisher einzigen, auf dem hiesigen Museum be- findliehen, den Rudolphi in den Abhandlungen der Academie zu Berlin, 1816, beschrieben. ww *) Medicin. Zeitung d. Vereins für Heilkande it Preussen, Nr. 48. 2* 180 2) Angeborne Spalte der Wangen, der Eustachi- schen Trompeten, der Trommelhöhlen, bei einem Schäf- chen mit Wolfsrachen. Die Querspalte der Wangen reicht als Erweiterung der Mundspalte bis zum äussern Gehörgange, welcher nicht getheilt ist. Die Eustachi- schen Trompeten sind blosse Furchen, von der Schleim- haut ausgekleidet; die Trommel, welche auf der rechten Seite am Schläfenbein befestigt, auf der linken Seite von diesem gelöst und mit dem Unterkiefer beweglich ver- bunden ist, lässt von innen das Trommelfeil mit dem Hammer, auf der rechten Seite des Kopfs auch die Chor- da tympani sehen, indem die Trommel von der Bachen- seite ganz offen ist. Die übrigen Gehörknöchelchen ausser dem Hammer sind auf beiden Seiten nicht vorhanden. Jemand, der alle Spaltbildungen als Hem- mungsbildungen anzusehen geneigt ist, würde gegen- wärtigen Fall zuerst auch für eine solche betrachten, um so mehr, da die Mundspalte anfangs bei dem Em- bryo so gross ist. Die Theilung des äussern Ohrs auf der linken Seite unserer Monstrosität in zwei ganz ge- trennte Theile, wovon der untere an dem Unterkiefer hängt, widerlegt jedoch diese Ansicht. Das Kiefergelenk ist im gegenwärtigen Falle nicht vorhanden und der Pro- cessus condyloideus bloss durch Bandmasse an der Ge- lenkgrube befestigt. Der Processus coronoideus ist gar nicht. ausgebildet, die Kaumuskeln fehlen, Der äussere Gehörgang ist unversehrt. Ueber Missbildungen bei den Insecten hat Stannius Betrachtungen nach eigenen Beobachtungen angestellt *). Er hat eine Verschmelzung der Augen an einer Arbeits- biene beobachtet und bemerkt ferner, dass die Missbil- dungen mit Mehrzahl der Theile, besonders der Extre- mitäten «und Antennen, häufiger als Monstra per de- fectum sind. *) Medicinische (Vereins-); Zeitung. Nr.1. 181 In einer Schrift über WVeiberkrankheiten hat R. Lee die pathologische Anatomie der Phlegmasia ‘alba dolens behandelt, welche nichts anderes sey, als Phlebitis cru- ralis. Dieser Ansicht wird von Graves *) widerspro- chen, indem er bei diesem Uebel nicht bloss Entzündung der Venen und Lymphgefässe, sondern auch des umge- benden Zellgewebes und der Fascien gefunden hat. In demselben Fall von Phlegmasie beobachtete Graves auch entzündliche Lymphergiessungen im Auge, nämlich auf der Iris, in den Augenkammern und im ‚Glaskörper, der wenigstens dunkelgelb, dicklich und von Syrupconsi- stenz war, h Nach Wattmann**) ist die Verlängerung des Beins in der Coxarthrocace in vielen Fällen bloss scheinbar, zuweilen aber wirklich (von der Spina ant. sup. eristae ossis ilium gemessen), letzteres bei entzündlicher An- schwellung des runden Bandes oder des Gelenkkopfes. Fricke***) unterscheidet Coxarthrocaee (entzündliche Form), von Coxalgie (von Atonia muscularis). Bei er- sterer sey der Schenkel anfangs nicht verlängert, sondern erst in der spätern Zeit, vielmehr sey der Schenkelkopf durch die Reizung der Muskeln gegen die Pfanne ange- zogen und daher das Bein bei der horizontalen Lage wirklich verkürzt, während es durch die Neigung des Beckens nach der kranken Seite scheinbar verlängert ist. Bei der Coxalgie sey der Schenkel wirklich etwas ver- längert. Bei einem Tetanus traumat., der nach Amputation des Unterschenkels wegen eines Persengesehwürs aus- brach, fand man, nach einem der Acad. de medecine von Lepelletier erstatteten Bericht, Entzündung, nämlich dunkle Röthe des Nerv, ischiadicus, vom Unterschenkel *) Lond. med, and surg. Journ, April, **) Mediein. Inhrb. d. Oestreich. Staates. Bd, V. St. 1. ++) Fünfter Bericht über die Verwaltung des allgemeinen Kran- kenliauses zu Hamburg. 182 an bis zum Hüftgelenk, Die Pia mater des Rückenmarks hatte an der Stelle, "welche dem Ursprung der bei der Amputation durchschnittenen Neryen entspricht, ein ganz ähnliches Ansehn, Auch R. Froriep*) hat in zwei Fällen von Tetanus eine locale Entzündung der Nerven durch die anatomische Untersuchung nachgewiesen. Be- merkenswerth ist, dass diese Entzündungen nicht unun- terbrochen die ganze Länge eines Nerven einnahmen, sondern dass die Nerven stellenweise entzündet und dann wieder unverändert erschienen. Manec hat eine alte Fractur des Unterschen- kels beschrieben, nach welcher die Vegetationen des Callus einen knöchernen Canal gebildet haben, durch den ein Nerve und die Vena und Art.tibialis antica, die ver- knöchert, aber vollkommen wegsam ist, durchgehen **), R. Froriep***) hat die Structur der Hämorrhoidal- kinoten nach injicirten Präparaten erläutert und sehr schön abgebildet; es ergiebt sich, dass dieselben durch Aus- dehnung der Hämorrhoidalvenen entstehen, doch so, dass immer mehrere solcher ausgedehnten Stränge in Einem Knoten liegen und von einem etwas verdiekten Zellge- webe in einen derben Ballen vereinigt werden. Blut- austretung in das Zellgewebe zeigte sich selbst in einem wallnussgrossen Knoten nicht, auch in diesem war die glatte Venenhaut in alle blutenthaltende Räume hinein zu verfolgen und unversehrt darzustellen. Dawson) erzählt folgenden, in mancher Hinsicht interessanten Fall, den er aber mit Unrecht als Spina bi- fida bezeichnet. Eine 38jährige Frau hatte eine Ge- schwulst von der Grösse eines Granatapfels zur Seite *) Casper’s med. Wochenschrift. Bd.T. ”) Behrends Repertorium. Octob. p, 68. ***) Chirurg. Kupfertafeln von R. Froriep. Heft 62. 7) Transact. of the provincial medical and surgical association, "Vol. I, pag. 219. 183 des linken Ligamentum sacro -ischiadieum. ; Bei einem Druck auf die Spitze derselben entstand ein schmerzli- ches Gefühl von Druck im Kopf. Die Frau erzählte, dass sie an dieser Stelle eine haselnussgrosse Geschwulst mit zur Welt gebracht habe, die erst seit 18 Monaten, nach einem Fall auf dieselbe, an Umfang zugenommen habe, Dawson unternahm die Operation. Sogleich nach dem Einstich an der Spitze flossen etwa 12 Unzen einer wasserklaren Flüssigkeit aus, worauf die Wände zusammenfielen. Diese erschienen nach der Erweiterung glatt und glänzend; der eingeführte Finger gelangte in einen 3 Zoll langen Canal, der sich bis zur Spitze des Heiligenbeins erstreckte. Es ergab sich später, dass diezu . Tage liegenden VWYände die innere Seite der Dura mater des Rückenmarks waren, die in.dem Zwischenraume an der Gelenkverbindung des Heiligen- und Steissbeins her- vorgetrieben war. DieKranke wurde auf ein Sopha ge- legt, die Extremität der leidenden Seite gebeugt, das Gesicht nach unten gekehrt. Der geringste Versuch, ihre Lage zu ändern oder den Kopf zu erheben, erregte Athemnoth und Schmerz im Hinterkopf bis zum Nacken. Eine Zeit lang entleerte sich noch reichlich helle, Flüs- sigkeit aus der «Wunde; am vierten Tage stellte sich Steifigkeit im Nacken ein, Versuche den Kopf zu erhe- ben, bewirkten Opisthotonus. Am siebenten Tage wurde die Bewegung des Kopfs freier, dagegen erforderte die Entleerung des Urins Anstrengung, Die VWVundränder wurden roth und schwollen an und der Ausfluss ver- ringerte sich. Später stellten sich wieder Opisthotonus, Schmerzen im Heiligenbein, Hitze und heftiger Dyrst, häufiger Drang zum Urinlassen ein, die Wunde wurde übelriechend, die Ränder flaccid, schlaff; dazu kamen Delirien, Taubheit der Fingerspitzen, endlich allgemeine Gelbsucht. Der Tod erfolgte am 19ten Tage nach der Operation, Auffallend war, dass die Kranke, wenn man den Kopf erhob, ein kollerndes Geräusch zu hören an- 184 gegeben hatte, als wenn Flüssigkeiten in ihrem Kopf herab liefen. Bei der Section fanden sich Spuren einer ausgebreiteten Entzündung und Vereiterung im Wirbel- canal. Das Mark und die hinteren VVurzeln der unteren Rückenmarksnerven waren dunkel gefärbt und sehr er- weicht, auch das Gehirn war so erweicht, dass es fast zerfloss, die Höhlen sehr geräumig, Die knöchernen Theile des Wirbelcanals waren in diesem Fall vollkom- men wohl gebildet, auch das Rückenmark war nicht zerstört; zur Zeit der Geburt war vielleicht Hydro rha- chis vorhanden gewesen. Ueber die Tuberkeln des Gehirns hat W. Mur- doch *) eine Abhandlung geliefert, Er beschreibt da- von vier Formen: 1) Miliartuberkeln; sie kommen vor- züglich if! den Hirnhäuten vor, welche dann mit unzäh- ligen Granulationen übersäet sind; niemals wohl im Pa- renchym des Gehirns und in dem Theil der Arachnoidea, der die Dura mater überzieht. Gewöhnlich finden sich gleichzeitig ähnliche Entartungen in andern serösen Häu- ten, namentlich in der Pleura und dem Peritoneum. 2) Die Tuberkelmaterie ist als eine Lage zwischen den Membranen und der Oberfläche des Gehirns ausgebrei- tet (Tubercule infiltrE par plaques).- Die Lage folgt der Richtung der Sulci und entspricht an ihrer, dem Gehirn zugewandten Oberfläche den Unebenheiten der letzteren. Diese Form ist oft schwer von der Art ei- triger Infiltration zu unterscheiden, wo die flüssigeren Theile des Eiters wieder aufgesogen worden sind. 3) Die Tuberkelmasse ist in der Substanz des Gehirns infiltrirt, ein äusserst seltener Fall. Murdoch beschreibt ein auf diese Weise erkranktes Gehirn, wo die Pons Varolii auf dem Längendurchschnitt dem Durchschnitt einer Rübe oder eines Rettigs glich. Man sah alternirende Lagen *) Lond, med, gaz. April. 185 von Nervenmark und Tuberkelmasse, 4) Isolirte Tuber- keln; sie finden sich von der Grösse einer Erbse bis eines Hühnereies, unter den Hirnhäuten, gewöhnlich aber tief in der Marksubstanz, und gleichen den gewöhnlichen Lungentuberkeln, sind aber fester als in andern Orga- nen, eigenthümlich grün tingirt und oft von einer Cyste umschlossen, welche in Dicke und Structur sich sehr verschieden zeigt, mitunter dünn und durchsichtig, in andern Fällen fibrös oder fibrös-knorpelig, nicht selten mit erdigen oder Knochenpunkten besetzt. Die isolirten Hirntuberkeln bleiben gevyöhnlich im Stadium der Roh- heit, theilweise Erweichung zeigt sich oft an einzelnen Stellen, nie aber fand der Verf. völlige Eiterung. Die, die Tuberkeln umgebende Hirnsubstanz ist bald normal, bald härter und dichter, bald erweicht. Die erweichten Theile sind oft der Sitz zahlreicher kleiner Blutgerinnsel. Diese bleiben immer roth oder schwärzlich, vielleicht weil durch die Erweichung die Gefässe ihre Fähigkeit verloren haben, die färbenden Bestandtheile des Blutes wieder aufzusaugen; selbst das Mark um das Coagulum ist geröthet, Murdoch hat durch mehrere Sectionen bestätigt, dass Hirntuberkeln vernarben können, nach der Weise der Lungentuberkeln. Die Narben waren knor- pelig und schlossen eine kreideartige Substanz ein. v.Ammön *) giebt einige interessante Krankenge- schichten über Tuberkeln der Nieren mit Abbildungen der degenerirten Organe, in denen indess die Entartung schon zu sehr vorgeschritten ist, als dass sie uns über das Wesen der Tuberkelbildung belehren könnten. Als pa- ihognomonisches Symptom bezeichnet er den strohgelben, molkigen Urin, der unter Drang und Brennen gelassen wird und nach einigen Stunden ein mehliges, helles, tu- berkulös gefärbtes Sediment in grosser Menge absetzt. Hardy**) sah in der Placenta einer an Phthisis ge- *) Rust’s Magazin. Heft 3. pg. 500, *) Revue mid, Ferr. z 186 storbenen Schwangern 8 bis 10 feste, weissliche Concre- mente von der Grösse einer Erbse bis einer Haselnuss, die er für Tuberkeln hielt, Zahlreiche, den beschriebe- nen ähnliche Granulationen waren über die, dem Fötus zugekehrte Oberfläche der Placenta zerstreut und vom Amnion überzogen. Die Organe des Fötus enthielten keine Tuberkeln, Alex, Thomson*) will durch Injectionen gefunden haben, dass die Tuberkeln der Lunge organisirt sind und Blutgefässe enthalten (?), Er sah diese um so zahlreicher, je weiter die Erweichung vorgeschritten ‘war; oft fand sich Extravasat im Innern erweichter Tuberkeln, niemals aber zwischen der Wand der Tuberkelhöhle und dem äussern Umfang des Tuberkels selbst. Carswell **) hat sich die Aufgabe gestellt, die ver- schiedenen Formen krankhafter Structurveränderungen ohne Rücksicht auf die Organe, in denen’ sie ihren Sitz aufschlagen, zu untersuchen. Das erste Heft seiner Mit- theilungen befasst sich mit den Tuberkeln. Er definixt diese als blassgelbe oder gelblichgraue, undurchsichtige und unorganisirte Substanz, deren Form, Consistenz und Zusammensetzung verschieden ist nach der Form des Organs und den Fortschritten der Krankheit, Sie sind am gewöhnlichster. in den Schleimhäuten der verschiede- nen Systeme, ferner auf der absondernden Fläche serö- ser Häute,und in den Zellen (?) des Zellgewebes, in den Lymphgefässen und Drüsen u.s.f. Die runde Form, welche Tuberkeln gewöhnlich annehmen, hält Cars- well für zufällig, da sie meistens von allen Seiten glei- chen Widerstand erfahren; we diess nicht der Fall ist, erscheinen sie in mancherlei Gestalt; ihre granulöse Be- schaffenheit in den Lungen erhalten sie durch ihre Anhäu- *) Lond. med, and surg. journ, Decbr. **) Illustrations on the elementary forms of disease. Fascie. I. London. ” 187 fung in einer oder mehrern sich berührenden Luftzellen (?); die gelappte Form in diesem Organ beruht darauf, dass sie auf die Luftzellen eines einzigen Lappens beschränkt sind. Das Maximum ihrer Consistenz erreichen die Tuber- keln erst einige Zeit nach ihrer Bildung. Im frühesten Zustand, wie man sie oft in den Bronchien, den Luft- zellen(?), Gallengängen, in der Höhle des Uterus und den Tuben findet, gleichen sie in Consistenz und Farbe ei- nem mit Wasser gemischten, weichen Käse. Nur, wenn sie Widerstand finden, wie in den Lymphdrüsen und zuweilen wenn die Luftzellen eines ganzen Lungenlap- pens angefüllt sind, werden sie so fest wie das Gewebe der Leber oder des Pancreas. Dieselbe Veränderung findet auch dadurch statt, dass die wässrigen Bestand- theile bald nach der Ablagerung wieder aufgesogen wer- den. Oft findet sich, namentlich in den Lungenzellen und auf der freien Oberfläche seröser Häute, ausser der be- zeichneten Tuberkelmaterie, eine graue, halbdurchsich- tige Substanz, welche aus folgenden Gründen früher, als die undurchsichtige Materie, abgelagert zu werden scheint: 1) Man sieht oft viele Lungenzellen eines Lappens mit jener gefüllt, indess die anderen Lungenzellen die letztere enthalten(?). 2) Auf dem Peritoneum ist die graue Sub- stanz gewöhnlich in grösserer Menge vorhanden, als die gelbe. 3) Oft ist ein kleiner Kern der letztern in einer grossen Masse der erstern eingeschlossen. Den Process dieser Ablagerung stellt sich C. so vor, dass das er- griflene Secretionsorgan aus dem Blute, welches primitiv in seiner Mischung verändert seyn soll, ausser dem ihm eigenthümlichen Secret auch die Tuberkelmaterie abson- dere. 80 soll in den leidenden Lungenzellen dieSchleim- absonderung vermehrt seyn; das Secret sey aber nicht reiner Schleim, sondern mit Tuberkelmaterie gemischt; diese trenne sich später und erscheine als mattgelber und durehsichtiger Punkt immitten des grauen, halbdurch- sichtigen, zuweilen eingedickten Schleims. Schr anschau- 188 lich ist nach C. diese Trennung des Tuberkelstoffs von der abgesonderten Flüssigkeit in den Tuberkeln des Bauch- fells; hier sieht man drei Stadien der Krankheit neben einander; an einer Stelle frisch ausgesonderte gerinn- bare Lymphe, an einer andern dieselbe halbdurchsichtige Materie, theilweise organisirt und eine kugliche Masse Tuberkelmaterie einschliessend; an einer dritten erscheint endlich die coagulable Lymphe in blasses Zellgewebe umgewandelt, von einer aceidentellen serösen Haut über- zogen und zwischen dieser und dem eigentlicheu Bauch- fell liegt der Tuberkelstoff, als eine runde, körnige Masse von der Consistenz und Farbe eines festen, vwreissen Kä- ses. Carswell giebt indess zu, dass die vorläufige Ab- lagerung der durchsichtigen Substanz nicht immer Statt finde. In der Höhle des Uterus und der Tuben, in den Ureteren und Nierenbecken, in den Schleimbälgen |des Darmcanals, in den Lymphgefässen, rei und im Gehirn soll sie nicht vorkommen. Die Tuberkelmasse verändert sich nur durch äussere Einflüsse, daher tritt Carswell auch der Meinung An- dral’s bei, dass die Erweichung nur‘ durch Beimischung von Eiter oder anderen Flüssigkeiten bewirkt "werde, Er zeigt, wie Laennec zu dem Irrthum verführt wor- den, dass die Erweichung vom Centrum des T'uberkels aus beginne. Da nämlich, z. B. in einer Bronchie oder Luftzelle, die Ablagerung von den Seitenwänden des Ca- nals ausgeht (?), so könne, wenn der Canal nicht ganz an- gefüllt ist, auf dem Durchschnitte die Mitte des Tuber- kels erweicht erscheinen, weil hier noch keine Tuber- kelmasse, sondern Schleim vorhanden sey. Die Erwei- chung gehe von der Oberfläche aus, da diese die VVände des Organs reize und in Eiterung versetze. Sie kann daher an mehreren Punkten zugleich anfangen, wenn in der Tuberkelmasse Theile des Organs eingeschlossen sind. Carswell zweifelt, dass jemals Tuberkeln eingekapselt würden; man habe gewöhnlich, behauptet er, die natür- 189 lichen Wände der Höhlen, in denen sie sich bilden, ir- riger Weise als Kapseln betrachtet. Den Schluss der Abhandlung macht: die Beschreibung des Processes, wodurch die Natur Tuberkeln heilt, in den: Bronchial- drüsen und den Lungen, Die Tuberkelmasse verwan- delt sich in eine trockne, kreideartige Substanz und wird dann eingeschlossen, durch Ausschwitzung coagulabler Lymphe in das Lungengewebe, oder an den \Vänden der Aushöhlung. Das Exsudat gleicht anfangs, so lange es sich ungehindert ablagern kann, einfachem Schleimge- webe, später und successiv verwandelt es sich in seröse, fibröse, fibrös -cartilaginöse,#endlich in'cartilaginöse Sub- stanz. Die Umwandlung in fibröses Gewebe ist die ge- wöhnlichste; diess contrahirt sich nun, so dass die Höhle sich verkleinert, und zieht das mit ihm zusammenhän- gende Lungengewebe nach, wodurch die Lunge ein fal- tiges Ansehn bekommt. Das zweite Heft des genannten Werks handelt vom Carcinom. , ‚Unter dieser Gattung begreift Carswell die destructiven Gewebe, Scirrhus, das 'gefässreiche Sar- coma, das pancreatische, das Medullarsarcoma und den Fungus haematodes, wobei die Melanose unrichtiger Weise übergangen ist. Diese Krankheiten zerfallen wie- der in zwei Gruppen: Scirrhoma und Cephaloma. Bei der erstern hat die Ablagerung wenig Neigung, organisirt zu werden, bei der zweiten ist diese Neigung vorhanden, Die Varietäten des Scirrhoma entstehen durch die rela- tive Menge, Vertheilung und Consistenz der heterogenen Ablagerung und sind: 1) Scirrhus, harte, graue, halb- durchsichtige, mit schmutzig - weissem, verdichtetem Zell- gewebe durchzogene Substanz, 2) Ablagerung von re- gelmässig blättrigem Ansehn: das pancreatische Sarcom von. Abernethy, 3) Verbreitung der Substanz durch das ganze Gewebe eines Organs, Tissu lardace. 4) Gal- lertartige Ablagerung in Zellen, Matiere colloide nach Laennec, Cancer gelatiniforme oder artolaire nach 190 Cruveilhier. Das Cephaloma hat folgende Varietäten: 4) Substanz von dem Ansehen der Fibrine mit gleich- förmiger, faseriger oder blättriger Structur, etwas durch- ‚ scheinend und gefässreich; Abernethy’s einfaches vas- culöses Sarcom. 2) Verbreitung derselben Materie durch das ganze Gewebe eines Organs mit dem Ansehen der durchschnittenen Brustdrüse, Abernethy’s mammar sarcome, 3) Das Medullarsarcom, Matiere cerebriforme, encephaloide des Laennec, Spongoid inflammation von Burns, fischmilchähnliche Geschwulst vonMonro, wo- von der Fungus haematodes des Hey und Wardrop eine blosse Varietät ist. Das Cärcinom entsteht theils durch Veränderung der vorhandenen Gewebe, theils durch Ab- lagerung. Im ersten Falle verändern z. B. die Acini der Leber ihre Farbe und Consistenz, ohne ihre Gestalt anfangs abzulegen; im Magen werden die Muskelfasern bleich und derber, später Muskelfasern und Zellgewebe voluminöser. Im zweiten Fall wird das heterologe Ma- terial auf der freien Oberfläche abgelagert, wie auf der Pleura, im Innern der Blutgefässe. Diese letztere Er- scheinung; betrachtet Carswell vorzüglich als einen Be- weis, dass das heterologe Material im Bluto selbst ver- breitet sey, indem es sowohl in den Gefässen des zer- störten Organs, als auch in anderen Gefässen vorkomme. A. Mühry *) hat eine musterhafte pathologisch-ana- tomische Untersuchung eines Falles von Markschwamm am: Auge mitgetheilt. In diesem Falle scheint das Uebel von dem Sehnerven, und zwar vom Marke desselben, aus- gegangen zu seyn. An dem Auge, wo der Markschwamm noch in der ersten Ausbildung begriffen. war, hatte sich derselbe von dem Marke des Sehnerven bei der Eintritts- stelle desselben in die Sclerotica entwickelt. Die Retina war nicht mehr vorhanden, in der vordern und hintern *) Ad parasitorum malignorum, imprimis ad fungi medullaris oculi historiam symbolae aliquot, cum tab, IV. Gätting. az 191 Augenkammer befanden sich pulpöse Massen. Der Verf. hat übrigens die richtige Ansicht, dass der Markschwamm sich nicht bloss in Nerven, sondern auch in allen Gewe- ben entwickeln könne *). In den med. Jahrb, des Oest- reich. Staates, neueste Folge V.B. 2.St. ist auch eine Untersuchung über Markschwamm des Auges, ohne be- sonders merkwürdige Resultate, enthalten. Baring’s **) Beobachtungen über den Markschwamnm der Hoden lehren uns, wie verschiedenartig ‘die Degene- rationen sind, die man unter diesem Namen begreift; ge- wöhnlich sollen sich manchberlei Entartungen zugleich finden, mark-, knorpel-, leberartige, zellige und hydati- döse Massen, Die Gefässverbreitung zeigt eben so we- nig Constantes; Vas deferens und Blutgefässe sind ge- wöhnlich nicht entartet, dagegen sind die Iymphatischen Gefässe, welche den Samenstrang begleiten, immer er- weitert, verdickt und enthalten eine breiige Masse. Sehr häufig finden sich ähnliche Degenerationen innerer Theile, des Netzes, der Leber, des Pancreas, der Lunge, beson- ders aber nehmen die Lymphgefässe Theil und gewöhnlich findet man Geschywulst und Encephaloid der Leistendrü- sen, der Cysterna chyli und der sie umgebenden Lymph- drüsen, Aus dieser Mitleidenschaft des Iymphatischen Systems leitet der Verf. den Antheil her, den später der ganze Organismus an dem anfangs örtlichen Uebel nimmt, Aus Albers ***) pathologisch-anatomischen Unter- suchungen der Samenbläschen ergiebt sich, dass sie oft, wenn auch nicht immer, an den Krankheiten des Hodens ihrer Seite, Seirrhus, Markschwamm, Atrophie etc: Theil nehmen. Auch durch langwierige Krankheiten der Blase, Prostata und Harnröhre werden sie verändert. Albers *) In dieser Schrift wird pag. 22 gelegentlich eine, Beobachtung von Pauli erwähnt, dass der Nerv, trochlearis mit dem Sympathi- eus in Verbindung stehe, *) Baring über den Markschwamm der Hoden. Göttingen. **) Journal von v, Gracfe u. v. Walther. Bd. XIX. p. 173. k . 192 fand sie in der Leiche eines Mannes, der häufig an Nach- tripper gelitten hatte, hart und fast knorpelartig. er den Zusammenhang der Krankheiten der Samenbläschen mit Gehirnleiden, worauf besonders Dalmas hingewie- sen hat, ist ein neuer Beleg geliefert. Die pathologische Anatomie und Classification der Teleangiectasien ist vonB. Philips*) abgehandelt worden. Ueber den Schwamm der harten Hirnhaut handelt Seifert: de fungo capitis in universum et de fungo du- rae matris in specie. c. tab. lithogr. Lip. Arming **) hat einen Fall von angebornem wahren Fungus durae matris beschrieben, Dupuytren uud Broun***) haben Hydatiden der Knochen bei einer nicht vereinigten Fractur beobachtet. Ueber die Polypen hat Gerdy eine ausführliche Ab- handlung geliefert }). Er beschreibt ausser den bekann- teren Formen auch einen körnigen, blumenkohlartigen, aus weissen, an feinen Stielen sitzenden Körnchen be- stehend. Gendrin'rf) hat einen Herzpolypen beobach- tet, der diesen Namen mit Recht zu führen scheint. Es war, nach seiner Beschreibung, eine gestielte Geschwulst von dem Umfang eines kleinen Eies, welche im linken Atrium auf der Narbe des Foramen oyale sass, Sie bestand aus fibrösem Gewebe und war an der Basis be- reits verknöchert. Hache+rf) erwähnt eine eigenthümliche Art von Concretionen imHerzen, Er fand deren bei einer phthi- sischen Frau 44, im rechten Ventrikel, von verschiede- ner Grösse. Sie hingen nur schwach durch gefässlose Filamente mit der innern Oberfläche des Herzens zu- *) Lond, med. gaz. April. **) Med. Jahrb, des Ocstreich. Staates. V.B, 4. St, *#%) Behrends Repertorium, Oct. p. 77. -P) Gerdy, des polypes et de leur traitement. Paris. +) Dinstitut. Nr, 8. TrP) Revue med. Fevr. 193 en bestanden aus eh: und enthielten in itte Eiter. Unter den von Tourtual *) beschriebenen patho- en Präparaten heben wir auch noch folgendes, unter Nr. 32. aufgeführtes, hervor. Zahlreiche Corpus- cula interarticularia an def untern Gelenkfläche des lin- ken Schenkelbeins. Der Kranke hatte länger als 5 Jahre an Schwerbeweglichkeit und stumpfen Schmerzen im Kniegelenk gelitten, welche zuweilen beim Auftreten auf die leidende Extremität mit plötzlicher Heftigkeit aufge- regt wurden. Später trat völlige Unbeweglichkeit ein und es entwickelte sich eine Geschwulst des Kniegelenks, bei welcher die Kapsel blasenförmig und fluctuirend zwischen der Kniescheibe und den Köpfen des Schenkel- und Schienbeins hervortrat; nicht selten fühlte man an der Seite der Kniescheibe harte Körperchen, welche beim Versuch, sie zu fixiren, augenblicklich zurückyichen. Der Kranke starb in Folge einer Gelenkentzündung,, die sich nach dem Anstiche der Geschwulst gebildet hatte, Ueber den hinteren Flächen der Condyli ossis femoris war die Kapselmembran nach dem Körper des Femur hinaufgeschoben, so dass sie daselbst zwei beutelförmige Recessus, jeden über seinem Kopfe bildete, welche fast gänzlich von den krankhaft entwickelten Interarticular- kinöchelchen ausgefüllt wurden. Die Zahl derselben be- läuft sich an dem Präparat auf einige siebzig, und be- trug am frischen Präparat über 200. Sie sind von der Grösse eines Nadelknopfs bis zu der einer starken Erbse, länglich rund, hin und wieder eckig; sie werden sämmt- lich von einer Fortsetzung der Synovialhaut bekleidet, welche in faden- und bandförmigen Duplicaturen von 2—4 Linien Länge sich einwärts umwendet, die Körper- chen überzieht und gleichsam ein Gekröse für jedes bil- det. Unter dieser Hülle liegt eine faserknorplige Rinde, *) Zweiter anatomischer Bericht cte, Müller’s Archiv. 1834, 13 194 die meist einen knöchernen Kern einschliesst, Hin und wieder erblickt man blinde Divertikel der Synovialkap- sel, in welchen Knorpel oder Knochen enthalten ist. Dieses Präparat beweist, dass die Interarticularknochen von der Kapselmembran ausgehen, Gurlt*) hat seine Beobathtungen über Steinbildung im menschlichen und thierischen Körper zusammengestellt. Wir heben die interessante Beobachtung hervor, dass nämlich in den Schleimbälgen des Zwölffingerdarms Stein- chen gefunden wurden, welche sich durch eigenthümli- che regelmässige Form, durch Leichtigkeit und cerystal- linische Textur auf der Oberfläche von anderen Steinen der Eingeweide unterschieden. Bemerkenswerth ist ferner, dass unter 800 Pferden bei keinem Gallensteine gefunden worden, dass dagegen die Gallensteine beim Rinde, un- ter den Hausthieren, am häufigsten sind, ‚ seltener beim Schweine und den Fleischfressern vorkommen. Harn- steine sind bei der Ratze am seltensten, häufig bei den Wiederkäuern, bei dem Schweine und Hunde, seltener bei dem Pferde, Von Kuhn**) haben wir eine interessante Arbeit über die Acephalocysten erhalten., Er unterscheidet zwei Arten derselben, die endogenen und exogenen. Bei den erste- ren, wozu er die des Menschen rechnet, erzeugen sich die neuen Individuen innerhalb des Mutterkörpers und sind frei; bei den letzteren, wohin die des Rindes und Schafes gehören, bilden sich die neuen Individuen als Sprossen auf der äussern Oberfläche des Mutterkörpers und lösen sich später ab, Allmählig entsteht um die Acephalocysten der letztern Art eine von dem Organ, worin sie vorkommen, gebildete Hülle, welche anfangs *) Medicinische (Vereins-) Zeitung, Nr. 31. **) Memoires de la societe d’histoire naturelle de Strasbourg. Livraison II, % 195 häutig ist, und faserig, selbst knorpelig werden kann. In- nerhalb dieser Cyste um den Acephalocysten wird nach und nach Tuberkelmaterie abgelagert, und zwar zuerst als eine gelbliche, halbdurchsichtige Materie, welche bald sich verdickt und in kleinen Streifen oder Büscheln sich absetzt. Hieraus entsteht durch ‚allmählige Zunahme ein Tuberkel, durch welchen die Acephalocyste nach und nach eingeengt und zuletzt ganz zusammengedrückt wird. Diese Tuberkeln können später selbst Ossificationspunkte erhalten. Diese Art von Tuberkeln sind immer encystirt und enthalten in ihrem Innern den Rest der zusammen- gefalteten und auf ein Klümpchen zusafnmengedrückten Acephalocyste; sie sind immer gelblich. Kuhn hält die Acephalocysten für belebte Wesen, obgleich sie weder Empfindung noch Bewegung äussern, sondern bloss ve- getiren. Augustin *) hat über einen Fall von Drehkrank- heit eines Schafes berichtet, bei welchem man einen Firnstein fand, der sich vielleicht nach dem Tode eines Coenurus cerebralis innerhalb der Blase dieses Wurms gebildet hatte. In der Academie de medecine zu Paris hat Ferrus über einen Geisteskranken mit völliger Paralyse und Ge- dächtnissverlust berichtet, wo man im Corpus striatum Spuren früherer Ergiessung und auf der Pia mater eine grosse Anzahl festsitzender, sogenannter Cysticerci(?) fand. Eichmann **), Militärarzt in Bonn sagt, dass er bei einem seiner Verwandten, der in der Gegend von Bonn wohnt, in einer Geschwulst am Hüftgelenk, die unter dem Gebrauch warmer Breiumschläge sidı geöffnet hatte, einen etwas mehr als 2 Ellen langen, schmutzig-weissen Wurm gefunden, der einer dem Dracunculus medin, verwandten Species angehören soll. Er war von der Dicke eines Feder- *) Medicinische (Vereins-) Zeitung. Nr. 5. ”") w. Gräfe und v. Walther’s Journal. Bd. XIX. p. 120. 13 *+ 196 kiels (2), nicht geringelt, fast überall gleichmässig, und bis gegen den Schwanz, wo er in eine stumpfe Spitze en- dete, hart und elastisch. Er starb bald an der atmosphä- rischen Luft. Diess klingt alles höchst sonderbar. Ueber die Entozoen des Auges sind in der neuern Zeit viele Beobachtungen gemacht worden. Gescheidt*) hat alle bis jetzt bekannten Fälle von Entozoen im Auge der Menschen und der Thiere zusammengestellt. Der Verfasser fand einmal in der cataractösen Linse eines 5 Monate alten Kindes vier Stück Distoma oculi humani von 4 bis 4 Linien Länge, und in der cataractösen Linse ei- nes 61jährigen Mannes drei Filarien von 2 bis 2 Linien Länge. Der Verf. hat ganz Recht, wenn er die Ver- muthung des trefflichen von Nordmann für unrichtig hält, dass das, so häufige Sehen von passiv beweglichen Kügelchen und Fäden von Eingeweidewürmern herrühre. Dass man auch im Rückenmarkscanal auf das Vorkom- men von Würmern achten müsse, hat die Beobachtung von Henle von Diplostomen an der Cauda equina der, um Berlin lebenden Frösche gezeigt **). Cantin ***) fand blausaures Eisen und Zucker in dem Urin eines Sjährigen Mädchens, das kein Leiden weiter hatte, als leichte Kolik, besonders vor dem Harn- lassen. Der Urin war blaulich, besonders der am Mor- gen gelassene. Harnstoff und Harnsäure waren in ge- ringerer Menge, als gewöhnlich. Kane?) hat das Blut Gelbsüchtiger analysirt und folgende Bestandtheile gefunden: *) Zeitschrift für Ophthalmologie, Bd. III, pg. 405, *) Froriep’s Notizen. Nr. 816. ***) Journal de chimie me&d. Fevr. 7) Dublin Journ. of med. and chem. science, Jan, 197 Wasseri lin aelr n . r EZERLDE Eiweiss Hr Anelnt ale Baserstofi,h 2. ds 2,8 Haematosine. . . ee Phosphorhaltiges Felt ee 20 ölige und gelbe färbende Materie ö Salze, Verlustete.. . . .....2..3482 1000,00 Diess Resultat stimmt mit dem von Lecanu überein, auch hinsichtlich des Mangels von Cholesterine. Den Farbestoff des Bluts hat Lecanu in geringerer Menge gefunden, als im gesunden Blute; nach Kane ist das Verhältniss desselben nicht verändert. Dan. Wagner*) hat zahlreiche Untersuchungen über Gallensteine gemacht, denen zufolge er siein drei Abthei- lungen bringt: 1) solche, in welchen das Gallenfett den Hauptbestandtheil (70—97 Proc.) ausmacht. 2) Solche, die aus coagulirtem Gallenblasenschleim mit Färbestoff der Galle, Eiweiss, verdichteter Galle und einigen Sal- zen bestehen. Diese letzteren sind zum Theil in Alco- hol, zum Theil in Wasser, aber fast ganz in ätzenden Alcalien löslich. 3) Gemenge der beiden ersteren, schicht- weise oder Kern und Schale. Der Verf. hat die Beob- achtung gemacht, dass das Gallenfett in Seife auflöslich ist (4 Theile Seife in wässriger Auflösung lösen bei 30 Grad R, 1 Theil Cholestearine vollkommen auf). Durch diese Auflösung soll sich das Gallenfett chemisch verän- dern und es soll in der Auflösung keine Cholestearine mehr nachgewiesen werden können, Der Verf. empfiehlt demzufolge die Seife zur Heilung der Gallensteinkrankbheit, Derselbe **) hat die Flüssigkeit der Hydrocele in zwei Fällen, im ersten A. bei der gewöhnlichen Hydro- cele, im zweiten B. bei einer in Folge ‚einer sypbiliti= ”) Med. Jahrb, des Oestreich. Staats. Ba. V. $t2, ”) A.0 0, 198 schen Hodenentzündung entstandenen Hydrocele unter- sucht. Die Resultate der Analyse sind folgende: in 10,000 Theilen. A. B. Eiweissstoff . x . » » . 0,4315 0,1580 Speichelstoff. . ... . . 0,0315 0,2230 Cholestearine. . . . » . 0,0203 —_ ölige Materie. . . . . . Spuren . 0,0052 Osmazom . . » » 2... 0,0125 0,0124 Chlornatrium . 2... 0,0626 0,0363 milchsaures Natron . . . 0,0259 0,0139 phosphorsaures Natron . . 0,0183 _ phosphorsaure Magnesia . ». — 0,0073 Wasser . „2.2 202. 93974 » 9,5439. In dem Fall B. war lange Quecksilber gebraucht wor- den. Cholestearine (1 Proc.) ist auch von Brett und Bird*) in der Flüssigkeit derHydrocele gefunden worden. Zwei Beobachtungen von R. Froriep**) bei Pok- kenleichen sprechen für das Vorkommen wahrer Pocken auf inneren Schleimhäuten, namentlich der Bronchien und des ganzen Nahrungscanals, Sedillot”***) hat die Haare aus einem Weichsel- zopf mikroskopisch untersucht. “Sie hatten einen mittle- ren Canal, der gegen das freie Ende des Haars an Breite und Durchsichtigkeit zunahm, von zwei dunkeln Streifen begrenzt war und mehrere zufällige Erweiterungen und Verengungen zeigte. Sein Inneres war zierlich netz- förmig und von einem ausserordentlich zarten Gewebe eingenommen, In diesem Canal soll die färbende Materie eirculiren und wenn sie in grösserer Menge abgesondert wird, sich nach aussen ergiessen. Man sieht dann Tröpf- chen von Feuchtigkeit sich an der Oberfläche der kran- *) London med. gaz. Oct, *) Casper’s Wochenschrift I, 282. Abbildung derselben in den Clinischen Kupfertafeln. Heft IX, **%) Revue medicale. Fevr. 199 ken Haare sammeln. Auch Brierre de Boismont hat nach Marcinkowsky eine gründliche Beschreibung der Plica gegeben *) und manche Angaben, namentlich das Bluten und die Empfindlichkeit der Haare als Fa- beln widerlegt. Er beschreibt mehrere Formen dieser Krankheit, doch enthält seine Abhandlung keine neue Be- lehrung über die Natur derselben. Troxler hat eine Rede über den Cretinismus be- kannt gemacht **), die nicht sowohl den Gegenstand er- gründen, als vielmehr die Aufmerksamkeit seiner Lands- leute auf denselben hinlenken soll. Er unterscheidet vier Formen, je nachdem der Kropf, die Leukophlegma- tie, Taubstummheit oder Blödsinn vorherrscht und zeigt die Verschiedenheit dieser Fehler, wie sie bei den Cre- tinen auftreten, von den gewöhnlich so genannten, Ueber die pathologische Anatomie der Cholera ist eine sehr gute Arbeit von Phoebus erschienen, unter der Fluth von Choleraschriften eine der wenigen, wel- che wirkliche Belehrung darbieten. Der Verfasser hat &1 Sectionen, wie es bei seinem grossen Eifer und sei- ner Genauigkeit nicht anders anzunehmen ist, gründlich angestellt. Da die Resultate dieser Untnrsuchungen be- reits im dritten Heft des Choleraarchivs bekannt gemacht worden sind, müssen wir uns hier auf die Anzeige der grössern Schrift beschränken und bemerken nur, dass der Verfasser in den Noten eine umsichtige Kritik der zu- verlässigeren Sectionsberichte von Andern gegeben hat, Das wesentliche Resultat besteht vorzüglich darin, dass die meisten der von den Schriftstellern angegebenen Ver- änderungen in den Leichen zufällig waren und zum Theil auf Rechnung einer geringen Uebung in patholo- gischen Sectionen kommen, Am constantesten fand der *) Archives gen. Septenibre, **) Deukschriften der schweizerischen Gesellschaft für Naturwis- seuschaften. Bd.J, Abtheil, 2, 200 Verfasser, als der Cholera eigenthümliche Veränderung, Blutüberfluss in den äusseren, wie in den inneren Theilen, in den Arterien wie in den Venen. Das Blut war dick- flüssiger und grumös, indem es kleine senfkorn- bis boh- nengrosse Klumpen enthielt, übrigens immer sehr‘dunkel. Die mikroskopische Untersuchung des Bluts hat der Verf. leider, wie alle Anderen, unterlassen. Häufig fand er kleine Luftblasen im Blute, wie in 13 Leichen. Zu den characteristischen Eigenschaften des Cholerabluts ist der Verf. auch geneigt die Tendenz zu Ecchymosen zu rechnen, Bei künstlichen Injectionen extravasirt die Masse leicht aus kleineren Gefässen. In dem Nervensy- stem fand der Verf. ausser der allgemeinen Injection, wie er sie auch in anderen Theilen sah, keine für die Cholera characteristische Veränderung. Zu den chara- cteristischen Zeichen gehört der Collapsus des Zellge- webes. Sehr interessant und beherzigenswerth sind des Verf. Bemerkungen über die Faserstoffgerinnsel im Her- zen und in den grösseren Gefässen, welche sich als farb- lose Gerinnsel der Fibrine hier, wie in jeder Leiche dann bilden, wenn die Leiche ruhig liegt und wenn die Blutkörperchen noch vor der Gerinnung des Faserstoffs sich senken können. Die Argumentationen des Verf. über seine Beobachtungen scheinen mir in diesem Punkte so conclusiv, dass ich hierbei gern die Gelegenheit ergreife, eine Bemerkung von mir im Handbuch der Physiologie pag. 340 zu berichtigen, wo es heisst, dass, wenn man in einer Leiche weisses Bluteoagulum im Herzen vor- finde, diess in den mehresten Fällen ein Zeichen sey, dass das Gerinnsel entweder im lebenden Körper oder wenigstens noch während der Bewegung des Herzens sich gebildet habe, indem die Bewegung desselben gleich- sam das Schlagen des Bluts ersetze, wobei auch der im Blut aufgelöste Faserstoff weisslich gerinne, ohne wegen der Bewegung die rothen Körperchen mit ein- schliessen zu können, Ich will die Bedingungen dieser 201 Bildung richtiger ausdrücken. Sie sind keine ande- ren als die Senkung der Blutkörperchen vor der Ge- rinnung, gleichwie sich auch nach meinen Beobachtur- gen die Crusta inflammatoria erzeugt. Im Darmcanal spricht sich nicht bloss die allgemeine passive Blutüber- füllung in höherem Grade, sondern auch stellenweise eine unzweideutige active aus, Die active Congestion äussert sich vorzüglich als capilläre Injection der Schleimhaut des Magens und oft auch des Darmcanals. Die Peyer- schen Drüsen fand der Verf. nicht auffallend verändert bis auf einen zuweilen vorkommenden schmalen Injections- kranz. In vier Fällen fand Phoebus im typhösen Nach- stadium Geschwürsbildungen in der Schleimhaut des Dick- darms, “Die Leber zeigte nur die allgemeine Blutüber- füllung; in den Gallenwegen fand der Verf. nie die ge- ringste Abnormität. Estor, Cours d’anatomie m£dicale ou explication de l’anatomie appliqude ä la pathologie et ä la chirurgie. Paris. Craigie, Elements of general and pathological anatomy. Edinb. . Hope, Principles and illustrations of morbid anatomy adapted 10 the elements of Mr. Andral. Vol.1. II, (Enthält Phthisis und Apo- plexia pulmonalis, Emphysema, Fungus medullaris und Melanosis pul- monum, Bronchitis.) Fleischmann, Bildungshemmungen des Menschen und der Thiere. Nürnberg. Ayre, patholog. anatomy of the brain, spinal cord and their membranes, with 13 plates. Estoc Demazy, Fälle zur Geschichte der Krankheiten der Si- nus durae matris, in Gaz. med, de Paris. Roemhild, de melanosi. Diss. inaug. c. tab. II. Halae, (Me- lanose des Herzens.) J. Müller, 202 = Ueber die Veränderungen der Kräfte durchschnittener Neryen und über Muskel- reizbarkeit. Von Dr. Leopold Sticker. I. wiefern zur Erhaltung der Reizbarkeit der Nerven ihre dauernde Communication mit dem Gehirn und Rük- kenmark nothwendig sey, und ob die Muskeln ohne die Communication ihrer.Nerven mit den Centraltheilen des Nervensystems ihre Reizbarkeit zu erhalten vermögen, diese Frage konnte man sich bisher nicht mit Sicherheit beantworten, ja sie ist kaum einigemal berührt worden, In einer Unterredung, die ich über diesen Gegenstand mit Hrn. Prof. Müller hatte, erinnerte mich derselbe an eine Stelle beiNysten*) wo es heisst, dass die Mus- *) P. H. Nysten, recherches de physiologie et de chimie pa- thologiques. Paris 1811. p. 369.: „Chez deux apoplectiques, qui avaient succombe au bout de quelques jours, l’un a la premiere attaque et Vautre ä la seconde, le galvanisme a determine des contractions aussi fortes dans les muscles du cöte sain, que dans ceux du cöt“ paralyse; les iris des deux cötes se sont @galement contractees; elles ont perdu leur sensibilit@, chez l’un au bout de 6heures et chez l!’autre au bout „de 6 heures 30 minutes apres la mort, Cette propriet€ n’a Ei com- pletement andantie dans les organes musculaires des deux sujets qu’en- viron 12 heures apres la mort, et on n’a observ@ aucune difference dans les muscles paralyses. * Ferner p. 377.: „La paralysie, qui semblerait devoir, selon l’opi- 203 keln von kurze Zeit nach einem apoplectischen Anfalle Verstorbenen trotz der Hirnlähmung auf galvanischer Reiz sich zusammenzögen*); er setzte hinzu, wie er je- doch vermuthe, dass die Nerven nur kurz nachher noch ihre Kraft besässen, diese aber nach einem längern Zeit- raume vollkommen untergehe, so dass es scheinen sollte, als kämen den Nerven nur unter dem steten und unver- sehrten Einflusse des Gehirns eigenthümliche- Kräfte zu. Einmal habe er auch bei Versuchen über Wiedererzeu- gung des Nervengewebes an einen Kaninchen die Beob- achtung gemacht, dass der untere Theil des N. ischiadi- cus, den er einige Monate vorher durchschnitten hatte, fast alle Kraft, auf Reize zu reagiren, verloren hatte **), Auf seine Aufforderung suchte ich daher diesen interes- santen Gegenstand durch wiederholte Experimente näher zu erörtern. Um die Regeneration der Neryer zu verhü- ten und das untere Nervenstück sicherer dem Einfluss der Centraltheile des Nervensystems zu entziehen, wurde den Thieren ein ganzes Stück aus dem N. ischiadicus ausge- schnitten, Leider sind mir von mehreren Thieren, die ich auf diese Art vorgerichtet hatte, nur zwei Kaninchen und ein Hund übrig geblieben, die indessen so übereinstim- nion de beauconp de physiologistes, entrainer la perte de contracti- lite, n’altöre plus cette propriete, que l’etat adynamique“ (von dem er p-.376, durch Experimente erweist, dass derselbe gar keinen Ein- fluss habe äuf Verminderung der Irritabilität); „car nous avons vu, ä la suite des apoplexies, les organes contractiles, sans en excepter ceux qui regoivent directement leurs nerfs du cerveau, &tre aussi sen- sibles au galvavisme du cöt€ paralys& que du cöte sain,* *) Eine ähnliche Behauptung, wie die von Nysten, finde ich bei Wilson Philip, Philosoph. Transact. 1833. P, I. p- 62.: In the living animal a nerve cut ofl from direct communication with the brain and spinal marrow but otherwise injured, will as Mr.Brodie has shown, long retain this power, as we should a priori have ex- peeted, It retains its health structure and its communications with other nerves J.M. **) 8, dessen Handbuch der Physiol. I. 383. ” 204 mende Resultate lieferten, dass ich mich über den Ver- lust der übrigen trösten konnte. Was den Erfolg der Operation betrifft, so blieben die Thiere dauernd lahm. Besonders verdient bemerkt zu werden, dass die Kaninchen an dem leidenden Fusse nach einiger Zeit sich nicht nur wund getreten hatten, sondern dass sowohl bei den beiden, die zuletzt noch übrig blieben, als zwei anderen, die mir früher entkommen wa- ren, wirklicher Decubitus an der Ferse entstanden war *). Der Hund verrieth im Stehen kaum, dass etwas mit ihm vorgenommen worden war; sobald er jedoch ging, und besonders wenn ‚er zu laufen oder gar sich zu dre- hen genöthigt wurde, so bemerkte man immer ein geringes Hinken mit dem rechten Hinterbeine, und nicht selten trat er dabei mit dem Rücken der Ze- hen auf. ‘Es hatte allerdings das Ansehen, als habe er noch Gewalt über den genannten Unterschenkel be- sessen; allein da ihm alle Willkühr in dieser Bezie- hung genommen war, wie die unten beschriebenen Versuche erweisen werden, so ist vorläufig die Frage zu: beantworten, wie es zuging, dass der Hund gleich- - wohl mit den Zehen aufzutreten vermochte. ; Die Ausstreckmuskeln des Unterschenkels liegen an der vordern Seite des Oberschenkels und werden von anderen Bewegungsnerven, die nicht durchschnitten waren, versorgt (vomN. cruralis); bei der Extension des Unterschenkels wurden nun die Gastrocnemii vermöge ihres Ursprunges von den Condylen des Oberschenkels mit angespannt,und so war es wohl natürlich, dass, obgleich jene Muskeln dem Einflusse des Willens vollkommen entzogen waren, — in- dem sie allein von dem ischiadischen Nerven aus ver- sehen werden, — die Ferse gehoben und das Aufstützen auf den vordern Theil des Fusses vermittelt wurde **), *) Vergl. Handbuch der Physiol. von J. Müller. I. 355. **) Vergl. Ebendas. p. 381. 382. 205 Um mich von der Richtigkeit dieser Ansicht noch mehr zu überzeugen, tödtete ich — in Gegenwart. des Herrn Koerber, Repetitors an der Thierarzneischule, dem ich für seine vielfache Gefälligkeit gegen mich hiermit schul- digen Dank sage — einen zweiten Hund, und konnte nun nach vorheriger Blosslegung der betreffenden Mus- keln und vor dem Eintritte des Rigor mortis deutlich bemerken, wie bei der Ausstreckung des Unterschenkels sofort auch die Gastrocnemii gespannt und dadurch der Fuss ausgestreckt wurde; dagegen bei der Beugung des Unterschenkels mit dem Nachlass der Spannung der Ga- stroenemii auch der Fuss alle Renitenz wieder verlor. Dasselbe Resultat lieferten ähnliche Versuche, die mit jenem Hunde, an dem der Nerve durchschnitten: war, noch während des Lebens angestellt wurden; nur unter- blieb da die Blosslegung der Muskeln. So konnte nun freilich dieser Hund mit Hülfe der Oberschenkelmuskeln die Ferse heben und sich auf die Zehen stellen; nicht eben so hatte er es jedoch auf diesem mittelbaren Wege in seiner Gewalt, die Zehen selbst zu gebrauchen, weil kein Zehenmuskel vom Oberschenkel entspringt, wor- aus es auch klar wird, warum der Hund bald mit der Plantar-, bald mit der Dorsalfläche der Zehen beim Ge- hen den Boden berührte. Gleich, so wie auch kurz nach der Durchschnei- dung hinkten die Thiere am meisten, und schienen auch diejenigen Muskeln nicht frei zu gebrauchen, deren Ner- ven unverletzt waren; erwägt man aber den Schmerz und die nachfolgende Entzündung, welche durch die Ver- wundung verursacht wurden, so darf diess nicht Wun- der nehmen. Sie gewannen auch in demselben Maasse, als diese schwanden, bald den vollen Gebrauch jener Muskeln wieder *). *) Vrgl. Handb. d. Anatomie v, B.H. Weber. 1.295. — J. Swan, über die Behandlung der Localkrankheiten der Nerven, übersetzt von D. F. Francke. Leipzig, 1824. p- 161. 206 Ich gehe nun zu der Beschreibung der Experimente selbst über. An dem Hunde und einem Kaninchen wur- den sie in Gegenwart des Hrn. Prof. Müller, oder viel- mehr von ihm selbst angestellt, indem ich bloss assistirte; den dritten Versuch mit dem zweiten Kaninchen machte ich selbst unter Beihülfe des Dr, Rügenberg und sei- nes Bruders. Zwei Monate und 3 Wochen nach der Durchschneidung des N. ischiadicus geschah der Versuch an dem ersten Ka- ninchen. Sobald der Nerve in seinem Verlaufe zwischen dem M. biceps und semitendinosus blossgelegt war, zeigte sich wider Erwarten und zu meinem grossen Leidwesen, dass die Continuität des Nerven sich wieder hergestellt hatte; denn wie wollte man nun mit Gewissheit ent- scheiden, wenn anders der Nerve, nachdem er wieder in Verbindung mit dem Gehirn getreten war, seine frü- here Kraft noch besass, ob er dieselbe bloss aus diesem Grunde behalten habe, oder überhaupt gar nicht verlo- ren haben würde; allein da alle seine motorische Kraft, wie wir gleich sehen werden, unterhalb der vernarbten Stelle gänzlich erstorben war, so konnte es für die Un- tersuchung ganz gleichgültig seyn, ob Verwachsung ein- getreten war, oder nicht. Der Nerye wurde sofort von neuem unterhalb der Narbe durchschnitten (wobei, was merkwürdig ist, zwar nicht die mindesten Zuckungen wahrgenommen wurden, das Thier aber laut aufschrie) und der untere Theil des- selben durch Galvanismus in der Form eines einfachen Plat- tenpares, dann auch durch Einschneiden und gewaltsame Zerrung auf die verschiedenartigste Weise gereizt; allein "es trat keine Spur von Zuckung ein. Dabei musste nun natürlich der lebhafte Wunsch rege werden, zu erfahren, wie sich jetzt die Muskeln, z. B. die Gastrocnemii und Peronaei, die ihre Bewegungsnerven allein vom Nerv. ischiadicus aus erhalten, bei der Application jener Reize auf sie selbst verhalten würden; denn noch immer 207 ist die Frage über das Wesen der Muskelreizbarkeit unentschieden, noch immer fragt es sich, ob die Muskeln durch sich selbst Irritabilität besitzen, so dass die be- wegende Kraft der Nerven nur eine von jenen Ursachen ist, welche die Lebenseigenschaft derselben zu erregen pflegen, oder ob sie vielmehr nur mittelbar durch die Nerven Contractilität zu äussern im Stande sind, so dass alle übrigen Reize zuerst immer auf die Nerven wirken, und erst durch Erregung der motorischen Kraft dieser in den Muskeln Zusammenziehung hervorgebracht wird. . Da nun aber bei diesem Kaninchen die Bewegungsnerven gewisser bestimmter Muskeln ihre Kraft völlig eingebüsst hatten, so konnte man wohl nicht besser, als eben hier, darüber belehrt werden, ob die Muskeln überhaupt, auch unabhängig von den Nerven, ihr eigenthümliches Leben zu äussern vermögen. Es wurden desshalb dieselben Reize der Reihe nach auf die Muskeln selbst angewandt, allein nicht die leise- sten Zuckungen beobachtet. Vergleichungsweise wur- den darauf die Versuche auf der andern Seite wie- derholt. Bei der Durchschneidung des Nerven äusserte das Thier den lebhaftesten Schmerz und es entstanden sehr heftige Zuckungen, und nach der Durchschneidung erregten selbst ganz gelinde Irritationen, sey es, dass sie auf den Nerven allein — es ist hier immer der untere Theil des durchschnittenen Nerven gemeint — oder bloss auf die Muskeln angewandt wurden, die kräftigsten ‘ Zuckungen, und selbst nach dem Tode boten sich die- selben Erscheinungen noch dar. Bei dem Hunde waren zweiMonate und vierzehn Tage nach der Durchschneidung des Nerven verflossen; auch hier hatten sich die Enden wieder verbunden. Die Unter- suchung geschah ganz auf dieselbe Weise, wie bei dem Kaninchen, und ergab auch für den Nerven ganz das- selbe Resultat, d, i. alle Reactionsfähigkeit desselben war erloschen; indessen zeigten die Muskeln immer noch eine 208 leise Spur von Zusammenziehung, wenn man die Reize auf sie selbst applieirte; allein gleich nach dem Tode war auch diese völlig verschwunden, während in dem Unterschenkel der andern Seite noch die kräftigsten Zuckungen hervorgerufen werden konnten. Fünf Wochen nach Durchschneidung des rer wurde das zweite Kaninchen vorgenommen und nach ei- nem so kurzen Zeitraume musste ich auf diese Untersu- chung sehr gespannt seyn. Hier fehlte die Zwischensub- stanz zwischen den Enden des durchschnittenen Nerven; beide waren etwas angeschwollen und hingen mit dem anliegenden Zellgewebe zusammen. Es war jedoch hier ein Stück von etwa acht Linien ausgeschnitten wor- den, während bei den andern dasselbe nur ungefähr vier Linien betragen hatte. Auf keine Weise, weder auf me- chanische, noch chemische — durch Kali causticum — noch auch durch Galvanismus war es möglich, durch die Nerven Zusammenziehung der Muskeln zu erzeugen; eben so wenig gelang es, bei diesem sonst sehr lebenskräfti- gen Kaninchen, auch durch directe Insultation der Mus- keln Zuckungen hervorzubringen. Auf der linken Seite ergaben sich, wie dies natürlich, sowohl vor als nach dem Tode die schon oben angeführten Erscheinungen. Hierher gehören noch die Versuche, welche Hr. Prof. Müller über Wiedererzeugung der Nervensubstanz an- gestellt hat, da sie auch in Bezug auf unsern Gegenstand interessant sind*). Er hatte nämlich zweien Kaninchen den N, ischiadicus einfach durchschnitten und fand nun, als er bei dem einen ungefähr drei Monate, bei dem andern ei- nen Monat zwanzig Tage nachher das peripherische Ende reizte, dass die Muskeln zuckten. Diess erregt jelzt die Vermuthung, dass hier wirklich eine Wiedererzeugung des Nervengewebes Statt gehabt habe, indem der Nerye bloss *) Handbuch der Physiologie. I. 382, 383. 209 einfach durchschnitten, nicht aber zugleich ein Stückchen herausgeschnitten worden war. “> Bei einem dritten Kaninchen aber, dem der Nerve ein halbes Jahr vorher durchschnitten worden, zeigten sich ‘wider Vermuthen, auf Anwendung des Galvanismus unterhalb der Narbe, nur sehr schwache Zuckungen in den Unterschenkelmuskeln. Bei dieser Gelegenheit macht Hr. Prof. Müller schon darauf aufmerksam, dass man vielleicht ein zu grosses Gewicht bisher auf jene Stelle Nysten’s gelegt habe. Da dieser die Muskeln bei apo- plectisch Gestorbenen noch contractil fand, so schloss man daraus, dass die Nerven auch unabhängig vom Ge- hirn ihre Kraft behielten; Nysten selbst dagegen suchte gerade die Haller’sche Irritabilität daher zu beweisen. * Kürzlich bleibt noch im Uebrigen die Beschaffenheit des ganzen Schenkels anzugeben, sp wie auch des un- tern Theiles des durchschnittenen Nerven und der ent- standenen Narbe, Ausser dem, was früher schon erwähnt wurde, war nichts Widernatürliches an der betreffenden Extremität wahrzunehmen; kaum liesse«sich behaupten, dass sie einigermassen abgemagert gewesen. Auch konnte man an dem peripherischen "Theile des durchschnittenen Nerven, wenn man ihn mit dem der andern Seite ver- glich, weder mit blossen noch mit bewaffneten Augen eine Abweichung entdecken; es war nur etwas schwie- riger, die Primitivfasern desselben zur genaueren Unter- suchung unter dem Mikroskope aus einander zu legen. Die Narbe endlich, von ungefähr vier Linien Länge, war drei bis viermal dicker, als der Nerve selbst, und schien aus einem. harten, festen, knorpelähnlichen Zellstoffe zu bestehen, der nicht die mindeste Aehnlichkeit mit+dem eigenthümlichen Gewebe eines Nerven hatte. Nysten’s Behauptung also, die Muskeln reagirten un- geachtet der Paralyse, und trotz der aufgehobenen Ge- meinschaft ihrer Nerven mit dem Gehirn, dennoch auf Galvanismus, hat durchaus keine allgemeine Gültigkeit, Müller’s Archiv. 1834, 14 210 mag man nun die Muskeln, oder mag man die Nerven allein berücksichtigen; denn wenn schon Hr, Professor Müller diese Beobachtung noch nicht für hinlänglich untersucht hielt *) und dieselbe noch immer nicht#so aus- gemacht war, dass sich kein Zweifel dagegen erheben liesse; so geht sogar aus den oben beschriebenen Ver- suchen hervor: 1) dass die Nerven, sobald man ihre enge Gemeinschaft mit dem Gehirn aufhebt, früh oder spät ihre früheren Kräfte gänzlich verlieren, die eigenthüm- lichen Lebenskräfte, welche sie unter dem Einflusse des Gehirns besitzen; 2) dass ınit dem Absterben der mo- torischen Nerven auch die Eigenschaft der Muskeln un- tergehe, auf jede Art von Reizen sich zusammenzuziehen. Worin der Grund zu suchen sey, dass in unseren drei Fällen der Nerve seine motorische Kraft gänzlich verloren hatte, während dieselbe in zwei von Herrn Prof. Müller bekannt gemachten Fällen, nachdem doch eine gleich lange Zeit nach der Durchschneidung ver- gangen war, noch unversehrt geblieben, ja sogar in dem dritten Falle selbst sechs Monate nachher noch einiger- massen sich erhalten hatte: darüber lässt sich leichter eine Vermuthung, als Erklärung angeben. Da die Ner- ven nämlich nur einfach durchschnitten waren, mithin keine unförmliche, dicke Narbe erzeugen konnten, so war schon eher eine Möglichkeit vorhanden, dass sie, wenn auch nicht ganz, doch sofort einigermassen dem Einflusse des Gehirns ausgesetzt blieben**), Es wird übrigens nicht wundern, dass gleich nach der Durch- schneidung der untere Theil des Nerven trotz der auf- gehobenen Verbindung mit dem Gehirn noch reizbar bleibt, wenn man anders bedenken will,- dass jeder or- ganische Theil selbst nach dem Tode hoc kurze Zeit mehr oder weniger Lebensäusserung zeigt. *) Handbuch der Physiologie, I. 383. **) Vergl. E,H. Weber’s Anatomie. I. 292, 211 Welche Veränderung endlich mit der'sensibeln Kraft ‚des Nerven vorgegangen war, und auf welche Weise jene auf sie sich beziehenden, oben schon berührten Er- scheinungen sich erklären lassen *), ist mir aus den Ver- suchen nicht eben so klar geworden. Ob, was noch am wahrscheinlichsten ist, der obere Theil des Nerven beim Durchschneiden durch den untergeschobenen Schen- " kel der Schere zu sehr gespannt und gezerrt und da- durch das Schreien des Thiers veranlasst wurde, oder, “was minder annehmbar ist, irgend ein früher noch un- durchschnittener Zweig jetzt erst getrennt wurde, muss dahin gestellt bleiben. Man sollte freilich glauben (und diess scheint allerdings auch wohl am nächsten zu lie- gen), die Narbe sey leitungsfähig gewesen, und dadurch die Empfindung des Schmerzes bei der Verletzung zum Bewusstseyn gekommen; allein will man diess annehmen, so ist man auch zu der Annahme genöthigt, dass der Nerve nur bis zur Zeit der Vernarbung dem Einflusse des Gehirns entzogen blieb, und schon innerhalb dieser Frist seine motorische Kraft verlor, wobei zu verwun- dern wäre, dass die eine Kraft zu Grunde ging, die an- dere sich erhielt; jedoch dieser Meinung kann man auch schon nicht beitreten, wenn man bedenkt, dass jene ver- narbte Stelle auch nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit der eigenthümlichen Structur eines Nerven zeigte. Es gehört nicht hierher, die Meinungen der Ge- lehrten über die besondere Natur einer solchen Narbe anzuführen und zu untersuchen, ob überhaupt Nerven- substanz wiedererzeugt werden könne oder nichtz für unsern Gegenstand ist diese Frage ziemlich gleiehgül- tig; die Nerven waren mit Substanzverlust durchsehnit- ten, und es ist für unsern Fall genug zu wissen, dass das untere Ende des durchsthnittenen Nerven hier voll- kommen seine Kraft verloren hatte, *) Vergl. Ebendas. p.294. — J. Müller, Handb. d, Physiol. I. 380. 14 * 212 Wenden wir uns nun zu dem zweiten Punkte, zu der Untersuchung der Irritabilität der Muskeln, indem wir die Hauptbeweisgründe, welche für uud gegen ihre Unabhängigkeit vom Nerven erhoben worden sind, näher gegen einander abwägen*). Die Gründe, welche beson- ders für Haller’s Ansicht von der Muskelreizbarkeit zu * sprechen scheinen (dass nämlich die Muskeln für sich ohne Vermittelung durch die Nerven Contractilität zei- gen, und die Nerven nicht anders, als auch jede äussere mechanische, chemische oder electrische Potenz, auf die: Muskeln wirken sollen), sind hauptsächlich folgende: 1) Das Herz ziehe sich nicht zusammen bei jeder Art von Reizung seiner Nerven, wohl aber, wenn es selbst gereizt werde **), A. v. Humboldt versichert aber, dass er mit seinem Bruder an Säugethieren (einem Fuchse und zwei Kaninchen) die Herznerven mit Zink und Silber armirt, dass bei jedem Contact der Metalle der Rhythmus des Herzens sich verändert und sowohl die Zahl, als die Stärke der einzelnen Schläge zuge- -nommen habe ***), An derselben Stelle verwahrt sich A. v. Humboldt sehr bestimmt gegen den möglichen Einwurf, dass bei diesen Versuchen leicht irgend ‚ein Versehen habe Statt finden können, und führt die Gründe an, warum dieses einfache Experiment den Meisten we- niger gelungen sey +). Burdach sah den Herzschlag wieder häufiger werden, als er die Pars cervicalis oder das Ganglion cervicale infimum des N. sympathicus eines getödteten Kaninchens galvanisirte +F). Solche Versuche jedoch über motorische Nervenkraft können nur dann beweisend seyn, wenn der Galvanismus, und zwar nur *) G.R. Treviranus, Biologie. V. 285. 286. — F, Tiede- mann, Physiol. I. 546, r *) G. R, Treviranus, Biologie. IV. 269., V. 291. 292. #*%) Versuche über die gereizte Muskel- und Neryenfaser. I. 342. -F) Ebendas. 342. 343. +) Physiologie. IV. 464. 213 sehr schwach, auf die Nerven allein in Anwendung ge- setzt wird; Adi bringt man einestheils den einen Pol auf den Muskel, den andern auf den Nerven an, so kann der Nerve sale wie ein feuchter Leiter wirken; andern- theils wird eine zu heftige galvanische Action, ie über- haupt durch feuchte Leiter von jeder Stelle aus, so auch durch die Nerven, den Muskeln selbst bloss zugeleitet *). Burdach’s Versuche, wo er durch Betupfen des Nerv, sympathicus mit Kali oder Ammonium causticum diesel- ben Erscheinungen, wie mittelst des Galvanismus, her- vorbrachte, sind daher nach Hrn, Prof. Müller um so wichtiger, besonders auch darum, da bei einem todten Kaninchen kein Schmerz mehr verursacht werden könne, der sonst den Herzschlag gewöhnlich sehr verändere. Dieser Versuch wollte jedoch dem Herrn Prof. Müller nicht so gelingen **). 2) Es ist vielfach beobachtet worden, dass die pe- ristaltischen Bewegungen der Gedärme (worauf eben der grosse Haller hauptsächlich seine Ansicht von der Irritabilität der Muskeln stützte), fernef der Herzschlag, kurz die Bewegungen der unwillkührlichen Muskeln eben so, wie die der willkührlichen durch das galvanische Agens sowohl erregt, als vermehrt werden können ***), Müller verstärkte durch Anwendung einer aus 69 Plat- tenparen bestehenden galvanischen Säule auf den Nerv. splanchnicus eines Kaninchens die peristaltischen Darm- bewegungen, und rief sie, wenn sie erschöpft waren, wieder heryorf). Wutzer sah bei der directen Anwen- dung einer galvanischen Säule auf das zweite Ganglion lumbale fast alle unteren Baucheingeweide, ja selbst den *) Handbuch der Physiol. I. 181. *") Ebendas. **) Rich.Fowler, Experiments on animal electricity. 1794, — Pfaff, über die thierische Electricität u. Reizbarkeit. — A. v, Hjum- *boldt,a.a0,1.33 u. ff. +) Froriep’s Notizen, Nr, 617. 214 Schenkel der entsprechenden Seite in eine zitternde, krampfhafte Bewegung gerathen *), ‘ Beide. Versuche aber trifft mit Recht der Vorwurf, dass der galvanische Reiz zu stark war, und aus diesem Grunde durch die Nerven übergeleitet wurde, was schon daraus hervor- geht, dass bei dem Versuche von Wutzer selbst die Schenkelmuskeln erzitterten. 3) Herr Professor Müller hat noch die Beobach- tung gemacht, dass die meisten chemischen Substanzen durch die Nerven keine Zuckungen erregen, wohl aber, wenn sie auf dieMuskeln selbst angewendet werden. So z. B. erregten die mineralischen Säuren, Metallsalze und der Weingeist keine Zuckungen, wenn man sie auf frisch vom Gehirn oder Rückenmark getrennte Nerven appli- eirte; wohl aber entstanden öfters Zuckungen (bei Säu- gethieren) bei deren Application auf die Muskeln selbst; gleichwohl hat A. v: Humboldt durch Alcohol, salz- saure Schwererde, oxygenirte Salzsäure, Arsenikoxyd, Brechweinstein etc. bei ihrer Anwendung auf die Nerven eine zitternde Bewegung in den Muskeln hervorge- bracht **), und Hr. Professor Müller vermuthet sehr, dass diese Substanzen vielleicht nicht schnell genug durch das Neurilem grösserer Nerven wirken, während sie auf die feinsten Nervenfasern durch die Muskeln selbst sogleich eindringen. Auflösbare Stoffe, welche durch die Nerven Zuckungen bewirken, sind sehr wenige; diess thut im hohen Grade das Kali. 4) Endlich die Contractilität der Pflanzen, wich doch keine Nerven besitzen ***), Da diese Gründe nun theils widerlegt sind, theils aber noch nichts Bestimmtes beweisen: so will ich jetzt noch *) Wutzer, de corp. hum. gangliorum fabrica atque usu. nalen rolin. 1817, p, 127. *) A. v. Humboldt, a, a. ©. II. 340. 388. 395. 427. 429. *#) A. v. Humboldt, ebendas. — Treviranus, Biologie. u *" — Tiedemann, Physiol. I. — J. Müller, Physiol, I, { 215 solche anführen, welche das Gegentheil :darthun und ge- gen Haller und seine Anhänger zeigen sollen, dass die Muskeln zwar durch sich allein Contractilität besitzen, allein der einzige Reiz dazu. die motorische Kraft der Nerven sey, und alle übrigen Reize zuerst immer nur auf diese wirken *). 4) A. vv. Humboldt präparirte und schnitt die Ner- ven muskulöser Theile bis in die feinsten Zweige heraus (diess sey sehr leicht, sagt er, an den oberen Theilen von Froschschenkeln oder an den Flossen der Fische), und diese hatten aufgehört, vom Metallreize affieirt zu werden; daher hält er die Erscheinung, dass die: al- leinige galvanische Armatur der Muskeln schon wirksam ist, nur für ein Phänomen der Zuleitung, oder für eine durch Zuleitung entstandene Nervenarmatur **). 2) Ferner heben sehr heftige electrische Schläge, die entweder die Muskeln oder die Nerven allein treffen, sehr schnell die ‚Contractionsfähigkeit der Muskeln auf äussere Reize auf***). Die Wirkungen der Gifte auf Nerven und Muskeln übergehe ich, weil die Beobach- tungen darüber zu wenig constant sind. 3) Ein wichtiger Gegengrund geht nach Hrn. Prof. Müller aus der Verschiedenheit der motorischen und sensitiven Nerven hervor. So mag man den ‘N. infraorbi- talis reizen wie man will, immer wird er nur Schmerz, nie aber Zuckungen erregen. Sowvohl der N. lingualis als der hypoglossus, beide verbreiten sich in der Zunge, allein nur der Hypoglossus ist fähig, wenn er, gereizt wird, Contractionen zu erregen }). Man sieht daher, dass nicht blosser Nerveneinfluss, sondern auch eben eine besondere Nervenkraft für die Contraction der Muskeln *) Tiedemann, Physiol, I. 547. 549. 551.552. — E. H, We- ber, Anatomie, I, 402. ”)A,a 0,1. 104, 105. 236. *") Tiedemänn, Physiol. I, 551. T) Froriep’s Notizen. Nr, 647. 216 nothwendig ist; doch ist zu bedenken, dass die Ver- schiedenheit der Bewegungs- und Empfindungsnerven auch vielleicht in einer verschiedenen Richtung der Wir- kung der Nervenkraft ihren Grund habe, nicht aber in einer verschiedenen Qualität derselben. 4) Ausserdem beobachtete Hr. Prof. Müller ein- mal an einem Frosche, dass die Muskeln alle Contra- etionsfähigkeit für äussere Reize verloren, als er die motorische Kraft ihrer Nerven durch .heftige Zerrung und Spannung zerstörte; jedoch war diese Beobachtung bei Wiederholung des Versuches nicht beständig. - 5) Hieran erlaube ich mir, zum Schlusse noch das Resultat der oben beschriebenen Versuche zu reihen; ob sie, überhaupt von Werth sind und dazu beitragen können, jene Controverse zu entscheiden, muss ich frem- dem Urtheile überlassen. Gewiss aber war es in zwei Fällen ganz constant, dass mit dem völligen Verluste der Kraft des N. ischiadicus auch die entsprechenden Muskeln aufgehört hatten, auf äussere Reize sich zusam- menzuziehen. Da bei dem Hunde zwar durch die Ner- ven auf keine Weise mehr Zuckungen erregt werden konnten, die Muskeln selbst aber, wenn sie gereizt wur- den, noch einen geringen Grad von Contractilität offen- barten, so weiss ich keine andere Erklärung dafür, als dass die peripherischen Verzweigungen des Nerven noch nicht völlig erstorben waren, und aus diesem Grunde _ die von ihnen durchwebten Muskeln noch einige Re- action zu zeigen. vermochten; nur einige Reaction sage ich, und wie ich glaube, mit allem Rechte; denn sie war während des Lebens schon sehr schwach und gleich nach dem Tode gänzlich verschwunden. So kann ich denn nur denen beistimmen, welche zyyar nicht läugnen, dass den Muskeln eine eigenthüm- liche Kraft zukomme, aber die motorischen Nerven für die einzigen Excitatoren dieser Kraft halten. Abgesehen endlich von der Wichtigkeit jener Re- 7 Mani 217 sultate für die Nervenphysiologie überhaupt, so schei- nen sie auch für die Theorie der Lähmungen nicht ohne alles Interesse zu seyn, indem sie uns die Natur man- cher Lähmung näher aufklären und so selbst zu einer richtigeren «Eintheilung derselben einen Beitrag liefern können. So theilte man bisher die Lähmungen der Be- wegung vorzüglich in zwei Arten, in solche, wo der Einfluss des Willens gehemmt oder aufgehoben war, und solche, wo die Willkühr zwar anfangs ungestört fortdau- erte, aber die Kraft fehlte, wie in der Tabes dorsalis. Man wird aber leicht einsehen, dass der Grund der ersten Art von-Lähmung nur anfangs bloss in dem Mangel des Einflusses des Willens liegen könne, und früh oder spät auch die Kraft schwinden werde, so dass bald immer Kraft- , mangel in beiden Arten das Gemeinschaftliche ist, und sie sich nur darin noch von einander unterscheiden, dass der Einfluss des Willens bei der einen Species anfangs fort- währt, bei der andern von Anfang an fehlt *). *) Die gegenwärtigen Versuche erweisen jedenfalls, dass die Kräfte der Nerven, die Muskeln zu Bewegungen zu veranlassen, so wie die» Reizbarkeit der Muskeln selbst, nach gänzlicher Aufhebung der Com- munication der Nerven mit den Centraltheilen allmählig verloren gehen. Sie würden indess ein noch entscheidenderes Resultat geliefert haben, wenn man zur Prüfung der Reizbarkeit der Nerven und Muskeln nicht bloss ein einfaches Plattenpar, sondern eine kleine galvanische Säule angewandt hätte, Nur dadurch hätte sich mit Bestimmtheit unterschei- den lassen, ob alle Kraft in den Muskeln in zweien der Fälle erlo- schen war. Indessen beweisen die Versuche schon deutlich genug, dass die Reizbarkeit der genannten Theile sich nach unterbrochener Communication der Nerven mit den Centraltheilen nicht erhält. Man kann aus diesen Versuchen auch schliessen, dass, wenn nach Durch- schneidung eines Nerven sich hierauf wieder die Reizbarkeit des un- tern Nervenstücks und der Muskeln hergestellt hat, der Nerve auch mit Herstellung der Leitungskraft in der Narbe vollkommen verheilt war, und dass, wenn die Reizbarkeit sich nicht erhält, auch keine vollkom- mene Verheilung und Reproduction des Nerven Statt gefunden ha- ben kann. J,. M, 218 Beschreibung einiger neuen Muskeln Kehlkopfe eines langarmigen Affen _(Hylobates albifrons). Von Professor Dr. Eschricht in Copenhagen. (Hierzu Tafel II.) Therer den ungemeinen Eifer und die Dienstfertigkeit meines Freundes und vormaligen Schülers, Herrn van Deen, erhielt ich auf der Auction in Amsterdam nach dem verstorbenen Professor van derBoonMesch un- ter anderen einen langarmigen Affen in Weingeist, der als Hylobates albifrons bezeichnet war, und an welchem die Unterleibseingeweide leider schon herausgenommen waren. Indem ich den Kehlkopf daran untersuchte, der bei so vielen Affen so viel Eigenthümliches an sich hat, fand ich zwar dessen Form sehr wenig abweichend von der des menschlichen. Es fiel aber gleich auf, wie stark der ganze Schildknorpel von Muskeln bedeckt war, wess- halb ich diese einer genauern Untersuchung unterwarf. Vorhanden und mit denen des Menschen überein- stimmend waren: die Arytaenoidei, Cricoarytaenoidei postici und laterales, so wie auch die Thyreoarytaenoidei. Anders verhielt es sich mit den Cricothyreoideis. Vom vordern Winkel des Ringknorpels steigt an jeder Seite erstlich ein sehr schöner, fächerförmiger Muskel (1. Fig. 2. und 3.) über den grössten Theil der äussern Fläche des 219 Schildknorpels, und setzt sich an diese mit einem stark convexen obern Rande an. Es muss dieser Muskel nicht allein weit kräftiger, sondern auch ganz anders wirken, als der Cricothyreoideus beim Menschen; er muss näm- lich den obern Theil des Schildknorpels hauptsächlich herabziehen. Wir wollen ihn den Cricothyreoideus su- Pperior nennen, ; An der äussern Seite und unterhalb dieses Muskel- paars liegt vorne zwischen dem Ring- und dem Schild- knorpel eine Muskelpartie, die ich anfangs für den ei- gentlichen Crycothyreoideus des Menschen hielt. Indem aber mein Freund Hr. Bataillonschirurg Stein, der durch seine Tabulae anatomicae als Anatom und Zeichner satt- sam bekannt ist, dieses Präparat zum Abzeichnen vor sich hatte, entdeckte er, dass diese Muskelpartie in der That wieder aus zwei eigenen, durchaus getrennten Mus- keln bestehe. Der eine von diesen (2. Fig. 2. u.3.) sitzt an dem Ringknorpel gar nicht an, sondern hildet, als ein unpaarer Muskel, einen abwärts gerichteten Bogen um die mittlere Spitze des untern Schildknorpelrandes herum, indem er von dem einen Tuberculum dieses Ran- des zum andern sich erstreckt. Dieses Tuberculum liegt abenghier (a. Fig.1.) an der Mitte jedes seitlichen Bo- ‚ gens dieses untern Randes. Die Zusammenziehung die- ses Muskels, den wir den Thyreoideus transversus oder impar nennen können, muss diese beiden Tuberkeln stark an einander ziehen, wodurch die Weite der Schildknorpel- höhle nach unten bedeutend verengert wird, und zugleich den ganzen Schildknorpel etwas rückwärts wälzen. Der andere dieser Muskeln (3. Fig. 2. und 3,) ist wieder paarig und liegt grösstentheils mehr nach aussen, Nur sein innerer, am vordern Theil der äussern Ring- konorpelfläche ansitzender Theil, ist von jenem unpaaren Muskel bedeckt. Von hier aus geht er fast ganz quer, wenig aufyyärts, nach aussen, um sich an dem äussersten Theile des untern Schildknorpelrandes, ausserhalb jenes 220 Tuberkels anzusetzen. WVir nennen diese zwei'Muskeln, die den untern hintern Theil des Schildknorpels kräftig nach vorne ziehen müssen, die Cricothyreoidei inferiores, Wie abweichend auch diese Anordnung angesehen werden muss, sie ist vielleicht doch nur als eine höhere Entwickelung der Cricothyreoidei beim Menschen zu be- trachten. Ganz eigen ist aber ein anderes Muskelpaar an demselben Kehlkopf. Nicht allein die äussere Fiäche des Schildknorpels nämlich ist beim Hylobates von den obern Ringschildknorpelmuskeln grösstentheils bedeckt, auch des- sen innere Fläche hat ein ähnliches Muskelpaar. Es besteht dieses (3. Fig. 4.) jedezseits aus einem verhältnissmässig grossen, sehr flachen, fächerförmigen Muskel, der von dem vordersten Theile der innern Fläche des Ringknorpels nach aussen und oben an der innern. Schildknorpelfläche aus- strahlt, um sich fast an deren ganzem hinteren Rande an- zusetzen. Diese Cricothyreoidei interni, denn so werden diese zwei paarigenMuskeln wohl am bequemsten benannt, müssen den ganzen Schildknorpel kräftig nach vorne und abwärts ziehen können, zugleich auch dessen Höhle ver- engern. Ausserdem fanden sich in der Insertionsstelle der übrigen Muskeln des Kehlkopfes mehrere weniger wesent- liche Abweichüngen. Der Sternothyreoideus und der Hyothyreoideus sassen nicht an einer Linea obliqua als ge- genseitige Fortsetzungen an einander von,sondern der erste (a. Fig.2,und 3.) stieg bis an den obern Theil der vor- dern Schildknorpelfläche, der zweite (2. Fig. 2. und 3.) fing von dem untersten Theile derselben an. Der Thyreo- pharyngeus (c. Fig. 2. und 3.) entsprang ganz unten an der Insertionsstelle des Hyothyreoideus. Es ist also offenbar, dass der Hylobates eine weit grössere Beweglichkeit der Knorpel des Kehlkopfs be- sitze, als der Mensch. Haben wir darin nur einen Aus- druck ihrer allgemeinen grössern Reizbarkeit zu suchen? Aber warum zeigt sich dieser gerade vorzugsweise an 221 dem sogenannten Stimmorgan? Wir können ohne Zwei- fel hieraus einen Beleg ziehen zu dem Satze, dass der ursprüngliche Zweck des Kehlkopfmechanismus nicht auf die Tonbildung, sondern auf die Respiration Bezug hat. Dass ferner der Mensch die Tonbildung und die Sprache erlernt hat, ohne von der Natur dazu mit einem eigenen Organe versehen zu seyn, wussten wir lange. Dass er sie aber erlernt hat, obgleich mit einem weniger ausge- bildeten Organe dazu begabt zu seyn, als die ‘zunächst stehenden Thiere, möchte vielleicht eine neue Erweite- rung dieses Satzes werden können. “ Die hierzu gehörigen Zeichnungen sind vom bereits erwähnten Freunde, Hrn, Stein, in natürlicher Grösse ausgeführt, Das Präparat findet sich in meiner Samm- lung vor. Erklärung der Abbildungen. ai Tab. II. Fig.1, Zungenbein, Schild- und Ringknorpel mit dem ober- sten Theil der Luftröhre von Hylobates albifrons, in natürlicher Grösse. a. Tubereulum des untern Schildknorpelrandes. Fig. 2. 3. . 1. M. cricothyreoideus ant. s. sup. 2. M. thyreoideus transversus, 3. M. cricothyreoideus inferior. a. M. sternothyreodeus. b. M. hyothyreoidens, ce. M. thyreopharyngeus. Fig, 4. 1. M, arytaenoideus transversus, 2. M, ericoarytaenoideus posticus. 3. M. ericothyreoideus internus. 4. M. ericothyreoideus inferior. 5. Cartilago arytaenoidea, r 6. Ligamentum ary-epiglotticum. 7. Epigloutis. Zwei Beobachtungen von Darmincarceration durch Diverticulum ilei 'hervor- gebracht. Von Professor Dr. Eschricht in Copenhagen. E., starb am 14. August 1830. in dem allgemeinen Kran- kenhause zu Copenhagen eine ältliche Frau, nachdem sie acht Tage an Ileus gelitten hatte. Die Veranlassung zur Krankheit war vor dem Tode nicht zu entdecken gewesen, und die gewöhnlichen Antiphlogistica und An- tispasmodica waren vergeblich angewendet worden, Bei der Eröffnung der Leiche am folgenden Tage fiel der brandige Zustand der kleinern Hälfte des Dünn- darms gleich in die Augen. Drei Hauptschlingen, durch- aus brandig und aufgebläht, zeigten sich an ihrer Basis äusserst eng umschnürt, theils von einem selbst brandi- gen aber engern und gekröslosen Darm, theils von einem sehr dünnen Strange, in den dieser verlief. Obgleich dieser gekröslose Darm nicht leicht etwas anders als ein Divertikel seyn konnte, so war dieses bei der Lage der Theile schwer zu erweisen, indem die eigentliche Fort- setzung des Krummdarms an der Ursprungsstelle des Divertikels, durchaus brandig und ungemein verengt, zweimal vom Strange umschnürt in dem Conglomerate verborgen lag. Erst nachdem die brandigen Schlingen 223 in ihrem mittlern Theile‘ abgeschnitten waren, liess sich das sehr verwickelte Verhältniss aufklären. Das eigentliche Divertikel hatte eine Länge von etwa 3 Zoll, eine Breite anfangs von 4 Zoll, verengte sich aber in seinem letzten Drittel allmählig und verwandelte sich in einen ungefähr 3 Zoll langen soliden Strang, der sich kreisförmig umbiegend in's Gekröse unweit der zum Ursprunge des Divertikels gehörenden Stelle inserirte. In die hierdurch gebildete Schlinge hatten sich die drei Darmwindungen hineingeschoben; erstlich ein kleines zu- nächst tiefer liegendes Darmstück, dann ein viel grös- seres höher liegendes, und, als die dritte und grösste Schlinge, der ganze übrig gebliebene Theil’des unter dem Divertikel liegenden Krummdarms bis an die Grimm- darmklappe. Das ganze Verhältniss war aber so man- nigfaltig verwickelt, dass es schwer hält es auf dem Stücke zu verfolgen, das ich in Weingeist aufbeywyahre, geschweige es zu beschreiben. Dass der schmalere, in’s Gekröse verlaufende Strang nur eine scheinbare Fort- se des Divertikels und, besonders der Insertions- nellhch, nuf ein obliterirtes Nabelgekrösgefäss seyn konnte, war mir bald einleuchtend. Wegen der äusserst engen Umschnürung liess sich aber dieses nicht erwei- sen, bevor das ganze Conglomerat aufgelöst wurde. Alsdann erkannte ich sehr deutlich das blinde Ende des Divertikels, an welchem der solide Strang nur angehef- tet war. Wir haben demnach hier den Fall, den Mek- kel in seiner pathologischen Anatomie als möglich an- giebt, bei Erwähnung des Sandifortschen Falles, dass nämlich selbst ohne Verwachsung des Divertikels am Nabel eine Incarceration Statt finden kann, wenn der Ursprung dieses Fadens am Gehkröse und sein Ende an der Spitze des Anhanges schon bei der Geburt eine Schlinge bilden. In einem andern Falle, bei einem jungen Mädchen, 224 das im hiesigen Königl. Friedrichshospital starb, fand sich eine ziemlich ähnliche mehrfaltige Verwickelung der Därme mit ähnlichen Strängen, nur dass hier zugleich sowohl das Divertikel, als die obliterirten Nabelgekrös- gefässe an der Nabelstelle ansassen. Ich erhielt das aus- geschnittene Stück erst nachdem die Gedärme aus den Schlingen herausgezogen waren, und das Verhältniss war sehr leicht zu erkennen. Das eigentliche Divertikel, statt sich nach dem Nabel zu zu verengen, hatte hier vielmehr eine bedeutende Erweiterung. Aeusserlich war der Nabel ulcerirt und schien in längerer Zeit eine pu- rulente Flüssigkeit ausgeschieden zu haben. Dennoch lässt sich ‚von hier aus keine Sonde in das Divertikel hineinführen. - SE . ul = 8 h » 225 Anatomisch-physiologische Bemerkungen ‚ über Rückgratsverkrümmungen. Von Dr. M. Stern. AA den Gegenständen, die selbst in unserer so Vieles durchforschenden Zeit noch immer fast ganz unbearbei- tet geblieben sind, gehören die Eigenthümlichkeiten, die wir bei den meisten Buckligen in überraschender Ueber- einstimmung zu bemerken Gelegenheit haben, selbst wenn wir von ihrem örtlichen Uebel und von den nächsten durch dasselbe hervorgebrachten Verbildungen ganz ab- sehen wollen. Es ist bestimmt auch unter den nicht wis- senschaftlichen Menschen, wenn ihr Auge sich nicht ganz stumpf und theilnamlos in der Welt umschaut, nur we- nigen entgangen, wie sehr Menschen, die seit ihrer frü- hesten Jugend an Verkrümmungen des Rückgrats gelit- ten, sich nicht allein durch das örtliche, nur allzusicht- bare Uebel, sondern auch durch ihre Kleinheit, mangelnde Proportion der Gliedmassen, durch eigenthümliche Phy- siognomie, ja durch die ihnen gemeinschaftliche, eben so bedeutende als eigenthümliche geistige Entwickelung und Richtung vor ihren Nebenmenschen auszeichnen. Um so mehr, glaube ich, war es die Sache derer, die sich mit der Pathologie und Therapie der Gibbosi- tät beschäftigen, nicht nur mehr wissenschaftlich diese Eigenthümlichkeiten genau zu erforschen , sondern auch Müller’s Archiv 1834, 15 226 zu versuchen, ob sich nicht dem geübten Auge neue, dem gewöhnlichen Blicke entgehende Besonderheiten dar- bieten möchten, und ob es nicht gelingen dürfte, alle diese Eigenthümlichkeiten aus dem Uebel selbst oder seinen Ursachen befriedigend zu erklären. Einem Theile dieser Forderungen hat auch die Wissenschaft fast ganz genügt. Die besten über diesen Gegenstand handelnden Schriften besprechen sehr genau die Veränderungen, welche nicht nur das Rückgrat, sondern auch die Rip- pen, das Brustbein, das Schulterblatt und das Becken bei der Gibbosität erleiden, wodurch wir denn eine recht genaue Kenntniss der Verbildungen an den knö- chernen Theilen erhalten haben, die dem Herde der Ver- unstaltung am nächsten liegen. Bei weitem nicht so ge- nau sind die Veränderungen angegeben, welche die in der Brust- und Bauchhöhle enthaltenen Eingeweide er- leiden. Dass es aber bei diesem Leiden noch andere, ziemlich constante, materielle Veränderungen gebe, schei- nen die meisten der Schriftsteller dieses Faches nicht anzuerkennen, oder sie für zu unbedeutend zu halten, um sie mitzutheilen; nur wenige geben uns eine unbe- stimmte 'Andeutung einzelner interessanter Veränderun- gen, wobei besonders Wenzel noch das Meiste ge- than hat *). Obgleich ich daher den grössten Theil der über die- sen Gegenstand geschriebenen Bücher, unter denen be- sonders Jörg; Wenzel, Delpech, Bampfield, durchgelesen habe, so fand ich dennoch, ausser den be- reits erwähnten vortrefflichen Beschreibungen der pa- thologischen Veränderungen in der Nähe der Verkrüm- mung, nur folgende Erscheinungen als Eigenthümlich- keiten der Buckligen aufgeführt: der Kopf der Buckligen sey sehr gross (ohne Angabe, ob er relativ oder absolut grösser als bei gutgewachsenen Menschen sey); der Schä- *) Krankheiten am Rückgrate. Bamberg, 1824. fol. LXXXV. p« 323. 227 del sehr leicht, dieOberkiefer seyen kurz und breit(bei den von mir untersuchten Skeletten fand ich gerade das Ge- gentheil), die Zähne vorragend, das Gesicht ist nach Einer Meinung durch die grosse Nase, nach einer andern durch den grossen Mund und eigenthümliche Züge (welche?) ausgezeichnet; die oberen Extremitäten schienen zwar länger als die unteren zu seyn, seyen es aber in der T'hat nicht (eine Annahme, die geradezu falsch ist); die un- teren Extremitäten seyen kleiner als die oberen (eine An- sicht, die, wie wir weiter unten sehen werden, weder ganz richtig noch ganz falsch zu nennen ist). Diess ist Alles, was ich aus den Schriftstellern über diesen Gegen- stand habe auffinden können; ich wenigstens habe nir- ‚gends das Geringste über Eigenthümlichkeiten des Schä- dels, über das wahre und nähere Verhältniss der oberen und der unteren Extremitäten unter sich und beider zum ganzen Körper zu finden vermocht, Es ist mir unbe- greiflich, warum so auffallende und selbst anerkannte Eigenthümlichkeiten so ganz ohne wahre Untersuchung geblieben sind. Obgleich sowohl Wenzel als andere Schriftsteller mit J. G. Walter *) übereinstimmen, es herrsche eine wahrhafte Familienähnlichkeit in den Ge- sichtern der meisten Buckligen, so hat dennoch Niemand untersucht, welche Theile des Gesichtes diese Aehnlich- keit hervorbringen (zu deren Erklärung die den meisten Buckligen eigenthümliche grosse Nase nicht hinreichend ist), oder ob vielleicht eine bestimmte Form des Schä- dels einen solchen Einfluss auf das Gesicht ausübe. Es ist indessen nicht zu leugnen, dass diese, gleich- sam secundären Eigenthümlichkeiten nicht bei allen Buck- ligen gleich stark hervortreten. Bildet sich eine Rück- gratsverkrümmung, z. B. durch Caries, erst in späteren Jahren aus, so wird sie zwar nach dem Grade ihrer Ausbildung dieselben Beschwerden verursachen, die bei *) De morbis peritonaeı et apoplexia. Berol. 1785, p: 50. 15 * 228 einer schon in der Jugend entstandenen Gibbosität vor- kommen; aber es versteht sich von selbst, dass hier von neu sich bildenden Eigenthümlichkeiten am Schädel und im Gesichte, von abnormen Verhältnissen der Extremitä- ten nicht mehr die Rede seyn kann. Aber am deutlich- sten ausgeprägt zeigen sich diese Eigenthümlichkeiten bei denen, wo eine von frühester Jugend an bestehende Scoliosis sich durch Vernachlässigung allmählig in sco- liotische Kyphosis umgewandelt, ein Fall, der nach Wen- zel und Jörg häufig vorkommt, ‘Wenn daher eben eine viele Jahre lang fortschreitende Verbildung dazu gehört, um diese, vom Herde der Verbildung mehr entfernten Abnormitäten hervorzurufen, so können wir natürlich bei Kindern und jüngern Personen jene Eigenthümlichkeiten noch nicht so deutlich ausgeprägt finden, obgleich auch ihr Gesicht characteristische Spuren ihres eigenthümli- chen Leidens trägt. Bemerkenswerther ist es, dass Frauen, wenn sie auch an scoliotischer Kyphosis leiden und ihre Jugendjahre bereits zurückgelegt haben, dennoch, im All- gemeinen, jenen den Buckligen eigenthümlichen Ausdruck des Gesichts durchaus nicht so deutlich an sich tragen, als Männer unter denselben Verhältnissen *)., Da das *) Es muss mit Recht befremden, dass die Zahl der erwachsenen Buckligen unter Männern und Frauen ziemlich gleich zu seyn scheint; hier in Berlin wenigstens besteht unter sämmtlichen auf der Strasse uns begegnenden bejahrten Buckligen die Hälfte und mehr aus Män- nern, Nach dem Urtheil der besten Orthopäden aber ist die Zahl der in der Jugend verkrümmten Mädchen unverhältnissmässig grösser als die der Knaben. Später vorkommende Rückgratsverkrümmungen, z. B. durch Caries (die überdiess im Verhältniss zu jenen so selten erscheinen), befallen eben so schr Frauen als Männer. Es müssten daher auch unter den bejahrten Frauen mehr Bucklige als unter den bejahrten Männern vorkommen, dem aber die oben erwähnte Erfah- rung scheinbar widersprieht. Sollte daher vielleicht die grössere Zu- rückgezogenheit der Frauen überhaupt und der verkrümmten insbe- sondere, verbunden mit der grösseren Begierde und Kunst der letzteren, ihren Fehler zu verbergen, eine scheinbare Ausgleichung dieses 229 höhere Alter selbst seine ihm eigenthümlichen Verände- rungen im Gesichte hervorbringt, so können wohl in sehr alten Buckligen die der Gibbosität eigenen Züge nicht mehr klar genug hervortreten. Will man daher jene be- sprochenen Eigenthümlichkeiten in ihrer deutlichsten Er- scheinung beobachten, so geschieht diess am besten bei solchen vierzig- bis funfzigjährigen Männern, die von ih- rer frühesten Jugend, an Scoliosis verbunden mit Kypho- sis gelitten haben. Es schien mir daher ein nicht ganz unbelohnendes Unternehmen zu seyn, wenn ich es wagte, einen Weg einzuschlagen, der dem meiner sämmtlichen Vorgänger in diesem Zweige der WVissenschaft geradezu entgegen- gesetzt wäre, Während ich nämlich sämmtliche Theile des Körpers, deren Verunstaltung durch Rückgratskrüm- mung so vielfach und genau beschrieben worden ist, meinerseits vollkommen unberücksichtigt liess, beschloss ich, nur die Theile des buckligen Körpers meiner Un- tersuchung zu unterwerfen, welche bis jetzt von sämmt- lichen Schriftstellern dieses Faches vernachlässigt wor- den sind, Wie wenig aber auch bisher die Eingeweide Buckliger bei Sectionen genauer erforscht worden sind, und wie sehr sie daher auch in denKreis meiner Untersu- chungen gehörten, so sehr muss ich bedauern, durchaus nicht die Gelegenheit zu einer Untersuchung dieser Art gefunden zu haben, und ich musste mich daher mit den Resultaten begnügen, welche mir die Untersuchung le- bender Verkrümmter und mehrerer Skelette dieser Art ge- währte. Wie gering nun auch diese Resultate meiner Un- tersuchungen seyn mögen, so darf der gütige Leser sich dadurch doch nicht zu dem falschen Schlusse verleiten ” ” ” ®, ” ” Missverhältnisses herbeiführen? oder wird sie vielleicht dadurch eine wirkliche, dass die Sterblichkeit bei buckligen Frauen, schon durch die Schwierigkeit der Entbindungen, grösser ist als bei den Männern ? 230 lassen, als sey auf diesem Wege überhaupt nichts Er- spriessliches zu gewinnen. WVährend Mangel an hinrei- chenden inneren und äusseren Mitteln mich allerdings nicht geeignet machten, bedeutende Erfolge zu erhalten, ist mir mindestens aus meiner Beschäftigung mit dem Ge- genstande die Ueberzeugung geworden, dass eine aus- gedehntere Zahl von Untersuchungen dieser Art, aus- geführt von Männern, denen Uebung und Talent den Blick geschärft haben, zu überraschenden Erfolgen füh- ren dürfte *). { Und so betrachte ich denn meine Arbeit als erstes Material für einen künftigen gründlichern Bearbeiter die- ses Gegenstandes, und habe, um dieselbe für diesen Zweck brauchbar zu machen, zugleich aber in gerechtem Miss- trauen gegen die Sicherheit meiner Beobachtung wie mei- nes Ausdrucks, allenthalben wo es irgend anging, eine genaue Messung dem vergleichenden Ueberblicke und eine bestimmte Zahl dem unbestimmten Worte vorge- zogen. Ich habe auf diese Weise in dem Kreise meiner Untersuchung selbst mir jede Gelegenhett abgeschnitten, mit bestochenem Auge Verschiedenheiten und Verhält- nisse zu sehen, die nicht vorhanden sind, dagegen aber die Ueberzeugung gewonnen, dass die von mir angeführ- ten Eigenthümlichkeiten an den Gegenständen meiner Be- obachtung wirklich vorhanden sind, und sich in unzwei- *) Fast möchten wir behaupten, unsere Zeit sey für Untersu- chungen dieser Art gerade viel geeigneter als irgend eine spätere. Während wir nämlich nur darum eine so grosse Anzahl von Buck- ligen zu beobachten im Stande sind, weil vor 25 und mehr Jahren die Orthopädie sich noch in einem sehr unvollkommenen Zustande befand, müssen wir hoffen, dass die immer deutlicheren Fortschritte dieser Kunst es den Aerzten folgender Generationen immer schwerer machen werden, für dergleichen Beobachtungen geeignete Subjecte in hinreichend grosser Angahl zu finden, besonders wenn auch späterhin in pathologischen Sammlungen nur Rückgrat, Becken und Rippen der Verkrümmten.aufbewahrt, die übrigen Theile aber, als der Erhaltung unwürdig, aus den Sammlungen verwiesen werden. 231 deutigen Zahlenverhältnissen auch dem Leser darstellen müssen, In wiefern aber diese, an einer mässigen Zahl von Exemplaren gefundenen, übereinstimmender Abnormitäten als Eigenthümlichkeiten der ganzen Gattung, oder. nur als zufällige, allein den untersuchten Exemplaren zukom- mende Abweichungen sich erweisen, müssen spätere aus- gedehntere Untersuchungen lehren; während allerdings die beschränkte Anzahl der von mir untersuchten Ob- jecte das Letztere als sehr leicht möglich erscheinen lässt, giebt bei mehreren dieser Eigenthümlichkeiten ihre Ue- bereinstimmung, in allen unseren Exemplaren der Hoff- nung Raum, sie bei den meisten von demselben Uebel affieirten Individuen wiederzufinden. Die Objecte meiner Untersuchung waren theils Ske- lette, theils lebende Personen. WVie sehr auch für die Erreichung meiner Absicht die genaueste Ansicht einer grossen Anzahl gut erhaltener, verkrümmter Skelette die erste Bedingung war, so muss ich dennoch bedauern nur so wenige gefunden zu haben, fünf nämlich in dem Berliner anatomischen’ Museum und eins bei dem, um die Orthopädie so sehr verdienten Dr. Blömer; ich gebe hiermit eine kurze Beschreibung dieser Skelette, indem ich die fünf auf dem Museum befindlichen Skelette unter den Nummern aufführe, mit denen sie in dem Cataloge der Sammlung bezeichnet sind. Nr. 2490. Skelett eines Mannes von 30—40 Jahren, an Kyphosis und Scoliosis leidend, indem die erste Rück- gratskrümmung nach rechts und hinten, die zweite nach links, die dritte Krümmung, am Os sacrum, wieder nach rechts gewandt ist. Sämmtliche Glieder der linken Seite sind viel kleiner als die der rechten, alle zugleich aber die deutlichsten Spuren der Rhachitis an sich tragend. Nr. 4303. Skelett eines Mädchens von 28 Jahren, aufs furchtbarste von Osteomalacie entstellt, zugleich mit ungeheueren Verkrümmungen des Rückgrats, die Kypho- sis und Scoliosis bilden. 232 Nr, 4992. Skelett einer sehr kleinen Frau, mit zwei kleinen Rückgratsverkrümmungen, deren erste in den Halswirbeln nach der rechten, die zweite in den ober- sten Rückenwirbeln nach der linken Seite gekehrt ist. Die Schenkelbeine, die Tibia und das Os sacrum sind rhachitisch ‚verkrümmt. Mursinna führte an ihr den Kaiserschnitt aus. Nr, 3115. Ein Mädchen von 12 Jahren. Zwischen dem zweiten und dritten Lendenwirbel ist das Rückgrat, wahrscheinlich durch Caries an dieser Stelle, in einem rechten Winkel nach vorwärts gebeugt, so dass die hin- tere Fläche sowohl des untern Theils des Rückgrats als auch des Ossis sacri eine horizontale, dem Boden zuge- kehrte Fläche bildet. Das ganze Skelett besteht aus sehr dünnen Knochen; dagegen ist der Kopf verhältnissmässig sehr gross, aber fest und mit vollkommen zusammentre- tenden Näthen, so dass fast nirgends Ossa VVormiana sichtbar sind. Nr. 2180. Skelett eines 36jährigen WVeibes, bedeu- tend durch Osteomalacie entstelli. Das Rückgrat ist zu- erst an den Hals- und Rückenwirbeln nach rechts, an den Rücken- und Lendenwirbeln nach links gekrümmt, das ganze Rückgrat bildet einen grossen, nach hinten con- vexen Bogen. In dem bei Dr. Blömer gefundenen Skelette einer erwachsenen Frau befindet sich an den Hals- und obe- ren Rückenwirbeln eine kleine Curvatur nach rechts, an den unteren Rücken- und oberen Lendenwirbeln dage- gen eine Curyatur von ungemeiner Grösse nach links, zugleich aber nach hinten. Ausser diesen Skeletten wählte ich für meine genaueren Untersuchungen acht le- bende Bucklige, unter denen 2 Frauen und 6 Männer von der Art, welche ich oben als für diese Beobachtungen besonders geeignet erklärt habe. 233 Ueber die Grösse der Buckligen. Wenn wir zuvörderst das Ganze solcher im hohen Grade verkrümmten Personen betrachten, so fällt uns, ausser ihrem örtlichen Fehler, vor allem die so aus- serordentliche Kleinheit derselben auf. WVelche Theile diese geringe Höhe des Körpers hervorbringen, wird später erörtert werden. Hier nur so viel, dass die durch die Krümmung des Rückgrats hervorgebrachte senkrechte Verkürzung desselben durchaus so bedeutend nicht ist, als dass daraus allein die Rleinheit des ganzen Körpers erklärt werden könnte. So fand ich im Ske- lette Nr. 2490. die Länge der Wirbelsäule, wenn ich sämmtlichen Verkrümmungen derselben in der Mes- sung genau folgte = 1’ 7" 3" Pariser Maass, ihre senk- rechte Höhe — 1’ 5” 5”; in dem Blömer’schen Skelette war die Länge des Rückgrats im ersten Falle = 1’ 7" 4”, im zweiten Falle = 1’ 4" 4”. Beide Skelette, be- sonders das letztere, sind durch sehr bedeutende Ver- krümmungen merkwürdig; und dennoch beträgt bei dem erstern Skelette die durch die Krümmung des Rückgrats hervorgebrachte Verkürzung noch nicht 2”, bei dem zwei- ten Skelette gerade 3’. Wenn wir daher sehen, dass im allgemeinen die Buckligen um einen halben bis einen Fuss kleiner sind, als gewöhnliche, gutgewachsene Men- schen, so kann diese Kleinheit wohl nicht allein durch die senkrechte Verkürzung des Rückgrats hervorgebracht seyn, sondern sie ist grösstentheils in der gehinderten Ausbildung der Körpertheile überhaupt begründet. Diese Kleinheit finden wir, wie ich glaube, dann immer, wenn die Verkrümmung in der Jugend angefan- gen und sich später zu höheren Graden ausgebildet hat, die Ursache sey gewesen, von welcher Art sie wolle. In welchem ursächlichen Zusammenhange steht nun die Verkrümmung mit dem zurückgebliebenen Wachsthume des Körpers? 234 Dass die Rhachitis an und für sich kein langsameres und zurückbleibendes Wachsen des Körpers hervorbringt, sehen wir täglich an den Personen, die obgleich sie in der Jugend und auch später an Rhachitis gelitten, den- noch die gewöhnliche Grösse erreicht haben. Ein be- stätigendes Beispiel dieser Art ist ein, im hiesigen anato- mischen Museum „unter Nr. 3040. befindliches, riesenhaf- tes Skelett (7 Fuss hoch), bei-welchem die oberen und unteren Extremitäten deutlich rhachitisch verkrümmt, dabei aber doch von ungeheurer Länge sind. Daher kann Rhachitis wohl, und zwar sehr häufig, Ursache der Gibbosität, nicht aber die beständige Ursache dieser Klein- heit seyn. Dass noch andere Ursachen der Verkrüm- mung schon in zarter Jugend existiren, gestehen die mei- sten Schriftsteller, ohne sich aber über das VVesen der- selben einigen zu können; was aber auch immer die Ur- sache dieser Verbildung seyn möge, immer ist Kleinheit des Körpers eine Folge derselben. Geoffroy-Saint- Hilaire*) scheint mangelhafte Entwickelung und Er- nährung des Fötus nicht nur als Ursache der Zwerg- haftigkeit, sondern auch des Rleinbleibens in unserm Falle anzunehmen. Unmöglich aber kann darin in al- len Fällen die Ursache der Rleinheit liegen. Es giebt jaFälle genug, wo bei ursprünglich gesunden und kräf- tigen Kindern ein Fall vom Arme der WVärterinn u.s.w., eine Verkrümmung der Wirbelsäule allmälig. herbei- führt, und doch bemerken wir auch bei dieser bloss äus- sern Ursache stets ein zurückbleibendes VWachsthum des Körpers. So bemerken wir, wie wenig/die angegebenen Ursachen der Gibbosität genügen, um aus ihnen auch die Thatsache zu erklären, warum eine jede in der Ju- gend entstandene Rückgratsverkrümmung ein Zurückblei- ben des Wachsthums in ihrem Gefolge hat. Daher *) Ueber Riesen und Zwerge, in Froriep’s Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Sept. 1833. Nr, 818. 235 glaube ich, dass dieses letztere nicht aus irgend einer Ursache der Verbildung, sondern aus ihr selbst her- vorgehe. Die anfangs unbedeutende, später aber immer grösser werdende Verkrümmung des Rückgrats, der Rip- pen und oft auch des Beckens, bewirkt eine allmälige Verengerung der Höhlen des Rückenmarks *), der Brust und des Unterleibes, ‘was natürlich die in ihnen enthal- tenen Theile nicht nur durch Verschiebung von ihrer normalen Stelle, sondern auch durch Beeinträchtigung ihrer Form und Grösse und selbst durch Veränderung ihres Parenchyms **) in ihren Functionen mehr oder minder stören muss. Es ist daher einleuchtend, dass unter diesen Verhältnissen der Vegetationsprocess nicht so kräftig vor sich gehen könne, wie in gesunden Men- schen. Während nun in gesunden, kräftigen Kindern der Vegetationsprocess den doppelten Zweck und die zwie- fache Kraft hat, 1) den Körper in seiner Integrität zu erhalten und 2), ihn zugleich zu einer höheren Gestal- tung zu entwickeln, vermag in dem verkrümmten Kna- ben die so beschränkte Vegetationskraft nur dem ersten Zwecke, der nothwendigsten Bedingung für die Erhal- tung des Lebens zu genügen, und muss desshalb ihren zweiten Zweck, die höhere Ausbildung des Körpers, zum Theil oder ganz hintenansetzen, Und so sehen wir auch hier einen neuen Beweis, wie Vieles die Natur zu opfern vermag, sobald es ihr gilt, das Leben zu erhalten. Für diese Ansicht der Sache spricht die Erfahrung, dass das Wachsthum des Körpers auch nach dem Be- ginne der Verkrümmung eine Zeit lang fortdauert. Wir müssten, wäre diess nicht der Fall, Personen die in ih- rer zartesten Kindheit von diesem Uebel befallen wur- den, noch in spätern Jahren eben so klein sehen, als sie . *) Bampfield Krankheiten des Rückgrates, übersetzt von Sie- benhaar. Leipz. 1831. S. 80. ") Wenzel, a, a. O, S.326, 236 zu jener Zeit waren; eine Behauptung, die gewiss Nie- mand aufstellen wird. Dieses fortdauernde VWYachsthum lässt sich daraus erklären, dass in der ersten Zeit die Verkrümmung noch zu unbedeutend ist, um Rückenmark und Eingeweide in ihren Functionen merklich zu stören, wesshalb denn die Vegetation noch immer ihren beiden, im kindlichen Alter normalen Zwecken genügen kann; je mehr aber die Verbildung zunimmt, desto mehr wird auch das Fortwachsen des Körpers gehindert werden, bis es durch einen zu hohen Grad von Verkrümmung ganz aufhört, 'selbst bevor noch die normale Zeit des Stillstandes für dasselbe eingetreten ist *). Freilich bleibt auch bei dieser Ansicht über die abnorme Rlein- heit der Buckligen die Frage unbeantwortet, warum einzelne Theile: Kopf, Hand, Fuss, Genitalia (d. h, ge- rade diejenigen Theile, vermittelst deren wir auf die Aussenwelt einzuwirken vermögen) bei Buckligen zu ei- ner so unverhältnissmässigen Grösse gelangen? Sollte vielleicht die grössere Entfernung dieser äussersten Theile des Körpers von dem ursprünglichen Sitze des Leidens, die freiere Entyyickelung derselben begünstigen? Vom Schädel. Bei dem Beginne meiner Arbeit war es mir vorzüg- lich um die Beantwortung der Frage zu thun, ob sich nicht am Schädel der Buckligen constante Eigenthüm- lichkeiten auffinden liessen. Und darum wäre mir die Beobachtung einer grösseren Anzahl soleher Schädel höchst wünschenswerth gewesen; indessen gelang es mir nur sechs derselben, und zwar die zu den bereits er- wähnten Skeletten gehörigen, zum Gegenstande meiner Untersuchung machen zu können. Diese geringe Anzahl war mir eine Aufforderung, jeden einzelnen Schädel, so *) S. Jörg, über die Verkrummungen des menschlichen Kör- pers. Leipz. 1810. S.39, 237 genau es mir immer möglich war, zu untersuchen und nach möglichst vielen Richtungen hin zu vermessen, wo- durch ich denn bei ihnen einige ziemlich constante Ei- genthümlichkeiten aufzufinden vermochte, die mir bei ei- ner grössern Anzahl von Schädeln und bei einer eben desshalb flüchtigern Untersuchung wohl entgangen seyn dürften. Die zu gleicher Zeit angestellte eben so ge- naue Beobachtung und Ausmessung von mehr als zwan- zig normalen, theils männlichen theils weiblichen Schä- deln, setzte mich in den Stand mit ziemlicher Sicherheit zu entscheiden, ob und in wiefern die Schädel Buckliger von der Norm in Grösse und Form abgewichen waren. Zu den nicht leichten Vermessungen der Schädel be- diente ich mich, neben den gewöhnlichen Messinstrumenten, eines Baudeloque’schen sogenannten Beckenmessers, mittelst dessen sich die Abstände von zwei auf einer krummen Fläche befindlichen Punkten so genau bestim- men lassen. Die erste diesem Aufsatze angefügte Ta- belle enthält zuvörderst sämmtliche, durch diese Messun- gen gefundenen Dimensionen jedes einzelnen abnormen Schädels, und dann eine Zusammenstellung der hieraus hervorgehenden Durchschnittszahlen dieser Dimensionen mit den Durchschnittszahlen derselben Dimensionen an vollkommen normalen Schädeln. Bei der grossen Ver- schiedenheit der Schädeldimensionen bei Männern und Frauen musste ich männliche und weibliche Schädel für diese vergleichende Uebersicht von einander trennen. Ich bemerke hierbei, dass sämmtliche in dieser Arbeit vorkommenden Dimensionen im Pariser Maasse ausge- drückt sind, wobei die grösser gedruckten Zahlen Zolle, die kleiner gedruckten Linien andeuten, Betrachten wir nun auf der angegebenen ersten Ta- belle zuvörderst die einzelnen Dimensionen des eigentli- chen Hirnschädels, ohne Berücksichtigung des Gesichts- schädels, so lässt es sich nicht leugnen, dass die Dimen- sionen X (Durchmesser von der Glabella bis zu der 238 Protuberantia occipitalis externa) und D (senkrechte Ent- fernung der Scheitelbeine von dem hintern Rande des grossen Hinterhauptloches) durchschnittlich an den Schä- deln Buckliger sogar grösser sind als an denen [gutge- wachsener Menschen. Dagegen sind dieLinien Y (Durch- messer zwischen der Mitte des obern Randes am Schup- pentheil beider Schläfenbeine), B (Abstand zwischen denjenigen Punkten beider Seiten des Kopfes, in welchen das Stirn-, Keil- und Scheitelbein zusammenstossen) und € (Abstand zwischen den Tübera parietalia) fast ganz von derselben Grösse an den Schädeln Buckliger und an den normalen Schädeln. Diese hier angeführten Dimensionen sind hinreichend, uns den Beweis zu geben, wie glück- lich, mindestens bei unsern Verkrümmten, die das Hirn umschliessenden harten Theile sich herausgebildet haben, was noch um so deutlicher dadurch hervortritt, dass, während alle übrigen von mir gemessenen Theile der Körper Buckliger relativ zwar oft grösser, absolut aber durchschnittlich stets kleiner sind als dieselben Theile an gut gewachsenen Körpern, einzig und allein der Hirn- schädel unserer Buckligen in allen Dimensionen absolut eben so gross, ja in einigen Richtungen sogar grösser erscheint, als die normalen Schädel. Fügen wir hier noch hinzu, dass die von mir untersuchten Schädel Buck- liger meist leichter als normale Schädel, ja an einigen Stellen durchscheinend waren, dass daher’ die Knochen- platten selbst mindestens nicht dicker sind, als sie ge- wöhnlich gefunden werden, so ist nicht zu zweifeln, dass das Gehirn Buckliger im Durchschnitt eine gleiche, ja selbst eine höhere räumliche Ausbildung darbiete, als das Gehirn gutgewachsener Menschen, Den Uebergang von den Dimensionen des Hirnschä- dels zu denen des Gesichtsschädels macht die Linie Z (der Abstand der Mitte der Basis des Unterkiefers von der Ver- bindungsstelle des Stirnbeins mit den Scheitelbeinen); sie durchschneidet sowohl die Hirnhöhle als die Gesichts- 239 knochen; und hier sehen wir zuerst eine Dimension, die durchschnittlich bei Buckligen kleiner ist als bei norma- len Körpern; eine Thatsache, die geradezu der allgemei- _ nen Ansicht, es sey das Gesicht Buchliger länger als das gutgebauter Menschen, widerspricht, deren VViderspruch indess sich hoffentlich späterhin wird lösen lassen. Diese Verkürzung der Dimension Z im Verhältniss zu der nor- malen Länge derselben, wird einzig und allein dadurch hervorgebracht, dass bei denSchädeln unserer Buckligen die untere Hälfte des Gesichts, zwischen der Verbindung des Stirnbeins mit den Nasenbeinen und dem untern Rande des Unterkiefers (in der ersten Tafel der Durch- messer K) bedeutend kleiner als bei normalen Schädeln ist; denn der Abstand zwischen den angegebenen beiden Punkten (K) beträgt bei den normalen männlichen Schä- deln 4’ 5", bei dem abnormen männlichen 3” 9”, bei den normalen weiblichen 4’ 4", bei den abnormen weibli- chen 3” 10”. Ziehen wir nun die Linie K, als den un- tern Theil der Linie Z, von dieser Linie Z ab, so bleibt der Rest Z—K als der ungefähre Abstand des Schei- tels von der Basis eranii; und vergleichen wir nun die Durchschnittszahlen dieser Linie 4—K, so sehen wir, dass sie in den weiblichen abnormen und normalen Schä- deln einander gleich, in den männlichen abnormen Schä- deln aber grösser sind als in den normalen,. und erhal- ten dadurch den Beweis, dass auch die Höhe des vor- dern Theils der Hirnhöhle bei den Buckligen, gleich al- len übrigen Dimensionen der Hirnhöhle, eben so bedeu- tend, ja oft bedeutender ist, als bei normal gebauten Menschen. Wie wir oben gezeigt haben, ist die Län- gendimension (K) des Gesichts bei Buckligen kleiner als bei normal gebauten Menschen; noch viel bedeutender aber ist die Verkürzung, welche die Breitedimensionen des Gesichts erleiden. Eine Hauptursache dieser Ver- schmälerung des Gesichts ist gewiss die eigenthümliche Stellung der Wangenbeine, die ich bei sämmtlichen von 240 mir untersuchten Schädeln unverändert dieselbe gefun- den. Bei normalen Schädeln sehen wir nämlich die Wangenknochen an: ihrer äussern Fläche deutlich convex hervorgewölbt, dann aber so gestellt, dass ein bedeuten- der Theil dieses Knochens noch mit zur Vorderfläche des Gesichts gehört, der andere Theil aber, in seiner Verbindung mit dem Processus zygomaticus ossis tempo- ralis, nicht unbedeutend über die Seitenwand des Schä- dels hervorragt, woraus denn hervorgeht, dass das Os zygomaticum soyyohl der Vorderfläche des Gesichts. als dem Breitendurchmesser desselben (von einem Jochbo- gen zum andern) ihre normaleBreite giebt. Bei unseren Schädeln Buckliger hingegen finde ich meist das Os zy- gomaticum nicht convex sondern platt, jenen Gesichstheil desselben ausserordentlich schmal, dagegen aber seinen allergrössten Theil so ganz die Seitenfläche des Gesichts einnehmend, dass der durch seine Verbindung mit dem Processus zygomaticus ossis temporum hervorgebrachte Arcus zygomaticus sehr wenig convex, und vor der Sei- tenfläche des Schädels sehr wenig oder gar nicht her- vorragend erscheint. Der Mangel der Convexität an der äussern Fläche der Jochbeine ist bei unseren Schä- deln auf den ersten Blick zu erkennen, lässt sich aber nicht durch Messungen erweisen; dagegen aber geht die eigenthümliche, oben angegebene Stellung dieses Hno- chens daraus hervor, dass der Abstand der beiden Punkte von einander, die in der Mitte des freien untern Randes der Ossa zygomatica liegen, bei unseren abnormen Schä- deln um Vieles geringer ist, als bei den normalen (siehe W). Ganz dasselbe Verhältniss finden wir auch bei dem Durchmesser zwischen dem Verbindungspunkte des Os- sis zygomatici und des Processus zygomatici ossis tem- porum beider Seiten (H), so dass derselbe durchschnitt- lich bei abnormen männlichen Schädeln 4” 3”, bei nor- malen 4" 6", bei abnormen weiblichen Schädeln 3" 11", bei normalen weiblichen 4' 3—4" beträgt. Nähmen % 241 nun alle von diesen Durchmessern H und W durch- schnittenen Theile an der Raumverengerung Theil, die durch H und VW an den Schädeln Buckliger ausgedrückt wird, so müsste auch der vordere Theil der Basis cra- nii und also auch des entsprechenden T'heils der Hirn- höhle enger seyn, als im normalen Zustande. Indessen müssten wir schon aus der Analogie mit den übrigen Dimensionen der Schädelhöhle schliessen können, dass auch wohl an den angegebenen Orten keine Verengung der Basis cranii und des entsprechenden Theils der Hirn- höhle stattfinden könne, Und wirklich zeigt es sich auch, dass die, diesen Raum genau durchschneidende Linie (Durchmesser von der Spina muscularis superficiei tem- poralis alae magnae ossis sphenoidei der einen Seite bis zu demselben Punkt der andern Seite) in den abnormen und den normalen Schädeln von (derselben Grösse ist, Es wird also die an den Linien H und VV bemerkte Verkürzung ganz allein dadurch hervorgebracht, dass bei sämmtlichen untersuchten Schädeln Buckliger das Os zy- gomaticum weit mehr an die seitliche Schädelfläche an- gedrückt erscheint, als bei normalen Schädeln. Aus dem hier Ausgeführten ergiebt sich von selbst die allen un- seren abnormen Schädeln gemeinschaftliche Eigenthüm- lichkeit, dass die Fossa temporalis bei allen bedeutend enger ist, als im normalen Zustande. So sehen wir, dass der Querdurchmesser (H—G) der Fossa tempora- lis durchschnittlich bei den abnormen männlichen Schä- deln 1” 6", bei den normalen männlichen 1” 9”, bei den abnormen weiblichen 1” 3”, bei den normalen weibli- chen 4" &" ausmacht, Auch der nicht vom Os zygo- maticum, sondern vom Processus zygomaticus ossis tem- porum gebildete Theil des Arcus zygomaticus zeigt sich im Allgemeinen an die Schädelwand mehr angedrückt als im normalen Zustande, da die Linie I (Durchmesser zwischen den convexesten Stellen des Proc. zygom. bei- der Ossa temporum) nur bei dem einzigen abnormen Müller’s Archiv, 1834, 16 242 männlichen Schädel eben so gross wie bei den normalen Schädeln ist, bei den fünf abnormen weiblichen Schä- deln aber überall kleiner sich zeigt, als in normalen weiblichen Schädeln. Diese so merkwürdige Stellung des Wangenbeins ist zwar die vorzüglichste, aber nicht die einzige Ursache der Verschmälerung des Gesichtes Buckliger,. Denn ausserdem, dass schon der Durchmesser zwischen den Stellen beider Seiten, wo sich das Os zygomaticum an den Processus zygomaticus ossis frontis ansetzt (A), durchschnittlich bei abnormen Schädeln um ein Weniges kleiner ist als bei normalen, trägt die ausgezeichnete Form der Oberkiefer sehr bedeutend zur Verschmäle- rung des Gesichts bei. Auch diese zeigen sich nämlich bei den Schädeln unserer Buckligen wie von der Seite her zusammengedrückt, so dass dieLimbi alveolares die- ser Knochen einander viel näher stehen als bei norma- len Köpfen; die gerade Entfernung des’ Jugum alveo- lare des zweiten Backenzahns der einen Seite von dem- selben Punkte der andern Seite (E) ist an normalen männlichen. Schädeln 1” 11—1?2”, an dem abnormen männlichen 1” 6”, an normalen weiblichen Schädeln 4” 11", an abnormen weiblichen 1" 8—9”. Wie bedeu- tend der Unterschied von 3—6 Linien bei einer Breite von 18—20 Linien überhaupt hervortreten muss, ist leicht zu ersehen. Aus dieser seitlichen Zusammendrük- kung entsteht bei allen unsern Schädeln ein bedeutendes Hervorragen des Oberkiefers, so dass der Camper'sche Gesichtswinkel an ihnen durchaus kleiner als in gewöhn- lichen Schädeln erscheint. Finden wir auch dieses Her- vorragen des Oberkiefers bei Negern und Blödsinnigen wieder, so werden doch die Schädel unserer Buckligen durch die oben angedeutete Schmalheit vor ihnen ausge- zeichnet, mit der auch noch die Erscheinung zusammen- hängt, dass sie, je näher an der Verbindungsstelle bei- der Ossa maxillaria superiora, desto spilzer gegen ein- 243 ander‘ zulaufen, was natürlich den Camper’schen Ge- sichtswinkel kleiner machen muss. Eine vierte Stelle durch die sich die Schmalheit des Gesichts Buckliger ausspricht, ist der Winkel des Unterkieferknochens. Im Widerspruch mit der verbreiteten Annahme, - dass bei Buckligen die Entfernung des einen Winkels von dem andern sehr gross sey, fand ich dennoch bei unsern Schä- deln den Abstand zwischen den äusseren Flächen beider Winkel um etwas kleiner als bei normalen Schädeln (siehe F). Es ist hier der Ort, auch von den Zähnen dieser Schädel zu sprechen. Wo sie noch vorhanden waren, fand ich sie bedeutend gross und besonders die der obern Reihe stark nach vorwärts und aussen gerich- tet, so dass das Zusammenstossen beider Reihen bei ih- nen nach innen einen spitzern Winkel bildet als bei wohl- gebildeten Menschen. Es ist bekannt, dass auch diese Er- scheinungen sich beiNegern und Blödsinnigen wiederholen. Stellen wir nun das zusammen, was wir über die Grössenverhältnisse des Hirn-- und des Gesichts- schädels gesagt haben , ‚so sehen. wir, wie sehr die Ent- wickelung des erstern nach allen Richtungen hin die Ent- wickelung des Gesichtsschädels übertrifft; wir: sehen den letztern zwar verkürzt, aber in einem noch viel höhern Grade verschmälert, .und: diess, auf eine solche Weise, als wäre das Gesicht durch irgend eine Kraft seitlich zusammengedrückt., . Dieses, trotz der Verkür- zung der Gesichtslänge, noch immer bedeutende Miss- verhältniss zwischen der Länge des Gesichts und: seiner Breite, scheint mir zu der so verbreiteten, aber wie ich gezeigt zu haben glaube, falschen Meinung ‚Gelegenheit gegeben zu haben, 'als.sey das Gesicht. Buckliger länger als das gutgewachsener ‚Menschen. ‚Eine nicht uninteressante Vergleichung gewährt hier- mit eine von Portal angeführte Beobachtung *), dass *) Portal, Beobb, über Rhachitis. \ A, d. Französ, 1798: S.149. 16 * 244 die Rhachitischen meist einen absolut weit grösseren Kopf haben als gesunde Personen; dagegen sey ihr Ge- sicht von gewöhnlicher Grösse, ja nicht selten kleiner als bei Gesunden. Am meisten sollen sich die Scheitel- beine, der obere Theil des Stirn- und Hinterhauptbeins, die Schuppe des Schlafbeins und die grossen Flügel des Keilbeins vergrössern. Wären nun diese Bemerkungen Portal’s über die Rhachitischen allgemein als richtig anerkannt, so müsste man, wenn bei allen von mir un- tersuchten Skeletten Rhachitis die Ursache der Verkrüm- mung gewesen wäre, annehmer, die von mir aufgefun- denen Eigenthümlichkeiten seyen nicht aus der Gibbosi- tät, sondern aus der Rhachitis hervorgegangen. Aber unter den sechs verkrümmten Skeletten sind nur zwei wirklich rhachitisch, zwei sind von allen Spuren’ der Rha- chitis frei, so dass Extremitäten und Becken vollkommen wohlgebildet sind, zwei sind osteomalacisch [welcher Zustand gerade bei Rhachitischen ‘nicht vorzukommen scheint] *). Und dennoch finden sich bei Allen die von mir angegebenen Eigenthümlichkeiten; es ist daher nicht zu leugnen, dass diese Abnormitäten an (den Schädeln un- serer Skelette Folge der Gibbosität, nicht 'der Rhachitis sind, und vielleicht ist gerade Portal in den entgegen- gesetzten Irrthum gerathen: Abnormitäten, die'er an den Köpfen rhachitischer Buckliger fand, der Rhachitis’zuzu- schreiben, statt dass er sie vielleicht als eigenthümliche Producte der Gibbosität hätte ansehen sollen. ‘Es wäre zu wünschen, dass eine genauere Untersuchung rhachiti- scher Skelette diese’ Zweifel zu heben vermöchte, Ausser den bereits genannten Eigenthümlichkeiten besitzen die’Schädel unserer verkrümmten Skelette' "an einer Stelle noch zwei Abnormitäten, ‘die zwar auch zu- weilen bei anderen Schädeln, aber selten ‘in diesem *) Siehe Kilian, Beiträge zur nn der Frauen, Bonn, 1829. S.10. 8. IX. und X, 245 Grade, und noch weniger beide zugleich vorkommen, wie es fast constant bei den uns vorliegenden Schädeln Buckliger der Fall ist. Das Foramen magnum ossis oc- eipitis nämlich ist an allen diesen Schädeln so weit nach vorn geschoben, oder, wenn man will, von dem hinter- sten Punete des Hinterhauptbeins so weit entfernt, dass diese locale Veränderung nicht erst durch Messungen erwiesen zu werden brauchte, sondern durch den ersten aufmerksamen Blick bemerkt werden kann. Um diese Veränderung aber auch durch Zahlen zu bestätigen, mass ich die Entfernung von dem hintersten Punkte des Fo- zamen magnum bis zur Nasenwurzel, und zog die er- haltene Grösse (M) von dem Längendurchmesser X des Schädels ab. Die dadurch erhaltene Zahl X—M zeigt uns, wie constant grösser die Differenz der beiden. Li- nien X und M bei den Schädeln Buckliger als bei denen wohlorganisirter Menschen ist, Diese grössere Differenz wird theils hervorgebracht durch die Kleinheit der Li- nie M.d. h. durch ein wirkliches Vorrücken des Hinter- hauptlochs, wie diess bei den.Skeletten IV., V.,.VI. der Fall ist, theils durch eine abnorme Ausdehnung und Hervorwölbung des hintern Theils. des Schädels,. die bei den Skeletten I, und II. vorhanden seyn muss, da bei ihnen vor allen anderen die Differenz zwischen X und M so gross, und dennoch das Hinterhauptloch der Vor- derfläche des Schädels nicht näher gerückt ist, als in nor- malen Schädeln (siehe Tabelle LM und X—M). Wie dem aber auch sey, immer zeigt uns schon. die äussere Betrachtung unserer Schädel und ihre Vergleichung mit normalen, dass bei den ersteren das Hinterhauptloch viel mehr der Mitte der Schädelbasis genähert ist, als ge- wöhnlich bei anderen Schädeln ; und ist es auch nicht zu leugnen, dass dieses Vorrücken des Foramen magnum zuweilen auch an normalen Schädeln sichtbar ist, so ist doch umgekehrt dieses Foramen an den Schädeln unse- rer verkrümmten Skelette nie so weit nach hinten ge- 246 rückt, wie an so vielen normalen Schädeln. Eine Ei- genthümlichkeit des Hinterhauptbeins der Buckligen trägt indessen sehr bedeutend dazu bei, die eben beschriebene Verschiebung des Foramen magnum noch bedeutender in die Augen fallen zu lassen. Während nämlich in der Regel das Hinterhauptbein einen grossen oder selbst den grössten Theil der hintern Wand des Schädels ein- nimmt, bevor es sich nach der Basis cranii wendet, nimmt es bei den abnormen, von mir beschriebenen Schä- deln nur einen geringen Antheil an der Bildung der hin- tern Schädelwand, der zweite, tiefer liegende Theil die- ses Knochens aber krümmt sich so, dass er mehr der untern als der hintern Schädelwand angehört, bis end- lich der dritte, aber noch immer zur Pars oceipitalis os- sis occipitis gehörige Theil dieses Knochens an der Basis des Schädels eine so eigenthümliche Conyvexität annimmt, dass der tiefste Theil des Schädels nicht, wie gewöhn- lich vom Hinterhauptsloch, sondern von diesem hinter dem Hinterhauptsloche liegenden Theile eingenommen wird. Es ist der Erwähnung wohl werth, dass bei al- len diesen Schädeln die Stellen der Basis, welche nach Gall den Sitz des Begattungstriebes im Gehirn andeu- ten, bedeutender als gewöhnlich hervyorragen, was bei einigen derselben so stark der Fall ist, dass die zwi- schen diesen beiden Hervorragungen liegende Furche bei ihnen um vieles tiefer erscheint, als ich sie sonst in irgend einem der untersuchten normalen Schädel gefun- den habe; eine vollkommen platte Fläche, wie sie bei so vielen regelmässigen Schädeln an diesem Orte sich findet, habe ich bei keinem der abnormen Schädel vor- gefunden *). Wie sehr nun aber diese ganze eigenthüm- *) Höchst bemerkenswerth ist für diese Stelle der von Wenzel (Krankheiten des Rückgrats, $.328) aufgestellte Erfahrungssatz, dass bei buckligen Männern die Genitalien fast immer grösser als gewöhn- lich seyen, und dass auch der Begattungstrieb sich bei ihnen sehr kräftig zeige. Ob nun aber zwischen diesem Erfahrungssatze und den 247 liche Bildung des Os occipitis dazu beitragen muss, das Hinterhauptsloch der Mitte der Basis mehr zu nä- hern, bedarf wohl jetzt keiner weitern Erläuterung. Die beschriebene eigenthümliche Bildung des Hinterhaupt- beins ist aber auch gewiss von nicht geringerem Ein- flusse auf das Daseyn einer zweiten Abnormität des Fo- ramen ossis occipitis. Nimmt der Kopf seine natürliche Stellung gegen den übrigen Körper ein (eine Stellung in welcher die beiden Augenaxen dem Horizonte vollkom- men parallel sind), so liegt in normalen Köpfen das Hin- terhauptsloch mit seinem vordern und hintern Rande in einer fast ganz horizontalen Ebene; in den Schädeln un- serer Buckligen aber sehen wir, wenn sie in die ange- gebene natürliche Stellung gebracht werden, dass der hintere Rand des Hinterhauptslochs dann viel tiefer steht, als der vordere Rand desselben. Diese Eigenthümlich- keit, die so sehr ausgesprochen bei Ctetins erscheint, findet hier zwar nicht in demselben Grade Statt, ist aber doch so deutlich zu erkennen, dass eine einfache Zusam- menstellung mit normalen Schädeln diese veränderte Lage sogleich in’s Auge fallen lässt. Diese Schiefstel- lung ist vorzüglich deutlich von dem hbintern Rande bis an die Processus condyloidei, von wo an bis zum vor- dern Rande. des Foramens eine weniger aufsteigende Stellung Statt zu finden scheint. Unter den sechs Schä- deln, die ich untersuchte, fand sich bei fünf diese Stel- lung sehr deutlich ausgesprochen, bei dem sechsten, dem Blömer’schen, aber war die Stellung mehr horizontal, wie sie bei den meisten Köpfen vorkommt, Trotz vieler Bemühungen wollte es mir nicht gelingen, irgend eine Dimension zu finden, durch welche sich diese Schief- stellung eben so ‚deutlich in Zahlen darthäte, wie sie von dem beobachtenden Blicke erkannt wird. Leser, die sich Eigenthümlichkeiten die ich oben angeführt, irgend ein Zusammen- hang stattinde oder nicht, möchte ich nicht entscheiden, 248 für diesen Gegenstand interessiren, mögen sich durch eigene Anschauung der Skelette von dem Daseyn der beschriebenen Abnormität überzeugen. Eine Recapitulation dessen, was wir über den Schä- del Buckliger gesagt haben, stellt uns folgende Eigen- thümlichkeiten desselben dar: sehr glückliche Ausbildung des Hirnschädels, Kürze, vorzüglich aber Schmalheit des Gesichts, hervorgebracht durch die seitlich zusam- mengedrückten Ossa zygomatica und Processus zygoma- tiei ossis temporum (wodurch auch sehr enge Jochgru- ben), durch schmale und spitze Ossa maxillaria supe- riora und inferiora; ferner Vorrückung und schiefe Stel- lung des Foramen magnum, hervorgebracht vielleicht durch die eigenthümliche Hervorwölbung des untern Theils des Hinterhauptbeins, Bevor ich von den Eigenthümlichkeiten des Schä- dels zu den ferneren Abnormitäten übergehe, scheint es mir, des interessanten Vergleiches wegen, nicht unange- messen anzuführen, dass ich bei zweien auf dem hiesi- gen Museum befindlichen riesenhaften Skeletten von 6% und 7 Fuss Höhe, folgende Dimensionen am Schädel ge- messen habe. Der Durchmesser von Glabella bis Pro- tuberantia occipitalis externa (X) betrug 7” 2” und 6" 2%”, der Querdurchmesser von einer Pars squamosa zur andern (Y) 5’ und 5” 3”, der Längendurchmesser von der Nase zum Kinn (K) mass 4" 40”. Aus diesen An- gaben, verglichen mit den Messungen an normalen und verkrümmten Skeletten, geht hervor, dass der Hirnschä- del sowohl bei den abnorm kleinsten als bei den wenig- stens ungewöhnlich, wenn nicht abnorm grossen Menschen in seiner räumlichen Entwickelung der des mittelgrossen Menschen wohl ziemlich gleich bleibt, während der Ge- sichtsschädel allerdings bei grössern Menschen grösser, bei kleinern kleiner zu seyn scheint. Merkwürdig genug ist auch beim Kinde und Knaben der Hirnschädel viel mehr als der übrige Körper entwickelt, und dem Er- 249 wachsenen an Grösse wenig nachgebend; dagegen bleibt auch hier der Gesichtsschädel in genauem Zusammen- hange mit der Körpergrösse. Wenn wir nun nach Auseinandersetzung der Verhält- nisse des Kopfes, uns zur Gesichtsbildung wenden, die an erwachsenen Buckligen eine so anerkannte Eigenthümlich- keit besitzt, so muss ich es gestehen, dass es mir leider, trotz meiner aufmerksamen Betrachtung von mindestens 50 Buckligen, dennoch nicht gelungen ist, mir diese Eigen- thümlichkeiten in Worten ganz klar machen zu können, Die Gesichtsfarbe ist entweder erdfahl oder krank- haft bleich, nur in höchst seltenen Fällen gesund und kräftig, so wie das ganze Gesicht gewöhnlich schon in einem Alter von dreissig bis vierzig Jahren welk und runzlig erscheint. Die Augen sind tiefliegend und dess- halb oft klein, aber glänzend und schnell beweglich; die Augenbraunen sind meist dick, obgleich bei Männern der Kinn- und Backenbart meist dünn erscheint. Das vor- züglich Bezeichnende am Gesicht der Buckligen sind Nase und Mund. In den meisten Fällen nämlich ist die Nase lang aber schmal, meist nicht sehr hervorspringend, öf- ter gerade als gebogen, oft ist auch der Rücken der Nase ziemlich ungleich, gleichsam höckerig; selten sieht man stumpfnasige Bucklige. Noch viel allgemeiner aber und beinahe ohne Ausnahme ist die übermässige Breite des Mundes, die absolut bedeutender ist als bei grösse- ren Menschen, und bei der Schmalheit des Gesichts um so mehr auffällt. Dabei ist der rothe Theil der Lippen viel häufiger schmal als aufgeworfen, die ganze Ober- lippe aber mir sehr häufig dadurch aufgefallen, dass sie nicht, wie bei Scrofulösen eine dicke, sondern eine dünne, leicht bewegliche Platte bildet, und dass sie oft im Verhältniss zu dem darunter liegenden Oberkiefer- knochen und Alveolarfortsatz viel zu weit und zu gross ist, woraus denn gleichsam ein schlaffes Herabhangen der Öberlippe über den Oberkieferknochen entsteht, 250 Dabei liegt gewöhnlich ' die Oberlippe über. der Unter- lippe, deren rother Theil von jener halb bedeckt wird. In Uebereinstimmung mit dem oben angeführten Vorra- gen des knöchernen Theils des Oberkiefers und der Zähne bemerken wir sehr häufig im Gesichte Buckliger einen ausgezeichnet spitzen Camper’schen Gesichtswin- kel, der aber dadurch eine Modification erleidet, dass entweder der Unterkiefer mehr zurücktritt, wodurch denn Unter- und Oberlippe viel mehr vorragen als das Kinn, oder dass der Unterkiefer am Vorragen des Ober- kiefers Theil nimmt, wo denn die vorragendsten Theile beider Knochen in einer senkrechten Linie liegen *). Ueber das Becken. Der von Meckel **) aufgestellte Satz, dass Verbil- dungen des Beckens nur bei solchen Rückgratsverkrüm- mungen eintreten, die aus einer allgemeinen Knochenkrank- heit hervorgegangen sind, und wo daher gewöhnlich auch andere Spuren dieser Krankheit sich zeigen, hat gewiss im Allgemeinen seine vollkommene Richtigkeit. Auf dem hiesigen Museum finden wir eine grosse Reihe von merkwürdig verkrümmten Wirbelsäulen mit ihren Becken, wo dennoch die letzteren vollkommen normal und wohlgebildet sind. Aber andere Präparate des hie- sigen Museums bestätigen es wiederum, dass, wenn Rha- chitis die Ursache der Verkrümmung war, das Becken gleichsam von vorn zusammengedrückt erscheint ***), so dass die Grössendifferenz zwischen der Länge der Con- jugata und der des Querdurchmessers an der obern Aper- tur des kleinen Beckens, bei diesen rhachitischen Bek- ken viel bedeutender ist als bei normalen, obgleich ein- *) Vergleiche Wenzel, a. a. O, S. 324, *%) Handbuch der menschlichen Anatomie, Band II, 8. 750. **%) Rust Handbuch der Chirurgie. Bd. V. Art. Curvatura pel- vis. S, 503. , 251 gestanden werden muss, dass sämmtliche Dimensionen des kleinen Beckens bei Rhachitischen zuweilen kleiner erscheinen. \WVenn wir nämlich nach J. F. Meckel*) in vollkommen normalen und erwachsenen Körpern fol- gende Dimensionen des kleinen Beckens finden: Männer Frauen m mm N —— Conjugata. Querdurchmesser. Conjugata. Querdurchm. 4" 4" zn 4" 6" 5" so finden wir dagegen in den rhachitisch - verkrümmten Skeletten des Museums folgendes veränderte Verhältniss derselben Dimensionen: Mann Frauen a —— N mn N Conjug. Querdurchm. Conjug. Querdurchm. Nr.2490.2" 41" 4" 6" Nr.4922. 2’ 6" 4" 4" =1.2491.,2" 9° 5.54.67 - 169. 4’ 6" 5" 9" = 2229. 4.27 8° :6% - 3028. 3” 9" 4" 8" Auch das in osteomalacischen Skeletten gerade umge- kehrte Verhältniss der Beckendimensionen **) wiederholt sich an unseren bereits besprochenen osteomalacischen Skeletten, Bei ihnen ist nämlich das Becken nach allen Richtungen hin ungemein verkümmert, besonders aber im Querdurchmesser desselben, so dass es, im Gegen- satz zu dem rhachitischen Becken, gleichsam seitlich zu- sammengedrückt erscheint, So beträgt denn die Conju- gata, trotz der länglichen Form der obern Apertur, bei dem Skelett Nr.2180 nur 3” 6" bei dem Nr. 4303 selbst nur 2” 3”, Die seitliche Zusammendrückung ist bei dem letzteren Becken so gross, dass dieLineae arcuatae die- sem Namen überhaupt nicht mehr entsprechen, sondern unmittelbar von dem Kreuzbein ab, als zwei gerade, con- vergirende und an der Symplysis zusammenstossende *) A, a. O. Bd.Il, $ 748. ”) Rust, a. a, 0. 252 Linien erscheinen. Es ist hier daher ein ‚eigentlicher Querdurchmesser nicht darzustellen. In dem zweiten osteomalacischen Skelett (Nr. 2180.) ist die obere Aper- tur weniger missbildet und dennoch der Querdurchmes- ser nur 3" 8”-Jang, d.h. nur um zwei Linien länger als seine Conjugata, Weber *) in Bonn stellt den Satz auf, die gerade Linie von der Nasenwurzel bis zum Kinn sey in einer und derselben Person eben so gross wie die Conjugata, und der Durchmesser zwischen den beiden convexesten Punkten beider Jochbogen sey gleich dem Querdurch- messer der obern Apertur des kleinen Beckens. Er setzt hinzu, dass auch in der Rhachitis der Schädel zu- gleich mit dem Becken missbildet werde, dass er jedoch nicht zu bestimmen vermöge, wie weit diese Ueberein- stimmung auch in der Verbildung gehe. Nach meinen oben angegebenen Messungen aber möchte ich behaupten, dass bei Rhachitischen durchaus keine Uebereinstimmung dieser Art in der Verbildung vorhanden sey. Ich habe nämlich bereits in dem Vorhergehenden gezeigt, dass ich den Gesichtsschädel sämmtlicher verkrümmter Skelette, und daher auch derer, bei welchen Rhachitis Ursache der Gibbosität war, um vieles schmäler gefunden habe, als bei normalen Schädeln. Das Becken Rhachitischer aber ist, wie es jetzt wohl ziemlich feststeht, breiter als das gesunder Menschen, aus welchen beiden Thatsachen ich daher schliessen darf, dass in der Rhachitis nicht eine übereinstimmende, sondern vielmehr eine entgegen- gesetzte Verbildung an Kopf und Becken Statt finde. Obgleich aber die Skelette Nr. 760., 2491., 4922, dieser meiner Meinung durch ihre Dimensionen entsprechen (s. Tab. II.), indem nämlich der Querdurchmesser (6) des Beckens grösser als der Querdurchmesser des Gesichts (7) *) Ueber Conformität des Kopfs und Beckens in v. Walther u, v. Gräfe’s Journal. Bd. IV, S.604. 253 ist, so findet sich dennoch gerade ein umgekehrtes Ver- hältniss im Skelette Nr. 2490., woraus denn hervorzuge- hen scheint, dass in dergleichen Verbildungen wohl kein entsprechendes Verhältniss zwischen Gesichts- und Bek- ken-Dimensionen eintrete. Der Mangel an Uebereinstim- mung zwischen dem Durchmesser von der Nasenwurzel bis zum Kinn und der Conjugata an den Skeletten Rha- chitischer (s. « und f) bestätigten ebenfalls diese Be- hauptung. In den Skeletten aber die von Osteomalacie affieirt sind, ist die grösste Verschiedenheit zwischen den Dimensionen des Kopfes und des Beckens. (S, zweite Tabelle 2180., 4303.) Da ich indess begierig war, die von Weber aus- gesprochene Conformität zwischen Kopf und Becken nor- malgebildeter Skelette durch eigene Untersuchungen mir deutlich zu machen, so benutzte ich die sich mir darbietende Gelegenheit, um an sämmtlichen, im Berliner Museum vorhandenen vollständigen Skeletten, von denen ich auch die fremden Racen nicht ausschloss, die von Weber angegebenen Dimensionen nachzumessen, Die zweite Tabelle enthält die Resultate dieser Messungen, aus denen hervorgeht, dass nur in einem Skelette (Nr, 2561.) die Dimensionen « mit f, und y mit: d, überein- stimmen; dass nur bei wenigen ein Paar dieser Dimen- sionen gleiche Grösse zeige, dass dagegen in den mei- sten dieser normalen Skelette die Dimensionen, welche nach Weber übereinstimmen sollten, sich ihrer ‚Grösse nach sehr von einander unterscheiden: so dass diese An- gabe Webers weder bei rhachitischen und ‚osteomala- eischen, noch bei’ normal gebildeten Menschen als patho- logische oder physiologische Regel aufzustellen ist, Derselbe Gelehrte stellt sowohl in dem bereits an- geführten Aufsatze, als an einem andern Orte *) folgen- *) Weber, neuer Beitrag zur Lehre von der Conformität ete, in: Nova acta Academiac Leopoldino-Carolinae, Bd, XI, S, 413. 254 den Erfahrungssatz auf: Hirnschädel und Gesichtsschädel, grosses Becken und kleines Becken stehen in solchem Antagonismus gegen einander, dass, wenn aus irgend ei- ner krankhaften Veranlassung der Hirnschädel (oder das grosse Becken) nach der einen Seite verschoben sey, auch die Knochen des grossen Beckens (oder des Hirn- schädels) nach derselben Seite sich wendeten, die Kno- chen des Gesichtsschädels und kleinen Beckens aber nach der entgegengesetzten Seite hingedrängt würden. Diese Bemerkung muss daher vorzüglich auf Bucklige ihre Anwendung finden, und auch ich kann sie durch ähnli- che an zweien unserer verkrümmten Skelette aufgefun- dene "Erscheinungen wenigstens theilweise bestätigen. In dem Skelette Nr. 2490. sehen wir nämlich die Sym- metrie des Schädels dadurch gestört, dass die rechte Seite des Hirnschädels schmäler ist als die linke, 'woge- gen aber die linke Gesichtshälfte schmäler als die rechte erscheint. Ich gestehe aber gern, dass die Asymmetrie der Theile nur bei genauer Prüfung zu finden ist. In. dem unter Nr. 2180. im Museum befindlichen Ske- lette stimmt die Veränderung des Gesichts und des Schä- dels in sofern nicht mit der VW eberschen Ansicht über- ein, als die ganze rechte Seite sowohl des Hirnschädels als des Gesichtsschädels ein wenig mehr entwickelt und breiter als die linke ‚erscheint, In beiden Skeletten aber ist das grosse Becken so eingedrückt, dass das rechte Os ilium bei aufmerksamer Betrachtung sich mehr senkrecht und höher zeigt als das linke (obgleich in dem Skelette Nr. 2490. beide Ossa ilium sehr zusammengedrückt sind), was nicht. sowohl von dem abnormen Stande des ganzen Beckens gegen den übrigen Körper, als vielmehr dadurch hervorge- bracht wird, dass das grosse Becken an seinem rechten Hüftknochen mehr als an seinem linken nach innen ge- drüekt ist, _ Desshalb ist auch in beiden Skeleiten der von der äussern Fläche: des Hüftbeins mit der äussern 255 Fläche des kleinen Beckens gebildete ‘VYinkel auf der rechten Seite grösser als auf der linken. In den kleinen Becken beider Skelette aber ist die ganze linke Wand, vorzüglich aber der Ramus horizontalis ossis pubis be- sonders in der Pfannengegend so eingedrückt, dass da- durch die obere Apertur des kleinen Beckens sehr ver- kleinert und entstellt wird. Die rechte Wand des klei- nen Beckens mit dem dazu gehörigen Ramus horizonta- lis sind vollkommen gerade und regelmässig gebildet. Diese Eindrückung des kleinen Beckens und vorzüglich der Pfannengegend von der Seite her, nach der das ganze Becken sich hinneigt, lässt sich wohl am leichtesten da- her erklären, dass bei einer Neigung des ganzen Stam- mes nach einer Seite hin, die Last desselben ganz allein auf dem Schenkelkopf und der Pfanne dieser Seite ruht, wodurch natürlich die die Pfannengegend zusammenset- zenden Knochen, die überdiess in solchen Fällen ge- wöhnlich durch Osteomalacie oder Rhachitis eryyeicht sind, eingedrückt werden müssen, Ueber die Extremitäten. Carl Wenzel ist der Meinung *), dass die obern Extremitäten im Verhältniss gegen die untern Extremi- täten ungewöhnlich lang scheinen (nicht sind), weil sie wegen der Mürze des Rumpfs und der eigenthünli- chen Beschaffenheit der Schlüsselbeine weit vor und dess- halb weit herunter hangen müssen, Indessen glaube ich in dem Folgenden beweisen zu können, dass dieses Miss- verbältniss zwischen der Grösse der obern und untern Extremitäten nicht bloss ein scheinbares, sondern ein wirkliches ist. Da es mir interessant war zu untersu- chen, was die eigentliche Veranlassung dieses Missver- hältnisses sey, und ob vielleicht einzelne Knochen der Extremitäten in ihrer Entwickelung mehr als die übrigen ”)A. a 0, 5.3238. 256 zurückblieben, so mass ich, so genau als es irgend an- ging, die Länge des Körpers überhaupt und die der Ex- tremitäten insbesondere, an fünf von den Skeletten wel- che ich. untersucht hatte, und an neun lebenden Buckli- gen, die alle, "mit Ausnahme einer Person von 18 Jahren, bereits das Alter erreicht hatten, in welchem kein Wachs- thuw in, die Länge mehr Statt findet. Um nun aber auch das Gefundene mit den Verhältnissen vergleichen zu kön- nen, die in gesunden, ausgewachsenen und wohlgebilde- ten Körpern gewöhnlich vorkommen, stellte ich die An- gaben von Krause *), Sue **) und Hildebrandt (Anatomie, herausgeg. von Weber) mit den Verhält- nissen zusammen, welche mir die für die Berliner Ma- leracademie. gezeichneten männlichen und weiblichen Nor- malskelette darboten, und nahm nur die, aus allen diesen Angaben hervorgehende Mittelzahl als die Bestimmung an, die mindestens der Wahrheit am nächsten kommen dürfte. Die ersten 14 Zahlenreihen der dritten Tabelle ent- halten nun alle, die Länge des Körpers überhaupt, der Extremitäten und deren Glieder betreffende Messungen an dem Körper jedes einzelnen Buckligen; die beiden folgenden Reihen geben die Mittelzahl der einzelnen Di- mensionen bei Buckligen, sowohl Männern als WVeibern. Da es. mir indessen hier vorzüglich darum zu thun war, mich zu überzeugen, ob die obern oder die untern Extremitäten oder ob einzelne Theile derselben sich in Buckligen über die Norm. verlängerten oder zurückblie- ben, so musste ich möglichst genau das Verhältniss die- ser Theile gegen den Körper Buckliger verglichen mit demselben Verhältniss in wohlgebildeten Körpern kennen lernen. Ich versuchte daher, die Länge aller gemessenen Glieder durch die Zahl auszudrücken, die ihr Längenver- = *) Handb, d.menschl, Anatomie. Bd. I, 'Thl.1. Hannov, 1833. S.101 ff. +") Sue, sur les proportions du squelette de l’homme, in Memoires presentes ä l’academie des sciences deParis, Paris, 1755. T. U. 8,572. 257 hältniss zur Länge des ganzen Körpers darstellt, so dass also die Länge des Körpers als Einheit, die des einzel- nen Gliedes gleichsam als Bruchzahl dieser Einheit an- zunehmen ist. Indem ich daher die Länge des Körpers, sowohl der buckligen als der gutgewachsenen Menschen, gleich 100 setzte, musste ich nun als Länge des Gliedes die Zahl setzen, die sich eben so zu 100 wie die wirk- liche Länge des Gliedes zur wirklichen Länge des Kör- pers verhält. Fand ich also die Länge eines Körpers gleich 64 Zoll, die des Oberarms gleich 12 Zoll 2 Linien, so stellte ich statt der letzten Zahl eine andere auf, die sich zu 100 eben so verhält, wie 121 zu 64; es ist diess, mit einem sehr kleinen Fehler, die Zahl 19 *), . Bei die- sem Verfahren musste jede Abweichung in dem Verhält- nisse zwischen normalen und abnormen Körpern sich au- genblicklich erkennen lassen, da jede grössere Zahl eine Vergrösserung, jede kleinere Zahl ein Zurückbleiben des bezeichneten Gliedes gegen das normale Verhältniss an- deutet, Aus diesen Proporlionszahlen geht dann zuvörderst das merkwürdige Resultat hervor, dass die Extremitäten sowohl selbst, als auch jedes der sie bildenden Glieder (mit Ausnahme eines einzigen) entweder das normale Verhältniss zur Länge ihres Körpers haben, oder, was viel häufiger ist, selbst über dieses Verhältniss hinaus- gehen. Wenn aber auch fast sämmtliche Glieder an die- ser Vergrösserung Theil nehmen, so scheinen doch ein- zelne vor allen übrigen Gliedern sich auszuzeichnen, Wie sehr zuvörderst die Entwickelung der oberen Ex- tremitäten die der unteren übertrifft, giebt die Verglei- chung beider Körpertheile mit den normalen. Während nämlich (siehe Tabelle III,, Q und U, «, ß, y, d) bei ; x Pkh buckligen Männern die oberen Extremitäten sich zu den *) Diese Proportionalzahlen nehmen die vier letzten Reihen der dritten Tabelle ein, die Brüche sind in Deeimalzahlen ausgedrückt, Müller’s Archiv. 1834, 17 258 unteren verhalten, wie 50,74 zu 52,68, ist dieses Ver- hältniss bei normal gebildeten Männern wie 44,88 zu 51,33; während bei buckligen Frauen die obere Extre- mität sich ihrer Länge nach zur untern verhält wie 47,44 zu 49,49, finden wir das Durchschnittsverhältniss bei normal gebauten Frauen wie 42,74 zu 47,71. In beiden Fällen ist daher zwischen der Länge der oberen und un- teren Extremitäten bei gutgewachsenen Personen eine grössere Differenz als bei den Buckligen. Die einzige Ursache dieses so abnorm gewordenen Verhältnisses ist die übermässige Länge der- oberen Ex- tremitäten Buckliger; dagegen sind die unteren Extre- mitäten wenig über ihr normales Verhältniss hinaus ver- längert, und ihre Entwicklung im Vergleich zu der des ganzen Körpers fast regelmässig. So zeigt unsere dritte Tabelle (Q) die Länge der oberen Extremitäten zu der des ganzen Körpers sich verhaltend: bei männlichen Buckligen wie 50,74 zu 100, bei normal gebauten Män- nern wie 44,88 zu 100; bei verkrümmten Frauen wie 47,44 zu 100, bei gutgebauten Frauen wie 42,74 zu 100; wo also die obere Extremität Buckliger sich weit ent- wickelter darstellt als dieselbe Extremität normalgewach- sener Menschen. Dagegen ist das Verhältniss der un- tern Extremität zur Länge des ganzen Körpers folgen- des: bei buckligen Männern wie 52,68 zu 100, bei nor- mal gebauten Männern wie 51,33 zu 100; bei buckligen Frauen wie 49,49 zu 100, bei normalgebauten Frauen wie 47,71 zu 100; wo also die unteren Extremitäten Buckliger nur in sehr geringem Grade ihre, dem Ver- hältnisse nach, normale Länge überschreiten. Es ist übrigens bemerkenswerth, dass dieses Zurückbleiben der unteren Extremitäten gegen die oberen, auch bei an- dern kleinen Körpern Statt findet, wo diese Hlein- heit wirklich eine normale ist; nämlich 1) bei den Kindern; hier finden wir zwischen dem fünften und 259 zehnten Jahre ungefähr dasselbe Verhältniss zwischen oberen und unteren Extremitäten *); 2) bei den Frauen, da auch deren HKleinheit in der Kleinheit der unteren Extremitäten grösstentheils begründet ist **). Die verhältnissmässig fast normale Länge der un- teren Extremitäten Buckliger, könnte auf eine mehr normgemässe Entwicklung dieser Theile gegen den übri- gen Körper hindeuten, als wir sie an den oberen Ex- tremitäten bemerken. Indessen würde uns diese An- nahme dennoch täuschen, indem die fast normale Länge der untern Extremität nicht durch mehr normale Ent- wicklung aller ihrer Theile, sondern einzig und allein durch ein unverhältnissmässiges Zurückbleiben eines ein- zigen Gliedes der Unterextremität gegen deren übrige Theile hervorgebracht wird. Sämmtliche Glieder bei- der Extremitäten nämlich, Hände und Füsse mitgerech- net, zeigt unsere Tabelle uns bei Buckligen verhältniss- mässig viel länger als bei gutgewachsenen Personen; nur das Os femoris ist fast immer im Verhältniss zu den übrigen Gliedern verkürzt, da es der einzige Theil ist, der eine selbst relativ geringere Länge als bei normalgebildeten Menschen zeigt, so ist (siehe R) das durchschnittliche Längenverhältniss des Schenkelbeins zum Körper: bei buckligen Männern wie 26,26 zu 100, bei normal gebauten Männern wie 26,50 zu 100; bei buckligen Frauen wie 23,98 zu 100, bei geraden Frauen wie 24,16 zu 100; ein Unterschied der zwar nicht be- deutend, aber doch immer vorhanden ist. Einzelne Fälle zeigen diese Verkürzung noch viel deutlicher; so z. B. ist in dem Skelett Nr. IV. (siehe Tabelle III. R) die Länge des Schenkelbeins 7" 6”, während die der Tibia 9’ 9" ist; eben so ist bei ei- ”) Sue, a. a, O. 8.575. ”) Krause, a.a. O. S, 207, 17 * 260 nem der von mir untersuchten lebenden Buckligen (Ta- belle III. Nr. IX.) das Schenkelbein 12" 4" und die Ti- bia 13" 6" lang, in welchen beiden Fällen daher ein dem normalen geradezu entgegengesetztes Verhältniss eingetreten ist, da in wohlgebauten Körpern das Schen- kelbein um wenigstens zwei Zoll grösser ist als die Tibia. Während so der eine Theil der unteren Extremitä- ten so merkbar in der Entwickelung zurückbleibt, se- hen wir gerade an einem andern Theile derselben Ex- tremitäten einen sehr bedeutenden Grad vorherrschen- der Ausbildung *). Mit Ausnahme des Oberarnkno- chens, ist nämlich der Fuss unter allen Gliedern der oberen und unteren Extremitäten am meisten entwickelt (siehe V), so dass er bei buckligen Männern sich zum Körper wie 16,71, bei gesunden und gutgewachsenen Männern nur wie 14,75 zu 100 verhält; bei buckligen Frauen ist dasselbe Verhältniss wie 14,80, bei gutge- wachsenen Frauen wie 13,33 zu 100. Diese Entwicke- lung ist so bedeutend, dass der Fuss bei Buckligen zu- weilen dieselbe absolute Grösse hat, die er bei recht grossen Menschen zeigt. So sind bei zwei Buckligen, die nur 4Fuss 4 Zoll und 4 Fuss 6 Zoll gross sind, die Füsse 91 Zoll lang, eine Länge, die nach Krause bei Männern von 5 Fuss 4 Zoll Höhe die gewöhnliche ist. Auch der dritte Haupttheil der unteren Extremitäten, die Tibia, ist wie Tabelle III, S. zeigt, verhältniss- mässig grösser, als es die Norm verlangt; wyährend *) Da es mir nicht gelingen wollte, die senkrechte Höhe zwi- schen dem unteen Rande des Malleolus internus und der Fusssohle, wegen unbestimmter Begrenzung der letztern, genau zu messen, so habe ich sie, in der Ueberzeugung, einen nur sehr geringen Fehler machen zu können, bei sämmtlichen Männern gleich 1” 6”, bei sämmtlichen Frauen gleich 1” 3" angesetzt (siehe T.). 261 nämlich das Verhältniss der Tibia zum Körper bei buck- ligen Männern wie '23,61 zu 100 ist, ist es bei normal gebauten Männern wie 22,07 zu 100; bei buckligen Frauen wie 22,96, bei gutgewachsenen Frauen wie 21,00 zu 100. Es ist leicht begreiflich, dass das Verhältniss zwischen Schenkelbein und Tibia aus diesem Grunde ein ganz anderes bei Buckligen als bei gutgewachsenen Per- sonen seyn werde; und so zeigt die dritte Tabelle diess Verhältniss bei buckligen Männern wie 26,26 zu 23,61, bei gutgebauten Männern wie 26,50 zu 22,07; bei buck- ligen Frauen wie 23,90 zu 22,96, bei gutgebauten Frauen wie 24,16 zu 21, Aus dem Obigen ergiebt sich wohl ziemlich be- stimmt, dass das Wachsthum der unteren Extremitäten an sich, im Verhältniss zur Länge des ganzen Körpers, durchaus nicht beschränkt werde; sondern dass, bei ei- ner glücklichen Ausbildung aller übrigen Theile, das einzige Schenkelbein kleiner als es die Norm verlangt, sich darstelle, und zwar diess in einem so hohen Grade, dass eben dadurch die unteren Extremitäten im Verhält- niss zu den oberen kleiner zu seyn scheinen als diese. 262 7909 2 sd < Haut des Gaumen. xx Knorpelanhänge am Zahnstücke des Unterkiefers. Fig. 5. Die Zungenbeine mit der Zunge, ein Theil der Luftröhre und der Kehlkopf. Es ist noch ein Stück vom Unterkiefer mit seinem Knorpelanhang angegeben, um den Ursprung des Vorwärtsziehers des Kelılkopfs und Zungenbeins zu zeigen. (Die Fortsetzung folgt.) 365 Untersuchungen über die wesentliche Ursache der Bewegung des Bluts in den Venen, Von Dr. Porseuille. (Recherches sur les causes du mouvement du sang dans les veines, par le Dr. Poiseuille. M&m. couronne par l’institut, en Juin 1831. Paris 1832, *).) Wir haben in einer frühern Abhandlung (Magendie’s Journal X. 277.) gezeigt, dass die Bewegungen des Thorax beim Athmen und die Erweiterung des rechten Herzens zwar zur Bewegung des Blutes in den Venen beitragen: dass aber diese Ursachen nur zufällige sind. Wir wollen jetzt die we- sentliche Bedingung derselben aufsuchen. Sie kann abhän- en 4. von der Kraft, welche das arterielle Blut treibt, vom erzen nämlich und von den Arterien; 2. von der Wirkung des Capillargefässsystems auf das von den Arterien ihm zuge- führte Blut: 3. von einer Verbindung dieser beiden Ursa- chen. Wir wollen diese drei Theorien untersuchen, über welche die Physiologen noch uneinig sind, 4. Hört die Kraft, welche das Blut durch die Arterien treibt, beim Uebergang desselben in die Capillargefässe auf, so dass das in diesen ange- langte Blut ferner nur durch die Wirkung des Ca- pillarsystems in die Venen tritt? Wenn das Blut in den Capillargefässen sich nur noch unter dem Einflusse dieses Systems befindet, so darf sich die Kraft, mit der es sich’ in den Venen bewegt, nicht ändern, die Bewegung in den Arterien mag schwächer oder stärker werden. ir werden zeigen, dass sich dies anders verhält. Das Instrument, dessen wir uns zu diesen Versuchen be- dienen, ist das früher beschriebene **). Der Raum vom Ni- *) Die Schrift besteht aus 2 Theilen, der erste, über den Einfluss des Athmens und des rechten Herzens auf die Bewegung des Bluts in den Venen, ist schon 1830. in Magendie’s Journal erschienen; nur der zweite wird hier mitgetheilt. **) Eine heberförmig gebogene Barometerröhre,' deren kürzerer Schenkel in ein horizontales Rohr übergeht, Sie ist zum Theil mit 366 veau des Quecksilbers im kürzern Schenkel bis zu der Spitze des horizontalen Theiles desselben wird mit einer gesättigten Lösung von unterkohlensaurem Natron gefüllt, weil diess die Eigenschaft hat, die Gerinnung des Blutes aufzuhalten. Die genannte Spitze wird in die Vene gebracht, nicht wie frü- her, gegen das centrale, sondern gegen das peripherische Ende derselben gerichtet. Durch den Druck der Blutsäule sinkt das Quecksilber im kurzen Schenkel und steigt in dem langen. Wäre der Raum von der Stelle, wo sich der kurze Schenkel in den horizontalen Theil umbiegt, bis zum Null- unkt 180 Millimeter lang, stände das Quecksilber nun im En Rohre auf —39, im langen auf +30, so würde man die Kraft, mit der das Venenblut eindringt, ausdrücken durch eine (uecksilbersäule von 60 Millim. Höhe weniger = 21 Millim. (Man müsste nämlich die Höhe der Natronaullösung, deren Dichtigkeit den zehnten Theil von der des Duedai bers beträgt, von der Differenz beider Quecksilberobertlächen abziehn.) Diess Beispiel wird hinreichend zeigen, wie wir den Druck, den das Venenblut ausübt, in den folgenden Ver- suchen geschätzt haben, In einer andern Abhandlung (Recherches sur la force du coeur aortique. Magendie’s Journ. IX., 341.) haben wir bewiesen, dass das in den Arterien enthaltene Blut sich wäh- rend des Ausathmens mit mehr Kraft bewegt, als während der Inspiration. Diese Kraft hielt z. B, in der Art. cruralis, bei dem Einathmen, einer Quecksilbersäule von 80 Millim., beim Ausathmen einer von 112 Millim, das Gleichgewicht; in einem andern Falle betrug die Kraft bei dem Einathmen 60, beim Ausathmen 78 Millım. etc. Die Zunahme wird noch bedeu- tender, wenn das Thier sich anstrengt. Es gilt nun, zu zeigen, ob auch die Kraft, mit welcher das Venenblut sich bewegt, während der Exspiration wächst. So benutzen wir zu unserm Versuche ein Mittel, welches geselzmässig die Bewegung des arteriellen Bluts beschlennigt, und werden ein um so reineres Resultat erhalten, da wir keine fremdartigen Stoffe einbringen, die Nebenwirkungen auf das Capillarsystem äussern könnten, Wir haben gleichzeitig noch einen Umstand zu berück- sichtigen, welcher normal die Geschwindigkeit des: Bluts in den Arterien vermehrt, nämlich die Systole des Herzens. Um diess zu beweisen, entfernen wir zuerst den beschleunigen- den Einfluss der Exspiration dadurch, dass wir die Brusthöhle Quecksilber gefüllt, und das Niveau desselben gilt in beiden vertica- len Schenkeln als Nullpunkt. Von diesem aus sind beide, der län- gere nach oben, der kürzere nach unten, mit einer Scala versehen, die in Millimeter getheilt ist. 367 öffnen und das Athmen künstlich unterhalten und bringen dann unser Instrument in die vorläufig entblösste Arterie, Es zeigt in der Carotis, wie in der Art. cruralis, einen Druck von 92,5 Millim,. während der Diastole, von 102 Millim. wäh- rend der Sysiole, Erster Versuch. Ich setzte bei einem Hunde mittle- rer Grösse, die Röhre in die blossgelegte Vena brachialis, so dass die Spitze des horizontalen Rohrs dem peripherischen Ende derselben zugewandt war. Alsbald stieg das Queck- silber über den Nullpunkt des langen Schenkels und sank un- ter den des kurzen, Es blieb aber nicht auf der zuerst er- langten Höhe, sondern sank und stieg abwechselnd, ohne je- doch in seinen Oscillationen jemals unter den Nullpunkt des längern und über den des kürzern Schenkels zu gelangen. Wurden nun die Bewegungen des Thorax und gleichzeitig der Puls einer Arterie beobachtet, so fand sich, dass das Quecksilber (im langen Rohre) am höchsten stieg während einer Exspiralion oder einer Zusammenziehung des linken Ven- irikels. Betrug die Kraft der Blutsäule während des Einath- mens und ausser der Systole 10,8 Millim., so stieg sie auf 46,5 beim Ausathmen und auf 15,6 bei der Systole, Strengte sich das Thier an und wurden die Athembewegungen stärker, so erhielt man einen Druck von 20,22 bis 24 Millim.; beim Einatlımen und bei der Diastole sank er wieder auf 10,8 Mllm. Dieses Experiment gab bei 4 Hunden dasselbe Resultat, Zweiter Versuch. Man entblösst die V. saphena längs der Achillessehne und setzt die Röhre auf die angegebene Weise ein. Es findet sich während der Inspiration, ausser der Systole, ein Druck von 42 Millm., während der Systole von 48 Millm., während der Exspiration von 48,5 Millm, Das Thier macbt heftige LErEmer; athmet stark aus und au- genblicklich zeigt sich ein Druck von 85 Millm., der während einer Systole auf 49 und bei der Exspiration auf 42 Millm. zurücksinkt. Bei drei anderen Hunden war der Erfolg dieses Versuches derselbe, Es ist also gewiss, dass die Kraft desBlu- tes in den Arterien sich nicht vermehren kann, ohne eine entsprechende Beschleunigung in der Bewegung des Bluts in den Venen hervorzu- bringen. . ritter Versuch. Wir bringen dasselbe Instrument in die V. saphena ein, vertauschen aber das Quecksilber mit einer Bene: kohlensaurem Natron. Diese steigt sogleich im längern Schenkel. Bis sie aber die Höhe erreicht, womit sie dem vom Venenblut ausgeübten Drucke das Gleichge- „wicht hält, verläuft einige Zeit, da die Menge des Bluts in der V, saphena gering ist, und die Säule der Natronlösung 368 zehnmal so hoch werden muss, als die des Quecksilbers, Während dieser Zeit beobachtet man, dass die Flüssigkeit zwar beständig steigt, aber ruckweise, so dass jeder Ruck einer Ausatımung oder einer Systole entspricht, Man sieht ferner, wenn man das Thier zu Anstrengungen reizt, das Steigen zwar immer ruckweise, aber rascher erfolgen; der frühere Rhythmus tritt wieder ein, sobald die Anstrengungen nachlassen. In diesem Versuch ist der grösste Druck, wäh- rend das Thier ruht, 460 Millim. oder 46 Millm, einer Queck- silbersäule; wenn es sich heftig bewegt, 480, 550, 620 Millm. Auch dieser Versuch wurde viermal mit demselben Re- sultate unternommen. Vierter Versuch. Wir brachten das, wie in den bei- den ersten Versuchen, mit Quecksilber gefüllte Instrument in die Cruralvene und erhielten, bei fünf Hunden, dasselbe Resultat, wie an der Vena brachialis und saphena. Erfolgte nun die Bewegung des Blutes in den Venen al- lein von der Action des Capillargefässsystems- aus, wäre sie ganz unabhängig von der Geschwindigkeit des Arterienblutes, so müsste die Flüssigkeit im Instrumente gleichmässig stei- gen, ohne Beziehung zu den Ursachen, die das Blut in den Arterien rascher treiben. Beachten wir aber auch, dass die Flüssigkeit beständig a so ergiebt sich, dass ausser der intermittirenden Kraft des Herzens und der Alhembewegun- gen noch eine andere vorhanden seyn müsse, sonst erfolgte das Steigen stossweise, nicht aber anhaltend und ruckweise beschleunigt. Diese letztere Kraft beruht entweder auf der Thätigkeit der Capillargefässe, oder auf der Zusammenzie- hung der Arterien nach der Erweiterung derselben durch die vom Herzen aus geförderte Blutwelle, oder auf diesen bei- den Momenten zugleich. Wir werden bald im Stande seyn, darüber zu urtheilen, Wir sehen aus den vorhergehenden Versuchen, dass, wenn die Bewegung des Bluts in den Arterien beschleunigt wird, auch die Geschwindigkeit des Bluts in den Venen sich vermehrt. Wir stellen also folgendes Corollarium auf: sollte auch, wie Bichat behauptet, das Blut, sobald es in die Ca- pillargefässe gelangt ist, durch diese weiter bewegt werden, so tragen doch die Ursachen, die das arterielle Blut treiben, kräftig bei zurFörderung desBlutes durch die Capillargefässe und also auch durch die Venen, Einige neuere Physiologen, namentlich Magendie, sind durch ganz andere Experimente, die wir hier nicht wieder- holen, zu demselben Schlusse gelangt. Die Theorie Bi- chat’s ist demnach irrig. -» v Wir gehen nun zur Untersuchung der Meinung Beclard’s 369 "über, dem zufolge sowohl das Herz, als das ei See system zur«Bewegung des Blutes in den Venen beitragen. II. Wirkung des Capillargefässsystems auf das ihm von den Arterien zugeführte Blut. Wenn der Blutlauf in den Venen von zwei Kräften ab- hängt, von der dem arteriellen Blute mitgetheilten Bewegung und von dem Einflusse der Capillargefässe, so wird man die letztere allein schätzen können, wenn man die erste ausser Wirkung setzt. Würden wir zu dem Ende unser Instru- ment in die V. saphena bringen und dann die Art, cruralis comprimiren, so müsste ohne Zweifel die Flüssigkeit im lan- gen Schenkel sinken, und so hat es uns der Versuch gezeigt. Allein wir thäten dann mehr, als den Einfluss der dem Ar- terienblut mitgetheilten Bewegung aufheben; wir hemmten überhaupt den Zufluss des Blutes zu den Capillargefässen, und, diese mögen nun durch Saugkraft oder Capillarität wir- ken, so würde ihre Thätigkeit von dem Moment an aufhören, wo sie kein Blut mehr erhielten, und das Blut würde nicht mehr in die Venen übergehn können, Diess ist der wich- tigste Einwurf, der Magendie gemacht worden ist gegen den Versuch, durch den er die uns beschäftigende Frage zu beantworten suchte. Wir müssen also andere Mittel suchen, um die Wirkung der Capillargefässe von der des arteriellen Blutes zu isoliren und sie zu messen. h Um diese Aufgabe zu lösen, kommt es zuerst darauf an, die Kraft des Arterienbluts zu verringern, doch so, dass die Arterie, welche der zu beobachtenden Vene ihr Blut zuführt, immer gefüllt bleibt. Die Kraft, welche das Blut in einer Arterie bewegt, wird in einem gewissen Punkte derselben vermindert, wenn zwischen diesem Punkte und dem Herzen das Gefäss eröffnet wird. Das Blut springt nämlich im Bo- gen aus der Gefässwunde, zur Bildung dieses Bogens wird ein Tbeil Kraft verwandt; jenseits desselben wird also das Blut nur mit dem Reste der anfangs mitgetheilten Kraft wei- ter bewegt. Uebrigens bleibt das Gefäss auch unterhalb der Wunde vollBlut und damit sind die Bedingungen zu unserm Experiment erfüllt. Die Richtigkeit unsrer Behauptung ist von selbst einleuchtend; da wir aber die folgenden Versuche darauf gründen, so bedurfte sie einer directen Bestätigung. Wir brachten deshalb die Röhre, mit gegen das Herz ge- richteter Spitze, in die Carotis communis eines Hundes, die wir in der Länge eines Decimeters bloss gelegt hatten, wir erbielten einen Druck von 142 Millm,: wir machten eine kleine snng in die Arlerie, aus der das Blut hervorspritzte; die Quecksilbersäule sank auf 124 Millim., durch successive Er- weiterung der Arterienwunde drang das Blut in immer stär- kerem Bogen heraus und das Quecksilber sank auf 64, anf Müller’s Archiv, 1834. 24 370 36, 17 bis 5 Millim. Verschlossen wir nun die Oeffnung mit dem Ringer, ohne das Gefäss zusammenzudrücken, so stieg die Quecksilbersäule bald wieder zur ursprünglichen Höhe von 142 Millim.; es sank von neuem mehr und mehr, wenn man dem Blute nach und nach wieder freien Ausfluss ge- stattete. Bei dieser Verminderung der Kraft blieb aber das Gefäss unterhalb der Oeffnung immer voll. Der Versuch, den wir nun anstellen‘, ist leicht zu erra- then. Wir werden die heberförmige Röhre, mit Natronlö- sung gefüllt, um die Veränderungen des Drucks bestimmter wahrzunehmen, in eine Vene bringen, mit nach dem peripkeri- schen Ende derselben gerichteter Spitze, und die Höhe der Solution bestimmen. Wir werden alsdann die entsprechende Arterie aufsuchen und öffnen; das Blut wird durch die Oeff- nung dringen und die Kraft seiner Bewegung zwischen der Gefässwunde und dem Capillarnetz geringer werden. Wir beobachten alsdann die-Veränderungen des von dem Venen- blute ausgeübten Druckes an dem Instrumente. Es ist zur genauen Ausführung dieses Experiments nö- thig, alle Arterien zu sehen, die sich in das Capillarnetz be- eben, aus dem die Vene entsteht, Wir wählen desshalb Bu ein Stück Darm, dessen Gefässe deutlich durch das Me- senterium sichtbar sind. Da aber das geringe Lumen dersel- ben bei dem Hunde die Application unsers Tubus nicht ge- stattet, so wurden die folgenden Versuche an dem Darm des Pferdes angestellt. £ Erster Versuch. Das Pferd wurde auf die rechte Seite geworfen und so fest als möglich in dieser Lage er- halten. Durch eine penetrirende Wunde in der linken Flanke - von etwa einem Decimeter Länge wurde eine Schlinge des Dünndarms hervorgezogen (der sich von andern Theilen des Darmkanals durch die grössere Breite seines Mesenteriums und die geringe Menge des in demselben enthaltenen Fettes auszeichnet). Wir breiteten sie auf der linken Bauchfläche des Thieres aus und isolirten durch zwei fest angezogene Li- gaturen eine etwa 8 Decimeter lange Portion von den be- nachbarten Theilen, so dass der Kreislauf in derselben nur noch durch die fünf, in den Platten ihres Mesenteriums lie- genden Arterien und die fünf denselben entsprechenden, dicht neben ihnen liegenden Venen unterhalten wurde. Da alle Arterien dieses Theiles durch weite Anastomosen mit einan- der communiciren, so wird durch eine Wunde:in einer ein- zigen derselben, die Kraft der Blutbewegung in allen den Gefässbogen, aus denen Zweige zum Darm treten, vermin- dert. Oeffnen wir sodann eine zweite Arterie, so spritzt das Blut auch aus dieser hervor, und die schon verminderte Kraft, mit der sich das arterielle Blut bewegt, erleidet einen 371 zweiten Abzug, und so fort für jede neue Wunde in einer der anderen Arterien. Ausserdem wird noch die Verminde- rung der Kraft abhängen von der Weite der Arterienwunde, In dieser Voraussetzung trennen wir die erste Vene von der ihr anliegenden Arterie und setzen die Röhre ein. Als- bald steigt die Natronlösung im langen Schenkel auf die be- schriebene anhaltende, ruckweise beschleunigte Art, Sie er- reicht bald die Höhe von 330 Millim. und schwankt zwischen 325 bis 330, so lange die Arterien unverletzt sind. Die er- ste, von der geöffnelen Vene am weitesten entfernte, wird mitielst der Lanzette angestochen und sogleich sinkt die Flüs- sigkeit im Instrument auf 315, 310, 305, 280, 270 Millim. und oscillirt endlich zwischen 270 und 275. Wir schliessen die Wunde der Arterie mittelst der Fingerspitze, jedoch mit der Vorsicht, das Lumen des Gefässes nicht zu beeinträchtigen, sogleich steigt die Solution wieder und zeigt successiv einen Druck von 280, 285, 300, 315, 325, 330 Millim. Lässt man das Blut wieder aus der Arterie spritzen, so sinkt die Flüs- sigkeit auf ihre frühere Höhe von 270 Millim. zurück, Wir öffnen nun die, der bereits spritzenden Arterie zunächst lie- gende Arterie auf dieselbe Weise. Das Blut dringt auch aus ieser im Bogen hervor und die Solution im Instrument sinkt weiter auf 265, 260, 250, 240, 225, 215, 195, 180 bis zu 175 Millim. Wir schliessen die Wunde der zweiten Arterie, in- dess die der ersten geöffnet bleibt, und bald erreicht die Flüs- sigkeit wieder 270 Millim. Höhe. Die dritte Arterie wird verwundet, alle drei spritzen gleichzeitig und die Flüssigkeit sinkt bald aut 70Millim. Sie steigt wieder auf 270, sobald 2 der Arterienwunden zugehalten werden. Nach Verwun- dung der vierten Arterie sank die Flüssigkeit auf 30 Millim, Wir wollten die fünfte öffnen, als durch eine rasche Bewe- ung des Tbiers sich dasInstrument aus der Vene schob; es onote, wegen der fortdauernden Unruhe desselben, nicht wie- der eingebracht werden. Wir bemerken noch, dass wir während des Versuchs die Darmschlinge beständig mit Was- ser von 30'GradR. benetzten, damit sie nicht erkaltete, Wir sehen aus diesem Versuche, dass die Kraft des ve- nösen Blutstroms genau mit der des arteriellen wächst und abnimmt, Dennoch führen die Arterien den Capillargefäs- sen Blut genug zu, und die letzteren könnten es immerfort mit derselben Kraft in die Venen treiben, wenn der Ueber- gang des Bluts in die Venen überhaupt von ihnen abhinge und der Druck von den Arterien aus sich, wie Bichat will, nicht bis über die Capillargefässe erstreckte. Zweiter Versuch. Während der ganzen Dauer des vorigen Experiments hatte das Thier nicht mit Anstrengung geathmet, sondern nur geringe Bewegungen gemacht, denen 24 * 372 das in der Vene haftende Instrument bequem folgen konnte, Als wir aber nun den Versuch an einer andern Darmschlinge bei demselben Pferde wiederholen wollten, fiel zwar die Flüs- sigkeit nach Eröffnung der ersten Arterie von 330 bis auf 310 Millim., dann aber stellten sich angestrengte Athembewegun- gen ein und die Flüssigkeit stieg während des Ausathınens wieder auf 370 Millim, Wir verletzten die zweite Arterie und die Flüssigkeit sank wieder auf 310 Millim., stieg aber durch eine kräftige Exspiration bis auf 415; die anhaltend starken Respirationsbewegungen widersetzten sich der wei- tern Fortsetzung unserer Beobachtungen, Es ergiebt sich aus den in der ersten Abhandlung mitge- theilten Thatsachen, warum die Flüssigkeit in der Röhre stei- en musste. Erstens, strömt während des Ausathmens das lut mit erhöhter Kraft in den Arterien, und also in Folge dessen auch in den Venen. Zweitens tritt, bei kräftiger Ex- spiration, das Blut aus den Venenstämmen der Brust in die des Unterleibs und aus diesen in ihre Aeste, weil ihnen die Klappen fehlen. Diese beiden Gründe, besonders der zweite, veibinderten das Sinken der Flüssigkeit und nöthigten uns, auf Mittel zu sinnen, durch die wir jene Störung umgehen könnten, Dritter Versuch. Wir isolirten, wie im ersten Ver- such, eine Schlinge des Dünndarms, aber nur von 3 Decime- ter Länge, welche nur 2 Arterien erhielt und 2 Venen abgab. In eine der letztern brachten wir unser Instrument und mas- sen die Höhe der Flüssigkeit. Sie schwankte zwischen 300 und 305 Millim., stieg aber, bei den anhaltenden Anstrengun- gen des Thiers, auf 360, 380 Millim., sank zurück zu 300 und erreichte bald wieder 400 u.s.w. Diese Unregelmässigkeiten liessen uns ein abermaliges Misslingen des Versuchs befürch- ten, wir präparirten desshalb die andere, nicht mit dem In- strumente verbundene Vene frei und unterbanden dieselbe, um die Einwirkung des, bei der Exspiration in die Venen des Unterleibes zurücktretenden Blutes auf sie und mittelbar auf die zu betrachtende Vene aufzuheben. Nun aber kann das durch die Arterien zugeführte Blut weder durch die eine noch durch die andere Vene zurückfliessen und damit ist der Kreislauf in dem Darmstück unterbrochen. Wir begegnen diesem neuen Uebelstande, indem wir in die unterbundene Vene zwischen ihrem peripherischen Ende und der Ligatur einen Einstich machen. Das Venenblut erhält so wieder ei- nen Ausweg und der Kreislauf stellt sich her. Allerdings muss das Ausfliessen des Bluts aus dieser Oeffnung den Stand der Flüssigkeit in der Röhre modificiren; da wir aber nicht die absolute Kraft, mit der sich das Venenblut bewegt, mes- sen wollen, sondern nur das Verhältniss derselben zu der des 373 arteriellen, da ferner die Grösse der Wunde für die ganze Dauer des Versuchs sich gleich bleibt, so kann diese Modi- fication das Resultat nicht trüben. Die Flüssigkeit, welche vor der Verletzung der Vene einen Druck von 300 Millim. angezeigt hatte, sank nun auf 290 und schwankte einige Zeit zwischen 290 und 295. So wie wir dem Blute nun aus ei- ner der Arterien einen Ausweg gestatteten, fiel die Flüssig- keit auf 285, 280, 270, 265, 260, 250, 240, 230, 220, 210 Millim.; verschlossen wir die Oeffnung mit dem Finger, so kehrt sie successiv zur Höhe von 290 Millim. zurück. Wir liessen dem Blute wieder freien Lauf, wodurch der Druck wieder auf 200 Millim. fie. Nun wurde die zweite Arterie angestochen; während beide spritzten, zeigte die Flüssigkeit nach und nach 190, 180, 170, 150, 140, 115, 100, 90, 8S0Mlm.; verstopften wir die eine, so erreichte die Natronlösung bald wieder eine Höhe von 150 Mllm.; entfernten wir den Finger wieder, so sank sie von 180 auf 170, 160, 150, 140, 120, 100, 80, 70, 50, 40, 30, 25, 15, 10 Millim. u. s. f. Wir erhielten bei einer andern Darmscklinge desselben Thieres und bei zwei anderen 'Thieren ähnliche Resultate. * Es ergiebt sich hieraus abermals, dass die Bewegung des Bluts in den Venen der in den Arterien proportional ist, fer- ner dass, wenn diese fast Null ist, auch jene beinahe aufhört. Demnach muss derAntheil, den das Capillargefäss- system an der Bewegung des Blutes in den Venen hat, als Null betrachtet werden, und der ihm zuge- schriebene bewegende Einfluss auf das von den Arterien ihm zugeführte Blut ıst eine grundlose Hypothese. Wenn wir die Ergebnisse dieser Versuche mit jenen zu- sammenstellen, die uns unsere Untersuchungen über die Kraft der Aortenkammer geliefert haben, so dürfen wir folgendes festsetzen: Das Herz treibt das Blut in die Arterien. Im nämlichen Augenblicke tritt ein Theil desselben in die Capillargefässe über; die Arterien werden erweitert; indem sie zu ihrer frü- hern Ausdehnung zurückkehren, bewegen sie das Blut in die Capillargefässe; diese Action folgt unmittelbar auf die des Herzens; das Blut steht also beständig unter dem Einfluss dieser beiden Kräfte, die sich nicht gleich sind; daher ist der Ausfluss anhaltend und zugleich stossweise beschleunigt, in den Venen sowohl, wie in den kleinen Arterien. Ein Theilchen Blut wird beim Eintritt in die Capillarge- fässe mit derselben Kraft bewegt, die ihm bei dem Austritt aus dem linken Ventrikel mitgetheilt wurde. (S. unsere re- cherches sur l’action des arteres dans la circulation arterielle, in Magendie’s Journal 1829.) Die wesentliche Ursache der Bewegung des Blutes in den 374 Venen ist die Thätigkeit des Herzens und die Elasticität der Arterien, die durch den Stoss vom Herzen aus in Wirksam- keit gesetzt wird. Accessorische Ursachen der Bewegung des Venenbluts sind vor allem der Einfluss der Athembewegungen (Ss. die frü- here Abhandlung), ferner die Pulsation der Arterien gegen die Venen, die Muskelactionen u, a. m., die wir nicht weiter erwähnen, da uns nur der wesentliche Grund beschäftigt, Diese Theorie des Kreislaufs ist vielseitig angegriffen worıen; wir’ scheuen uns indess nicht, sie auf’s Neue vorzubringen, gestützt auf die angeführten Thatsachen, die, wie wir hoffen, das Gepräge der Wahrheit tragen. Wir wären zu glücklich, wenn wir aus dieser Theorie allein alle Erscheinungen, die sich auf den Kreislauf beziehen, erklären könnten. Die Un- möglichkeit beruht aber darin, dass man diese Phänomene als Folgen einer einzigen Ursache betrachtet, während viele der- selben in der That einer Combination von mehreren angehören. In einer künftigen Arbeit, worin wir uns mit dem Kreislauf in den verschiedenen Organen und Regionen des Körpers beschäf- tigen wollen, hoffen wir, diese Behauptung in ihr volles Licht zu seizen *). Ueber die reflectirende Function (Reflex function) des verlängerten und Rückenmarks. Von Marshall Hall. (Philosoph, Transact. 1833. P. II. pag. 635.) Die Physiologen sind über die Eigenschaften und Functio- nen des Rückenmarks und der Medulla oblongata noch sehr verschiedener Meinung. Legallois schloss aus seinen in- teressanten Versuchen, dass das Rückenmark als Ganzes und *) Das von Poiseuille gewonnene Resultat, dass nämlich die Capillargefässe nichts zur Fortbewegung des Bluts beitragen, sucht Pigeaux zu widerlegen (Journal hebdomadaire. 1833, Juillet.). Unter seinen Einwürfen heben wir nur folgenden Versuch aus: VVenn man eine Schenkelvene öffnet, und die entsprechende Arterie comprimirt, so fliesst das Blut nicht wie vorher, in Sprüngen, sondern gleichför- mig und hört endlich ganz auf. Man drücke nun die Arterie an ei- ner tiefern Stelle zusammen, lasse von neuem Blut ein, und compri- mire dann wieder an der obern, so fliesst wieder von neuem Blut aus der Vene, Diess’beweist aber nichts für die Action der Capillargefässe, sondern nur, dass, was Niemand leugnet, die Arterien durch ihre Ela» sticität im Stande sind, das in ihnen enthaltene Blut auszutreiben, 375 im Einzelnen die ausschliessliche Quelle der Empfindung und Bewegung sey; Cruveilhier dagegen hält diesen Schluss für einen Irrthum und betrachtet Bee Rückenmabk nur als das Ensemble der aus demselben entspringenden Nerven. Cuvier, der sich neulich als Beurtheiler des ausgezeichneten Werks von Flourens über diesen Gegenstand aussprach, stellt es als gewiss dar, dass bei Empfindung und Bewegung in dem ganzen Thiere das Rückenmark nicht mehr Antheil habe, als die Nerven; es sey aber noch sehr zweifelhaft, ob dieser Satz auch für die Thiere, denen man das Gehirn weggenommen hat, Gültigkeit behalte, da diese doch in manchen Klassen nicht sogleich ihrer animalischen Functionen beraubt werden, Es war indesss ein eigenthümlicher Missgriff, zu glauben, dass ein Satz in Bezug auf das unversehrte Thier richtig seyn sollte, wenn er es nicht auch bei Thieren war, die das Gehirn verloren haben, In dem unverletzten Thiere combiniren sich die Functionen des Gehirns, Empfindung und willkührliche Bewegung, mit denen des verlängerten und Rückenmarks und daher ist es schwer oder unmöglich zu bestimmen, welche jedem dieser Theile angehören. Reizt man in einem enthaup- teten Thier das Rückenmark oder die Nerven, so ziehen sich die von denselben versorgten Muskeln zusammen. Man könnte die Contraction der Muskeln in diesen Fällen eine centrische nennen, da sie m der Richtung von den Centraltheilen des Nervensystems her erregt wird; aber es giebt noch eine an- dere Function, deren Erscheinungen einer ganz andern Reihe angehören und anderen Gesetzen folgen, da sie durch Reize erregt wird, die für das Nervensystem excentrisch, d. h. von dem peripherischen Ende her erfolgen. Diese Art der Thätig- keit haben die Physiologen, so viel ich weiss, bisher noch nicht unterschieden. Manche hierher gehörige Erscheinungen, welche in den Extremitäten vorkommen, hat man allerdings beachtet; aber 1. beschränkt sich diese Function keineswegs auf die Extre- mitäten und 2. hat man die Erscheinungen mit den von Empfindung und willkührlicher Bewegung herrührenden ver- wechselt oder, wenn man sie tech zu unbestimmt als instinctartige oder automatische bezeichnet. Ich habe es da- ber für nöthig gehalten, ihnen eine neue Bezeichnung zu ge- ben und will nun meine Gründe für die gewählte Benennung entwickeln. Die genannte Art von Nervenwirkung hat näm- lich das Eigenthümliche, dass sie immer durch Reize erregt wird und dan die Bahn, in welcher sie sich bewegt, eine re- fleetirende ist. _Jedesmal wo sie Statt findet wird ein auf die Enden eines Nerven einwirkender Reiz zur Medulla ob- longata oder spinalis geleitet und durch andere Nerven auf Theile reflectirt, welche den gereizten nahe liegen oder ent- 376 fernt von ihnen sind, Durch diese Reflexion unterscheidet sich unsere Muscularcontraction von jeder andern. Wir un- terscheiden überhaupt vier Arten von Muskelzusammenziehung: 1. die willkührliche, welche vom Gehirn, 2, die respiratori- sche, welche vom verlängerten Mark abzuhängen scheint: 3. die unwillkührliche, welche von der Irritabilität abhängt und die unmittelbare Anwendung eines Reizes auf die mit Nerven versehene Muskelfiber erfordert, endlich die vierte, reflectirende, welche zum Theil fortdauert, nachdem die will- kührliche und respiratorische aufgehört haben und an die Me- dulla spinalis gebunden ist. Sie hört nach Entfernung des Rük- kenmarks auf, wenn gleich die Irritabilität sich nicht vermindert, Bei dieser vierten Art entspringt der motorische Reiz nicht in einem Centraltheil des Nervensystems, sondern in einiger Entfernung vom Centrum; sie ist weder willkührlich, noch in ihrem Verlaufe direct, sondern vielmehr erregt durch ei- genthümliche Reize, die nicht unmittelbar auf die Muskelfaser oder die motorischen Nerven einwirken, sondern auf häutige Ausbreitungen, von denen der Reiz zum Rückenmark geleitet wird, Sie ist ferner reflectirt, indem sie entweder wieder dem gereizten Theil zugeführt oder zu einem entfernten ge- leitet wird, wo alsdann die Muscularcontraction erfolgt. Die drei ersten Arten kennt man bloss als zeitweise Con- tractionen, die reflectirende Function besteht aber auch als continuirliche Muskelaction, als eine Kraft, die sich in Orga- nen äussert, welche nicht nur dann und wann in Thätigkeit gesetzt werden, eine Kraft, die in einigen Theilen, wie in der Glottis ein beständiges Offenseyn, in anderen, wie in den Sphincteren, ein heständiges Schliessen, in den Extremitäten einen BeRBtIBeN Grad des Gleichgewichts zur Folge hat. Die ersten drei Arten der Muskelbewegung kann man auch in getrennten Gliedern oder Muskeln zum Vorschein bringen; die reflectirende erfordert den Zusammenhang des gereizten Theils mit dem Rückenmark, Betrachten wir die verschiedenen Arten der Muskelcon- traction beim Schlingen: das Aufnehmen des Futters ist ein willkührlicher Act und kann nach Entfernung des Gehirns nicht mehr vollzogen werden; der Uebergang des Bissens über die Glottis und durch den Pharynx hängt von der re- flectirenden Function ab und findet noch Statt, wenn das Ge- hirn entfernt oder der N. vagus durchschnitten worden. Es gehört dazu aber der Zusammenhang dieser Theile mit dem verlängerten Mark und die Berührung der Wände mit einer Substanz, die hier als Reiz wirkt, Der weitere Act der De- ce ist die Wirkung des unmittelbar auf die Muskelfiber es Oesophagus wirkenden Reizes und das Resultat der Irri- tabilität der letztern. Wir hatten hier ein Beispiel der ex- 377 citirten, reflectirenden Function; der Zustand der Glot- tis während des Athmens, des Pharynx ausser der Degluti- tion und der Sphincteren ausser der Excretion geben uns Beispiele des dauernden Einflusses dieser Function. So lange der Zusammenhang des Larynx mit der Medulla oblon- gata durch Nerven vermittelt ist, steht die Stimmritze offen und erweitert sich etwas während der Inspiration; wenn man aber den Nery, laryngeus superior durchschneidet, so wird die Stimmritze Bklicklich so eng, dass heftige Athemnoth eintritt. Der Sphincter ani bleibt in einer Schildkröte nach der Enthauptung geschlossen, so lange der untere Theil der Medulla spinalis unverletzt ist, wird aber sogleich schlaff und öffnet sich, wenn man das Rückenmark wegnimmt. Ich durchschnitt das Rückenmark einer lebhaften Colu- ber natrix zwischen dem zweiten und dritten Wirbel. Die früher unausgesetzt fortdauernden Bewegungen hörten so- gleich auf, sie lag ganz ruhig und bewegte nur mitunter leicht den Kopf und schnappte nach Luft, Dieser Zustand der Ruhe würde gewiss fortgedauert haben, wenn ich das Thier vor allen äusseren Einflüssen hätte schützen können. Als ich es nun reizte, bewegte es sich sehr lebhaft eine. geraume Zeit, da bei jeder veränderten Lage neue Theile seiner Oberfläche mit dem Tisch oder anderen Gegenständen in Berührung kamen und auf’s neue erregt wurden; endlich wurde es wie- der ruhig und da ich es nun sorgfältig vor äusseren Einllüs- sen schützte, so regte es sich nicht mehr, sondern starb in der Stellung, die es zuletzt angenommen hatte, Dieser Ver- such erfordert einige Aufmerksamkeit: die Bewegungen des Thiers muss man bewachen und mittelst einer weichen Sub- stanz sanft und vorsichtig anhalten; so kommt es nach und nach zur Ruhe. Merkt man sich die Lage, die es dann an- genommen und lässt es, geschützt vor äusseren Eindrücken, ruhig Magen so findet man dieselbe nach dem Tode unver- ändert. Die geringste Berührung mit einer festen Substanz, der leiseste Reiz, erneuert dagegen die Bewegung. Dass die- ses Phänomen nicht von Empfindung abhängt, lässt sich dar- aus beweisen, dass die zuletzt angenommene Stellung und die angebrachten Reize auch solche seyn können, welche hef- tigen oder anhaltenden Schmerz verursachen, so lange die Sensibilität besteht, Zuweilen hing das Tbier zum Theil über den scharfen Rand des Tisches herab; in anderen Fällen ver- binderten Stiche oder die Anwendung einer brennenden Kerze dasselbe nicht, nachher in völlige und dauernde Ruhe über- zugehen. Ich machte die nämlichen Versuche an mehreren an- deren Thieren, Schildkröten, Vipern, Fröschen, Kröten, Sala- imandern etc.; ich darf es daher als allgemeine Thatsache auf- stellen, dass ein Thier, dem man Gehirn und Medulla oblon- 378 gata weggenommen hat, sich, so lange man es vor äusseren Einflüssen schützt, nicht bewegt, so leicht auch Bewegungen durch Reize hervorgerufen werden. Es folgt hieraus: 1. dass die Empfindung Muskelbewegungen bloss durch Vermittelung des Willens hervorruft; 2. dass in den beschriebenen Ver- suchen der Wille, und nicht die Fähigkeit zu Bewegungen vernichtet wurde; 3. dass in solchen Fällen, wo die Willens- kraft und Empfindung nicht mehr wirken können, die äusseren Reize auf eine Eigenschaft des Nervensystems eingewirkt ha- ben müssen, die von der Sensibilität verschieden ist. Empfindung, Wille und Bewegung sind drei Glieder in der Kette, wenn eine Bewegung durch Schmerz herbeige- führt wird; wird das mittlere dieser Glieder zerstört, so hört die Verbindung zwischen dem ersten und dritten auf. Der Beweis, dass die durch reflectirende Function hervorgerufenen Bewegungen nicht von Empfindung abhängen, beruht übri- gens auf ähnlichen Gründen, wie die Unterscheidung der durch blosse Irritabilität erzeugten Bewegungen von den auf Empfindung folgenden, Von den durch ‚Irritabilität beding- ten Bewegungen unterscheiden sich die reflectirten dadurch, dass bei diesen der Zusammenhang mit dem Rückenmark oder verlängerten Mark nöthig ist. Wird z. B. die Stimmritze eines Thieres berührt, so folgt eine Zusammenziehung; eben so, wenn das Herz berührt wird. Durch Entfernung des Hirns tritt keine Aenderung ein, Nimmt man aber die Medulla ob- longata weg, so hören die Contractionen des Larynx auf Reize auf, während die des Herzens fortdauern. Der Unter- schied zwischen beiden Organen beruht also darauf, dass die Kehlkopfsmuskeln sich nur bei unversehrter Med. oblongata zusammenziehen, die Contractionen des Herzens aber von die- ser unabhängig sind. Die Wirkung des Reizes auf das Herz ist eine unmittelbare (Irritabilität); ein auf den Larynx an- gebrachter Reiz muss dagegen zur Medulla oblongata fortge- Hanzt werden und die Contraction erfolgt mittelbar (relle- ctirt) von dieser aus, Die reflectirende Function ist um so dauernder und deut- licher, je geringer das Athembedürfniss der Thiere. Die Kaltblütigen, die Winterschlafenden und sehr jungen Warm- blütigen eignen sich daher am besten zu Versuchen über die- selbe; doch kann man sie auch in erwachsenen Warmblütigen erhalten oder wiederherstellen, indem man die Respiration künstlich erhält oder erneuert, ein Umstand, der die reflecti- rende Function noch besonders ccharacterisirt und von der Irritabilität unterscheidet. Ich gehe nun zur genauern Be- schreibung meiner Versuche über. Ich enthauptete eine Schildkröte mittelst eines Messers, welches zwischen dem zweiten und dritten Wirbel eingeführt 379 wurde. Der Mund öffnete und schloss sich von Zeit zu Zeit; die Augenlieder schlossen sich auf Berührung der Augen etc. 'e diese Erscheinungen hörten auf, sobald das Gehirn und verlängerte Mark zerstört war. Die Glieder und der Schwanz bewegten sich rasch, wenn ich sie stach oder mit einer Licht- flamme reizte; der Sphincter ani war kreisförmig und ge- schlossen; er schloss sich noch fester auf Anwendung eines Reizes. Die Extremitäten besassen einen gewissen Grad von Tonus und kehrten in ihre Lage zurück, wenn ich sie ange- zogen hatte. Nach der Entfernung des Rückenmarks wurden sie flaccid, der Sphincter wurde schlaff und formlos, die Be- wegung auf Reize fand nicht mehr Statt. Dieser Versuch beweist, dass die Gegenwart des verlängerten und Rücken- marks nothwendig ist, wenn sich die Glieder nach einem auf ihre Hautoberfläche angebrachten Reiz bewegen sollen, dass ferner der Tonus der Glieder, die Zusammenziehung des Sphincter von derselben reflectirenden Eigenschaft des Rük- kenmarks abhängt. Wenn man nach der Enthauptung der Schildkröte auch die unteren Extremitäten mit dem Schwanze trennt, so sieht man dieselben Erscheinungen noch an allen den einzelnen und getrennten Theilen des Thiers. Folgender Versuch be- weist den Einfluss der reflectirenden Function auf den Sphin- ter ani bei der Schildkröte; wenn man die hinteren Extre- mitäten mit dem Schwanz, dem Rectum und dem zugehöri- gen Theil des Rückenmarks abschneidet und Wasser ın den astdarm spritzt, so dehnen sich die Cloake und Blase stark aus, ehe Flüssigkeit durch den Sphincter abfliesst. Diess er- folgt bei Anwendung grosser Gewalt stossweise. Nach der Zerstörung des Rückenmarks Niesst das Wasser leicht und in einem anhaltenden Strome aus, ohne dass sich selbst die Cloake ausdehnt. Ich bemerkte die Erscheinung der reflectirenden Fun- etion des Rückenmarks zuerst an dem abgetrennten Schwanz einer Eidechse: wenn ich mit einer Nadelspitze leicht über denselben hinfuhr, so contrahirte und bewegte er sich, als wenn er noch mit dem Thiere zusammenhinge. Ich schnitt einem Frosch den Kopf ab und trennte das Rückenmark nochmals zwischen dem dritten und vierten Wir- bel. Jeder der drei Theile zeigte die reflectirende Function: wenn ich eine Zehe eines Vorderfusses quetschte, so beweg- ten sich beide vordere Extremitäten; diess hörte nach Ent- fernung des Rückenmarks auf, Eben so verhielten sich die hinteren Extremitäten, Bei einer Schlange bewegten sich nach Entfernung des Kopfs die gereizten Theile des Körpers, so dass sich der ganze Theil beugte und die Integumente sich concentrisch 380 egen die gereizte Stelle zusammenzogen, Es wurden also kr die Muskeln längs der Wirbelsäule und andere dem Hautmuskel analoge contrahirt; die Contractionen fanden in jedem getrennten Theile des Thiers Statt und hörten sogleich nach Entfernung des Rückenmarks auf. Berührte ich eine Stelle innerhalb der Zähne des Unterkiefers oder die Nasen- löcher, so wurde der Larynx plötzlich abwärts gezogen und geschlossen. Auch diess fand nach Entfernung der Medulla oblongata nicht mehr Statt. Aehnliche Erscheinungen beobachtete ich bei jungen Säugethieren. Die Bewegungen, welche bei einem einen Tag alten Kaninchen nach einer Viertelstunde aufhörten, konnten durch künstliche Respiration wieder erneuert wer- den. Sie fanden eben so Statt nach der Enthauptung, wenn die Blutung verhindert und das Athmen künstlich unterhal- ten wurde. Eins der merkwürdigsten Phänomene der reflectirenden Function bietet der Hautmuskel des Igels dar. Sie scheint hier vorzüglich die Wurzeln der Stacheln mit den Muskeln zu verbinden. Wird das Thier während des Winterschlafs un- tersucht, so erhält sich die reflectirende Function einige Stunden nach Entfernung des Kopfs. Selbst bei dem Menschen haben wir Beweise für die Existenz dieser Function. Der Zustand von Kindern, die mit Mangel des grossen und kleinen Gehirns geboren wer- den und nur durch den Einfluss des verlängerten Marks ath- men und schreien, beruht nur auf der reflectirenden Fun- etion und der gleichzeitigen Gegenwart der Respiration. Solch einen Fall hat Lawrence*) beobachtet. Das Kind bewegte sich Anfangs heftig, blieb aber hernach ruhig, aus- ser wenn die Geschwulst gedrückt wurde, worauf allgemeine Zuckungen entstanden: es athmete natürlich und leerte Urin und Koth aus; es schluckte, wenn Nahrungsmittel mit dem Pharynx in Berührung gebracht wurden. Das Rückenmark reichte hier etwa 1 Zoll über das Foramen magnum hinaus und endigte mit einem kleinen Bulbus, welcher an der Basis des Schädels eine weiche Geschwulst bildete, mit der alle Nerven vom fünften bis zum neunten zusammenhingen. Aehn- liche Fälle von anencephalischen Früchten haben Lalle- mand**), Olivier **) und Charles Bell?) beschrieben. Der von Lallemand erwähnte lebte drei Tage, schrie hef- *) Med, chirurg, Transact. Vol. V. pag. 166. **) Observations pathologiques. pag. 86. *) TraitE de la moelle epiniere. Ed. 2. Paris 1827. p. 155. T) Nervous System. Appendix. pag. 136. 381 tig und machte Bewegungen zum Saugen, wenn er etwas zwischen seinen Lippen fühlte. Bell beobachtete auch nach der Perforation bei einem Kinde noch nach 10 Minuten Athem- bewegungen, und Bewegungen der unteren Extremitäten nach einer halben Stunde. Diese Reihe von Beobachtungen beweist bestimmt, dass die reflectirende Function im Rückenmark unabhängig vom Cehirn, im verlängerten Mark unabhängig vom Rückenmark und in jedem Theil des Rückenmarks unabhängig vom übri- gen existirt. Man kann den Versuch noch interessanter machen, wenn man das Rückenmark zwischen den Nerven der vordern und hintern Extremitäten durchschneidet. Wir haben dann zwei Arten des thierischen Lebens, im Vorderleibe die Verbin- dung der willkührlichen und respiratorischen Bewegungen mit denen der reflectirenden Function und der Irritabilität, im Hinterleibe die beiden letzteren allein. Die Erscheinun- gen sind übrigens ganz dieselben, wie sie eben angegeben wurden. Ich stellte den Versuch so bei einem Frese und bei einem Meerschweinchen an: die hinteren Extremitäten waren gelähmt und wurden nachgeschleift, wenn das Thier sich freiwillig bewegte; auf Reize aber wurden sie auf ei- gentbümliche Weise gegen den Leib angezogen; die Sphin- cteren blieben in Thätigkeit. Ich wollte nun sehen, ob die reflectirende Function er- höht oder geschwächt werden könnte. Wenn man einem Frosch eine wässrige Lösung von Strychnin oder Opium ein- giesst oder auf die Haut bringt, so stellen sich bald tetani- sche Krämpfe ein; die Haut wird sehr erregbar und die Mus- keln der Glieder befinden sich in beständigen Zuckungen. Diese Affection ist offenbar Folge der gesteigerten reflecti- renden Function und hört nach Zerstörung der Nervencentra sogleich auf. Ein durch Opium in Tetanus versetzter Frosch wurde unterhalb des dritten Wirbels durchgeschnitten. So- wohl die vorderen als hinteren Extremitäten blieben so reiz- bar wie zuvor. Die Glieder wurden eben so nach leichten Reizen krampfhaft bewegt; dasselbe fand Statt, wenn der Frosch in drei Stücke getheilt wurde und bei einer Eidechse, die ich in vier Stücke theilte. Nach der Entfernung des Rückenmarks jedes Theils wurden die Muskeln schlaft und unbeweglich; die Irritabilität blieb ungeschwächt. Wenn die Erscheinungen von erhöbter Irritabilität abhingen, so würden sie nicht aufhören, während die Irritabilität noch vorhanden ist. Der umgekehrte Fall findet Statt, wenn man einem Frosch einige Tropfen verdünnter Blausäure auf die Zunge bringt. Die reflectirende Function wird schwächer and 382 ‘ hört bald auf. Ich will hier noch kurz einige Bewegungen in verschiedenen Theilen des thierischen Körpers erwähnen, ° die auf dieser Function beruhen. Solche sind: das Blinzeln der Augenlieder, wenn dieselben berührt werden, die eigen- thümliche Wirkung auf die Respiration durch Kitzeln oder wenn kaltes Wasser in’s Gesicht gespritzt wird, Niesen nach Reizung der Nasenschleimhaut, Husten, Erbrechen durch Reizen des Larynx oder Pharynx, Tenesmus durch Reizung des Mastdarms und Strangurie durch Reizung der Blase etc, Betrachten wir die reflectirende Function in ihrer Be- deutung für die Pathologie, so scheint sie uns eine neue Reile von Thatsachen zu enthüllen und zu einer neuen Eintheilung der Nervenkrankheiten nach der einwirkenden Ursache zu führen, in solche von centralem und von excen- trischem Ursprung. Die mannichfaltigen Erscheinungen bei der Dentition, allgemeiner Krampf, Strabismus, die croupartige Alfection der Respiralion, das häufige Erbrechen, Tenesmus, Stran- gurie etc. beweisen den Einfluss einer Reizung der Kiefer- nerven durch das Rückenmark auf die Muskeln der willkühr- lichen und Athembewegungen und bezeichnen uns eben so viel Bahnen der reflectirenden Function. Hier ist öftere Scarification des Zahnfleisches nützlich, weil sie die Nerven von der übermässigen Irritation befreit. Der Tod ist nicht selten Folge des gehemmten Athmens. DBei einem jungen Hündchen hob ich in einem solchen Falle einmal die Asphy- xie durch künstliche Respiration, mittelst Zusammendrückens und Erweiterns der Brustwände. Da die reflectirende Fun- etion minder leicht in älteren Thieren erregt wird, so sind diese Affectionen beim zweiten Zahnen seltener. Bei Erwachsenen sind die Chorea und manche Arten von Epilepsie und Asthma oft Folgen der reflectirenden Fun- ction. Wir müssen hier eine centrische und eine excentri- sche Form unterscheiden. Ein ‚characteristisches Merkmal der letztern ist, dass sich gewönlich mehrere Wirkungen der reflectirenden Thätigkeit combiniren, in der Epilepsie z. B. Schluchzen oder Erbrechen mit den Krämpfen der willkühr- lichen Muskeln. Die gewöhnliche Quelle dieser Krankheits- formen ist der Darmkanal oder Magen, wenn sie durch un- passende Nahrung oder krankhaft veränderte Contenta gereizt werden. Wahres Atshma, die ausgezeichnet krampfhafte Form nämlich, die bei Kindern vorkommt, entsteht häufig auf Intestinalreize. Es wird ferner auch durch die Berüh- rung des Larynx von manchen Pulvern, wie Ipecacuanba, hervorgerufen, wie das Niesen durch ähnliche Einwirkung auf die Schneidersche Haut. Es scheint in einer durch die reflectirende Function erregten Thätigkeit der weiteren 383 Bronchien zu beruhen. Die Wirksamkeit der Strammonium- dämpfe in asthmatischen Anfällen ist ein fernerer Beweis für unsere Ansicht. Sehr interessant ist in dieser Beziehung das häufige Er- scheinen epileptischer Krämpfe während des Coitus, und in der That scheint von der normalen Affection des Nerven-, Muskel- und respiratorischen Systems bei diesem Acte zu ei- nem epileptischen Anfalle nur ein Schritt zu seyn, Teta- nus scheint ebenfalls von Verletzung der Enden gewisser Nerven herzurühren. Wie bei der Dentition die Scarifica- tion des Zahnfleisches, so hat hier oft Durchschneidung des verletzten Nerven oder Amputation des Gliedes die Krank- heit schnell gehoben. Sollte nicht auch die Hydrophobie auf gleichem Grunde beruhen und durch ein ähnliches Ver- fahren geheilt werden können ? Wir müssen noch einen wichtigen Umstand in der Pa- thologie der reflectirenden Function erwähnen, dass nämlich mehrere Formen derselben in der Zeit des ersten Schlafes auftreten, so der Croup, der vom Zahnen herrührt, das krampfhafte Asthma und eine eigenthümliche schmerzhafte Affection des Mastdarms, die noch nicht beschrieben ist. Einige Gifte, wie Strychnin, erregen einen Excess der reflectirenden Function, andere, z. B. Blausäure., zerstören dieselbe. Wahrscheinlich ist sie das Mittel, durch wel- ches noch viele andere Gifte auf die thierische Oeconomie wirken, * # % Wir haben nunmehr, in anatomischer Beziehung, fol- ende Quellen der Bewegung zu unterscheiden, die sich in- = oft und mannichfaltig unter einander verbinden: 1. das Gehirn, Quelle der willkührlichen Bewegung, 2. das verlängerte Mark, für die respiratorischen Be- wegungen, 3. das Rückenniark, Vermittler der rellectirenden Function, 4. die Muskelnervenfiber, Sitz der Irritabilität, 5. die sympathischen Nerven, Leiter der Absonderung, Ernährung etc. Nach meinen Beobachtungen an jungen Thieren scheint im Sterben zuerst die willkührliche, dann die respiratorische Bergung, später die von der reflectirenden Function be- dingte aulzuhören. Die Irritabilität besteht am längsten und äussert sich zuletzt in der Todtenstarre. Vielleicht dauert die Function des Sympathicus noch fort, nachdem alle Spur von Irritabilität erloschen ist. In der umgekehrten Reihe treten sie bei der Bildung des Fötus auf. Seine Bewegun- gen im Uterus sind nur reflectirte und kommen bei anence- 384 halischen eben so vor, wie bei vollkommenen Embryonen. Im Schlafe vermindern sich die Bewegungsfunctionen in der- selben Folge, wie sie im Tode erlöschen. Man sieht diess beson- ders beim beginnenden Winterschlafe des Igels. Das Thier wird ruhig, hört dann fast auf zu athmen, dann lässt die Thätig- keit des Hautmuskels theilweise nach, endlich werden die Herzschläge träge. Auch das Schliessen der Augenlieder im Schlafe geht von der reflectirenden Function aus. Es erfolgt nur unvollständig bei grosser Schwäche und Er- schöpfung. Die hier mitgetheilten Thatsachen werden vielleicht zu wichtigen Bereicherungen unserer aratomischen Kenntnisse führen, indem sie eine genauere Untersuchung des Ur- sprungs, Verlaufs, der Verbindungen und Vertheilung der Haut- und Muskelnerven veranlassen dürften, die die Bah- nen der reflectirenden Functionen bilden. Nachtrag zu der Abhandlung über die äusseren Geschlechstheile der Buschmänninnen, Die pag, 340, erwähnte Mittheilung von Sommerville, über die Hottentottenschürze, befindet sich in: Med, chirurg. Transact, Vol. VII, und ist in Meckel’s Archiv für Physiologie, B,V, p. 159. ausgezogen. 385 Der microtomische Quetscher u eın bei mieroscopischen Untersuchungen unentbehrliches Instrument. Von Professor Dr. Purkinje. (Hierzu Taf. VII. Fig.1— 6.) Icn bediene mich seit acht Jahren des im Folgenden beschriebenen YVerkzeugs mit vielem Erfolge und über- zeuge mich täglich, dass kein Microscopiker einer sol- chen oder ähnlichen Vorrichtung ohne Nachtheil entbeh- ren könne, Die Meisten bedienen sich als Compresso- ‚ riums einfacher Glasplatten; doch da man hierbei den Grad der Zusammendrückung nicht in seiner Gewalt hat, so ist dieses ein nur sehr nothdürftiges Hülfsmittel, und ich glaube nichts Ueberflüssiges zu unternehmen, wenn ich den Naturforschern die Beschreibung meines Com- pressoriums, dessen Mechanismus, wie ich gern gestehe, auf Neuheit kaum Anspruch machen darf, zum Besten gebe. Der Hauptzweck eines solchen Instruments ist, dass zwei Glasplatten senkrecht und durch alle Grade der Näherung so allmählig als möglich gegen einander be- wegt werden, um einen dazwischen befindlichen weichen, durchscheinenden Gegenstand während der microscopi- schen Beobachtung durch continuirlichen Druck aus ein- anderzulegen bis zur völligen Zerstörung. Hierzu dient nun eine, die Mitte einer Messingplatte einnehmende hohle Müller’s Archiv 1834. 25 386 Schraube (4, a, 5, b') deren freies Ende mit einem Saume (ec, c') versehen ist, der zwischen zwei Platten (E, C) ein- geschlossen in einem ihm entsprechenden hohlen Raume während der schraubenden Bewegung spielt, und dadurch die Platte, in deren Mitte die comprimirende Glasplatte befestigt ist, auf und nieder bewegt, Die Schrauben- mutter B, e, f befindet sich gleichfalls in der Mitte ei- ner Platte, welche so befestigt werden kann, dass darin die Hohlschraube auf und nieder bewegbar ist. Alles dieses zusammen macht das eine Hauptstück des Instru- ments. Das andere Hauptstück ist die, von mir soge- nannte Grundplatte D, in deren Mitte das tragende Glas festgemacht ist und auf der zwei Säulchen 7, F' sich befinden, davon das eine F’ als Achse dient, um welche das obere Stück wie ein Scharnier drehbar ist, das andere F' die Ausschnitte der mittlern Platten auf- nimmt, und so die Platte der Mutterschraube festhält, den Platten E, C aber freien Spielraum Jässt. In Fig. 1. sieht man nun das Instrument in seinem Durchschnitte im geschlossenen Zustande. In F ig. 2, ist die Profilansicht dargestellt und das Instrument offen. Die beiden krummen Pfeile deuten die Richtung an, in welcher beim Schliessen das obere Stück sich bewegt. Nun noch Einiges zu näherer Beschreibung. Die obere Platte 4 und die untere D, davon beim Gebrau- che des Instruments eine oder die andere auf den Ob- jectträger eines zusammengesetzten Microscops zu liegen kommt und darauf während der Pressung festgehalten werden muss, hat verhältnissmässig einen grössern Durch- messer, um den Fingern die gehörigen Anhaltspunkte zu gewähren; ferner sind bei beiden auf den nach aussen gekehrten Flächen kreisförmige Tuchstreifen d, d, d', d’ (etwa mit Firniss) angeklebt, um grössere Reibung und festeres Anschmiegen gegen den Objectträger zu ge- währen. Die cylindrische Höhlung der Schraube ’, muss den Objectivlinsen des (in meinem Falle Plösslschen) 387 Mieroscops angemessen seyn, damit der von den Glas- platten comprimirte Gegenstand unter denselben in einer gewissen Breite hin und her bewegt und somit in allen seinen Punkten übersehen werden kann. Die untere Platte D hat bei Z einen halbkreisförmigen Ausschnitt, damit beim Oeffnen des Instruments das obere Glas @ frei hervortreten und gereinigt werden könne. Die bei- den Säulchen sind an die Grundplatte festgenietet, weil ein blosses Einschrauben derselben der nothwendigen Unverrückbarkeit der Theile nachtheilig wäre. Das obere Ende des Säulchens F breitet sich oben in ein Scheibehen aus, und zunächst unter diesem hat es einen Rand, in deren beider Zwischenraume der buchtige Aus- schnitt % der Scheibe der Mutterschraube, beim Oeffnen und Schliessen, fest und unverrückbar sich in horizonta- ler Richtung schieben kann. Die Platte der Mutter- schraube, Fig.4. B, erhebt sich in der Mitte als ein hohler Cylinder, dessen innere Fläche Schraubenwindun- gen enthält, welche der Hohlschraube der obersten Platte entsprechen. Auf einer Seite, nahe dem Rande, ist sie kreisförmig durchbohrt (s), um den Zapfen des Säulchens F’ sammt dessen schraubenförmigem Ende auf- zunehmen, worauf dann das HKnöpfchen k geschraubt wird, um das Scharnier zu schliessen. Auf der gegen- über liegenden Seite hat die Kreisplatte einen buchtigen Einschnitt, ganz ähnlich dem, der in Fig. 5. bei A dar- gestellt ist, zu dem schon oben bemerkten Gebrauche. Zunächst muss die Platte näher beschrieben wer- den, in deren Mitte das obere Glas eingesetzt ist. ‚Sie ist von demselben Durchmesser und en face von dersel- ben Gestalt wie die vorige (Fig. 6.), hat gleichfalls ei- nerseits einen buchtigen Ausschnitt, um das Säulchen F’ aufzunehmen, andererseits eine, jedoch etwas ‚grössere Oeffnung, mittelst welcher sie um das Säulchen 7’ dreh- bar ist. Um das Glas herum ist eine schmale, ‚kreisför- mige Vertiefung, in welcher der untere Rand des Schrau- 25* 388 bencylinders sich frei bewegen kann, indem er von der mittelsten Platte Z, die auf die vorige mit vier Schräub- chen g, g, 8, 8 befestigt und sonst von derselben Ge- stalt ist und auf dieselbe Weise mit den beiden Säul- chen in Verbindung steht, gehalten wird. Beim Gebrauche schraubt man zuerst den geschlos- senen Quetscher so weit aus einander, dass die Glas- platten hinlänglich von einander stehen, um den zu com- primirenden Gegenstand auf die untere so aufzunehmen, dass die Fläche der oberen nicht berührt wird. Dann eröffnet man denselben, legt den Gegenstand, meist mit einem Tropfen Wasser, auf die untere Platte und schliesst ihn wieder. Sodann schraubt man den Quetscher all- mählig zu, so dass die Platten immer näher an einander rücken, bis der Wassertropfen beide Glasflächen berührt, was in manchen Fällen hinreichen kann, oder bei ferne- rem Drehen der Gegenstand selbst gedrückt und endlich zerdrückt und in seine Theile gesondert wird. DasEin- legen des Gegenstandes und das Zusammenschrauben bis zur Berührung der Wasserfläche durch das obere Gläs- chen geschieht abseits vom Microscope. Erst nachdem dieses bewerkstelligt ist, wird der Quetscher mit seiner Grundplatte auf den Objectträger gelegt, die untere Platte mit der linken Hand angedrückt gehalten und mit der rechten die obere Platte schraubend gedreht, während man durch das Microscop die allmähligen Veränderungen des Objects beobachtet. Findet man es nöthig die dem unteren Glasplättchen zugewendeten Theile näher zu be- trachten, so kehrt man den Quetscher um, .wo sodann die Platte 4 als Grundplatte dient, die Platte D aber gleichfalls beliebig gedreht werden kann. Bei dem einfachen Microscope muss dem Quetscher eine etwas abgeänderte Einrichtung gegeben werden. Die Platte 4 ist hier ganz überflüssig, Die Platte D aber wird mit ihrer innern Seite auf den ringförmigen Rand des Objectträgers gelegt und allenfalls wegen der 389 nöthigen Festigkeit aufgeschraubt, indem man das In- strument oft lange aufgeschraubt behalten kann, ‘ohne dass es anderen Untersuchungen hinderlich ist, . Denn bei solcher Lage lässt es das Licht des Spiegels durch die innere Höhlung der Schraube und die -beiden Glas- plättchen durch und erlaubt so die Untersuchung nicht zu sehr ausgebreiteter Gegenstände in kleinen Hohlglä- sern. Beim Gebrauche des Quetschers wird unter dem Objectträger die Hohlschraube gedreht, die desshalb ei- nen kleinen gekerbten Rand haben muss. Beim Oeffnen und Auftragen des Gegenstandes wird das Instrument- chen nicht abgenommen, sondern bloss sein unterer Theil um sein Säulchen, welches als Achse dient, herumge- dreht, so dass es neben und ausserhalb des Objectträ- gers seine Lage erhält. Natürlich muss das Instrument für das einfache Microscop so leicht als möglich gemacht seyn, damit es den Objectträger an seiner Zahnstange nicht herabdrücke. Ich habe es zuerst in dieser Form angewendet und von Messing machen lassen; doch dürfte es vortheilhaft seyn, es, wenigstens zum Theil, von Buchsbaumholz, von Elfenbein, Horn oder Kno- chen construiren zu lassen. Zur Angabe der Dimen- sion bemerke ich nur, dass bei einem grössern Quet- scher die Platten 4 und D 34 Zoll Preussisch im Durchmesser haben, wonach die übrigen Dimensionen leicht zu bestimmen sind. Jedoch rathe ich, den Durchmesser der Höhlung der Schraube grösser zu machen, um ein grösseres Gesichtsfeld zu erlangen. Schliesslich will ich die Hauptfälle der Anwendung des Instruments angeben: 1. Dient es, wie schon oben bemerkt, und was seine Hauptbestimmung ist, weiche, durchscheinende Ge- genstände allmählig zusammenzudrücken und so zur Er- kenntniss ihrer Lage, ihrer Verschiebbarkeit, relativen Härte, Flüssigkeit, Verbindung, innerer Gestaltung und 390 Textur etc. zu verhelfen, daher mag es mit Recht mi- crotomisch genannt werden. 2. Dient es, bewegliche Gegenstände, z. B. Infuso- rien, festzuhalten, 3. Ist es geeignet krumme Flächen, z. B. Membra- nen, kleine Abschnitte von Pflanzen und verhärteter Thiersubstanz gerade zu strecken und sie so in dieselbe Focalebene zu bringen. 4. Werden dadurch Flüssigkeiten welche Körnchen enthalten, z. B. Blut, Samen, Flüssigkeiten mit Brown- schen Körperchen etc, aus einander gethan., 3. Ist es sehr dienstbar beim Gebrauche sehr star- ker Vergrösserungen, wenn der Gegenstand unter Was- ser seyn muss, und wo, bei der zu starken Näherung, die Objectivlinse jedesmal sich beschlägt, was denn durch die obere Platte gehindert wird, und muss diese bei sehr kleinen Focalweiten auch verhältnissmässig dünn seyn. Auf die Schärfe des Bildes ist es freilich, bei so genau gearbeiteten Instrumenten wie das PlössIsche, nicht ohne Einfluss. 391 Entdeckung continuirlicher durch Wimperhaare erzeugter Flimmerbewegungen, als eines allgemeinen Phänomens in den Klassen der Amphibien, Vögel und Säugethiere. Von Prof. Dr. Purkinje und Dr. Yalentin in Breslau, D.. merkwürdige Eigenthümlichkeit gewisser thieri- scher Theile, continuirliche Strömungen in dem sie um- gebenden, meist flüssigen Medium zu erregen, hat die Aufmerksamkeit sehr vieler Naturforscher mit Recht auf sich gezogen und anhaltende Beobachtungen veranlasst. Bei den Infusorien wurde diess Phänomen zuerst be- kannt, da das leicht wahrzunehmende Räderorgan der Vorticellen zu diesem Zwecke dient. Späterhin würden ähnliche Erscheinungen bei Muscheln von Erman, von Baer, Carus u. A. wahrgenommen. Die merkwürdige Drehung der Embryonen im Ei, welche bei diesen Ge- schöpfen leicht zu beobachten ist, hat man nicht ohne Glück auf dieses Phänomen reducirt. Auch viele andere wirbellose Thiere und deren Eier gaben zu ähnlichen Erfahrungen Gelegenheit. Bei den Wirbelthieren hat dagegen der treffliche Steinbuch zuerst etwas Aehnli- ches an den Kiemen der Batrachierlarven gefunden, wie- wohl seine Beschreibung nicht ganz der Natur entspricht. Spätere Naturforscher, wie Carus, Hugi, E. H. We- ber, Stiebel, Joh. Müller u. A., haben einzelne Zu- 392 2 sätze zu diesen interessanten Daten geliefert. Demje- nigen aber, welcher sich über die bisher bekannten Thatsachen in dieser Rücksicht belehren will, können wir den trefflichen Aufsatz von Sharrey (Froriep’s Notizen Nr. 618.) empfehlen, welcher sich durch Gründ- lichkeit der Darstellung und Neuheit vieler Wahrneh- mungen vorzüglich auszeichnet. Als der Eine von uns, im Anfange des jüngst ver- flossenen Frühjahrs, vor drei Tagen befruchtete Kanin- chen öffnete, um, wo möglich, Eichen in den Tuben zu finden, bemerkte er unter dem Microscope, dass kleine Partikelchen der Schleimhaut des Eileiters lebhaft sich bewegten und um ihre Achse drehten. Der Andere be- stätigte diess Phänomen und erkannte es sogleich als Flimmerbewegung an. Der ganze Fruchtbehälter, so wie die inneren Genitalien überhaupt wurden nun genau untersucht und es fand sich, dass diese Bewegungen nir- gends mangelten, an verschiedenen Stellen jedoch von sehr verschiedener Intensität waren. Ueberaus lebhaft zeigten sie sich in den Tuben, minder stark in den Hör- nern, noch geringer in den mit einander verwachsenen Theilen der Gebärmutter, am lebhaftesten und schnell- sten an den vom Blute dunkelroth gefärbten und aufge- wulsteten Fruchthalterlefzen und stark genug in der Scheide. Das Nächste war nun natürlich, einen Vogel- eileiter, durch den ein Ei eben hindurchging, zu unter- suchen. Dieses wurde auch sogleich von uns an den folgenden Tagen unternommen und, wie wir es erwartet hatten, fanden wir auch hier die lebhaftesten und anhal- tendsten Flimmerbewegungen längs des ganzen Oviductes. Nun wurden T'hiere ausserhalb des Gestationstermins der Nachsuchung unterworfen. Auch hier, so wie bei den späterhin nachgesehenen Amphibien, fanden wir unsere interessante und merkwürdige Entdeckung bestätigt. Dieses regte natürlich an, dem Phänomene auch in an- deren Theilen des thierischen Körpers nachzuspüren, 393 und so gelangten wir zu den Resultaten, von ‚denen wir das Wichtigste hier vorläufig mittheilen. a. Theile und Classen der Wirbelthiere, in denen die Flimmerbewegungen vorkommen. Nach unseren bisherigen, vielfachen Erfahrungen sind es nur zwei Organsysteme, in welchen die Flimmer- bewegungen, hier aber allgemein an allen Stellen der in- neren Oberfläche bei Säugethieren, Vögeln, und ausgebil- deten Amphibien vorkommen, nämlich die weiblichen Geschlechtstheile und die Respirationsorgane. Nie findet sich irgend eine Spur derselben in der ganzen Länge des Darmcanals in der Reihe der Wirbelthiere. Selbst bei-Wirbellosen ist uns nur ein Beispiel, welches auch nur theilweise hierher gehört, bekannt. In dem Darme der Flussmuschel findet sich, längs desselben, eine Slei- schige, longitudinal verlaufende Erhabenheit. Bloss diese flimmert, die übrige Schleimhaut des Nahrungsschlauches dagegen bestimmt nicht (ein Umstand, der vielleicht auf die sexuelle Function dieses Tbeiles hindeutet),. Eben so wenig zeigte sich das Phänomen an den bis jetzt un- tersuchten Theilen der männlichen Genitalien, der Gal- lenblase, der Gallengänge, der Ausführungsgänge der Drüsen, des Ureters, des Nierenbeckens, der Harnblase, der Arachnoidea des Gehirns und Rückenmarkes, der innersten Haut der Arterien und Venen, der Oberfläche der Blutkörperchen, der Eihäute und Fruchthüllen des Embryo, der äussern Haut u. dgl. In allen Amphibien, wie Schlangen, Eidechsen und dg)., in den Vögeln und Säugethieren flimmert die ganze Continuität der Schleimhaut des Eileiters, sowohl im befruchteten als nicht befruchteten Zustande, und jedes Partikelchen derselben ist geeignet, nach den unten an- zugebenden Vorsichtsmassregeln , diese Wahrheit zu bekräftigen. Eben so vermag dieses auch die Schleimhaut der 394 Respirationsorgane von ihrem ersten Anfange bis zu ih- ren letzten Enden. Ja, die Flimmerbewegungen können hier als sichere Criterien benutzt werden. So flimmert bei Säugethieren die ganze Schleimhaut der Luftröhre und der Luftröhrenäste, bis in ihre feinen noch unter- suchbaren Ramificationen. Dagegen zeigt dieStimmritze, die Stimmritzenbänder, die Mund- und Nasenschleimhaut keine Spur derselben. Um so deutlicher sind sie aber in der Nase wahrzunehmen und auf bewundernswerthe Weise hört das Flimmern genau an den Grenzen dieser Theile plötzlich auf. Bei Amphibien, z. B. Salamandern, dagegen, wo der Mund nicht bloss Schlingorgan, sondern zugleich Respirationsorgan ist, flimmert die Schleimhaut des Rachens auf eine eben so lebhafte als ausgezeich- nete Art. Sollte es sich fernerhin bestätigen, dass nur die Schleimhäute der Genitalien und der Respirationsorgane {limmern, so dürfte dieses ein neuer Beitrag zu der schon vielfach aufgestellten Analogie von beiden seyn, Was nun die Tihierklassen betrifft, so findet sich das Phänomen bei Amphibien, Vögeln und Säugethieren allgemein. Nie dagegen vermochten wir eine Spur des- selben bei Fischen, trotz vieler angewandter Mühe, wahr- zunehmen. Untersucht wurden zu diesem Zwecke die Fühlfäden des Welses, die Kiemen, die Schleimhäute des Kopfes, die Häute des Darmcanals, der Schwimm- blase, der Nieren und Harnleiter, die äussere Haut die- ses und vieler anderen Fische. Auch in Embryonen von Perca und Cyprinus, aus den verschiedensten frühen Stadien der Entwickelung, war nichts der Art wahr- zunehmen. db. Methode der Untersuchung. Da die Flimmerbewegungen auf der ganzen Ober- fläche der Schleimhaut vorkommen, so handelt es sich nur darum, diese unter starker Vergrösserung zu be- 395 trachten. Bei solchen 'Theilen, welche lange Wimper- haare haben, wie an dem Anfange des Eileiters der Vö- gel, gelingt dieses schon, wenn man das hautartige Prä- parat auf den Objectträger ausbreitet, mit Wasser be- deckt und unter der nöthigen Vergrösserung betrachtet, Im Allgemeinen aber muss man sich folgender Hand- griffe bedienen, um die Erscheinung mit Sicherheit wahrzunehmen. - Das Thier, dessen Schleimhäute untersucht werden sollen, muss so eben getödtet seyn. Nun wird mit einer feinen Davielschen Scheere ein Stückchen solcher Haut ausgeschnitten und über sich selbst so umgelegt, dass der dadurch entstandene freie Rand ein Theil der Ober- fläche der Schleimhaut selbst ist. Es kommen also die Oberflächen der Schleimhäute nach aussen, die entge- gengesetzten Flächen nach innen zu liegen. Die letzte- ren berühren einander unmittelbar. So wird das Stück- chen Schleimhaut unter den microtomischen Quetscher mit etwas Wasser gebracht und leise zusammengedrückt, so dass der freie umgelegte Rand unter dem Microscope deutlich zum Vorschein kommt. Schon nach dieser ein- fachen Vorbereitung zeigt sich das Phänomen auf seine prachtvolle Weise. Um es aber noch anschaulicher zu machen, kann man eine Flüssigkeit hinzugeben, welche viele kleine Partikelchen enthält. Am besten dürfte zu diesem Zwecke eine in Wasser bewirkte Maceration des schwarzen Augenpigments dienen. Doch darf sich be- sonders der minder geübte Beobachter hier durch die sehr lebhafte Brownsche Molecularbewegung, welche die kleinen Pigmentkörperchen haben, nicht täuschen lassen. Auch Blut, in gehöriger Verdünnung, kann zu obiger Absicht benutzt werden. Das Strömen dieser Theilchen längs des freien Randes ist dann so stark, dass es auch dem ungeübtesten Blicke in die Augen fällt. ' Noch dürfte es von Nutzen seyn, auf einige durch die Natur der Theile selbst begründete Punkte aufmerk- 396 sam zu machen. Es ist-durchaus nothwendig, dass die Schleimhaut allein frei umgelegt sey. Daher muss keine Muskelhaut, kein Luftröhrenknorpel an ihr hängen, weil sonst die Beobachtung nicht bloss gestört, sondern fast ganz vernichtet wird, Aus den kleinsten Bronchialästen muss sie selbst sorgfältig herausgelöst werden. Die Lun- gen der Amphibien bieten aber hier eine in ihrer Con- formation liegende Eigenthümlichkeit dar. Bekanntlich haben sie eine Menge neben einander liegender’ Vertie- fungen, deren Wände auf eine zierlich netzförmige Weise mit einander verbunden sind. Wird nun ein Stückchen solcher Lunge nach obiger Angabe umge- schlagen, so wird natürlich die Schleimhaut: dieser Ver- tiefangen in der Regel dessen ungeachtet nicht zu Tage kommen und es wird nur an einzelnen Stellen ein freier Rand derselben sichtbar seyn. Daher ist auch hier nur an. diesen einzelnen Stellen die Bewegung wahrzunehmen. ce. Natur und Art der Flimmerbewegungen. Die Flimmerbewegungen sind ungemein schnelle Be- wegungen an der Oberfläche der thierischen Theile, de- ren Einzelnheiten das beobachtende Auge in dem voll- kommen lebhaften Zustande kaum zu verfolgen vermag. Ueberall wo sie vorkommen, gehen sie, so wie die durch sie erregte Strömung, nach einer bestimmten Richtung hin. Eine einzige uns bekannte Ausnahme von dieser Regel bildeten bisweilen .die Anhänge der Kiemen der Flussmuschel, bei welchen die Bewegung abwechselnd bald nach dereinen, bald nach der andern Seite hin sich wendete. Dieser Hergang ging vollkommen rhytmisch, pulsartig vor sich. Jede Aenderung der Richtung er- folgte genau nach 6 bis 7 Secunden. Sonst aber ist und bleibt die Direction und Strömung in allen Fällen und allen Gradationen der Lebhaftigkeit eine und dieselbe. Nach unseren Beobachtungen ist es höchst wahr- scheinlich, dass alle Flimmerbewegungen durch Wim- | 397 perhaare erzeugt werden. Denn selbst bei den Larven der Batrachier haben wir, wie an einem andern Orte berichtet werden soll, deutliche Spuren von Haarbü- scheln wahrgenommen. In den weiblichen Genitalien und den Respirationsorganen der Säugethiere, Vögel und Am- phibien sind solche Cilien durchaus nicht zu verkennen. Am stärksten zeigen sie sich in dem Eileiter der Vögel und Schlangen, schwächer in dem der Säugethiere und noch zarter in der Mundhaut der Salamander. So lange die Bewegung äusserst lebhaft ist, vermag sie nur das sehr geübte Auge zu unterscheiden; sobald diese aber schwächer wird, bemerkt man sehr leicht, wie die ein- zelnen Wimperhaare sich heben und senken, gleichsam rudern, bis endlich unmittelbar nach dem Aufhören aller Bewegung, sie pallisadenartig an dem freien Rande her- vorstehen. Man sieht dann deutlich, dass sie von unten, der Basis aus, nach oben spitz zulaufen und mit einer äusserst feinen und zarten Spitze endigen. ‚Ihr Inneres ist hell, ohne Spuren von Körnchen zu zeigen. Ihre Consistenz ist äusserst zart und weich; sie selbst sind daher sehr leicht zerstörbar. Keine fremde Kraft hat Einfluss auf diese in den drei höheren Wirbelthiercelassen vorkommenden Flimmer- bewegungen. Die Contraction der darunter liegenden Muskelhäute, wie an den Uterintheilen der Säugethiere, wirkt, wie wir gesehen haben, nur störend äuf die Be- trachtung dieses Phänomens ein, welches nur erst'nach Entfernung derselben mit Deutlichkeit wahrzunehmen ist. Eben so wenig wirkt die thierische Wärme auf beson- dere Weise. An Theilen, welche schon gänzlich und längst erkaltet sind, ja überdiess noch in kaltem Wasser gelegen haben, ist die Vibration noch eben so lebhaft, als in ganz warmen, Die Flimmerbewegung ist auch hier so stark, dass nicht bloss die die flimmernde Oberfläche unmittelbar umgebenden kleinen Theile weiter fortgetrieben werden, 398 sondern dass kleine Partikelchen der Schleimhaut in der Flüssigkeit fortrudern. Dieses Letztere ist zwar lebhaft genug, doch nicht so stark und in dem Grade der Fall, wie wir dieses bei den zerkleinerten Theilen der Mu- scheln zu sehen Gelegenheit haben. WViewohl bei die- sen letzteren die Flimmerbewegungen keineswegs von bedeutend grösserer Schnelligkeit, Stärke und Intensität, als in den weiblichen Genitalien und den Respirations- organen der drei höheren WVirbelthierclassen sind, so haben sie doch eine bei weitem grössere Tenacität, da sie, nach unseren Erfahrungen, in halbfaulenden, aufge- lösten und macerirten Muscheln mit ungestörter Lebhaf- tigkeit noch vorkommen. Dagegen werden die Flimmer- bewegungen der Säugethiere, Vögel und Amphibien so- gleich vernichtet, sobald ein Tropfen Säure oder Alcali- lösung der Flüssigkeit hinzugesetzt wird, Die Dauer der Vibrationen ist sehr verschieden, In dem Eileiter der Vögel verharrt sie ungefähr bis 4 Stunde nach dem Tode, in dem der Säugethiere bis ge- gen 20 Minuten und bei beiden ungefähr um die Hälfte länger in der Schleimhaut der Respirationsorgane. In der Nase haben wir sie sogar bei einem 2 Stunden vor- her getödteten Kaninchen von äusserster Lebhaftigkeit gesehen. Wir haben es schon oben bemerkt, wie verschieden die Flimmerbewegungen in den inneren Genitalien eines 3 Tage vorher befruchteten Kaninchen seyen. Bei träch- tigen Thieren der Art finden sich dieselben an allen Stellen der inneren Genitalien mit Ausnahme der Ober- flächen, wo die Schalenhäute an der innern Fläche der Gebärmutter befestigt sind. In den kleinen Zwischen- räumen dagegen, wo die Schleimhaut der Gebärmutter- hörner frei liegt, ist die Vibration äusserst lebhaft. Ver- geblich aber suchten wir sie in der Schleimhaut des Fruchthalters eines Hundes, welcher den Tag vorher geboren hatte und aus dessen Genitalien eine reichliche 399 Quantität eines diluirten, nicht geronnenen Blutes aus- geleert wurde. Doch behalten wir uns vor, diesen Punkt durch wiederholte. Erfahrungen noch zu entscheiden, Eben so sind wir bemüht, zu finden, ob vielleicht die Flimmerbewegungen bei Entzündung der Geschlechts- und Respirationsorgane lebhafter, als in dem normalen Zustande sind, oder nicht. Für das Erstere dürfte etwa der Umstand sprechen, dass in den entzündungsartig afhicirten Fruchthalterlefzen einige Tage vorher besprun- gener Kaninchen die Bewegung am lebhaftesten von allen Theilen der Schleimhaut der Geschlechtstheile war. Wiewohl die Flimmerbewegung ein mehr durchgrei- fendes und allgemeines morphologisches Phänomen zu seyn scheint, so lässt sich ihr doch jeder teleologische Zweck nicht vollkommen absprechen. Denn durch sie können die Secreta der Schleimhäute in denen sie vor- kommen, unmittelbar weiter befördert werden und hier- durch dürfte vielleicht manches sonderbare Phänomen seine genügende Erklärung finden, So bringen wir den während eines länger anhaltenden Schlafes sich ansam- melnden Bronchialschleim nie aus der Tiefe der Lungen hervor, sondern aus dem Kehlkopfe oder dem Anfange der Luftröhre. Doch wir enthalten uns jeder weitern Anwendung, um nicht in das hier so leicht geöffnete Feld der blossen Hypothese zu kommen. Wenn hier immer von Flimmerbewegungen gespro- chen wurde, so war nicht in dem Sinne davon die Rede, wie man es in neuerer Zeit z.B. von dem Flimmern des Blutes ausgesagt hat, sondern von einem so bestimmten und regelmässigen Phänomene, wie rur irgend eines in den Naturwissenschaften seyn kann. Es klingt zwar son- derbar, dass in den Schleimhäuten der Respirationsorgane Haare sich finden sollen, dass überhaupt Haare oder Ci- lien in dem Innern des Körpers und zwar in solcher Ausdehnung vorkommen, aber wir können ruhig Jeden auf eigene Untersuchungen, die hier so leicht zu machen 400 sind, verweisen. Nur müssen wir offen bekennen, dass nur der ein Urtheil zu haben vermag, welcher eine helle und klare Vergrösserung von 300—400 Mal im Durch- messer zu seinen Beobachtungen anwenden kann, Mit solchen Gläsern ausgerüstet und die oben angegebe- nen Vorsichtsmaassregeln beobachtend, wird es ihm ein Leichtes seyn, eines der schönsten Phänomene der Natur zu sehen und zu bewundern. \ Wir hoffen, die Gesammtheit unserer Beobachtun- gen über Flimmerbewegungen in dem Thierreiehe über- haupt möglichst bald in einer eigenen Schrift bekannt zu machen, welche vielleicht schon zu Anfange des künftigen Jahres dem Urtheile des Publicums vorgelegt werden könnte, Breslau, den 4. Juli 1834. 401 Ueber die Dicke der varıkösen Fäden in dem Gehirne und dem Rückenmarke des Menschen. Von Dr. Falentin in Breslau, W enn die einfachsten thierischen Theile bestimmte Grössenverhältnisse zeigen, welche bisweilen mit bewun- dernswerther Genauigkeit durch mierometrische Messung bestimmt werden können, so dürfte es mit Recht auf- fallen, dass die Durchmesser der von Fontana schon gesehenen und roh abgebildeten, von Ehrenberg in neuester Zeit wiederum dargestellten und genauer be- schriebenen varikösen Fäden des Gehirnes, des Rücken- marks und der Nerven, nach Ehrenberg -}; Lin, nach Krause dagegen „I, bis „1; Lin. dick seyn sollen. Sucht man dagegen durch eigene Beobachtungen zu er- mitteln, welcher von den beiden genannten Schriftstel- lern genauer gemessen habe, so wird man sich bald da- von überzeugen, dass Keiner eines begangenen Fehlers zu zeihen sey, sondern dass die Dicke dieser merkwür- digen Theile des Nervensystems in der T'hat zwischen so bedeutenden Grenzen variire. Es dürfte daher nicht ganz uninteressant seyn, diesem Verhältnisse nachzuspü- ren und zu untersuchen, ob vielleicht die Theile des Gehirns und Rückenmarks, denen gerade die varikösen Fäden angehören, Einfluss auf die grössere oder gerin- gere Dicke ihres Durchmessers haben oder nicht. Müller’s Archiv, 1934. 26 402 Schon längst hatte ich bemerkt, dass die varıkösen Fäden aus der untern Hälfte des Rückenmarks die dick- sten von allen waren und immer zum Theil wenigstens um das zwei- bis dreifache dicker, als die stärksten Fä- den aus irgend einem 'I'heile des grössten T'heiles des Gehirns oder des Rückenmarks. Diese Wahrnehmung, welche ich zuerst bei dem Menschen gemacht hatte, fand ich auch bei den zu diesem Zwecke von mir untersuch- ten Säugethieren und Vögeln, wie dem Kaninchen, dem Eichhörnchen, der Katze, der Taube, dem Huhne, dem Sperlinge und dgl. bestätigt. Ich hielt es daher der Mühe werth, den Gegenstand genauer zu verfolgen und kam hierbei zu kalgkaden Resultate. Die grösste Dicke, welche die varikösen Fäden an den nicht angeschwollenen Stellen hatten, betrug 0,000632 Par. Zoll. (nach Ehrenberg 0,000836 P. Zoll), das Mit- tel aus 20 Messungen 0,000354P. Z., und das Minimum 0,000150 P. Z. (nach Krause 0,000250 P. Z, bis 0,000157 P.Z.). Die varikösen Anschwellungen sind an einem und demselben Faden sehr ungleich, übersteigen selten in ihrem grössten Durchmesser das Dreifache und be- tragen in der Regel nur das Doppelte, die Hälfte oder dsl dritten Theil mehr, als der Durchmesser der nicht angeschwollenen Stellen ausmacht. Die dünnsten Fäden finden sich ohne Unterschied an allen Stellen des Ge- hirns und Rückenmarks, wo Gebilde der Art überhaupt vorkommen, die mittleren an den meisten Punkten, die dicksten dagegen an dem untern Theile des Rückenmarks. Je dicker hier die Fäden sind, um so mehr prävalirt die Zahl der dickeren Fäden überhaupt, während nach oben hin, nach dem verlängerten Marke zu, in und vor diesem, mehr die dünneren vorherrschen. Um aber die Verhält- nisse an einem individuellen Falle noch genauer nachzu- weisen, untersuchte ich ein Gehirn und Rückenmark an den verschiedenen Stellen, von dem hintersten Ende der Medulla spinalis bis zu den Hemisphären. Die Länge 403 der ersteren betrug 104 Zoll und bei einer genauen Untersuchung der einzelnen Stellen, in je einem Zolle Entfernung, ergaben sich folgende Zahlen in Par. Zollen: Maximum. Medium. I. Unterstes Ende des Rückenmarks 0,000,303 0,000,290 I. 1Zoll höher. . . . . . 0,000,382 0,000,354 Der a al 40L000;430-' 0,000,328 v.3- - ..2. 2.2: .0,000,506 0,000,388 eine, rd 12R,000,556 :'0,000,372 Er. 0,000,530 +0,000,304 ed En. 202005 0,000,417 7 Ev 5 a 736 0000,560:0,000;518 BE or le 7. i0,000,4050;000,353 irn ll, 900000450000 23 0 Fe 0,000,430 0,000,336 XI. Anfang der Medulla N 0,000,424 0,000,320 XIII. Mitte der Medulla oblongata 0,000,454 0,000,315 XIV. Vorderes Ende derMed, oblong.0,000,235 0,000,227 XV. Hirnschenkel . . . . . . 0,000,494 0,000,230 In den übrigen Theilen des grossen Gehirns war das Verhältniss dasselbe, wie in Nr. XIV. Das Medium ist aus zehn einzelnen Messungen entnommen, Ueber Gesichts-, Gehör- und Geruchsnerven* habe ich hier meine Untersuchungen nicht ausgedehnt. Wiewohl diese Zahlen nur einem individuellen Falle angehören, so können sie doch das oben angeführte All- gemeine nicht nur bestätigen, sondern vielleicht auch in manchem Einzelnen erweitern. Wir sehen hieraus: 1. Dass in diesem Individuum, einem 42 jährigen phthisisch gestorbenen Manne, die varikösen Fäden noch nicht die grösste Durchmessergrösse an ihren nicht an- geschwollenen Stellen erreichten, welche sie in änderen Fällen gezeigt haben und wie prekär es daher bei Ge- genständen der Art überhaupt sey, aus Einem Öbjecte allgemeine Schlüsse zu machen” 2. Dass von dem un- tersten Ende des Rückenmarkes bis vier Zoll höher hin- 26* 404 auf der Durchmesser der dicksten Fäden direct stieg, von da bis zur Mitte der Medulla oblongata, zwischen be- deutenden Abweichungen schwanliend, im Ganzen doch noch sehr bedeutend blieb, an dem vordern Ende des verlängerten Marks dagegen plötzlich abnahm und mit Ausnahme der Hirnschenkel in dem ganzen Gehirn ver- hältnissmässig sehr klein blieb. 3. Dass im Allgemeinen relativ das Mittel auch da gross war, wo die dicksten Fäden sich fanden, welches darin seinen Grund hat, dass an solchen Stellen die dickeren Fäden über die dünne- ren überhaupt prävaliren. 4. Die dünnsten Fäden da- gegen fanden sich in der ganzen Continuität des centra- len Nervensystems, hier ungefähr von 0,000160P. Zoll im Durchmesser. Aehnliche Untersuchungen an anderen Hirnen und Rückenmarken, haben auch ähnliche Resul- tate geliefert, So interessant und wichtig nun auch die Kenntniss der varıkösen Fäden des Gehirns und des Rückenmarks ohne Zweifel ist, so muss man doch offen bekennen, dass eine wahrhaft histologische und physiologische An- wendung kaum von ihnen gemacht werden darf. Denn schon in der kleinsten Portion centraler Nervensubstanz durchkreuzen einander Hunderte solcher Fasern ohne alle sichtbare Ordnung und ohne alle wiederkehrende Regelmässigkeit, Dieser Umstand mag vielleicht in der üblichen Untersuchungs- und Darstellungsmethode seinen Grund haben. Jedenfalls aber dürfte er ein schwer zu überwindendes Hinderniss für die Erkenntniss der Con- tinuität, der Verbindung und Lagerung dieser Fäden seyn, Um so leichter aber lassen sich über die Natur der ein- zelnen Fäden Beobachtungen anstellen. Und doch haben die speciellen Eigenthümlichkeiten derselben Anlass zu dem Streite zwischen Ehrenberg und Krause gege- ben. Wir wollen daher dasjenige, welches wir hierüber zu beobachten Gelegenheit hatten, hier anhangsweise mittheilen, nicht als massten wir uns an, als Schieds- 405 richter in dieser Sache auftreten zu wollen, sondern nur um auch unsere Untersuchungen der Critik würdiger Männer vorzulegen und aus deren Bestätigung oder Ta- del neue Belehrung zu schöpfen. Die einzige Bedingung, um die varikösen Fäden sichtbar zu machen, ist, dass man eine überaus dünne Schicht von Nervensubstanz untersuche. Diess erreicht man zunächst dadurch, dass man dieselbe zwischen zwei Glasplatten mässig drückt. Noch weit leichter aber kommt man zu demselben Resultate, wenn man eine sehr dünne Schicht von Nervensubstanz auf den Objectivträger auf- trägt. Gewöhnlich zeigen sich auch hier die Fasern mit Deutlichkeit, besonders in der Regel am Rande, wo die Lage am dünnsten zu seyn pflegt, wenn auch keine Flüssigkeit zu dem Präparate hirzugesetzt worden. Um das schnelle Vertrocknen zu verhüten, kann man das Präparat mit einem Tropfen Wasser bedecken. WVill man sich aber des Zerdrückens mittelst Glasplatten be- dieneu, so geschiet diess am besten durch das microto- mische Compressorium, weil man hier nach -VWVillkühr den Grad des Druckes verstärken oder verringern kann. So lange das Stück Nervensubstanz noch dieker ist, sieht man nur eine dunkle, dichte, granulirte Masse, Bei fort- geselztem Drucke treten zuerst einzelne Cylinder an dem Rande hervor, späterhin erscheinen sie auch in der ganzen Masse, bis endlich die Compression so heftig wird, dass sie in eine halbflüssige, fast ölartige, durchsichtige Substanz vergehen, Ist die faserige Nervensubstanz durch die Behand- lungsweise noch nicht verletzt oder zerstört, so zeigt sich in ihr: 1. meistens eine sehr feinkörnige, in einer flüssigen, wasserhellen Substanz befindliche Masse, 2, va- riköse Fäden von verschiedener Länge und Dicke mit ungleich grossen und in verschiedenen Entfernungen ge- lagerten Anschwellungen,. Auch ich sah sie nur selten sich verästelo,, nie aber mit einander anastomosiren. Sie 406 sind scharf begrenzt durch eine dunkle Linie jederseits, welcher parallel nach innen eine schwächere, jedoch immer mit Bestimmtheit erkennbare Linie verläuft. Aus dieser Beschaffenheit liesse sich nun zwar nicht schlies- sen, dass die Fäden in ihrem Innern hohl seyen. Denn, wäre dieses der Fall, so müsste die innere Linie inten- siver dunkel seyn, als sie es in der That ist, Allein so viel ist gewiss, dass die äussere Substanz, die WWandung gleichsam, relativ fester ist, als die innere. Denn man beobachtet auf quer abgerissenen Fäden das Lumen der äusseren Wandung als einen Doppelkreis recht deutlich und eben so kann man bei stärkerer Compression den fluideren Inhalt heransfliessen sehen. Dieser ist vollkom- men wasserhell oder wenig milchartig getrübt, durch- sichtig, von ölartiger, sonst aber sehr flüssiger Consi- stenz. In den bei weitem meisten Fällen findet sich in ihm keine Spur von Körnchen oder Körperchen irgend einer Art selbst bei einer Vergrösserung von 800 mal im Durchmesser. Seltener dagegen bemerkt man aller- dings, vorzüglich in den angeschwollenen Theilen der Fäden, kleine runde Körperchen mit völlig hellen Mit- telräumen, von 0,000075 P. Z. im mittlern Durchmesser. Es kam mir nicht selten vor, dass gerade in den Hirnen und Rückenmarken, welche schon von Fäulniss etwas ergriffen waren, diese Körnchen häufig gesehen werden konnten, Ob sie daher vielleicht, bei dem Menschen we- nigstens, einer beginnenden Zersetzung ihren Ursprung verdanken? Dass aber die varikösen Anschwellungen durch die in ihnen enthaltenen Kugeln erzeugt würden, glückte mir nie wahrzunehmen. Denn dann müssten sich die letzteren mittelst stärkeren Druckes wohl fortbewe- gen oder ausdehnen lassen. Nie aber vermochte ich, trotz einer sehr grossen Anzahl von Versuchen, auch nur ein einziges Mal eine Erscheinung der Art zu er- kennen. Ueber die Länge, so wie über die Verbindung der Fäden, wage ich, nach meinen bisherigen Erfah- 407 rungen, nichts mit Gewissheit zu entscheiden. 3. Kugeln von sehr verschiedener Grösse und Form, bald kugel- rund, bald mehr elliptisch, bald mit einem Fortsatze versehen, bald nach einer Seite hin zugespitzt u. dgl. m. Sie haben eine eben so bestimmte äussere Begrenzung als die Fäden, scheinen jedoch in ihrem Innern nicht immer deutlich hohl oder mit einem flüssigern Stoffe ausgefüllt zu seyn. Es hat viel Wahrscheinlichkeit für sich, dass diese Kugeln nur losgerissene Theile von Fä- den oder die angeschwollenen Stellen derselben sind. Aus der Beschaffenheit der Kugeln sowohl, als der Fä- den, welche beide ihrer Natur nach gleich sind, scheint zu erhellen, dass sie aus einem ölartigen oder fetten Stoffe bestehen, welcher die erste Tendenz zur Faser- bildung, diese jedoch noch so schwach hat, dass die frühere eigenthümliche kugliche Form als Anschwellung in den Fäden noch hervortritt. So sieht man auch an manchen Stellen des grossen Gehirns bei jungen Thieren noch blosse Kugeln, während erst in der Medulla oblon- gata und spinalis Fäden vorkommen. Ja man kann ge- wissermassen künstlich eine ähnliche Bildung erzeugen, wenn man Eidotter in feine Leinyyand giebt und unter heissem Wasser auspresst. Hierdurch entstehen dicke, den Poren der Leinwand entsprechende Fäden, die, wenn das Wasser nicht zu heiss ist, sogar varicöse Anschwel- lung haben; vielleicht sind daher‘ die Fäden (und Kugeln) mehr ein chemisch reiner Stoff, als ein wahrer histolo- gischer Bestandtheil. Es ist bekannt, dass bei längerer Aufbewahrung im Weingeist das Hirnfett aus dem Ge- hirne und Rückenmarke auf die Oberfläche hervortritt, Untersucht man ein Stückchen Nervensystem, welches im Beginn dieser Ausscheidung sich befindet, so sieht man ähnliche Fäden und Kugeln, wie in dem frischen Zu- stande, an der Oberfläche hervortreten, welche sich von den varikösen Fäden nur dadurch unterscheiden, dass die 408 ; innere, flüssigere Substanz nicht so‘ deutlich von der äussern‘, dichtern gesondert ist. Merkwürdigerweise und mit der eben ausgesproche- nen Vermuthung übereinstimmend sind die varikösen Fä- den gegen manche Reagentien so sehr empfindlich. So schwinden sie sogleich bei eintretender und weiter vor- schreitender Maceration des Gehirns und des Rücken- marks. Der WVeingeist vernichtet sie so schnell, dass man es binnen wenigen Minuten selbst beobachten kann, wie sie sich auflösen und wie an ihre Stelle eine kör- nige, nicht weiter speciell organisirte Masse tritt. Eben so finden sie sich nicht mehr in der Nervensubstanz, welche in Liquor Kali carboniei, Ammonii caustici und dgl. gelegen. Dagegen kann man sie wochenlang frisch und unverändert erhalten, wenn man Hirn und Rücken- mark in eine gesättigte Auflösung von Kochsalz oder Sal- miak legt. Ja, sie treten in solchen Präparaten, welche einige Tage in Flüssigkeiten der Art gelegen haben, noch deutlicher und schöner fast hervor, als in frischen, Mit der oben vorgetragenen Ansicht über die Natur der Fäden, steht auch folgende, von mir gemachte Be- obachtung in Uebereinstimmung. Ein junger Mensch hatte, wie man glaubte ex causa onanitica, an Rücken- darre gelitten. Bei der Section ergab sich, dass der dritte bis sechste Brustwirbel cariös und mit Exostosen versehen waren. In der Gegend des fünften Brustwir- bels befand sich, ausserhalb der Dura mater, eine weisse käsigte Masse, von ungefähr 4 Zoll im Durchmesser. Das Rückenmark, welches längs des ganzen kranken Theiles bedeutend geschwunden war, hatte hier kaum die Breite von 34 Linien und die Dicke von einer Linie, war ohne alle Spur von Faserung, sondern zu einer wei- chen, breiigen, structurlosen Masse aufgelöst. Nichts desto weniger existirten hier die varikösen Fäden eben so, wie an jeder andern Stelle der gesunden und kran- ken Theile dieses Rückenmarks. Es scheint also nur die 409 Substanz des Nervensystems überhaupt, nicht die beson- dere Structur, Faserung und Verbindung desselben die Existenz dieser Fäden zu bedingen. Möchten doch auch andere Naturforscher, bei ähnlichen Gelegenheiten, die- sen Punkt einer genauern Beachtung würdigen! Schliesslich dürfte noch folgende historische Bemer- kung nicht ganz ohne alles Interesse seyn. Für uns, die wir auf der Breslauer Hochschule gebildet sind, waren die von Ehrenberg beschriebenen Fäden nichts we- niger als neu, da sie Purkinje schon seit Jahren in seinen physiologischen Vorlesungen zu demonstriren pflegte. So habe ich selbst sie, als Student in den Jah- ren 1829. und 1830., bei ihm zu sehen Gelegenheit ge- habt, und jeder meiner damaligenCommilitonen wird ge- wiss dieses mit Vergnügen bestätigen können. 410 Ueber das Gewebe der Tunica dartos- und Vergleichung desselben mit anderen Geweben. Von Dr. Hermann Jordan. (Hierzu Tafel IX.) Vom Hodensack und im Besondern von der Tunica dartos. D: äussere Haut des Hodensacks, diese Verlängerung der äussern Haut der Beckengegend, welche die Hoden nach dem Herabsteigen aus der Unterleibshöhle aufnimmt, ist dünn, von etwas dunklerer Farbe als die übrige Cu- tis, mit langen, einzeln stehenden Haaren besetzt. In ihrer Mitte ist sie durch eine Linie, welche schon an der Vorhaut des Penis von dessen Frenulum beginnt, sich bis zum After erstreckt und Raphe genannt wird, in zwei Hälften getheilt. Sie ist in viele parallele, recht- winkelig gegen die Raphe gerichtete und in dieser ihre Befestigung findende Falten gelegt, welche unter dem Mons Veneris ihren Anfang nehmen, bei kräftigen Men- schen an der untern Hälfte der vordern Fläche beson- ders stark sind, an der hintern Fläche weniger tief und sparsamer werden und an ihrem obern Ende sich all- mählig ganz verlieren. Bei schwächlichen Menschen ist das Scrotum ein schlaff herabhängender Sack, seiner und der Schwere der Hoden folgend; an dieser Erschlaffung nimmt die Raphe Theil. Durch die Wärme wird der all Hodensack entfaltet; in der Kälte legt er sich in die be- schriebenen präformirten Falten und fest um die Hoden herum. Diese Faltenbildung nimmt man schon bei sehr kleinen und selbst bei neugebornen Kindern wahr. Aehn- liche, jedoch schwächere und kreisförmige Falten bemerkt man unter denselben Bedingungen auch auf der äussern Haut des Penis. An der Stelle, wo an der äussern Fläche des Ho- densacks oben die Falten ihren Anfang nehmen, verän- dert auch das Unterhautzellgewebe sein Ansehn und seine „Structur: die Fettzellen, welche am Mons Veneris noch in sehr reichlicher Menge vorhanden sind, hören plötz- lich auf, und statt ihrer erscheint bei kräftigen Menschen, deren Hodensack auch stark gerunzelt ist, ein röthliches, faseriges Gewebe. Die Fasern sind dehnbar und elastisch und zu dünneren und diese zu dickeren Bündeln ver- einigt, welche sämmtlich ihre Richtung von oben nach unten nehmen, also rechtwinklig gegen die Falten der äussern Haut gestellt sind, mit welcher sie so innig zu- sammenhängen, dass sie nur mit grosser Mühe und Vor- sicht davon abpräparirt werden können. Diese Bündel laufen aber nicht vollkommen parallel neben einander, sondern anastomosiren vielfach, indem von einem Bündel Partieen abgehen und sich an das benachbarte Bündel an- legen, wodurch viele Maschen gebildet werden, die sämmtlich ihren längsten Durchmesser von oben nach unten haben und ein sehr dichtes und festes, netzförmiges Gewebe zusammensetzen. So wie die Falten der äus- sern Haut, so ist auch dieses Gewebe an der vordern Seite des Hodensacks am deutlichsten, an der hintern meist gar nicht wahrzunehmen; man findet dasselbe schon bei kleinen Kindern und Neugebornen. Auch unter der äussern Haut des Penis zeigen sich ähnliche röthliche Fasern, die aber hier ein unregelmässigeres und viel dünneres Gewebe bilden. Die innere Haut des Hoden- sacks hat von ihrer Aehnlichkeit mit geschlagenem oder 412. geschundenem Fleisch, den Namen Tunica dartos oder carnea erhalten. Rufus Ephesius sagt*): „IIeoi de todg dıduuovg eioi yıraveg Egv9gosideis, zal dagroi.‘ Ausser den beschriebenen Fasern finden sich in die- sem Gewebe noch vielelange, dünne, gelbliche, sehr ela- stische, wenig verzweigte, abwärts laufende Cylinder. Diese sind, wie ich mich durch Injectionen überzeugt habe, Arterien, an der vordern Seite des Scrotum Aeste der Art, pudenda externa; an der hintern Seite des Sero- tum kommen die Arterien aus den scrotales posteriores. Die Tunica dartos bildet auf jeder Seite einen Sack. Beide Säcke vereinigen sich unter der Raphe mit einan- der und bilden das Septum 'seroti. In diesem ist die netzförmige Verbreitung von Bündeln nicht mehr wahr- zunehmen, sondern dasselbe besteht aus gewöhnlichem, aber sehr dichtem Zellgewebe. Zwischen der äussern Haut und der Tunica dartos ist kein verbindendes Zellgewebe, sondern die Faserbün- del dieser hängen unmittelbar und, wie schon gesagt wurde, sehr innig mit jener zusammen; die Cutis muss daher immer den Bewegungen der innern Haut folgen. Dagegen befindet sich zwischen der innern Fläche der Tunica dartos und den darunter liegenden Gebilden, dem Cremaster nämlich und der Tunica vaginalis communis, ein so lockeres Zellgewebe, dass, wie ich aus Versuchen an Leichnamen und anderen ‘Beobachtungen, von denen weiter unten die Rede seyn wird, gesehen habe, der Hode mit seinen Scheidenhäuten durch den Cremaster in die Höhe gezogen werden kann, während der untere Theil des Hodensacks leer zurückbleibt. Der Streit, zu welcher Art von Geweben die Tu- nica dartos zu zählen sey, war bis auf den heutigen Tag noch nicht ganz ausgemacht, wozu gewiss das sehr ver- schiedene Aussehen derselben bei kräftigen und bei *) De partibus corporis humani. ed. Gul. Clinch, Lond. 1726. p.41 413 schwächlichen Individuen viel beigetragen hat. Aeltere Anatomen rechneten sie zu den Hautmuskeln. Unter den neueren glaubt Velpeau, dass die Dartos manch- mal Muskelfasern enthalte, und dass das Zellgewebe sich in Muskelgewebe umbilden könne; er sagt *) von den beiden Säcken der Dartos: „‚Ses fibres sont souples, co- tonneuses et rougeätres chez quelques sujets. Les an- ciens anatomistes, qui expliquaient par ses contractions le plissement du scrotum et la retraction des testicules, se fondaient sur cet aspect, pour lui accorder la texture musculaire. Le muscle cremaster rendant assez bien compte du fait, les modernes ont entierement rejete cette opinion. J’ai cependant vu beaucoup de cadayres susce- ptibles d’etre invoques en sa fayeur. Fibres paralleles, ondulees, villeuses, molles, tres-souples, tissu rougeätre, tout, en un mot, eüt permis de comparer le dartos a la membrane musculaire de l’estomac. Mon opinion, ä cet egard, est, que l’elEment cellulaire peut: se transformer en tissu charnu etc. ‘* J. F. Meckel erklärt zwar die Tunica dartos für Zellgewebe, glaubt aber, dass sie den Uebergang dieses zum Muskelgewebe bilde; er sagt**) von ihr: „Am wahrscheinlichsten ist es indessen, dass sie den Ueber- gang vom Schleimgewebe zur Muskelbildung macht, und sich zu den übrigen Muskeln ungefähr wie die Muskeln der niederen Thiere zu denen der höheren verhält, wo auch die faserige Structur undeutlicher und gewisser- massen durch die Gallert, das Element des Schleimge- webes, verdeckt ist, welche den bei den höheren Thie- ren freier hervortretenden Faserstoff verhüllt, oder noch nicht in ihn umgewandelt ist. * Dass Haller die Tunica dartos für Zellgewebe ge- *) Trait complet d’anatomie chirurgicale du corps humain, T. I, Paris, 1833, p. 217. **) Handb, d. menschl. Anat, Bd, IV, Halle u. Berl, 1820. p. 543. 414 halten hat, geht daraus hervor, dass er von diesem sagt*): „Veteres ejus aliquas regiones aliis cum nominibus co- gnitas habuerunt, et tunicam musculorum eommunem di- xerunt, membranam adiposam, vaginalem, darton, “ E.H. Weber sagt**) von der Tunica dartos: „Diese Lage Zellgewebe überzieht nicht nur den ganzen Ho- densack, sondern theilt auch seine Höhle in zwei durch eine Scheidewand, Septum scroti, geschiedene Höhlen, * und ferner: „Von Fleischfasern ist in der Dartos keine Spur vorhanden.‘‘ An einer andern Stelle ***) aber sagt er von der T. dartos und von der äussern Haut der Ge- fässe: „Von diesen Häuten ist doch noch nicht bewie- sen, dass sie nur aus Zellgewebe bestehen.‘‘ Microscopische Untersuchung derT. dartos. (Diese Untersuchungen wurden, so wie die übrigen der Art, mit allen erforderlichen Cautelen angestellt, und als Medium für die zu untersuchenden Gegenstände nicht bloss reines Wasser, sondern auch Zuckerwasser und Eiweissauflösung benutzt.) Die Bündel, aus denen die T. dartos besteht, lassen sich in äusserst feine, elastische Fasern aus einander ziehen. Diese Primitivfasern (Fig. 1.) erscheinen unter dem zusammengesetzten Microscope als ihrer ganzen Länge nach gleich dicke, geschlängelte, durchsichtige Cylinder, deren Durchmesser, nach den von mir angestellten micrometrischen Untersuchungen zwi- schen 0,0005 bis 0,0009 einer Englischen Linie variirt und im Mittel 0,0007 E. Lin. beträgt. Durch das zur Darstellung der Primitivfasern unvermeidliche Zerren verlieren dieselben oft den ihnen eigenthümlichen Schwung und nehmen eine gerade Richtung an. ChemischeUntersuchung derT. dartos. Eine *) Elem. physiol. c. h, T. I. Lausannae 1757. p-9. *) Hildebrandt’s Handb. d. Anat. d. M, 4teAusg. Bd, IV, Braunschw. 1832, p. 380. **") Desselben Werkes Bd.I, 1830, p. 239. 415 Portion dieses Gewebes, fein zerschnitten, wurde mit Essigsäure, hierauf mit etwas Wasser übergossen und so einige Stunden stehen gelassen; auf nachheriges Hin- zugiessen von Eisencyankalium entstand weder ein Nie- derschlag, noch eine Trübung. Eine andere Portion der -T. dartos wurde durch dreistündiges Kochen mit Was- ser zum Theil in Leim umgeändert. Physiologische Eigenschaften derT. dartos. Diese Haut ist im hohen Grade contractil. Der allge- mein bekannte Reiz für ihre Zusammenziehung ist die Kälte, wogegen sie in der Wärme erschlafft; Galvanis- mus wirkt‘nicht auf sie. Die Folge ihrer 'Zusammen- ziehung ist, dass sich die mit ihr fest verbundene äus- sere Haut des Hodensacks in die präformirten Falten legt und dass beide Häute die Hoden fest umschliessen und das schlaffe und nachtheilige Herunterhängen der- selben verhüten., E. H. Weber ist auch der Ansicht, dass die T. dartos, wegen ihrer zahlreichen Blutgefässe sehr dazu beitrage, den Hoden warm, und somit die Verrichtung der Absonderung im gehörigen Gange zu erhalten *). An dem Anziehen der Hoden gegen den Bauchring, wie dasselbe bei Krämpfen, heftigem Husten und ande- ren Bewegungen, wobei die Bauchmuskeln und nament- lich der M. obliquus internus stark zusammengezogen werden, Statt findet, hat die T. dartos keinen Antheil, sondern dasselbe wird durch den Theil des M. obliquus internus, welcher Cremaster genannt wird, bewirkt. Diese Behauptungen werden durch folgende Betrach- tungen und Versuche erwiesen, Dass die Faltung der äussern Haut des Hodensacks nicht durch eine Zusammenziehung dieser selbst, sondern der darunter liegenden Haut bewirkt wird, ist leicht ein- zusehen, denn eine active Zusammenziehung der äussern ») A. a. O. Ba. IY. p.379. 416 Haut würde nur eine gleichmässige Verdichtung, ein gleichmässiges Festerwerden derselben, aber keine solche regelmässige Faltenbildung, mag dieselbe auch präfor- mirt seyn, bewirken. BeiFaltenbildung verhält sich der gefaltete Theil immer passiv, er folgt einer fremden be- wegenden Kraft. Damit soll keineswegs geläugnet wer- den, dass sich in der Kälte auch die äussere Haut zu- sammenziehe; diess scheint im Gegentheil daraus, dass der gefaltete Hodensack auch dem Gefühle fester erscheint, hervorzugehen. Ausserdem spricht noch für obige Er- klärung der Umstand, dass die Faltenbildung‘ der äus- sern Haut mit der Ausbildung der T. dartos immer im gleichen Verhältnisse steht, so dass man aus dem äus- sern Anschn des Hodensacks mit Sicherheit stets auf die T, dartos schliessen kann. Endlich habe ich bei Thie- ren, deren Hodensack nicht gefaltet ist, beim Kaninchen und beim Hunde, auch keine T. dartos, sondern statt derselben gewöhnliches Zellgewebe, beim Schafbock da- gegen eins starke, wiewohl unregelmässige Runzelung der äussern Haut des Scrotum und eine sehr ausgebil- dete T. dartos gefunden. Was die Reize betrifft, die die Faltung des Hoden- sacks bewirken, so rede ich nicht von den Beobachtun- gen, die in der Kälte und besonders beim Baden im kal- ten Wasser Jeder an sich selbst machen kann; dagegen theile ich hier einige, in Gegenwart der Hrn, Prof, Mül- ler und d’Alton und des Hrn. Dr. Henle angestellte Versuche mit. Der Hodensack eines Schafbocks wurde mit kaltem Wasser begossen: es erfolgte eine starke Runzelung, welche aber von Zuckungen, wie. sie den Muskeln eigen sind, wenn Reize plötzlich auf sie einwirken, sehr ver- schieden war. Zugleich wurden auf denselben Reiz und eben so plötzlich, als die Einwirkung dieses erfolgte, die Hoden (durch den Cremaster) in die Höhe gezogen, wäh- rend der untere 'Theil des langsamer sich zusammenzie- 417 henden Hodensacks leer zurückblieb. WVurde die An- wendung des kalten Wassers ausgesetzt, so entfaltete sich der Hodensack in der Wärme allmählig wieder; das Herabsinken der Hoden dagegen erfolgte weit früher und eben so plötzlich wie das Emporheben derselben, Galyanismus wirkte nicht auf den Hodensack ; eine Säule von 65 Plattenpaaren zeigte auch auf die innere Fläche des Hodensacks keine Einwirkung, nachdem diese durch eine Längenincision blossgelegt war. Dagegen wurde der Hode durch Application des Galvanismus auf den Cremaster augenblicklich im Hodensack in die Höhe gezogen. j Diese Versuche beweisen also die Einwirkung der Kälte auf den Hodensack; sie beweisen ferner, dass der Galvarismus keinen Einfluss auf denselben hat; endlich beweisen sie, dass das plötzliche Emporheben des Ho- dens gegen den Bauchring nicht durch den Hodensack, sondern durch den Cremaster vermittelt wird. Die Mög- lichkeit der letzten Thatsache wurde zum Theil schon früher anatomisch nachgewiesen; hier muss ich noch mit einigen Worten auf die Ausbreitung des Crema- ster aufmerksam machen, wodurch die Sache noch deutlicher wird. Eine Portion vom untern Theile des M. obliquus in- ternus begleitet als Cremaster den von seinen Scheiden- häuten umhüllten Hoden durch den Leistenkanal und theilt sich hierauf in mehrere Bündel, welche, auf der Tunica vaginalis communis durch straffes Zellgewebe befestigt, an.der äussern und an der vor2ern Fläche der- selben herabsteigen, sich dann umschlagen, an ihrer in- nern Seite wieder in die Höhe steigen und sich an der Spina pubis befestigen oder, wie ich in einigen Fällen gese- hen habe, zur Scheide des M. rectus übergehen, so dass also der Hode mit seinen Scheidenhäuten in musculösen Schlingen hängt, durch deren Contraction er gegen den Bauchring gezogen wird. Diese Anordnung des Cre- Müller’s Archiv. 1834. 27 418 master hat zuerst J. Cloquet genau beschrieben und davon eine Abbildung gegeben *). Der feinen Beobachtungsgabe der alten Bildhauer war dieses Verhältniss des Hodensacks zum Hoden nicht entgangen: an den herrlichsten Werken antiker Kunst, am Borghesischen Fechter und am Laokoon, deren Bauchmuskeln an der Anstrengung des ganzen Körpers sehr grossen Antheil nehmen, sehen wir die Hoden ge- gen den Bauchring angezogen und den untern Theil des Scrotum leer herabhängend. Minder treffliche Künstler haben weniger sorgfältig beobachtet, wie wir diess aus vielen, in der Auslage begriffenen Fechtern ersehen; Was jene grossen Meister dargestellt haben, habe ich sehr häufig bei schreienden Kindern beobachtet, und an sich selbst werden es die Meisten wahrnehmen kön- nen; jedoch giebt es hiervon Ausnahmen, Als krankhafte Zustände der Tunica dartos muss ich hier die Infiltrationen erwähnen, von eiweisshaltiger Flüs- sigkeit im Oedema scroti, von Blut, von Urin, von Eiter bei Wunden, bei Fisteln und fistulösen Geschwüren **); hierbei ist von der eigenthümlichen Anordnung der Fa- sern nichts mehr zu erkennen, und die 'T. dartos gleicht in diesem Falle ganz dem Unterhautzellgewebe, das sich unter gleichen Verhältnissen befindet. Ferner gehört hierher die Bildung von Fett in dieser, im normalen Zu- stande fettlosen Haut ***), und endlich die Schlaffheit der T. dartos bei Schwächlingen und alten Menschen, und das Schwinden derselben. *) Recherches anatomiques sur les hernies de l’abdomen. Paris, 1818. p. 13. und PI. II. **) Velpeau, a. a. O, p. 218. ") J.F. Meckel a. a. O. 8.2441. — Desselben Handb, der pathol. Anatomie, Bd. II, Abtheil. IT, Leipzip, 1818, p. 126. 419 Vom Zellgewebe. Unter Zellgewebe versteht man die weissliche, 'wei- che, kleberige, elastische Substanz, welche die Zwi- schenräume zwischen den einzelnen Organen ausfüllt, die dieselben constituirenden Theile mit einander verbindet und der Träger der Capillargefässnetze ist. Ueber die Elementartheile des Zellgewebes herrschen bis auf den heutigen Tag sehr verschiedene Ansichten unter den Anatomen, theils weil man Beweise leichter erfand als auffand, theils weil erst in der neuern Zeit die Microscope so vervollkommnet sind, dass wir im Ge- biete der Histologie davon zuverlässige Aufschlüsse er- warten dürfen und zum Theil schon erlangt haben. Nach meinen Untersuchungen sind die Elementar- theile des Zellgewebes durchsichtige, wasserhelle, leicht geschlängelte, durch Zerren gerade streckbare, äusserst feine, ihrer ganzen Länge nach gleich dieke (nicht aus Kügelchen bestehende) Fäden (Fig. 2. u. 3). Durch mierometrische Messungen fand ich ihren Durchmesser zwischen 0,0005 und 0,0009 einer Englichen Linie varii- rend, in der Mehrzahl gleich 0,0007 Engl. Lin. Ob die einzelnen Primitivfasern wirklich in ihrer Dicke verschie- den sind, ob diese Verschiedenheit vielleicht nur durch den zur Untersuchung nöthigen, mittelst des Compresso- rium ausgeübten Druck bewirkt wird, wieviel endlich davon dem durch die Feinheit des Gegenstandes beding- ten Mangel an Genauigkeit zuzuschreiben ist, lässt sich nicht bestimmen, Die gegebene Beschreibung der Primitivfasern des Zellgewebes ist das übereinstimmende Resultat vieler Untersuchungen, die ich an dieser Substanz von den ver- schiedenen Gegenden des menschlichen Körpers, nament- lich von der Zellgewebescheide der A. carotis communis, der V. jugularis interna und des N. vagus, von der äus- sern Haut der A. carotis, von dem interstitiellen Zell- fl 420 gewebe der einzelnen Bündel des M. sternocleidoma- stoideus, des Sartorius, des Glutaeus maximus, der Seh- nenbündel der Achillessehne, von den Fettzellen zwi- schen der Haut und den Bauchmuskeln, zwischen der Haut und den Gesässmuskeln, angestellt habe. Aber nicht bloss das Zellgewebe von Leichen gab diese Resultate, sondern ich fand aus denselben Primitivfasern auch das Zellgewebe bestehend, welches ich aus der frischen Wunde eines lebenden Kaninchens von der Scheide der Carotis und aus den Interstitien der Halsmuskeln ge- nommen hatte. Andere, als die beschriebenen Elementartheile, habe ich im Zellgewebe nicht auffinden können, weder Kü- gelchen noch .Blättchen, welche sich nicht in jene Fä- den hätten trennen lassen, Die Primitivfasern des Zellgewebes vereinigen sich auf zweifache Weise, ertweder nämlich liegen ihrer viele beisammen und bilden secundäre Fasern, die sich mannigfaltig durchkreuzen und so ein bald loseres, bald dichteres, verworren netzföürmiges Gewebe zusammen- setzen (Fig. 4.); oder sämmtliche Primitivfasern durch- kreuzen sich und bilden sehr dichte und sehr feine Blättchen, Diess sind die Fasern und Blättchen, welche Haller und Bichat beschrieben haben. Zu der er- stern Art gehören z. B. die Scheiden der Gefässe, die Zellgewebhäute, das Zellgewebe zwischen den grösseren und kleineren Muskel- und Sehnenbündeln, zwischen den Nervenfäden u.s. w. Blätterig ist dagegen das Gewebe der geschlossenen Fettzellen; diese werden durch ein viel lockreres Gewebe in mehrere kleinere Höhlen ab- getheilt, und von diesen aus gehen noch minder zusam- menhängende Fädchen durch die Fettpartikeln. Mehrere Anatomen haben die Primitivfasern des Ziellgewebes beobachtet; nach Anderen sollen die fein- sten Theile desselben Kügelchen seyn; noch Andere ha- ben behauptet, dasselbe bestehe aus einer homogenen, 421 schleimähnlichen Substanz; endlich ist in der neusten Zeit von ausgezeichneten Anatomen die Ansicht aufge- stellt worden, das Zellgewebe sey nichts anderes, als Netze von Lymphgefässen. Fontana*) hat die Primitivfasern des Zellgewebes zuerst aufgefunden, es sind seine geschlängelten ursprüng- lichen Cylinder, von denen er sagt, dass sie unter allen ihm bekannten Theilen im thierischen Körper die klein- sten seyen. Dass Fontana ähnliche Cylinder auch in Erden und Metallen gefunden haben wollte, hatte seine Beobachtungen verdächtig gemacht, und hat noch neuer- lich J. Koker**) zu dem falschen Schlusse verleitet: weil Fontana hierin getäuscht sey, so seyen auch die ge- schlängelten Cylinder des Zellgewebes optische Trugbilder. Vor Fontana schon hatte Bordeu eine ganz an- dere Ansicht über die microscopischen Elementartheile des Zellgewebes aufgestellt, indem er von diesem sagt: „Elle paroit, @tant examinde au microscope, un compos& d’atomes ou de petits corps colles les uns aux autres, ranges sans nulle sorte de symmetrie, plus ou meins mous, et plus ou moins transparens; elle est comparable ä une gelde de viande, et ne semble differer que fort peu de ce que les chimistes appellent le corps muqueux — c'est pourquoi nous l’appellerons le tissu muqueux ***).‘ Der in seinen übrigen Arbeiten so ausgezeichnete C. F. Wolff hat aus seinen Untersuchungen über das Zellgewebe +), welche in E. H. Weber's allgemeiner *) Abhandl, über das Viperngift u.s.w., a. d. Franz, Berl. 1787. p- 389. Tab. V. Fig. 4. u. 5. **) Spec, anatomico-physiol. inaug. de subtiliori membranarum serosarum fabrica. Trajecti ad Rh. 1828. p. 37. *"*) Oeuvres de Bordeu ed. Richerand. Paris, 1818, Vol. I. p.735. 59. (Bordeu’s Abhandlung, sur le tissu muqueux,, er- schien zuerst im J. 1767 zu Paris, [Fontana’s, über das Viperngift, im J. 1781, zu Florenz,) 7) De tela quam dicunt cellulosa observationes, In: Nova act. acad, scient, imper. Petrop. Tom, VI, 1790, p. 267. 422 Anatomie 8.235. nachgelesen werden können, das Resul- tat gezogen: „His omnibus, substantiam, qua musculi obdueti, minime cellulosam, sed continuam, aequalem, semifluidam, tenacem et pellucidam substantiam esse, omnino demonstratur.“ WVVolff’s Ansicht, welche sich mehr auf Schlüsse als auf microscopische Untersuchun- gen stützt, und, streng genommen, sich nur auf die se- cundären Fasern des Zellgewebes bezieht, ist von We- ber gründlich widerlegt worden. Ich will nur einige Ausdrücke, deren sich Bordeu, Wolff und deren An- hänger bedient haben, näher beleuchten. Mit dem Schleime, dem Producte der Schleimhäute, besitzt das Zellgewebe für das bewaffnete Auge nicht die entfernteste Aehnlichkeit. Im Schleime sieht man unter dem Microscope Kügelchen in einer klaren Flüs- sigkeit. Diese Beschaffenheit zeigt der Schleim noch, wenn er auch schon lange aus dem Organismus entfernt, ja selbst, wenn er getrocknet und nachher wieder auf- geweicht ist. In Leim wird das Zellgewebe durch Kochen zwar umgewandelt, aber das Zellgewebe ist desswegen kein Leim; der Leim ist eine homogene Substanz, man sieht in ihm weder Fasern, noch Kügelchen, Mit dem Ausdruck „halbflüssig‘“ geht es, wie mit Allem, was nur halb ist. WVeicher ist das Zellgewebe im lebenden Körper allerdings, als im todten, wovon ich mich bei Vivisectionen und beim Präpariren todter Thiere derselben Species und von gleichem Alter überzeugt habe; aber nie ist das Zellgewebe ohne die bestimmte, beschriebene Structur. WVürden die Fasern des Zell- gewebes aus einer homogenen Masse erst herausgezo- gen, so müsste man neben ihnen doch auch etwas von dieser sehen. Endlich würden die Fasern, wenn sie durch Zerren erst entständen, gestreckt seyn;, sie er- scheinen aber, bei vorsichtiger Behandlung, geschlängelt. 423 Wolff’s Ansicht stimmen Blumenbach*), Mek- kel**) und Rudolphi***) bei, indem sie über das Zellgewebe urtheilen, wie es dem blossen oder wenig- stens nicht hinlänglich bewaffneten Auge erscheint, ‚Döllinger +) sagt vom Zellgewebe, welches er für den Grundstoff aller thierischen Gebilde hält und desswegen „Thierstoff‘‘ nennt, es sey eine eigenthüm- liche schleimähnliche Substanz, in welcher man kleine, ein wenig dunklere Körner durch das Microscop erblicke. „Chemisch betrachtet, “* sagt D. ferner, „‚mag der Thier- stoff ursprünglich eine Substanz seyn, in welcher das Ei- weiss und der Faserstoff noch nicht zur Entscheidung gekommen sind,‘ eine Annahme, welche der von der Bedeutung dieses Stoffes angepasst ist, durch Bichat’s Untersuchungen aber schon widerlegt war. Heusinger +) beschreibt das Zellgewebe, bei ihm Bildungsgewebe, nach dem Anschen für das unbewafl- nete Auge, wie Bordeu, Wolff u. A. „Unter dem Mieroscop,‘* sagt er aber, „erblickt man schon bei einer mässigen Vergrösserung das Bildungsgewebe aus lauter rundlichen Hörperchen oder Kügelchen bestehend; die Hügelchen scheinen aber viel grösser, als wie die Blut- kügelchen.‘“ Die Elementartheile des Zellgewebes las- sen sich bei mässigen Vergrösserungen gar nicht erkennen, wie man aus Fig, 2. u.3., welche bei einer 450maligen Vergrösserung ihres Durchmessers gezeichnet sind, leicht schliessen kann. Auch G. R. Treviranus'FfFf) stimmt Wolff und Rudolphi bei, bemerkt aber: ‚Unter der stärksten meiner Vergrösserungen sahe ich in ihr (der schleim- *) Institut. physiolog, Ed. IV. Goett, 1821, 8.21. **) Handb. d. menschl, Anatomie. Bd. 1. 1815. p. 116. u. 117. *"*) Grundriss der Physiol. Bd. I. Berl. 1821, p.73, F) Was ist Absonderung und wie geschieht sie? Würzb. 1819, p. 20. Fr) System der Histologie. Thl.I. Eisenach, 1822. p. 124 u. 125, rrrf) Vermischte Schriften. Bd. I, Göt. 1816. p.125. Fig. 74, 424 ähnlichen Substanz) höchst zarte, durchsichtige, meist geschlängelte Cylinder, die ich Elementarcylinder nennen werde, zwischen ihnen Kügelchen, die das Ansehn der Eiweisskügelchen hatten, und eine halbflüssige, beide Theile einhüllende Materie, welche in ihrer zähen, dehn- baren Beschaffenheit, ihrem Vermögen vom Wasser an- zuschwellen und ihrem Ansehn mit dem erhärteten und wieder aufgeweichten Schleim der Bronchien übereinkam,‘* Aus dieser Beschreibung und der dazu gehörigen Abbil- dung muss ich schliessen, dass der treffliche Beobachter keine isolirten Primitivfasern gesehen habe. E.H. Weber *) sah durch das Microscop „an dem Zellgewebe, das sich zwischen der Bindehaut und weis- sen Haut des menschlichen Auges befand, eine durchsich- tige, sich in wasserhelle Fäden auseinander ziehende Mate- rie, welcher hier und da Kügelchen beigemengt waren. “ C. A. S, Schultze **) stellt eine Menge von Be- hauptungen über das Zellgewebe auf, deren Urheber er nicht angibt und die er selbst nicht beweist. So soll der „„Schleimstoff“ bei den vollkommneren Thieren aus- ser Gallerte Faserstoff enthalten. Von ihm sollen die übrigen Elementartheile in allen Thieren ihren eigen- thümlichen Nahrungssioff nehmen und in ihn das Ver- brauchte absetzen. Als Elementartheile des Schleimstofls nennt Schultze rundliche Körperchen, wässrige oder fettige Flüssigkeit enthaltende Bläschen, Fäden und Röh- ren. Die Zellen sollen entstehen, indem die Bläschen sich drängen und eckig werden. Die Röhren sollen die feinsten Theile des Gefässsystems seyn; und doch kann sie Schultze nicht zum Gefässysteme rechnen, denn er sagt: „Alle diese Stoffe, meist in Verbindung mit Iym- ") A. a. O,. Bd. I. p. 237. **) Lehrb. d. vergleich. Anat. Abth, I. Berl, 1828. p- 109. u. 110. — Prodromus descriptionis formarum partium elementarium in ani- malibus. Berol, 1828, p.6. u, 7. 425 phatischen und Blutgefässen, bilden das Zellgewebe oder Schleimgewebe. Sehr freut es mich, an C. F. Th. Krause *), in sei- nem trefflichen anatomischen Handbuche, die Primitivfa- sern des Zellgewebes beschreibt, wie auch ich sie beob- achtete; ihre Dicke gibt er zu MIT bis „505 Dm. an, Ausserdem sah dieser ausgezeichnete Beobachter noch unregelmässige Klümpchen von „15 bis 45" Dm. Von den letzteren habe ich nie eine Spur gefunden, wenn ich überzeugt war, reines Zellgewebe zu untersuchen; ich sah nur Kügelchen, wenn ich mit dem Zellgewebe Fettpartikelchen unter das Microscop gebracht hatte, Krause selbst sagt von den Klümpchen, dass sie durch eine gewaltsame Ausdehnung zum Theil in Fasern ver- wandelt werden, wesshalb ich glaube, dass dieselben nur, durch ihre Elasticität zusammengerollte Fasern sind. R. Wagner**) nennt als Elementartheile des Zell- gewebes Fäden von 45" bis „1," Dicke. Milne Edwards***) sagt, dass die vonFontana beschriebenen Fäden, bei stärkerer Vergrösserung, das Ansehn von Kügelchen haben, welche unter sich zusam- menhängen. Er hat sich hierin gewiss getäuscht, denn selbst bei einer 1200maligen Vergrösserung des Durch- messers sah ich die Fäden in ihrer ganzen Länge von gleicher Dicke. Während ich dieses schreibe, erhalte ich das Insti- tut vom 14. Juni d.J., worin die Resultate der Untersu- chungen von A. Lauth über die Structur der Gewebe beim Menschen (vorgetragen in der Societe d’histoire naturelle de Strasbourg, in der Sitzung vom 15. April) mitgetheilt werden. Nach Lauth sind die Elementar- *) Handb. der menschl Anat,. Bd.1I. Abth.1. Hannov, 1833. p.13. **) Lehrbuch d. vergl. Anat. Abth. I. Leipzig, 1834. p- 61. **) Mem. sur la struct. @lömentaire des principaux tissus orga- niques, Paris, 1823., übers. in Heusinger’s Zeitschrift für d. organ. Physik. Bd. II. p. 277. 426 theile des Zellgewebes Fasern; diese sollen aber nicht regelmässig eylinderförmig seyn, sondern man soll an ihnen Anschwellungen bemerken, welehe durch dünnere Theile getrennt seyen. Bisweilen, jedoch selten, hat Lauth dichotomische Fasern gefunden. Bergen, Schobinger, Haller, Bichat, Be- clard u. A., welche zwar die Elementartheile des Zell- gewebes nicht untersucht haben, haben von den secun- dären Fasern und von den Blättehen desselben genaue Beschreibungen geliefert. Fohman *) und Arnold**), der erstere auf In- jectionen, der zweite auf microscopische Beobachtungen sich stützend, haben neuerlich die Ansicht aufgestellt, dass das Zellgewebe, entweder ganz oder grösstentheils, nichts anderes sey, als Netze von Lymphgefässen. Ar- nold würde diese Ansicht wohl nicht ausgesprochen haben, wenn er bei stärkerer Vergrösserung die einzel- nen Primitivfasern gesehen hätte; dieser vortreffliche Beobachter scheint durch das Ansehn getäuscht worden zu seyn, welches eineMenge sich kreuzender Fäden dem schwach bewaffneten Auge darbietet. Man kann sich wohl nicht vorstellen, dass die den ganzen Körper überzie- hende Fascia superficialis aus Lymphgefässen bestehe; und wie sollten endlich die geschlossenen Fettzellen Lymphgefässnetze seyn? Was die chemische Beschaffenheit des Zellgewebes betrifft, so hat schon Bichat mitgetheilt, dass dasselbe im kalten Wasser unauflöslich ist und durch Kochen in Leim umgewandelt wird. Die Primitivfasern des Zellgewebes, von deren Ela- stieität schon die Rede war, lassen sich durch Zerren *) Memoires sur les communications des vaisseaux Iymphatiques avec les veines. Liege, 1832, p. 17. **) Anatom, u. physiol, Untersuch. über d. Auge des Menschen, Heidelb. u. Lpz. 1832. p. 1. sq. 427 mittelst feiner Nadeln ganz gerade strecken, und nehmen, so lange sie feucht sind, wenn mit der äussern Geyyalt nachgelassen wird, ihre leicht gewundene Form wieder an, Dass das Zellgewebe auf die Einwirkung der Kälte, des Alcohols, der adstringirenden Mittel sich zusammen- zieht, ist bekannt. Vermöge der Haarröhrchenkraft be- sitzt das Zellgewebe die Eigenschaft, Flüssigkeiten in sich aufzunehmen und, da es selbst weich und nachgiebig ist, durch diese anzuschwellen, Endlich hat das Zell- gewebe die Function, alle Organe des Körpers und de- ren einzelne Theile mit einander zu verbinden, jedoch so, dass sie sich leicht an einander verschieben lassen, und, in sofern es der Träger der feinsten Blut- und Lymphgefässe ist, ihre Ernährung zu besorgen. Mit Un- recht aber glauben viele Physiologen, in Folge von un- genauen Beobachtungen oder aus einer Verwechslung mit der Substanz, aus welcher sich im Fötus alle Theile bilden und welche J. Müller *) Blastema benannt hat, dass das Zellgewebe selbst die Grundlage aller übrigen Gewebe sey, und desswegen sind auch die für diese Mei- nung erfundenen Namen, wie Bildungsgewebe (Heu- singer), Thierstoff(Döllinger)u.s.w. zu verwerfen. Von den Krankheiten, welche im Zellgewebe ihren Sitz haben können, sind, ausser der Entzündung und ih- ren Folgekrankheiten, die Wassersucht des Zellgewebes und die Fettsucht für uns von Wichtigkeit, weil diesel- ben auch in der Tunica dartos beobachtet worden sind. Vom Muskelgewebe. Diejenigen Theile, zu welchen man bei der micro- scopischen Untersuchung der Muskeln durch die gewöhn- lichen Hülfsmittel, nämlich feine Nadeln, ohne sehr grosse Schwierigkeit gelangt, sind die, welche Fon- tana Primitivbündel, Faisceaux charnus primitifs, Pre- *) De glandular, secernent, structura penit, Lips. 1830. p. 60, 428 vost und Dumas secundäre Muskelfasern, Fibres muscu- laires secondaires, genannt haben. In diesen beschreiben die meisten Schriftsteller über diesen Gegenstand brei- tere hellere und feinere dunkele Querstreifen. Die er- steren sind mit Recht für die an einander liegenden Kü- gelchen der in einem Bündel enthaltenen Primitivfasern erkannt worden; über die dunkeln Querstreifen sind bis jetzt nur unzureichende Hypothesen aufgestellt worden, welche nach genauerer Untersuchung nicht zu halten sind. Mir scheinen die Querstreifen eine rein optische Erschei- nung zu seyn, deren Erklärung ich gefunden zu haben glaube. Zuvor werde ich die Thatsachen anführen, auf welche dieselbe sich gründet. Zuweilen sieht man, wenn ein Primitivbündel stark zusammengedrückt wurde, aus dessen Ende die Primitiv- fasern, Fils charnus primitifs von Fontana, Fibres mus- culaires elementaires von Prevost und Dumas, her- vorragen. Auch ist man bisweilen so glücklich, aus ei- nem Bündel, mittelst recht feiner Nadeln, eine Primitiv- faser eine Strecke weit zu isoliren. In diesen Primitiv- fasern werden helle Hügelchen durch dunklere, sehr kurze Querstriche unterschieden. An macerirten Mus- kelbündeln kann man die Kügelchen leicht aus den Zell- gewebescheiden herausdrücken. Hierdurch ist bewiesen, dass, die Primitivfasern der Muskeln aus zusammenhän- genden Kügelchen bestehen. Nun habe ich ferner ge- funden, dass die dunkelen Querstriche nicht ununterbro- chen durch ein Bündel durchgehen, sondern dass sie durch helle Punkte unterbrochen sind. Aber nicht bloss in der Quere der Bündel bemerkt man diese unterbro- chenen Streifen, sondern man sieht eben solche bei ge- nauer Untersuchung auch nach der Länge der Bündel verlaufen. Endlich sieht man die dunkeln Streifen bei verschiedener Intensität des Lichts auch von verschie- dener Dicke, h Diess sind Facta, aus welchen ich schliesse, dass die 429 Querstreifen, so wie die Längenstreifen, durch die ge- genseitige Beschattung der benachbarten Kügelchen ent- stehen, während diese bei der von oben und unten Statt findenden Beleuchtung an ihren oberen Segmenten hell erscheinen müssen. Die genannten Thatsachen reichen hin, um das Mus- kelgewebe und seine Elementartheile von allen übrigen zu unterscheiden, In Bezug auf die chemische Zusammensetzung des Muskelgewebes ergiebt sich ausBerzelius Analyse des- selben *), dass der wesentliche Bestandtheil desselben der Faserstoff ist. Der Faserstoff schwillt mit dev Es- sigsäure auf und gelatinisirt; wird hierauf Wasser zu- gegeben, so löst er sich gänzlich in demselben auf. Giesst man zu dem aufgelösten Faserstoff eine Auflösung von gewöhnlichem Cyaneisenkalium, so entsteht ein weisser . Niederschlag. Wohin gehört das Gewebe der Tunica dartos? Wir haben gesehen, dass die Meinungen hierüber zwischen dem Zell- und Muskelgewebe schwankten. Ver- gleichen wir die T. dartos mit dem Muskelgewebe, so finden wir zwischen beiden eine gänzliche Verschieden- heit in ihren Elementartheilen und in ihrer chemischen Constitution, so wie in ihren Lebenseigenschaften. Das fleischfarbige Ansehn einer recht ausgebildeten T. dartos ist, wie oben gezeigt wurde, Folge des Reichthums an Blutgefässen, Dagegen stimmt die T. dartos mit dem Zellgewebe in der Beschaffenheit und Dicke der Primitivfasern, in ihrer chemischen Constitution, in ihren Lebenseigenschaf- ten und in krankhaften Veränderungen vollkommen über- ein, und nur in der Aggregation der Primitivfasern und in der innigen Verbindung der Bündel mit der Haut und *) Lehrbuch der Thierchemie, Dresden, 1831, p. 465. 430 der dadurch begründeten Faltung dieser, liegt eine Ver- schiedenheit. Wir haben jedoch gesehen, dass die An- ordnung der Primitivfasern auch in andern Theilen des Zellgewebes nicht durchaus dieselbe ist. Eine Umbildung, Emporbildung des Zellstoffs zunı Muskel, ist eben so undenkbar, wie eine Umänderung der Gelatina in Faserstoff und eines Cylinders in eine Kugel. * * * Microscopische Untersuchung des Sehnen- gewebes. (Fig. 5. u. 6.) Unter Sehnengewebe versteht man ein faseriges, sehr festes, sehr wenig elastisches, weisses oder gelblich-weis- ses, atlassglänzendes Gewebe. Die Elementartheile des Sehnengewebes sind gleich- förmige, lange, feine, regelmässig geschlängelte, eylindri- sche Fäden, deren Durchmesser 0,0007 Engl. Lin. beträgt. Da Krause*) eine beträchtlichere Dicke gefunden hatte, so wiederholte ich meine Messungen zu verschiedenen Malen, erhielt aber stets für mich bestätigende Resultate. Ich bin sicher, nicht etwa Zellgewebefasern statt der Sehnenfasern gemessen zu haben. Die Primitivfasern liegen zu vielen parallel neben einander und werden durch Zellgewebe zu Primitivbün- deln, diese zu stärkeren Bündeln vereinigt. Die feinsten Sehnenbündel erscheinen unter dem Microscop ziemlich regelmässig wellenförmig gebogen, an ihren Rändern ab- wechselnd convex und concav, auf ihrer Oberfläche bei durchfallendem Lichte an den Erhabenheiten heller, an den Vertiefungen dunkler, bei auffallendem Lichte an den Erhabenheiten weiss und glänzend, an ‘den Vertiefungen dunkel. Die Untersuchung vieler Muskelsehnen, der Dura mater, der Fascia humeri, antibrachii, lata, suralis und des Periosteum, haben mich überzeugt, dass diese Be- YA. a 0. p.dl. “ 431 schaffenheit den Sehnenbündeln allgemein ist, und die wellenförmigen Biegungen in der Dura mater und im Periosteum beweisen, dass dieselben nicht von einer, durch die Muskelaction bewirkten Ausdehnung und dar- auf folgenden Relaxation der Sehnen herrühren, sondern diesen an sich zukommen. An den gelben Bändern der Wirbelbogen und an der mittlern Haut der Arterien habe ich diese Beschaffenheit nicht gefunden. Durch Zerren lassen sich die gebogenen Sehnenfasern strecken. Die einzelnen Sehnenbündel liegen entweder parallel neben einander, wie in den Sehnen der Muskeln; oder sie durchkreuzen sich, anastomosiren und trennen sich auf vielfache Weise, wie in der Dura mater, in den Fascien und im Periosteum, Erklärung der Abbildungen. Tafel IX. Fig. 1. Primitivfasern der Tunica dartos, bei 450 maliger Vergrösserung ihres Durchmessers gezeichnet, Bei za sieht man den den Fasern eigenthümlichen Schwung, bb sind mehrere zu- sarmmenliegende Fasern, die durch Zerren gestreckt sind. Eig. 2. Zwei Zellgewebeprimitivfasern von der gemeinschaftlichen Scheide der Art, carotis, Vena jugularis interna und des N. va- gus, bei 450maliger Vergrösserung gezeichnet, Man sieht hier wieder die characteristische Richtung der Fasern, Eig. 3. Viele Zellgewebeprimitivfasern, die durch die Mittel der Un- tersuchung zum Theil sehr gestreckt sind; von demselben Orte und bei derselben Vergrösserung gezeichnet, Fig. 4. Ein Stückchen Zellgewebe von der Fascia superficialis zwischen der Haut und den Bauchmuskeln, bei 100maliger Vergrösserung gezeichnet, Beim sorgfältigen Abpräpariren einer sehr dünnen, gleichmässig angespannten Zellgewebelage erhielt ich diese Portion, an der man das verworrene Gewebe der Bündel sieht. Fig. 5. Sehnenbündel von der Achillessehne, bei durchfallendem Lichte, unter 100maliger Vergrösserung gezeichnet. Die helleren Partieen sind Erhabenheiten, de dunkleren Vertiefungen der wellenförmi- gen Biegungen, Fig. 6. Sehnenbündel ebendaher und unter derselben Vergrösserung, bei auflallendem Lichte gezeichnet. Die weissen Querstreifen sind Erhabenheiten, die dunkeln Vertiefungen. ———— 432 Beschreibung des Muskelsystems eines Python bivittatus. Von Prof. Dr. E. d’Alton. (Fortsetzung. ) (Hierzu Tafel X.) u. Wo. den Bauch- und Rippenmuskeln. Die Angaben der Schriftsteller über die Zahl und Beschaffen- heit der Bauchmuskeln weichen mehrfach von einander ab. Cuvier und Carus scheinen nur einen dem que- ren entsprechenden Bauchmuskel anzuerkennen, Meckel spricht von drei Bauchmuskeln, einem äussern schiefen, queren und geraden, und Heusinger fand bei Boa ei- nen äussern und innern schiefen und einen queren Bauch- muskel. - Ich halte nur denjenigen für einen wirklichen Bauchmuskel, welcher von den genannten Anatomen als der quere betrachtet wird, habe aber wahrgenommen, dass er nicht einfach ist, sondern zwei vollständige, dicht an einander liegende Muskeln in sich begreift, die sich bei einiger Vorsicht leicht trennen lassen. Heusinger’s schiefe Bauchmuskeln sind die schon oben beschriebenen grossen Hautmuskeln Nr. 19. und %. Was Meckel als den äussern schiefen und geraden Bauchmuskel ansieht, werde ich später erwähnen. Auch Home gedenkt nur Eines Bauchmuskels und wahrscheinlich ist das, was ne 433 Hübner pag. 23. series musculorum costalium mediorum nennt, derselbe Muskel. Die Bauchmuskeln nehmen fast die ganze Länge des Rumpfs ein und liegen dicht an einander und an der in- nern Fläche der Rippen, von welchen sie ein wenig un- terhalb der Mitte entspringen. Man kann die beiden Bauchmuskeln leicht von einander unterscheiden, selbst ohne sie getrennt zu haben, sobald man nur darauf ach- tet, dass die Richtung der Fasern an den beiden Flä- chen der durch dieselben gebildeten Fleischhaut nicht dieselbe ist. Betrachtet man sie in ihrer natürlichen Verbindung gegen das Licht gehalten, so ergiebt sich, dass die Fasern einander kreuzen. 27. Deräussere Bauchmuskel (£). Er be- deckt zunächst den innern langen Rippenmuskel und sein Ursprung beginnt nicht an der ersten, sondern erst an der siebenten Rippe und reicht bis zu der vorletzten. Die ersten Portionen sind schmal und schief gestellt, zwischen je zweien bleibt eine Lücke, durch welche die Nerven gehen. Die hinteren kleinen Muskeln legen sich mit ihren Rändern dicht an einander und verlaufen von oben und hinten nach unten und vorn, indem sie eine ziemlich starke Fleischhaut bilden. Da, wo diese die Spitze der knorpeligen Rippenanhänge erreicht, geht sie mit einem fast geraden Rande in eine derbe Aponeurose über. Diese hat ungefähr vier Linien Breite und ist in derMitte, wo die Muskeln von beiden Seiten zusammen- stossen und verbunden sind, an die obere Fläche der grossen Bauchschuppen zwischen deren Muskeln geheftet. Die Anheftung besteht in einer langen, schmalen Linie (Linea alba), die von vorn nach hinten sich über den ganzen Bauch ausdehnt. In der Mitte des Leibes, wo die Rippen am längsten sind, ist dieser Muskel am brei- testen und stärksten; auch scheint seine Aponeurose hier etwas breiter zu seyn. 28. Der innere Bauchmuskel (B) wird nach Müller’s Archiv, 1834, 28 434 aussen vom vorigen, innen unmittelbar vom Bauchfell bedeckt. Die Richtung seiner einzelnen Muskelchen ist die entgegengesetzte der des vorigen, von oben und vorn nach unten und hinten. Bei diesem Muskel werden die einzelnen Portionen gegen die Mitte des Leibes gleich- falls stärker. Er entspringt von der zweiten Rippe von vorn bis zur vierten von hinten; doch fehlte bei dem un- tersuchten Individuum die Portion, welche von der drit- ten Rippe hätte kommen sollen. Unten geht er mit dem vorigen gemeinschaftlich in die beschriebene Aponeurose über, die nicht aus zwei Blättern, einem für einen je- den Muskel, besteht, sondern einfach und beiden gemein- schaftlich ist, An der innern Seite dieses Muskels, am Ende der Rumpfhöhle, liegt zwischen ihm und dem Bauch- fell das Beckenrudiment mit seinen Muskeln, Bei einem neun Fuss langen Exemplar einer andern Species von Python (wahrscheinlich tigris) konnte ich auch sehr deutlich zwei Bauchmuskeln unterscheiden, der innere war aber weit schwächer als der äussere, doch immer noch deutlich aus Muskelfasern bestehend. Man sieht an dieser Darstellung, dass die Bauchmuskeln in Rücksicht auf Ursprung, Verlauf und Anheftung eine grosse Achnlichkeit mit den oben unter Nr. 19. und 20. beschriebenen Hautmuskeln haben, und dass diese so- wohl als jene dazu dienen, die Bauchhöhle nach unten zu schliessen. Ich gehe jetzt zur Beschreibung der Rippenmuskeln über, d. h, zu jenen Muskeln, welche vorzugsweise und unmittelbar zur Bewegung der Rippen dienen. Diese können in zwei Abtheilungen gebracht werden, nämlich in solche, welche an der innern Seite, und in solche, welche an der äussern Seite der Rippen gelegen sind. Zuerst werde ich die inneren betrachten, da sie in nä- herer Beziehung zu den Bauchmuskeln stehen. Es sind deren drei. 29, Innere kleine Vorwärtszieher der Rip- 435 pen, Meckel’s innere Rippenheber, Nr,23. pag. 141., Huebner's MM. spinoso-costales (I'), Sie lie- gen über Nr. 30. und nehmen die ganze Länge der Wir- belsäule an der untern Fläche der Wirbelkörper ein. In der vordern Gegend des Rumpfs, wo sich stark ent- wickelte untere Dornfortsätze befinden, ist ihr Verhalten folgendermassen. Sie entspringen von diesen Dornen zweier benachbarten Wirbel, zum Theil auch vom Kör- per, gehen über den dritten Wirbel und setzen sich an das obere Ende der mit dem vierten Wirbel articuli- renden Rippe vorn und unten fest. So ist der Bau bis 4 Fuss weit hinter dem Kopf. WVeiter nach hinten ver- hält er sich aber wie folgt. Jeder Muskel entspringt von den Körpern zweier Wirbel, wo diese unten an einander passen und zwar von einer kleinen Leiste, welche hier die Stelle des fehlenden untern Dorns vertritt, ferner von dem untern Gelenkband, durch welches die Rippe mit dem, zweiten oder hintern Wirbel verbunden ist, und setzt sich vorn und unten an das obere Ende der Rippe, welche mit dem nächst hinteren, also dritten, Wirbel eingelenkt ist. Diese Muskeln sind kurz, stark, rhomboidalisch gestaltet und zum Theil schräg. Mek- kel’s Angaben gemäss entsprängen diese Muskeln von dem Halse der nächst vordern Rippen. Die Wirkung der Muskeln ist, die Rippen nach vorn zu bewegen, also so zu heben, wie unsere Levatores thun, 30. Innerer, grosser Rückwärtszieher der Rippen (£). Bei Huebner MM. costales interni su- periores, Sie liegen, wie erwähnt, unter den vorigen und verstecken sie, indem ihre Bündel von oben und hinten nach unten und vorn ausgebreitet sind und sich da ansetzen, wo der folgende Muskel anfängt, Sie ent- springen von den unteren Dornen der Wirbel oder den stellvertretenden Höckern und Leistchen. Nach vorn reichen sie nur bis zur vierten Rippe. Wo der Leib der Schlange den grössten Umfang hat, gehen diese Mus- 25 *+ 436 keln über 6 Rippen weg und setzen sich erst an die sie- bente fest, Diese Muskeln sind unter sich verwachsen, indem einzelne Bündelchen je zweien gemeinschaftlich sind. 31. Innerer kleiner Rückwärtszieher der Rippen(E). Bei Huebner MM. costales interni infe-" riores. Sie haben ihren Ursprung gerade unterhalb des Anfangs der Bauchmuskeln und verfolgen die nämliche Richtung, wie die vorigen Muskeln und jeder Muskel für sich wird an seinem hintern Rande von dem folgen- den hintern ein wenig bedeckt. Der vorderste Muskel kommt von der siebenten Rippe, geht über die sechste'und setzt sich an die fünfte, der nächste kommt von der achten Rippe und geht gleichfalls zur fünften, der dritte kommt von der neunten Rippe und geht über die achte und siebente zur sechsten, und so schlagen sich alle folgenden über zwei Rippen weg. Gegen die Mitte des Leibes werden auch diese Muskeln länger und breiter, überspringen zwei Rippen um zur vierten zu gelangen, inseriren sich aber nicht bloss an diese, sondern auch an die fünfte und sechste vorhergehende. Diese Mus- keln hängen hier vielfach unter sich zusammen und na- türlich reichen die Fasern, welche den vordern Rand einnehmen, weiter nach vorn, als die des hintern, Die beiden eben geschilderten Muskeln ziehen die Rippen nach hinten, sind also Antagonisten von Nr. 29. Die Muskeln, welche an der äussern Seite der Rip- pen vertheilt sind, bestehen aus folgenden, die theils von Rippen zu Rippen, theils von Wirbeln zu Rippen gehen, Es sind ihrer sieben auf jeder Seite des Rumpfs. An die inneren Muskeln der Rippen grenzen zunächst: 32. Die Muskeln zwischen Rippenknorpein (Z). Huebner’s MM. intercost, recto decursu binas costas intercedentes, Meckel’s gerade Bauchmus- keln. Diese Muskeln nehmen die Zwischenräume zwi- schen den Knorpelanhängen der Rippen ein, entspringen 437 aber zum Theil noch von dem knöchernen Ende der hin- tern Rippe und setzen sich ‚an dasjenige. der. vordern, Ihre Fasern verlaufen fast gerade, nach vorn.und zwi- schen dem obern Rande. dieser Muskeln. und. dem! untern der MM. intercostales bleibt ein dreieckiger Raum, des- sen Spitze nach hinten gerichtet ist. In diesem Raum sieht man einen Theil des untern kleinen Rückwärtszie- hers der Rippen, der an der innern Seite derselben her- absteigt. Ich bin nirgends auf solche Muskeln gestossen, die, wie Meckel beschreibt, oberflächlicher lagen und zwischen vier Rippen ausgespannt waren. Es folgen nun zwei Muskeln, die. von. Rippen ent- springen und zu Rippen gehen, aber so, dass, zwischen dem Ursprung und Ende eine grössere Anzahl Rippen inne liegt. Ich nenne sie desshalb Zwischenrippenmus- kela und zwar lange, um einer Verweehselung mit den eigentlichen MM. intercost. zu begegnen. 33. Untere lange Zwischenrippenmuskeln (HE). Bei Huebner stratum sextum. Meckel’s äus- serer, schiefer Bauchmuskel (Nr. 13.). Sie bil- den eine ansehnlich lange und starke Muskelschicht, de- ren einzelne Portionen eine schiefe Richtung von hinten und unten nach oben und vorn haben. Die constitui- renden besonderen Muskelchen fangen an dem vordern Bande des untern Endes der Rippen an und setzen sich ziemlich weit nach vorn an den hintern Rand einer vor- dern Rippe, 2—3" höher gegen die Mitte. Diese Mus- keln erstrecken sich in der Regel über 10—11 Rippen und sind vielfach unter sich verschmolzen und nicht ohne künstliche Trennungen zu sondern. 34. Obere lange Zwischenrippenmuskeln (9). Bei Huebner stratum quintum, Meckel's vor- derer gezahnter Muskel (Nr.12.). Sie nehmen den Raum ein unmittelbar unter dem Ursprung des Seiten- hautmuskels (Nr. 19.) und reichen von da abwärts bis zum obern Rande der vorigen Muskeln; daher er- 438 scheinen diese beiden Muskelschichten im Ganzen nur durch eine’linearische Trennung gesondert. Die einzel- nen, unter sich verwachseren Muskelchen haben ganz die Richtung der vorigen und entspringen dicht vor die- sen, von dem vordern Rande und der äussern Fläche der Rippen, treten über 13 bis 15 Rippen nach vorn und oben, um sich an die 14te bis 16te zu inseriren, Gegen den Kopf sind die einzelnen Portionen mehr unter sich vermischt und kürzer, schlagen sich nicht über eine so grosse Anzahl von Rippen. Auch ist dort die Trennung dieses Muskels vom vorigen weniger deutlich. 35. Der zweibäuchige Rückwärtszieher der Rippen (I). Bei Huebner stratum secundum et tertium. Meckel’s M. opistothenar (Nr. 7. u, 8,). Er besteht, wie sein Name anzeigt, aus zyyei Bäuchen, von denen ein jeder aber in einem gewissen Sinn als ein ei- gener Muskel angesehen werden kann. a. Der obere innere Bauch verhält sich auf folgende Weise: er liegt unter den oberflächlichen Mus- keln der obern Hälfte der Rumpfmuskeln am höchsten und entspringt mit einer grossen, wahrscheinlich der Zahl der Wirbel entsprechenden Menge von einzelnen Portionen von der Aponeurose, welche den Rücken und einen Theil der Seiten der Schlange bedeckt. Diese Portionen decken sich von hinten und aussen, also die hinteren die vorderen und hängen mittelbar mit den Dorn- fortsätzen zusammen. Am Anfange sind alle Portionen breit und platt, gehen mit einem abgerundeten Rande in die Sehnenhaut über und hängen mit ihrem untern Ende mit dem Muskel zwischen den Gelenkfortsätzen und Rip- pen (Nr. 36. K) zusammen. Die Faserung geht schräg von hinten nach unten und vorn und in einer Region etwas vor der Mitte des Rumpfs schlagen sich die Mus- “keln über 10—12 Rippen, In ihrem Verlauf werden sie etwas schmaler und das untere Ende geht in zwei platte Sehnen über, eine untere und obere, Die untere 439 setzt sich in die Sehne und aponeurotische Umhüllung des Rippenhebers (Nr, 37.) und des eben genannten Gelenkfortsatz-Rippenmuskels (Nr. 36. K.) fort; die obere wird zum sehnigen Anfang des zweiten Bauchs. Durch die untere Sehne und deren Verbindung mit den genannten Muskeln geht dieser obere Bauch also mittel- bar zu den Rippen. WVegen der vielfachen Verflech- tung der Muskelfasern ist es unmöglich zu sagen, ob die Bündel, welche von einem gewissen Dornfortsatz abge- leitet werden können, sich mehr zu dieser oder jener Rippe begeben. ß. Der untere äussere Bauch ist an Umfang und Breite dem vorigen völlig gleich und entspringt, wie erwähnt, aus den unteren Sehnen desselben, verwan- delt sich dann in Fleischbündel, welche sich häufig unter einander verweben, nach vorn und unten gehend ziem- lich eben so viel Rippen überschreiten und sich in schwache Sehnen verwandeln, die sich an den obern Theil der äussern Fläche der Rippen befestigen, gerade da, wo auch die Seitenhautmuskeln entstehen. Jede Portion dieses Bauchs hängt hier mit der untern Sehne einer von der weiter nach vorn entspringenden Portio- nen des obern Bauchs zusammen. Gegen den Kopf wird der ganze Muskel schmaler, bleibt aber ziemlich dick und ist zuletzt bedeckt vom Nackenzungenbein- und Nackenkiefermuskel. Seine Fleischfasern sammeln sich in eine mässig starke Sehne, welche an der innern Seite des Kiefergelenks mit den tieferen Muskeln verwächst'und sich an die äussere Ecke des Körper- und Seitenstücks des Hinterhauptbeins (unter der Oeflnung, welche dem Eingang zur Trommel- höhle analog ist) festsetzt. Von der Fortsetzung dieses Muskels am Schwanz wird später die Rede seyn. 36, Gelenkfortsatzrippenmuskeln oder lange Rippenheber. Bei Huebner vielleicht das stratum quartum? Sie befinden sich gerade an der innern Seite 440 des untern Bauchs des vorigen oder zweibäuchigen Rippenmuskels (Nr.35.) und sind durch ihre Zell- scheide mit dem untern Rande des obern Bauchs dessel- ben verbunden, wie man auf Tafel X. Figur 6. sieht, wo der obere Bauch von der innern Fläche und dieser Muskel von seiner obern äussern gesehen erscheint. Sie hängen an ihrem Ursprung, so lang sie mit dem ge- nannten Bauch des zweibäuchigen Muskels in Zusammen- hang betrachtet werden, auch mit jenen Muskeln zusam- men, welche von den Dornen zu den Gelenkfortsätzen und mittelbar zu den Rippen gehen, indem sie am Ende mit den Rippenhebern verschmelzen. Alle Muskeln in Verbindung stellen einen langen rundlichen, schmalen Muskelstreifen, von ziemlicher Dicke dar, worin die ein- zelnen Portionen ohne vorhergängige Präparation nicht gut zu unterscheiden sind und nur durch sehnige Quer- striche, den Inscriptionen des Rectus nicht unähnlich, be- merklich werden. Die Muskelchen entspringen vermittelst feiner Flechsen, gemeinschaftlich mit den Rippenhebern von der untern Fläche der äusseren, vorderen Gelenkfort- sätze der Wirbel. Je zwei sind durch ein sehniges Quer- band vereinigt und der fleischige Bauch ist nach unten und hinten gerichtet und vermischt sich mit seinen bei- den Nachbarn durch einzelne accessorische Bündel. In den vorderen Regionen des Rumpfs gehen sie über zwei Rippen zur dritten und bedecken den mittlern Theil des folgenden Muskels. An der Mitte des Leibes sind diese Muskeln weniger von einander separirt und die Fasern länger, so dass sie über 6— 7 Rippen verfolgt wer- den können. 37. Rippenheber (41), beiHuebner und Mek- kel unter demselben Namen beschrieben. Diese Mus- keln werden, wie eben angeführt ist, in der Mitte ihres Verlaufs vom vorigen Muskel bedeckt und entspringen gleichfalls von der untern, hintern Fläche der vorderen äusseren Gelenkfortsätze, sind hier sehnig und schmal, 441 und gehen zum hintern Rande der Rippen, die sich mit den Wirbeln, von welchen sie kommen, verbinden und zu’ dem vordern Rande der nächst hintern Rippe. Nach unten verschmelzen sie mit den Zwischenrippenmuskeln und gibt es keine scharfe Grenze zwischen beiden. 38. Die Zwischenrippenmuskeln (M) sind nach meiner Beobachtung einfach, nicht wie Meckel beschreibt, innere und äussere. Sie steigen von oben und vorn nach unten und hinten, ihr oberer Theil stösst an die innere Fläche der kurzen Rippenheber (37) und entspringt vom hintern Rande der Rippen, hoch oben von dem hintern obern Fortsatze, bis nach unten 3—4 Linien oberhalb des untern Endes. Sie begeben sich an den vordern Rand der hinteren Rippen, von 3 Linien un- terhalb des obern Endes bis zur Spitze. Von diesen Intercostalmuskeln überspringen einzelne Bündel die äus- sere Fläche einer Rippe und gehen an die nächstfolgende, Dadurch werden die Rippen hier und da versteckt und die Muskeln erscheinen als aus einzelnen über einander gelegenen, etwas angeschwollenen Bündeln bestehend, wie man in den Abbildungen sieht, Dritter Abschnitt. Von den eigentlichen Muskeln der Wirbelsäule. Es ist noch weit schwerer für die folgenden Mus- keln die Analoga bei dem Menschen oder den Säugethie- ren aufzufinden, als bei den vorhergehenden und diess rührt davon her, dass wegen der abweichenden Anord- nung der Rückenwirbel und ihrer Fortsätze, nur wenige durchgreifende Gleichungen anzustellen sind. Wir müs- sen uns daher vor der Hand meistentheils mit einer ge- nauen Beschreibung des Ursprungs und der Anheftung begnügen und, wo nicht entschiedene Gründe bestimmen, die Namen vom Ursprung und Ansatz entlehnen, Ich hoffe bald Gelegenheit zu haben, meine Ansicht über die Deutung der Schlangenwirbel öffentlich mitzutheilen und 442 bemerke daher hier nur vorläufig, dass ich, wie in die- ser Abhandlung schon einigemal geschehen, diejenigen Fortsätze, welche Meckel als quere betrachtet (vergl. seine Muskelbeschreibungen) als äussere schiefe ansehe und in vordere und hintere eintheile. Ich nehme dem- nach an jedem Wirbel acht Gelenkfortsätze an, zwei in- nere und zwei äussere Paare, oder zwei vordere und zwei hintere. 39. Der lange absteigende Muskel zwi- schen den Gelenk- und Dornfortsätzen (N) ent- spricht seinem Verlauf nach nicht ganz dem Musc. Nr. 1. beiMeckel, verdient aber doch am meisten mit dem Halbdornmuskel verglichen zu werden. Dieser Mus- kel stellt ein langes, ansehnliches, dickes Fleischpolster dar, welches an der innern Seite des obern Bauchs vom zweibäuchigen Muskel gelegen ist. Die Portionen, wel- che zur Bildung dieses Muskels beitragen, sind sehr lang und entstehen mit deutlich gesonderten, am Anfange stär- keren, sich ausbreitenden und dünner werdenden Sehnen von den Dornfortsätzen und hängen hier mit. der Apo- neurose zusammen, von welcher der oben erwähnte obere Muskelbauch abgeht. Die Sehnen haben eine ansehnli- che Länge; der Muskelbauch ist, wo er sich mit ihnen vereinigt, spitz und dünn, wird breiter und dicker, dann verschmelzen die einzelnen Bäuche der verschiedenen Portionen unter sich und gehen schräg nach unten und hinten. Sie setzen sich über eine grosse Menge von Wirbeln fort, ohne sich an dieselben festzusetzen und endigen in zwei, zur Hälfte fleischige, zur Hälfte seh- nige Caudae. Die obere befestigt sich an den vordern äussern schiefen Fortsatz, und ein Theil der Sehne setzt sich nach oben in die Aponeurose fort, welche den Mus- kel überzieht, der von den hinteren äusseren schiefen Fortsätzen zu den Dornen, von vorn und unten aufsteigt. Die untere Cauda geht in die Aponeurose der Rippen- heber über. Auch bei diesem Muskel, wie bei den vo- 443 rigen, sind die Portionen in der Mitte des Leibes die längsten, die obere Sehne misst gegen zwei Zoll und je- der Muskel bedeckt den Zwischenraum zwischen 14 — 17 Wirbeln. Am Kopfende des Rumpfs gehen diese Por- tionen nur über 4— 6 Wirbel und setzen sich zuletzt unter dem Warzenbein an das Seitenstück des Hinter- hauptbeins. 40. Der aufsteigende Muskel zwischen den Dorn- und Gelenkfortsätzen (#), vielleichtHueb- ner's M. spinalis (Nr.7.), entspricht dem Muskel, wel- chen Meckel unter Nr.1. als Dorn- und Halbdorn- muskel beschreibt. Er bedeckt die Seiten der Dornen und erscheint schon zum Theil nach WVegnahme der Haut unter der Aponeurose des zweibäuchigen und den oberen Sehnen des vorigen Muskels und wird grossen- theils von dem letztern bedeckt. Er entspringt mit zwei Köpfen, der eine ist schmal und sehnig, liegt unter dem folgenden Muskel und beginnt an dem hintern äussern schiefen Fortsatz, geht unter dem genannten Muskel weg, und vereinigt sich, indem er sich von allen Portionen in eine Aponeurose sammelt, mit dem fleischigen Kopf, welcher von dieser Aponeurose selbst und von den Sei- ten und dem obern Rande der Dornen abgeht. Bei die- sem Muskel sind die besonderen Portionen noch mehr verwachsen als bei den früheren, trennen sich aber bald wieder, indem sie schief nach oben und vorn verlaufen, und in lange, denen des vorigen Muskels gleichgestaltete Sehnen verwandeln, welche die Ursprünge bedeckend, zum Kamm der Dornen gehen. Das Kopfende dieses Muskels ist dem hintern Vorsprung der Scheitelleiste und der Hinterhauptsschuppe eingefügt. 41. Zweiter oder kurzer absteigender Mus- 'kel zwischen den Gelenken und Dornfortsät- zen(O0), vielleicht Huebner’s M. spinoso - vertebralis. Meckel’s vieltheiliger Rückgratsmuskel (Nr. 3.), ist, wie gesagt, unter dem vorigen Muskel versteckt, ihm 444 dicht anschliessend, so dass aus der linearischen Grenze zwischen beiden nur die Nerven hervortreten. Beide Muskeln sind an der äussern Fläche von einer derben Aponeurose überzogen, welche sie von Nr. 39. trennt und oben mit der Aponeurose des mehrgenannten zwei- bäuchigen verschmilzt. Dieser Muskel stellt einen sehr langen, schmalen, wenig vorspringenden Muskelstreifen längs der ganzen Wirbelsäule dar. Die kleinen Muskeln können leicht gesondert werden; sie entspringen mit fei- nen, platten Sehnchen, die bald in spuhlförmige, niedrige, fleischige Bäuche übergehen, von den hinteren äusseren schiefen Fortsätzen, schlagen sich über die unteren Köpfe von vier Portionen des vorigen Muskels weg, welche von denselben Fortsätzen ausgehen, aber die entgegen- gesetzte Richtung annehmen. Alle einzelne Portionen bilden am obern ‘Ende eine gemeinschaftliche Flechsen- haut und diese sendet zu jedem Dornfortsatz einen seh- nigen Zipfel, welcher zugleich zur Anheftungssehne des folgenden Muskels wird. Dieser Muskel ist vorn in der Gegend des Halses und am Anfange der Brust verhält- nissmässig noch sehr stark und kommt, unter Nr. 39. und 40. gelegen und unter der Insertion des Warzenbeins von dem Seitenstück des Hinterhauptsbeins. 42, Muskeln zwischen den Wirbelbogen und den Dornfortsätzen (II). Diese Muskeln be- finden sich über und innerhalb Nr. 41. und unter Nr. 40, und bedecken unmittelbar die Wirbelbogen und Seiten- flächen der Dornen. Ihr Ursprung ist am hintern Rande der Bogen, von der Spitze der hinteren äusseren Ge- lenkfortsätze, ferner in der Furche bis zur Basis des hintern Randes der Dornen, welche in den hintern Rand der Bogen eingegraben ist, Die Muskeln sind am An- fang toros und fleischig und gehen nach oben und hin- ten, schmaler und düchär werdend, in feine Sehnen über und setzen sich an den obern Rand der Dornen. Sie beginnen an einem Wirbel und hören am fünften nach 445 hinten auf, sind also über drei Wirbel weg gespannt, an deren Dornen sie jedoch, vermittelst Muskelfasern, die sich von oben her an die den untern Rand einneh- menden Sehnen befestigen, angeheftet sind, 43. (P) Die am meisten nach Innen befindlichen Bündel des eben beschriebenen Muskels gehen vom hin- tern Rande eines Dornfortsatzes zu dem gegenüber ste- henden vordern und der Seitenfläche des folgenden hin- tern Dorns und sind also Zwischendornmuskeln, Sie lassen sich aber nur mühsam und künstlich vom vo- rigen Muskel mit dem Messer ablösen. Beide Muskeln entsprechen also wohlHuebner’s und Meckel's Zwi- schendornmuskeln. Noch giebt es zwei Reihen von Muskeln zwischen den vorderen und hinteren äusseren Gelenkfortsätzen. Wahrscheinlich hat Meckel beide zusammengenommen als seinen M. intertransversarius (Nr. 6.) beschrieben. 44. Die obere Muskelreihe zwischen den Gelenkfortsätzen (2). Diese befinden sich zwischen den hinteren äusseren Gelenkfortsätzen je zweier Wir- bel, werden an ihrer äussern Fläche von einer Aponeu- rose, welche auf die erwähnte Weise die Muskeln Nr. 40. u. 41. umhüllt, bedeckt. Sie füllen die Räume zwischen den genannten Fortsätzen sämmtlicher Rückenwirbel und diess mit den Sehnen des aufsteigenden Muskels zwischen den Gelenk- und Dornfortsätzen ver- wachsen, während sie zugleich den untern Theil der äussern Fläche des Bogentheils der Wirbel bedecken und hier den untern Theil des M. Nr.42, verbergen. 45. Die untere Reihe der Gelenkfortsatz- muskeln(T'). Sie sind zwischen den vorderen äusseren schiefen Fortsätzen ausgebreitet ganz wie die vorigen zwischen den hinteren, verschmelzen aber ziemlich innig mit den Rippenhebern und lassen sich nur mit Vor- sicht von ihnen separiren. Alle bisher beschriebenen Muskeln sind an der obern 446 und äussern Fläche der Wirbelsäule gelagert. Es blei- ben hier noch zwei Muskeln übrig, welche die untere Fläche der Wirbel einnehmen und also die Brusthöhle nach oben begrenzen. Sie dienen zur Bewegung des Kopfs und sind: 46. Der grosse, untere, gerade Kopfbeu- ger (Y), bei Meckel unter gleichem Namen (Nr. 23.). Die Muskeln beider Seiten liegen dicht neben einander und erstrecken sich vom untern Dorn des 22sten Brust- wirbels bis zum Kopf. Am Anfang sind sie sehr spitz und schmal, grösstentheils fleischig und endigen, indem sie die Rückwärtszieher der Rippen und den innern Theil des folgenden Muskels bedecken, sehnig an der leisten- artigen Protuberanz, wo die Keil- und Hinterhaupts- beinkörper an einander stossen, 47, Der kleine, gerade Kopfbeuger (®), Mecke!’s gerader Seitenmuskel des Kopfs oder Seitwärtsbeuger (Nr. 24.), wahrscheinlich Hueb- ner’s M. rectus inferior capitis (Nr. 18.); liegt oberhalb des vorigen und entspringt von den unteren Dornen der Brustwirbel, vom achten an bis nach vorn zur Verbin- dung mit dem Kopf. Er ist breiter und setzt sich theils fleischig, theils sehnig, an die den Querlortsätzen ent- sprechenden Höckerchen der Halswirbel und an den wulstigen Rand, welcher von dem äussern Vorsprung des Hinterhauptsbeinkörpers und Seitenstücks gebildet wird. Am letztgenannten Ort ist er mit dem vordern Ende des kleinen ern und des zweibäuchigen Muskels verwachsen. Zum Schluss ‘ist noch eines Muskelpaares zu geden- ken, das abermals auf der obern Fläche der Wirbelsäule befindlich ist. 48. Der kleine Kopfstrecker (X). Zwischen Nr. 39. (dem langen absteigenden Muskel zwischen den Gelenk- und Dornfortsätzen) und dem zweibäuchigen Muskel befindet sich ein seitlicher, der Bewegung des 447 Kopfs bestimmter Muskel. Er liegt dicht über den Rip- penhebern und entspringt von den vorderen äusseren schiefen Fortsätzen, vom fünften Brustwirbel vorwärts und wahrscheinlich auch von den schiefen Fortsätzen der Halswirbel. Die Fasern dieses Muskels gehen schief von hinten und innen nach vorn und aussen. Am vor- dern Ende wird er schmaler und sehnig, verwächst in- nig mit dem Anfang des zweibäuchigen Muskels, der gleichfalls sehnig, von denselben Kopfknochen seinen Ur- sprung nimmt, und schiebt sich unter die Flechse des Kopfbeugers und setztsich an den beschriebenen Höcker unter dem Eingang zur Trommelhöhle fest. Beide Mus- keln zugleich wirkend strecken den Kopf, einer allein zieht ihn nach seiner Seite. Dieser Muskel lässt sich nur, der Wirkung nach, auf Meckel's grossen, hin- tern, geraden Kopfmuskel (Nr. 4.) zurückführen, sein Ursprung ist abweichend. Erklärung der Abbildungen. Folgende Buchstaben und Zahlen bezeichnen solche Knochen, die auf Tafel VII, noch nicht vorgekommen sind. 4. Schädelknochen, mın, innere grössereFlügelstücke., nn. Gaumenbeine mit AA. ihren Gelenkfortsätzen. o. das Keilbeinmit &@. seinen Ge- lenkfortsätzen, pp. Pflugscharbeine. z. Körper desHin- terhauptbeins mit uw. den seitlichen Höckern oder Fortsätzen. yy: vordere, Yy. hintere innere Ausfüllungsstücke des Unterkiefers, 2. Stammknochen. Die Fortsätze der Wirbel sind auf fol- gende Weise bezeichnet: 1, vordere äussere, 2. hintere äus- sere schiefe oder Gelenk-Fortsätze, 3. untere Dornfort- sätze, 44. die Rippen mit 55. ihren Knorpelanhängen. Die folgenden Buchstaben bezeichnen die auf den früheren Fi- guren noch nicht sichtbaren Muskeln, 1. AmKopf: GG. hintere innere Flügelmuskeln. HH. vordere innere Flügelmuskeln. KK. Zurückzieher des Vomer. 2. Am Stamm: UU, die grossen eigenthümlichen Mus- keln derBauchschuppen. YV. kleineMuskeln der Bauch- 448 schuppen. ZYVWV. Pyramidenmuskelchen XX, kleine eigenthümliche Muskeln der Bauchschuppen. Y. der sie- bente Hautmuskel, ZZ. oberste kleinste Hautmusken. AA, äus- sere und BB. innere Bauchmuskeln. TT. innere kleine Vorwärtszieher der Rippen. AA. innere grosse und EE. innere kleine Rückwärtszieher der Rippen. ZZ. Mus- keln zwischen den Rippenknorpeln. 44. Rippenh hrs MM. Zwischenrippenmuskeln. 00. zweiter oder kurzer absteigender Muskel zwischen den Dorn- und Gelenk- fortsätzen, II, Muskeln zwischen den Wirbelbogen und Dornfortsätzen. PP. Zwischendornmuskeln, Z2, die obere Muskelreihe zwischen den äusseren Gelenk- fortsätzen, TT. die untereReihe derselben. YY. grosse untere gerade Kopfbeuger, <#&. kleine untere gerade Kopfbeuger. Fig. 1. Ein Stück vom Kopf und vorderer Theil des Rumpfs von der Seite, Der zweibäuchige Rückwärtszie- her der Rippen ist entfernt und dadurch der Halbdornmuskel NN. aufgedeckt, Die langen Rippenheber KK, sind am Ur- sprunge gelöst und nach unten geschlagen, hinter ihnen erscheinen die Zwischenrippenmuskeln MM. und Rippenheber 44. WVeiter hinten sieht man die durchschnittenen Anheftungen der obe- ren langen Zwischenrippenmuskeln nach oben und unten- aus einander gelegt und erkennt ihre Ursprünge, so wie jene des Sei- tenhautmuskels und zwischen ihnen die MM, intercost. Fig. 2. Kopf und vorderer Theil des Rumpfs von un- ten, Die Zungenbeine, Zunge, Kehlkopf, Luftröhre u. Schlund fehlen, Die rechte Hälfte des Unterkiefers weicht nach aussen von der gewöhn- lichen Richtung ab, die hintere Portion des Beissmuskels ist auf dieser Seite weggenommen, auf der andern ist der äussere Flügel- muskel entfernt. Die Rippen der rechten Seite sind nach aussen gezogen ‚, um die Ursprünge der Bauchmuskeln und den ganzen Verlauf der inneren kleinen Vorwärtszicher der Rippen deutlich zu machen. Den Ursprung des Bauch- und Seitenhautmuskels (S und T) bemerkt man nur auf der linken Seit. Die Bauch- muskeln sind in derLinea alba durchschnitten und die der rechten Seite etwas nach vorn und links gezogen. Fig. 3, Ein Stück von derHaut am Bauch, mit seinen Muskeln, ungefähr 14 Fuss hinter dem Kopf befindlich. Man sieht än der rechten Seite dieser Figur dieRippen der linken Seite mit den Muskeln zwischen den Knorpelanhängen (ZZ.), den un- teren langen Zwischenrippenmuskeln (HH.) und den nach aussen zurückgeschlagenen Bauchhautmuskeln (TT.),. Unter 449 den letzteren nimmt man die Insertionen des Seitenhautmuskels (SS) wahr. Nach hinten (am obern Theil unserer Figur) sind die grossen Muskeln der Bauchschuppen (UÜ.) abgeschnitten und die Pyramidenmuskeln sichtbar gemacht. WVo diese auf der rechten Seite fehlen, zeigt sich der siebente Muskel (Y.). Fig. 4. Der vorderste Theil des Rumpfs von unten oderinnen, DieRippen sind stark nach aussen gezogen. Auf der linken Seite sind die Bauchmuskeln ganz entfernt, eben so der grosse untere gerade Kopfbeuger (YY.) und die inneren grossen Rückwärtszieher der Rippen (A4,), damit der kleine Kopfbeuger in seiner ganzen Ausdehnung zu sehen sey, Auf der rechten Seite sind dieBauchmuskeln nach aussen zurück- geschlagen und sieht man den innern von seiner innern Fläche und in den Zwischenräumen zwischen seinen Ursprüngen die Anfänge des äussern. Die folgenden fünf Figuren stellen ein Stück des Rumpfs von der rechten Seite dar, welches 14 bis 15 Zollvon dem Kopf entfernt ist. Es ist absichtlich dasselbe Stück zur Darstellung dieser Figuren beibehalten worden, um daran durch Abblätterung der oberflächlichen Schichten die natürliche Lage der tieferen und das gegenseitige Verhältniss derselben, so wie die Verbindungen aller Schichten unter einander, von den äussersten bis zu den innersten deutlich zu machen, Fig. 5. Alle oberflächlichen Schichten sind unversehrt und be- haupten ganz dıe natürliche Lage; nur die kleinsten obersten Hautmuskeln (ZZ,) und die Seitenhautmuskeln (SS.) sind nach unten geschlagen. In den Zwischenräumen zwischen den Kö- pfen der letzteren erscheinen die Pberen langen Zwischenrip- penmus keln (90.). Die obere Aponeurose oder der Ursprung des zweibäuchigen Rückwärtsziehers der Rippen bedeckt noch die Dorn- und Halbdornmuskeln (NN. und ZZ.) Fig. 6. Der lange absteigende Muskel zwischen den Gelenk- und Dornfortsätzen (Meckel’s Halbdornmus- kel) (NN.) ist an seinem untern Theil frei geworden, nachdem der obere Bauch des zweibäuchigen Muskels (Te.) von seinem Ursprung losgeschnitten und nach unten herabgeschlagen ist. Von dem Muskel NN. sind die sehnigen Köpfe in einiger Entfernung der Dormnfortsätze durchschnitten. Bei KK. bemerkt man den Zusammenhang des un- tern Randes des zweibäuchigenMuskels mit dem langenRip- penheber (Nr. 36. KK.), über dem letztern liegen die eigentli- chen Rippenheber (4.4.) und die untere Reihe der Muskeln zwischen den äusseren Gelenkfortsätzen (TT)). er Eig. 7. Von dem langen absteigendenMuskel zwischen CA © Müllers Archiv 1834. 29 £ - 450 den Gelenk- und Dornfortsätzen (N N.) sieht man nur die abgeschnittenen und herabhängenden Insertionen, hinter und unter ihnen befinden sich die Köpfe der Rippenheber (A.4.), darüber die Muskeln zwischen den äusseren Gelenkfortsätzen (223. TT.), der kurze absteigende Muskel zwischen den Ge- lenk- und Dornfortsätzen (O.) und über diesem der Ursprung des Dornmuskels (Nr.40, £2.). Zwischen O. und 5. schien die Sehnen der Muskeln zwischen den Wirbelbogen und Dornen (7I.) durch. Fig. 8. Von dem langen absteigendenMuskel zwischen den Gelenk- und Dornfortsätzen (NN.) sind nur die Inser- tionen übrig, befinden sich aber in ihrer natürlichen Lage. Abgeschnit- ten sind die zweibäuchigen Rippenmuskeln (I«. 18.), die Ur- sprünge des Seitenhautmuskels ($S.) und die Insertionen der oberen langen Intercostalmuskeln (90%, dadurch sind völ- lig oder theilweis frei geworden: die untere Reihe der Muskeln zwischen den äusseren Gelenkfortsätzen (TT.), die lan- gen Rippenheber (KAK.), die kurzen Zwischenrippenmus- keln (MM.) und ein kleiner Zipfel von der Insertion der unteren langen MM. intercost. Fig. 9, Hier erscheinen die tiefsten Muskelschich- ten, indem ausser den in der vorigen Figur fehlenden Muskeln noch folgende abgelöst sind, nämlich: der lange absteigende Muskel zwischen Dorn- und Gelenkfortsätzen (NN.), der kurze absteigende Muskel zwischen denselben (00.), die lan- gen Rippenheber (oder Gelenkfortsatz-Rippenmuskeln (KK.) und die oberen langen Intercostalmuskeln (9@.). Man übersieht hier besonders die Muskeln zwischen den Ge- lenkfortsätzen (Z. u. T.), die eigentlichen Rippenheber (AA.) und die kurzen Zwischenrippenmuskeln (MM.) in ihrer ganzen Ausbreitung, (Der Schlufs folgt. ) 451 [IF Ueber die Möglichkeit der Bildung von Muskelfasern durch pathologische Processe, Von Professor Dr. ‚/Zutzer in Bonn. H... Dr. G. Leo-Wolf hat in seiner Inaugural-Dis- sertation *) zwei Fälle beschrieben, in denen sich, als Folge plastischer Ausschwitzungen, im Herzbeutel und im Bruüstfelle wahre Muskelfasern neu gebildet haben sollen. Je mehr diese Beobachtungen der wohl allge- mein angenommenen Meinung widersprechen, dass Neu- bildung von Muskelgewebe mit allen seinen Eigenthüm- lichkeiten im menschlichen Körper nach seiner ersten Formation nicht mehr vorkomme, und namentlich. durch pathologische Vorgänge nicht erzeugt werden könne, je mehr nehmen dieselben unser Interesse in Anspruch und verdienen es, näher beleuchtet zu werden. Prüfen wir desshalb die Gründe, welche Hr, Leo- Wolf für die muskulöse Natur des neugebildeten Ge- webes beigebracht hat. Es heisst in dieser Hinsicht bei dem ersten Falle (Muskelbildung an der innern, serösen Seite des Herzbeutels): „Quod primum ad muscularem hujus massae naturam atlinet, ea vero vix addubitari po- tuit, cum jam in primo conspectu permultae fibrae car- neae, eaeque fortes atque inter se invicem complexae, *) Tractatus anatomico-pathologieus, sistens duas observationes rarissimas de formatione fibrarum muscularium in pericardio atque in pleura obviarum, C, tabb, lith, 4. Heidelbergae et Lipsiac, 1832. 29% 452 oculis offerrentur;“ d.h. der Leser wird darauf ange- wiesen, der Sicherheit des Hrn. Verf. zu vertrauen, mit welcher er das in Rede stehende Gewebe auf den ersten Blick für Muskelgewebe erkannte Da derselbe aber kurz nachher einer vernünftigen Skepsis selbst das Wort redet, so werden wir uns um so eher nach überzeugen- deren Gründen umsehen müssen. Nun finden wir, dass der Versuch gemacht wurde, die rothe Farbe der Mus- kelfasern (von der man voraussetzte, dass sie durch die Einwirkung des Weingeistes verloren gegangen sey) nach A, von Humboldt's Vorgange durch Eintauchen derselben in Kaliauflösung wiederherzustellen. Dieser Versuch misslang, und wir fühlen uns nicht veranlasst, aus diesem Misslingen eine der Behauptung nachtheilige Folgerung zu ziehen; aber es möge uns erlaubt seyn, daran zu zweifeln, dass die rothe Farbe je vorhanden war, worüber hernach noch mehr. Sodann wurde in- dessen auch eine chemische Prüfung des Gewebes unter den Augen L. Gmelin’s unternommen, durch welche sich ergab, dass dasselbe Fibrin enthielt. Sollen wir aber daraus, dass der Faserstoff den wesentlichsten An- theil an der Zusammensetzung der Muskeln hat, zu schlies- sen berechtigt seyn, dass sämmtliche Gewebe, in welchen sich Faserstoff vorfindet, nun auch Muskeln seyen? Be- kanntlich spielt ja die plastische Lymphe, der Faserstoff, bei der Bildung von Exsudaten auf serösen Häuten, die wichtigste Rolle, und Lassaigne hat längst schon dar- gethan, dass alle Pseudomembranen seröser Häute aus zwei Theilen, nämlich aus Fibrin und Albumin, bestehen; es wäre also schwer begreiflich gewesen, wenn sich durch die von Hrn. Dr. L. veranlasste Analyse kein Faserstoff vorgefunden hätte. Um hieraus die Muskelnatur zu fol- gern, wären noch andere Unterstützungsgründe erforder- lich gewesen, nach denen wir uns jedoch vergeblich um- sehen; es wird nur der Verlauf und die Lagerung der Fäden noch näher beschrieben. Mit noch grösserer Sicherheit wird aber in einem 453 zweiten Falle eine Pseudomembran, welche sich in Folge von Pleuritis und von Empyem an der innern Seite des Brustfells gebildet hatte, für muskulös erklärt. Es heisst hierüber: „Superficiem parietis costalis ac diaphragma- ticae (ci) pleurae interiorem fortis tegebat membrana muscularis, quae non solum colore rubro et carneo, ve- rum etiam mirabili structura et fibrarum ordine emine- bat, ita ut tum ex colore, tum ex tota fortium fibrarum carnearum specie, hancce membranam muscularem esse, jam primo intuitu eluceret: quare hie quoque analysin chemicam instituere, superyacaneum visum est.“ WVei- terhin werden Inscriptiones tendineae dieser Muskelhaut beschrieben, von welchen der Verf. voraussetzt, dass sie der Pleura als fixe Puncte bei ihren Zusammen- ziehungen gedient haben. Auf dem Theile der Pleura, welcher das Centrum tendineum des Zwerchfells deckt, wurden zwei gesonderte Strata von Muskelfasern vorge- funden, ein Stratum radiatum und ein Str. reticulatam etc. Die plastischen Exsudate, welche die freie Seite der serösen Häute so häufig bedecken, können, wieHr. Leo- Wolf richtig behauptet, noch einen höhern Grad der Organisation erreichen, als wie ihn Andral annimmt, der als dritte und höchste Stufe derselben diejenigen an- sieht, auf welcher die Pseudomembran die Eigenschaften entweder der serösen Membran oder des "Zellgewebes angenommen hat. Andral selbst giebt schon zu, dass ihr Ernährungsprocess zuweilen abweiche, und sie dann in fibröses Knorpel- oder Knochengewebe übergehen. Aber eine Erzeugung von wahrer Muskelsubstanz auf diesem Wege ist bis zur neuesten Zeit noch nirgends überzeugend dargethan worden, und selbst der Versuch dazu scheint nur von Dumas allein, den Meckel ci- tirt*), gemacht worden zu seyn. Das Wahre an der Sache hat aber wohl schon der von dem Verf. selbst eitirte Morgagni, der an Genauigkeit im Beobachten bis jetzt noch nicht übertroffen worden ist, mit wenigen *) Handbuch der Anatomie, Bd, 1. 1815. S.535. 454 Worten ausgedrückt; er sagt von einem krankhaft ver- dickten Herzbeutel: „Haec autem crassitudo debebatur ejus filamentis crassioribus factis, et quasi carneis,‘ d. h. diese Filamente sahen gleichsam aus wie Muskel- substanz, ohne sie zu seyn. Die günstige Gelegenheit zu Leichenöffnungen, wel- che sich mir seit 25 Jahren dargeboten hat, ist von mir häufig zur aufmerksamen Untersuchung der Pseudopro- ducte benutzt worden, welche in der Brusthöhle, nach Entzündung der serösen Häute, vorkommen. Ich habe die Pleura bis zu einem Durchmesser von 3 Zoll ver- dickt, den Herzbeutel in den verschiedenartigsten For- men von Desorganisation gesehen. Hierbei fand ich, dass bei ansehnlicher Massenzunahme an der innern Seite dieser serösen Häute gar nicht selten starke Lagen von Faserbündeln erschienen, welche auf den ersten flüchti- gen Blick in ihrer Anordnung Aehnlichkeit mit Muskel- gewebe zeigen. Genauer betrachtet verliert sich die Aehnlichkeit indessen mehr und mehr, und die Verschie- denheiten treten dagegen deutlicher hervor. Die Con- sistenz dieser Fasern ist ungleich derber und dichter wie die der Muskeln; die einzelnen Bündel liegen nä- her an und auf einander zusammengedrängt; durch- schneidet man sie der Quere nach, so erscheinen sie so compact, dass die fasrige Structur kaum erkannt werden kann, wogegen diese, wenn man die Bündel ohne Hülfe eines scharfen Instruments, etwa bloss mit dem Skalpellstiel, aus einander drängt, deutlicher in die Au- gen fällt, Die Farbe derselben fand ich meistens gelb- röthlich; nie habe ich die gesättigte Röthe eines nor- malen Muskelgewebes an ihnen bemerkt, welche Herr Leo-Wolf in seinem zweiten Falle wahrnahm, es sey denn, dass der Entzündungsprocess etwa noch in seiner Blüthe stand. Noch Niemand hat Nerven in solchen krankhaft gebildeten Fasern entdeckt, und auch der Hr, Verf. gesteht, sie vergebens gesucht zu haben; doch sind diese dem Muskelgewebe so wesentlich! Ausserdem 455 liegen sie frei an der innern Seite der Häute, aus wel- chen sie sich entwickelten, dagegen die Faserbündel der Muskeln des vegetativen Lebens, denen allein sie doch nur zu vergleichen seyn dürften, stets zwischen zwei Membranen liegen, und also von beiden Seiten her ge- deckt sind. Selbst die Fasern des schwangern Uterus, mit deren Entwiekelung Hr. Leo-Wolf den Bildungs- process dieser Pseudoproductionen nicht unpassend glaubt vergleichen zu können, stehen auf einer ungleich höhe- ren Stufe der thierischen Organisation, und unterschei- den sich namentlich schon durch ihre Präexistenz im un- geschwängerten Zustande, so wie denn auch über den bedeutenden Grad ihres Zusammenziehungsvermögens kein Zweifel obwalten kann. Dieses letztere (die we- sentliche physiologische Bedeutung des Muskels) geht aber den plastischen Exsudaten der serösen Membranen gewiss ab; Hr, Leo-WVolf schreibt sie zwar den von ihm gefundenen Fasern zu, bringt aber keine anderen Beweise für diese seine Meinung vor, als die aus der Structur derselben entnommenen, welche wir nicht für genügend erkennen können. Dass dergleichen Contra- ctionen nicht wesentlich nothwendig waren, um das zum Theil in Fett verwandelte Herz in seiner Function zu unterstützen, wird zugegeben werden müssen, wenn man bedenkt, dass Fettumwandelungen im Herzen, bei nor- malem Herzbeutel gefunden worden sind. Herr Leo- Wolf geht aber in seiner Sicherheit über die Contractio- nen des Afterproducts so weit, zu bedauern, dass bei Lebzeiten der Inhaberin des Herzens nicht das Stethoscop angewendet worden sey, um die Zusammenziehungen der Fasern des Herzbeutels eben sowohl, wie die der noch übrigen Fasern der Herzkammern durch das Gehör zu vernehmen! Eben so wenig können wir zugeben, dass die plastischen Exsudate auf der Pleura im zweiten Falle die Bestimmung gehabt hätten, die Function der Interco- stalmuskeln und des Zwerchfells zu unterstützen; eine in 50 hohem Grade gewagte Behauptung könnte nur allen- 456 falls durch Versuche an lebenden Thieren bewiesen wer- den, denen man künstlich eine exsudative Entzündung des Brustfells veranlasst hätte, um in den Producten derselben die lebendigen Contractionen nach Oeffnung der Brust- höhle zu beobachten. ; Sollten wir genöthigt seyn, die in Rede stehenden Afterproducte mit irgend einem normalen Gewebe zu ver- gleichen, so würden wir hierzu die Faserhaut der Arte- rien wählen. Diese unterscheidet sich von den Muskelfa- sern durch ihre grössere Elastieität, Härte, Brüchigkeit, Trockenheit und Plattheit, Eigenschaften, die dem in Rede stehenden Aftergewebe, sobald es aus dem flüssigen in einen vollkommen festen Zustand übergegangen ist, bis- weilen, dann aber in noch höherem Grade zukommen, so dass dasselbe gewiss auf einer viel niedrigern Stufe der Organisation steht, wie jene Faserhaut, um so mehr, als auch die faserige Structur selbst in ihm keineswegs so deut- lich in die Augen fallend dargestellt werden kann, wie in der letztern. Eine solche Aehnlichkeit desselben mit der Faser- haut der Arterien, ist auch schon von Rudolphi *) wahr- genommen worden, der aber desshalb noch keine Gleich- artigkeit, oder auch nur Aehnlichkeit, der Function zwif schen beiden annimmt. Jedenfalls fordern die Beobachtungen des Hrn, Dr. Leo-WVolf zu ferneren , genaueren Forschungen bei ähnlichen Fällen auf. Um die beschriebenen beiden Fälle vollständig zu beurtheilen, wäre es freilich I wesen, sie in frischem Zustande zu untersuchen; auf die Unmöglichkeit hiervon gestützt, kann Hr. L.-W. die Rich- tigkeit seiner Beobachtung, aber nicht die Richtigkeit sei- ner Schlüsse vertheidigen. Indessen steht dieser Fall so einzig da, ihm gegenüber finden sich aber so viele Beob- achtungen vom Gegentheile, dass bei Benutzung desselben Vorsicht nicht verargt werden mag. *) Grundriss der Physiologie, Bd, I. 1821. S, 164. — 457 Ueber die Relina im Auge der Grätenfische. Von Dr. Gottsche in Copenhagen. (Hierzu Taf. VII. Fig. 7.) D: Untersuchungen der neuern Zeit haben dargethan, dass mehrere Lagen in der Retina des menschlichen Au- ges anzunehmen sind, und wenn man sie vielleicht auch bei der übrigen Reihe der Vertebraten gemuthmasst hat, so sind sie doch nicht nachgewiesen worden. Für die Grätenfische zuvörderst dieses zu erweisen, dazu soll der folgende Aufsatz dienen. Drei Lagen nämlich sind ganz gewiss anzunehmen, eine innerste, die wirkliche Ausstrahlung des Sehnerven, eine zweite mehr rigide und eine äussere breiige. Die innerste Haut, die sich durch die fücherförmige Ausstrahlung der Nervenfasern auszeichnet, bietet unstreitig die interessanteste Erschei- nung dar, aber da sie nicht bei allen Grätenfischen durch eine Horizontalsection des Auges gleich deutlich sich zeigt, so wollen wir erst etwas über die bereitung zur Präparation sagen. Wir nehmen als Beispiel das Auge des gemeinen Dorsches (Gadus Callarias Linn.), von dem wir die Zeichnung beifügen, ji Schneidet man das Auge eines Dorsches, wenn es eben aus dem lebenden Fische genommen ist, durch, und entfernt man dann das Corpus vitreum, so wird man schon deutlich eine Faserung der Retina sehen, welche 458 wie aus einem Centrum (der Eintrittsstelle des Nervus opticus) nach demRande zu ausstrahlt. Noch deutlicher erscheint diess, wenn man das halbirte Auge unter Was- ser betrachtet. Um aber die vollkommenste Ueberzeu- gung von den Strahlen zu gewinnen, muss man einige Tropfen Spiritus auf die Retina fallen lassen; in dem- selben Augenblicke treten folgende Phänomene ein. Die Nervenfibrillen der innersten Lage erscheinen blendend weiss, etwas erhaben; die mittlere Lamelle bekommt ein milchiges Ansehn, wird fest und zerreisst nicht; die äns- serste Lamelle wird gelblich, contrahirt sich zu kleinen Runzeln, die den Gyris cerebri im Rleinen ähneln. Aus- serdem macht sie grössere Wülste, worauf wir hernach zurückkommen wollen, und lässt sich abschaben von der zweiten, ohne einen Zusammenhang zu zeigen. . Die mitt- lere Lamelle folgt den kleineren Runzeln der äussern La- melle nicht, sondern ist im Innern (d.h. auf der Seite, die sich zur innersten Lamelle hinwendet) glatt; die grösseren Wülste der äussern Lamelle überkleidet sie, folgt ihnen aber, so dass sie grössere und kleinere Vertiefungen und Erhöhungen (ähnlich den Impressiones digitatae et Juga cerebralia ossis frontis) zeigt. Die innerste Haut dage- gen scheint sich von der zweiten zu trennen; die ein- zelnen Fibrillae nerveae spannen sich wie. Saiten vom Eintritte des Sehnerven aus, nur der Rundung des Au- ges, keineswegs aber den Erhöhungen und Vertiefungen der zweiten Lamelle folgend, nach dem Gilierpanggäder Retina bin, so dass man, ohne Etwas zu verletzen, mit einer Staarnadel zwischen der ersten und zweiten Lamelle eingehen kann. Man kann das deutlichere Hervortreten der Nervenfibern an einem Auge mehrmals nach der Reihe bewirken, indem man es abwechselnd in Wasser legt und dann wieder Spiritus darauf tropft. Die Untersu- chung des frischen Auges halten wir für nöthig, um ‚sich zu überzeugen, dass diese Strahlen kein. künstlicher, durch Einlegen in Branntwein hervorgebrachter, Zustand sind. 459 Augen die lange in Branntwein gelegen haben, erlauben keine genaue Untersuchung, da die Retina sich in einer Art von Zersetzung (?) befinde. Kann man das Auge nicht frisch untersuchen, so darf man es nicht länger als 24 Stunden in Spiritus vini legen, wenn nicht Alles un- deutlich werden soll. Die Untersuchung des Auges durch Hülfe des Spiritus, oder durch ein 24stündiges, Aufbe- wahren in Branntwein ist sehr bequem und schützt vor Täuschung. Das Corpus vitreum ist nämlich bei Fischen nicht so consistent wie beim Menschen, Kalbe etc., son- dern fliesst im frischen Auge gewöhnlich wie Eiweiss. Zu wissen, ob die Hyaloidea mitgefolgt oder: noch zu- rück ist, ist nicht leicht, wenn man nur auf sein Gesicht angewiesen ist, und da ich zuerst diese Fibrillae oder Radien ‘der innersten Lamelle bemerkte, fragte ich mich selbst, können das nicht Gefässe seyn, die der Hyaloidea angehören? und ist die vermeinte, innerste Lamelle der Retina nicht vielmehr die Hyaloidea selbst? Zwar war das Eigenthümliche der Ausstrahlung ein gewichtiger Grund gegen beide Annahmen, indessen war diess für sich nicht beweisend. Die Erscheinungen hingegen, wel- che der Spiritus vini hervorbringt, sprechen auf das Be- stimmteste dafür, dass die angedeutete Lamelle etwas Ei- genes ist und der Hyaloidea durchaus nicht angehört, Durch das Einlegen in Branntwein zieht sich nämlich der Eiweissstoff' des Corp. vitr, zusammen ; die Hyaloidea wird fest, opalisivend, und das Corp. vitr., welches jetzt einen bedeutenden Raum zwischen sich und der Retina zeigt, folgt, ohne verletzt zu werden, dem Zuge der Crystallinse. Die Gefässe der Hyaloidea sind weiss ge- worden, und sind auf der opalisirenden Hyaloidea leicht zu erkennen: Es entsteht nun aber eine andere Frage, nämlich: was sind diese Fasern, die nicht Hyaloidea, auch nicht Vasa hyal. sind? Nach der Analogie müssten wir das, was zwischen Choroidea und Hyaloidea liegt, doch wohl Retina nennen, unbekümmert, wie viel La- 460 mellen das auch wären; und machen wir es nicht mit der Choroidea eben so? Nennen wir nicht das, was zwischen Retina und Sclerotica liegt, Choroidea, obschon die eigentliche Choroidea, die Gefässhaut der Drüse und die äussere metallisch glänzende Haut diesen Raum an- füllen? Könnten aber diese Fibern vielleicht Zeräste- lungen der Art. centralis Retina seyn? Schon aus der Analogie könnte man schliessen, dass diese Radiationen mit Anastomosen und Ramification von Blutgefässen nichts gemein haben; indessen bei häufigen Untersuchungen findet man gar nicht selten Augen, wo Alles wie injieirt erscheint; da gehen dann die Blutgefässe in unsymme- irischen Verästelungen über die Fasern weg und schei- nen sie mitunter zwischen zwei Nervenfibern zu durch- bohren, um die hintere Seite oder die zweite Lamelle zu versorgen, Der Wahrheit getreu, bekenne ich übri- gens, dass es mir bis jetzt noch nicht gelungen ist, beim Umdrehen dasselbe Gefäss wieder zu erkennen, und dess- halb kann ich nicht mit Bestimmtheit angeben, was aus dem Gefässchen wird, wenn es in diese Strahlenhaut eingetreten ist. Im frischen Zustande lässt sich diese Haut, welche zwischen Choroidea und Corpus vitr. liegt, und die wir Markhaut oder Retina nennen, gleichviel aus wie vielen Lamellen sie besteht, mag man sie von innen nach aus- sen. oder umgekehrt präpariren, immer nur in zwei Theile trennen, nämlich in die Faserschicht (die innerste, welche wir Strahlenhaut nennen wollen) und eine unterliegende markige, die dem Auge glatt erscheint, Legt man dagegen das Auge in Branntwein, so lässt sieh die zweite Haut wiederum in zwei zerlegen, eine stär- kere glatte (die innere, gleichsam fibröse) und eine breiige äussere, in welche letztere Gefässe aus der Choroidea überzutreten scheinen, wenigstens hängt das Pigment der Choroidea ihr an, so dass sie getüpfelt aus- sieht. Demnach bestände die Retina im Auge der Grä- 461 tenfische aus drei Lamellen, welche von innen nach aus- sen gerechnet folgende wären: 4. die Strahlenhaut, 2. die glatte fibröse Haut, 3. die breiige Haut. : 1. Die Strahlenhaut. Sie ist nach unsern Untersuchungen die fächerför- mige Ausbreitung der Fibrillae N. optici. Diess' lässt sich anatomisch deutlich darstellen, indem sich die Fibern bis zum Eintritt des Sehnerven verfolgen lassen. Wie bekannt, ist im Auge der Grätenfische der Sehnerve gleichsam gespalten, in welche Spalte sich die Choroidea hineinlegt; der N. opticus bildet daher ein ziemlich eng zusammen gebogenes Hufeisen, und aus dem Circulus major, externus dieser Taenia neryosa circularis ent- springen alle jene fibrillae. . Es gelingt ferner mitunter durch Anziehen des N. opticus von aussen, diese Strah- lenhaut allein aus dem Auge zu reissen, wobei die an- dern Lamellen unverletzt bleiben. Gehörten die andern Lamellen mehr dem N. opticus an, so würde man das Gegentheil erwarten müssen. Endlich finden wir eine Analogie dieser Construction im Pecten des Vogelauges, dieselbe Construction ist im Auge des Chamäleons von Leigh Thomas (1801), von Ehrenberg (1822) und von Rudolphi nachgewiesen, etwas Aebnliches finden wir bei einzelnen Säugethieren, nämlich dem Hasen und kanin- chen, wo der Sehnerv in zwei starken Strängen in das Auge tritt, ohne ein Sieb zu finden, und nach beiden Seiten hin flammig ausstrahlt. Diese Fibern lassen sich ebenfalls nachweisen, obwohl nur schwach, in den Au- gen von jungen Katzen, wogegen bei älteren Thieren, wie auch im Ochsenauge, sie nur rudimentär vorhanden, und nur dicht um die Eintrittsstelle des Sehnerven zu bemerken sind. — Die einzelnen Nervenfibern liegen et- was divergirend dicht neben einander, und kommen an Feinheit den feinsten Haargefässen gleich. Unter dem Mikroscop erscheint jeder haarfeine Faden als eine so- 462 lide Fiber, die ohne Trennung und ohne Verzweigung nach dem Ciliarrande der Retina hingeht. Dies nemlich erscheint bei der Betrachtung der frischen Retina. Nimmt man indess die Strahlenhaut heraus, und legt ein Stück davon glatt ausgebreitet auf eine Glasplatte, welches man in der Sonne trocknen lässt, so erscheint eine Verzwei- gung nach Art der Nervenplexus. Ob indessen auf diese Beobachtung etwas zu geben ist, überlassen wir dem Leser zur Beurtheilung. Reisst man einige solcher Fä- den ‚der Länge nach aus einander, so sieht man runde Molekülen (Molekülen des Zellgewebes? Marlikügelchen?). Fasst man ein kleines Stück des N. optic. an der Ein- trittsstelle, so reisst man beim Anziehen die Strahlen- haut ein, und die Fibrillae lassen sich bis eine halbe Linie vor dem Rande der Retina darstellen. Durch Uebung erlangt man leicht die Fertigkeit bei einem Auge, das in Spiritus gelegen hat, alle Theile zu ent- fernen, bis auf diese Strahlenhaut, die über dem erhär- teten Glaskörper als aus lauter einzelnen Fädchen bestehend erscheint. Ob sie in dem Auge einer Fischgattung fehlt, weiss ich nicht mit Bestimmtheit anzugeben, doch ist sie von verschiedner Deutlichkeit und auch von ver- schiednem Verhältniss (2) zu den andern Lamellen; in- dessen selbst bei pathologischen Zuständen der Augen habe ich sie gefunden. — Ein Pleuronectes Flesus Lin. zeigte in dem Auge, was am nächsten zum Anus lag, eine auffallend kleine Pupille; Alles schien regelmässig; weder Wunde noch Narbe zeigte sich äusserlich, den- noch fehlte die Lens erystallina gänzlich. Die Campa- nula Halleri sass am Corpus vitreum fest; /Iris u. s. w. Alles erschien inwendig normal; ‘die Retina hatte die Strahlenhaut wie gewöhnlich. Die Section geschah an einem lebenden Exemplar. Am deutlichsten zeigt sich diese Haut im Dorsch (Gadus Callarias Lin.) in der Scholle (Pleuronectes borealis Faber), im Rleist (Pleu- ronectes Rhombus Lin.), in welchen Fischen sich auch 463 die Strahlen bis zum Rande der Retina ganz leicht dar- stellen lassen. Bei einzelnen Fischen ist dies Fortlaufen der Strahlen schwerer zu sehen, und sie scheinen schon auf der Mitte der Retina aufzuhören, so bei einzelnen Cyprinus Lin. auch bei Acerina vulgaris Cuy. (Perca cernua Lin.); indessen ist man wohl berechtigt, der Analogie nach zu schliessen, und ein ähnliches Fortlau- fen anzunehmen, ? Bei der Quabbe (Gadus Lota Lin.) ist diese Strah- lenhaut ganz verschieden (?) — Ich hatte nur ein einzi- ges Exemplar und dazu nicht lebend erhalten, es wäre also denkbar, dass in der folgenden Beobachtung ein Fehler vorhanden wäre, weshalb wir jenes Fragezeichen hinzugefügt haben. — Vom Centrum entspringen bei diesem Fisch freilich ebenfalls Radien, aber gleichsam fascikelweise; die Ausstrahlung, oder die Anzahl der Fi- bern ist weit geringer als z.B. im Gadus Callarias Lin. und zeigt das Eigenthümliche, dass die Fibern nicht alle grade zum Rande der Retina laufen, sondern ästig sind und querlaufende Zweige ‚schicken, so dass man bei einzelnen Fascikeln im Zweifel ist, ob es Strahlenbündel des Sehnerven oder Verästelungen der Art, centralis Retinae sind. Fernere Untersuchungen werden indessen diesen Punkt leicht berichtigen lassen. Merkwürdig ist es, dass diese Strahlenhaut nur so lose mit der zweiten Lamelle verbunden ist, dass sie sich im frischen Zustande unter Wasser leicht von ein- ander abziehen lassen, obschon eigentlich kein Zwischen- raum zwischen ihnen gesehen werden kann. Bei einem Auge, was etwa 4 bis 6 Stunden in Branntwein gelegen hat, kann man mit einer Staarnadel zwischen dieser und der folgenden Lamelle eingehen, und die erstere auf- heben, es hat sich also ein Zwischenraum gebildet. Zum Verständniss der beiliegenden Figur beziehen wir uns auf das oben Gesagte; sie stellt den Horizontaldurch- schnitt eines Dorschauges dar; die weiss ausgespar- 464 ten Radien sollen diese Strahlenhaut vorstellen; sie ge- hen gespannt über einige dunklere kleinere Streifen hin- weg (welche die oben erwähnten‘ Wülste und Vertie- fungen darstellen sollen). Der schwarze Streifen von der Peripherie zum Centrum stellt den Processus falci- formis vor. 2. Die glatte Lamelle oder mittlere Haut. Sie scheint Querfasern zu haben, die aber eben so wenig eigentlich darstellbar sind wie die Circulärfibern der Arterienhäute; sie zeigt indessen ein ähnliches Phä- nomen. Reisst man sie (hier ist von der durch Spir. vini erhärteten die Rede) nämlich ein, so trennt sie sich leicht nach der Seite oder der Queraxe des Auges, sehr schwer dagegen nach vorne, oder nach der Längenaxe, und scheint dann eher zu brechen, als irgend einer Fa- serung zu folgen. Die Bruchstellen sind am häufigsten oval. Aus diesem Grunde lässt sie sich vom Eintritt des Sehneryven aus nach dem Ciliarrande zu präpariren, d.h. getrennt von der dritten äussern Lamelle ohne ein- zureissen darstellen. Fasern habe ich auf keine Weise, weder durch Eintauchen in verschiedne Flüssigkeiten, noch durch das Microscop sehen können. Will man desshalb keine Querfasern statuiren, so wird man doch immer zugeben müssen, dass diese Lamelle eine derbere Structur nach der Längenaxe und eine weniger derbe nach der Queraxe besitze. Sie ist auf der innern Seite glatt, glänzend, und das Zellgewebe, wodurch sie etwa mit der Strahlenhaut verbunden ist, muss ihr nicht an- hängen, sondern vielmehr der Strahlenhaut folgen, da sich diese zweite Lamelle nicht rauh zeigt. Nach un- serer Meinung verbände das Zellgewebe diese Lamelle mit der Strahlenhaut, verbände aber auch zugleich die einzelnen fibrillae nervosae derselben, und constituirte gleichsam das Planum, worin oder worauf sich die Ner- ven ausbreiteten. Es wurde oben nämlich bemerkt, dass beim Einreissen der Nervenhibrilleu sich Molekülen als 465 den Fibern anhängend unter dem Microscope zeigten, wir neigen uns zu der Meinung, dass dies Zellgewebe- Moleküle sind. — Die äussere Fläche der zweiten La- melle erscheint ebenfalls glatt, und berührt die innere Fläche der dritten Lamelle. Die Art der Verbindung mit ihr, ob durch Zellgewebe, oder nicht, ist uns nicht klar; gesehen haben wir es nicht. Wie schon früher angegeben ist, so gleicht sie die kleineren Runzeln der dritten Lamelle aus, den grösseren folgt sie. Sie er- streckt sich: überall bis zum Ciliarrande der Retina, 3. Die breiige oder die äussere Lamelle. Diese Lamelle ist leicht zerreissbar, und lässt sich nur im Ganzen darstellen, wenn sie in dem halbirten Auge auf der Choroidea zurückbleibt; man entfernt zu diesem Ende die Strahlenhaut und die zweite Lamelle vorsichtig. Herausnehmen lässt sie sich nicht. Durch den Spirit, vini bilden beide Flächen kleine Runzeln, ähnlich dem Steinpflaster; es sind lauter kleine, unvoll- liommene oder abgebrochene VVindungen, dergestalt aber, dass die Länge der einzelnen Gyri dem Querdurchmesser des Auges entspricht; sie sind ungefähr 3—4 mal so lang, wie breit. Ausserdem bilden sich auch noch grössere Wülste, gleichsam als ob die Retina zu gross wäre; möglich indess, dass diese künstlich hervorgebracht wer- den durch den Branntwein oder durch die Präparation, denn im frischen Auge erscheint die Retina, von aussen präparirt, als ganz glatt anliegend. — Auf der äussern Fläche sieht man schwarze Punlite vom Pigmente, die gleichsam als Endspitzen von Blutgefässen, die von der Choroidea aus in diese Lamelle gingen, unter dem Mi- eroscop erscheinen; diese haben wir nicht näher unter- sucht, indessen können wir doch versichern, dass wenn sie auch nichts weiter sind, als mechanisch anhängende Pigment-Moleküle, diese Punkte dennoch eine über- all ähnliche Gestalt haben. Diese dritte Lamelle zeigt unter dem Microscop nur Moleküle und ist von der Müller’s Archiv. 1634, 30 „466 zweiten Lamelle durch eine gelbliche Farbe und durch grössere Dicke bei mürberer Beschaffenheit der Textur verschieden. Ist sie markig? ist sie gleichsam eine weiche Unterlage? Ist sie fettiger Natur? Alle diese Fragen müssen wir leider unbeantwortet hingestellt sein lassen, da wir uns nicht auf Hypothesen einlassen wol- len; ja selbst die Hypothesen wüssten wir durch keinen nur einigermaassen haltbaren Grund zu unterstützen. Die dritte Lamelle geht ebenfalls bis zum Ciliarrande der Retina. Im Auge der Grätenfische findet sich noch ein räth- selhafter Theil, der bald mit dem viereckigen Bande der Linse, bald mit dem Pecten der Vögel etc. zusam- mengestellt ist, ich meine die Campanula Halleri; es wäre gewiss von der höchsten Wichtigkeit zu wissen, ob die fibrillae nerveae der Strahlenhaut dahinein gehen. Wir können diesen Punkt noeh nicht genügend beant- worten. Die Untersuchung wurde zweimal beim Gadus Callarias Lin. angestellt, zeigte aber keine Fasern; sie wäre demnach wohl eher, wenn sie durchaus mit der Retina zusammengebracht werden sollte, eine Fortsez- zung der zweiten und dritten Lamelle; bei Pleuronectes Flesus haben wir eine Untersuchung angestellt, und ebenfalls nichts gesehen. Indessen möchte eine Unter- suchung an zwei Fischen, die nicht wenigstens einige Dutzend Male wiederholt ist, und stets dasselbe Resul- tat gegeben hat, in einem Streite, der zwischen ausge- zeichneten Physiologen geführt ist, keinen Ausschlag ge- ben dürfen. Gegen Rosenthal (Reils Archiv. Bd. X. S. 406.) können wir nicht umhin, uns entschieden zu erklären. Die Campanula Halleri soll ein Rudiment der Processus ciliares seyn; im Acipenser Sturio Lin. finden sich ganz deutliche Processus ciliares, eben so wie man das bei Scomber Thynnus Lin. kennt. Man verzeihe die Digression, da wir Knorpelfische überhaupt von unserer ganzen Untersuchung ausgeschlossen haben. 467 Ueber die Zeugungsorgane der Cirripeden h und ihre Stellung im System. Von Rudolph Wagner, Professor in Erlangen, (Hierzu Tafel VII. Fig. 8—13,) D.. eben erschienene Arbeit von Burmeister über die Cirripeden giebt mir die Veranlassung, einige Be- merkungen über diese merkwürdigen Thiere mitzuthei- len. Die Anatomie von Cuyier ist so genau und gründ- lich und ich fand bei früheren Zergliederungen von Le- pas (Anatifa laeyis) nach grossen Exemplaren, welche ich noch von Cuvier selbst erhalten hatte, die Angaben _ desselben mit der Natur so übereinstimmend, dass ich die später mehrmals gehabte Gelegenheit, frische Thiere zu untersuchen, nur benützte, den Organen des Kreis- laufs näher nachzuforschen, olıne dass ich hierin glück- licher, als andere Beobachter gewesen wäre. Ein paar Bemerkungen in meiner Schrift über das Blut, worin ich der eigenthümlichen, vom erwachsenen Thiere verschie- denen Form der Embryonen, da ihnen Schale und Stiel fehlt, gedachte, sind von Burmeister in seiner in- teressanten Schrift weiter ausgeführt und so weit ver- vollständigt worden, dass wir nun eine ziemlich genaue Kenntniss von der Entwickelungsgeschichte dieser Thiere 30 * 468 im Allgemeinen haben. Demohngeachtet finden sich noch manche Lücken in der Erkenntniss des Baues. Die Ver- dauungsorgane sind am besten und vollständigsten von Cuvier beschrieben und abgebildet worden und nament- lich die Leber richtiger, wie mir scheint, als von Bur- meister. Nur von den Kauwerkzeugen hat der letztere bessere Darstellungen gegeben und dieselben vortrefflich abgebildet. Ueber die Organe des Hreislaufs wissen wir alle nicht einmal so viel als Poli; den wenigen Be- merkungen von Martin St. Ange kann man nicht eher ° Vertrauen schenken, bis die versprochene ausführliche Arbeit erschienen ist. Die Anhänge, welche Cuvier (und Burmeister, wie andere, ebenfalls) für Kiemen erklären, scheinen mir noch sehr problematisch als sol- che zu betrachten, worüber ich einige Bemerkungen in der ersten Abtheilung meines Lehrbuchs der verglei- chenden Anatomie mitgetheilt habe. Das Nervensystem und die Bewegungsorgane wurden bereits von Cuvier sehr gut angegeben, Auch seine Anatomie der Ge- schlechiswerzeuge ist anatomisch ganz richtig, hat aber bei v. Baer*), J. Müller u. A. Zweifel an seiner Deu- tung erregt und zwar mit Recht, weil Cuvier wohl die männlichen Zeugungstheile gekannt, die weiblichen zwar gesehen, aber nicht dafür genommen hat. Auch Bur- meister hat die Geschlechtswerkzeuge nicht völlig richtig erkannt; er hat weder das ästige Gefäss, noch das körnige Gewebe deutlich genug wahrgenommen, das Cuvier für den Eierstock hielt und das den Magen und Darmkanal bedeckt. Für den Eierstock hat er die beiden Eierplatten im unteren Theil der Schale genom- men, welche Cuvier und ich beschrieben haben **). *) $. Burdach’s Physiologie. I. 113. %*#*) Ich beschrieb dieselben a. a. O, S. 65. Sie sind kornblu- men-blau; gelbroth, wie sie Burmeister fand, werden sie immer im WVeingeist. 469 Da indess diese Eierplatten weit häufiger fehlen,-als vor- handen sind, so können dieselben der wahre Eierstock nicht seyn; bei Otion Cuvieri war Burmeister bei seinen Untersuchungen auf der rechten Spur, den wah- ren Eierstock zu finden; Martin St. Ange scheint die wahre Anordnung der Geschlechtswerkzeuge zu kennen. ‚Ich kann nach Untersuchungen von Anatifa laevis fol- gende. Beschreibung davon geben: In Fig. 8. sieht man bei @. 6. c. Mund, Magen und Darmkanal herauspräpa- rirt; beix. an der Wurzel des schwanzförmigen Anhangs, liegt der After und neben ihm ein paar lanzettförmige Blättchen. Der Hoden, d. den Cuvier für den Eier- stock nahm, besteht in einem schwärzlichen, lockeren Gewebe, das unter der Muskeldecke den Darm umgiebt und sich bis zur Basis der Cirrhen erstreckt. Die Sa- mengänge verzweigen sich aderästig darin und treten je- derseits in den dicken, im Zickzack gewundenen Kanal e. den Burmeister für den Hoden nahm, auch Cuvier nach der alten Deutung, der aber blos der ‚erweiterte Samengang (also wohl ie Samenblase vergleichbar) ist. Diese beiden erweiterten Samengänge laufen um die Af- teröffnung in den schwanzförmigen Anhang, den man al- lerdings als Penis betrachten kann. Sie verbinden sich zu einem gemeinsamen Ductus ejaculatorius, der etwas gewunden durch den Anhang verläuft und sich an der Spitze desselben zu münden scheint. Unter dem Micro- scop zeigt sich (Fig. 9.) der Hoden aus lauter Blind- därmchen gebildet, welche etwa „.;”” Dicke haben; diese blinden Schläuche hängen an den Verzweigungen der Samengefässe; man findet darin eine gleichförmige kör- nige Masse. Auch hier erweist sich also die von J. Müller so vielfältig nachgewiesene Structur der secer- nirenden Organe. Die körnige Masse im Stiel ist der Eierstock. Unter dem Mieroscop besteht dieselbe aus sehr durchsichtigen, abgerundeten Läppchen, welche sich als hohle Blindsäckchen zeigen (Fig. 10.); man erkennt 470 bei vielen Individuen, namentlich bei denen, welche gleichzeitig Eierplatten in der Schale haben, dunkle Kör- perchen, welche nichts anderes als die Eier sind; sie sind rundlich oval, bestehen aus einem durchsichtigen Chorion, dem körnigen Dotter und einzelnen helleren, grösseren Oeltröpfchen. Sie messen etwa „|;”. Hinten im Boden der Schale, an der Wurzel des Rückenstücks' derselben, ist ein feines Spältchen, welches in den Ra- nal führt, der den Stiel durchläuft; ich vermuthe, dass dieser Kanal als Oviduct dient und dass das Spältchen jenen Oeffnungen im Riemengang der Bivalven analog ist*). Sind die Eier innerhalb des Mantels angelangt, so bilden sie jene ovalen Eierplatten, wovon man gewöhn- lich 2, zuweilen auch 3 (z.B. öfters bei Cineras) findet. Diese sind nicht, wie Burmeister angiebt lose, sondern sind an einen Fortsatz des Mantels befestigt, ein kurzes Fältchen, das in der Gegend der Schliessmuskeln, womit das Thier an die Schale geheftet wird, entspringt. Sie scheinen mir durchaus den Eiersäcken von den Lernäen, Cyclops etc. analog. Sie treten später, wie ich es vor 6 Jahren in Marseille an lebenden T'hieren gesehen, zum #) Diese Spältchen, welche Oken zuerst gesehen, später Boja- nus, Pfeiffer und Baer genauer beschrieben haben, finde ich deutlich auch bei anderen Bivalven; bei Mactra z. B. lassen sie sich noch bei Thieren, die lange im WVeingeist gelegen, leicht wahrneh- men; sie liegen hier vor den Oeffnungen der sogenannten Niere, In- teressant ist die lappige, aus blinden Schläuchen gebildete Structur der Ovarien, da sie Achnlichkeit hat mit denen der gehäusigen Acec- phalen, wie sie schon Poli, dann Bojanus und Garus beschrie- ben; schon bei Anodonta ist der Ban deatlich, mehr noch bei Mac- tra (wie ich Fig. 12. ein Stückchen abbilde), bei Donax, Arca etc. Ganz anders ist der Bau der Ovarien bei den Gasteropoden; hier ist der.in die Leber eingesenkte Hoden aus Blindsäckchen mit aderästig verzweigten Samengängen gebildet, dem der Cirripeden ähnlich; Cu- vier nahm, wie Treviranus, Prevost, Brandt, J. Müller be- richtigen, bei den Schnecken den Eierstock für den Hoden; ich habe die vom Chorion umgebenen Dotter darin gefunden, 471 Schlitz der Schale heraus und hängen dabei unter den Cirrhen an der Mantelfalte, wie an einem Stiel. Wahr- scheinlich fallen die Eier dann einzeln ab. Der schwanz- förmige Anhang ist bei lebenden Thieren stehts in Be- wegung und durch seine Länge und Beweglichkeit sehr geeignet, wenn er wirklich als Ruthe fungirt, die Sa- menflüssigkeit an die Eier im Boden der Schale zu bringen. Nach dieser Darstellung wären also die Thiere, wie Burmeister vermuthet, Zwitter. Indess bedürfte es doch noch der Auffindung von Samenthierchen in dem als Hoden gedeuteten Organe, um völlig sicher zu gehen; ich habe mich überzeugt, dass nur diess vor Irr- thum in der Deutung schützen kann. Nach dieser Darstellung fordere ich nun den ver- ehrten, mir befreundeten Herrn Dr. Burmeister auf, die Sache noch einmal zu verificiren und auf die an- deren Gattungen auszudehnen. Nun noch einige Bemerkungen über die Stellung dieser Thiere im Systeme; die ingeniöse Einreihung unter die Crustaceen nach Burmeister hat vieles für sich, doch lässt sich auch manches dagegen sagen. Dass es Glieder- thiere sind, ist mir kein Zweifel, obwohl sie Cuvier *), Wiegmann, Goldfuss noch zu den Mollusken zählen, Sie haben ein gegliedertes Nervensystem, Rauwerkzeuge denen der Krustenthiere analog, gegliederte Fusspaare und ächte Muskeln mit Querrunzeln **). Dagegen haben sie eine *) Schon 1802 (Mem. s. les Anatifes) sagt indess Guvier: „tout annonce que la nature va nous conduire ä l’embranchemant des ani- maux articulds; „ . .„.». et nous ne blämerons point ceux, qui croi- ront devoir les y ranger.“ *") Weder bei Cephalopoden, noch Gasteropoden, noch Acepha- len (Bivalven und Ascidien), noch bei Strahlthieren, dagegen stets bei Wirbelthieren und Gliederthieren fand ich bisher die feinen Querstreifen der Muskelbündel. Nimmt man dazu, was ich über die Form der Blutkörperchen bei den verschiedenen Klassen, was Eh- renberg über die der Nerven angab, so dürften in der Folge die 472 Kalkschale, einen wirklichen Mantel, was man auch da- gegen sagen mag *), sind Zwitter, haben keinen .ei- gentlich gegliederten Körper, Speicheldrüsen, eine Mol- luskenleber, keinen eigentlichen Kopf, keine Sinnesor- gane etc. Ich möchte daher, bis vielleicht das Gefäss- system entscheidet, sie immer noch als intermediäre Klasse zwischen Weich- und Gliederthiere, aber den letzten näher verwandt, stellen. Es wird so nicht mehr lange dauern und unsre ganze Systematik der wirbello- sen Thiere stürtzt zusammen und gruppirt sich ganz anders, wozu Ehrenberg, Nordmann etc. die Bahn gebrochen haben. Ich bemerke hier schliesslich, dass die oben ange- gebenen Thatsachen die Frucht von Untersuchungen an vielen Exemplaren sind; bei allen fand ich die Duplici- tät der Zeugungsorgane, bei vielen aber fehlten die Ei- erplatten, nie der Eierstock. Erklärung der Abbildungen. Fig. 8. Darmkanal und Geschlechtstheile von Anatifa laevis. a, Mund, 5, Magen, c, Darm, x. Aftaröffnung. d, Hoden mit dem ver- zweigten Samengefäss, e. erweiterter Samengang (Samenblase), f. schwanzförmiger Anhang (Ruthe). Fig. 9. Ein Theil des Hodens. Fig. 10 Ein Stück des Eierstockes. Fig. 11. Ein Ei aus der Eier- platte. Fig 12. Ein Stückchen Eierstock von Mactra. Fig. 13. Eine Eierplatte von Anatifa. histologischen Charaktere auch für die zoologische Systematik von In- teresse seyn. *) Ich halte die Schalenhaut der Cirripeden für einen wahren, die Schale absondernden Mantel. Er besteht aus einer structurlosen Haut, welcher zuerst das Thier locker umhüllt und so seine erste Haut bildet, unter welcher ein Muskelsack liegt, dem der Ascidien nicht unähnlich; vorne, wo das Thier an die Schale durch die Seitenmuskeln befestigt ist, schlägt er sich um zur innern Schalenwand, steigt auch in den Stiel herab und hier eben, in einer Duplicatur desselben, liegt der beschriebene Eierstock. Anm, Auch nach Martin St. Ange (L’Institut. Nr.62.) gehören die Organe, welche Cuvier als Eierstock, canales deferentes und Sa- menblase betrachtet, sämmtlich zu dem männlichen Geschlechissystem, Das Ovarium ist in der Höhle des Stieles eingeschlossen, mittelst des- sen die Anatifen sich befestigen. Diese Höhle und die Höhle des Mantels, wo die Eier sich anhäufen, sind durch einen kurzen Gang verbunden, welcher aus der Wurzel des Pediculus entspringt, längs des Grundes der Rinne in dem unpaaren Stück der Schale läuft und sich im Mantel öffnet, gegenüber der Stelle, wo sich die Eier sam- meln, D, Red. Ueber die Farbenveränderungen des Chamäleons. Von Milne- Edwards. (Annales des Sciences nat. 1834. T. I. p. 46 ff.) Icn hatte im Juni vergangenen Jahres durch Herrn Savart Gelegenheit, die Farbenveränderungen an zwei lebenden Cha- mäleons, die derselbe aus Algier erhalten hatte, zu beobach- ten. Das eine (No.1) war gewöhnlich grauviolett; in der Nacht, während tiefen Schlafes war es weisslich grau. Von Zeit zu Zeit zeigten sich längs der Seiten des Körpers schmut- zig gelbe Flecken und zuweilen bildeten sich an verschiede- nen Körperstellen andre rothe und selbst dunkelviolette Flek- ken. Einige Tage vor seinem Tode hatte das Thier eine gelbliche Färbung angenommen mit kleinen schwarzen Pünkt- chen, die sich nach und nach zu zusammenhängenden Flek- ken ausdehnten und endlich fast den ganzen Körper be- deckten. Die Farbe des andern (No.2) war gewöhnlich ein dunk- les, ins Schwarze spielendes Bouteillengrün, im tiefen Schlaf wurde es, wie No. 4, schmutzig weissgelb, am Tage sah man oft längs der Seiten apfelgrüne Flecken, die sich über den ganzen Körper ausbreiteten, wenn es am Fenster sass und zu entkommen hoffte. Als es krank wurde, zeigten sich ein- zelne gelbliche Flecken; doch behielt es bis zum Tode die allgemeine grüne Färbung. Es wechselte seine Farbe leich- ter als No.1, doch erfolgte die Veränderung bei beiden nur langsam und war von der Ausdehnung des Körpers völlig unabhängig, ein Beweis, dass der Farbenwechsel nicht, wie man jetzt fast allgemein annimmt, von dem Aufblähen der Lungen herrührt. Gleich nach dem Tode des ersten Exem- plars schnittt ich demselben ein Stückchen Haut ab, auf wel- chem man zugleich die schwärzlich rothe Farbe und einen breiten graugelben Flecken wahrnahm und untersuchte es mittelst der Lupe. Die Hautoberfläche ist bekanntlich mit einer Menge klei- ner, rundlicher Tuberkeln besetzt, zwischen denen man an- 475 dere, viel feinere Granulationen bemerkt. Einige Naturfor- scher haben angenommen, dass diese Tuberkeln gelblich und der Grund der Hautoberfläche anders gefärbt seyen, dass man die ersten sehe, wenn die Haut zusammengezogen sey, dass aber bei der Expansion der letztern die elle Punkte sich gleichsam auf der Farbe des Grundes verlieren. Allein auf den hellsten, wie an den dunkelsten Stellen war immer auf den Tuberkeln die Localfarbe am bestimmtesten. Man überzeugt sich aber mit Hülfe der Lupe leicht, dass an den schwärzlich rothen Stellen die den benachbarten Partien ei- genthümliche, graugelbe Farbe nicht völlig verschwunden, sondern nur durch eine Menge violettrother Punkte gedeckt war; jeder Tuberkel war mit solchen Punkten besäet, so dass er dem unbewaffneten Auge als eine gleichförmig tin- girte Fläche erschien, zwischen den 'Tuberkeln waren sie minder zahlreich. An der innern Hautfläche war diese dun- kele Farbe noch schwächer. Wo die Haut keine rothe Fär- bung zeigte, war die äussere Fläche nur graugelb und wie- der intensiver an den Tuberkeln, als in den Zwischenräumen derselben gefärbt. Wenn ich die Haut ausspannte, um die Tuberkeln von einander zu entfernen, so änderte sich diese Farbe nicht wesentlich. Dagegen zeigte sich an der innern Fläche dasselbe Violettroth, welches anderwärts eben so wohl aussen, als innen erschien. Es schien mir daher ausgemacht, dass in der ganzen Haut dieses Thieres zwei gesonderte Pigmente existiren, ein Grau, mehr ins Weisse oder Gelbliche spielend, je nach den Körperstellen (es nähert sich nämlich auf der Bauchseite mehr dem Weissen, längs: des Rückens mehr dem Gelben ) und ein schwärzliches oder violettes Roth, und dass die Far- benverschiedenheiten ihren Grund darin haben, dass die letz- tere bald auf der Oberfläche erschien und sich mit der er- stern gewissermassen mischte, bald wieder sich unter der raugelben Lage verbarg. Die mehr oder minder intensiv a u Flecke, die vorübergehend während des Lebens erschienen waren, mussten von einer Ortsyeränderung des Pigments der tiefen Lage abhängen und in der That lassen sich alle während des Lebens beobachteten Erscheinungen aus der Mischung desselben mit dem oberllächlichen Pigment er- klären. Die Veränderungen, die bald nach dem Tode ein- traten, sprechen ebenfalls für diese Ansicht. Als ich näm- lich die Leiche des Chamäleon No. 1, dessen ganze Haut- oberfläche schwärzlich roth geworden war, aul eine kalte Marmorplatte legte, sah ich wie die Flecken sich beträcht- lich verkleinerten und an einzelnen Stellen völlig verschwan- den. An diesen letzteren hatte sich das dunkle Pigment gänz- lich unter das graue zurückgezogen. 476 Durch starken Weingeist, den ich auf die Haut des eben gestorbenen Thieres brachte, konnte ich ebenfalls das Verschwinden der rolhen Flecken bewirken und die Farbe herstellen, die während des Schlafs die ganze Oberfläche eingenommen hatte; denselben Erfolg hatten die concentrir- ten Säuren. Berührte ich dagegen mit einer alkalischen Lö- sung einen Theil der Haut, welcher die Farbe des ober- flächlichen Pigments zeigte, so entstand die umgekehrte Ver- änderung und die schwärzlich rothe Farbe trat hervor. End- lich gelang es auch durch blos mechanische Mittel, die die tiefe Pigmentlage nach der Oberfläche zu treiben geeignet waren, an abgetrennten Hautstücken die graugelbe Farbe der Oberfläche in eine dunkelrothe umzuwandeln, und die auf diese Art veränderte Haut bot unter dem Microscop den- selben Anblick dar, wie die durch den physiologischen Pro- cess re ch durfte voraussetzen, dass auch während des Lebens die verschiedene Färbung der Haut dadurch bedingt werde, dass das tiefe Pigment nach innen trete, oder in grösserer oder geringerer Br sich an der Oberfläche zeige. Wie diess möglich sey, lehrte die anatomische Untersuchung der Structur der Haut. Nachdem ich einen Hautlappen einige Zeit in einer ziem- lich concentrirten alkalinischen Lösung macerirt hatte, um die Theile, welche die Lage des Pigments verbargen, aufzu- lösen oder durchsichtig zu machen, sah ich, dass die dunk- lere färbende Substanz in der Dicke der Cutis in einer Menge kleiner Säckchen eingeschlossen war, aus deren jedem selır feine Verästelungen entsprangen, die sich bis nahe an die Epidermis, durch die oberflächliche Lage des grauen Pig- ments erhoben. Diese war über die Oberfläche der Cutis ausgebreitet und stellte das sogenannte Schleimnetz dar. Wenn demnach die Säckchen sich zusammenziehen oder durch Contraction der Cutis gepresst werden, so muss der Farbestoff in die Verzweigungen derselben treten, durch Zusammenziehung oder Pressung dieser letztern entleert er sich wieder in das Säckchen. Mehrere Gephalopoden bieten etwas Aehnliches dar. Die Haut dieser Thiere hat eine Menge Flecken, die abwechselnd erscheinen und verschwinden; unter dem Mikroskop zeigt es sich, dass diese Veränderungen abhängen von der Zusam- menziehung kleiner, eine gefärbte Flüssigkeit enthaltender Bläschen, die sich von der Oberfläche der Haut ziemlich weit in die Tiefe erstrecken *). *) Vergl. R. Wagner über das Farbenspiel und den Bau dei Chromophoren. Isis 1833. p. 159. 477 Die Untersuchung des zweiten Ghamäleons bestätigte die bereits erhaltenen Resultate. Ich fand hier ebenfalls zwei Pigmente, ein oberflächliches gelbliches oder weissliches, je nach den ie und ein tieferes [laschengrünes. Diess letztere zeigte die grösste Analogie mit dem violetten des ersten Chamäleons in seinem chemischem Verhalten und spielte auch bei einer gewissen Richtung gegen das Licht ins Violette. Man kennt mehrere Farbestofle, die eine an- dere Farbe zeigen, je nachdem sie bei auf- oder durchfal- lendem Lichte in mehr oder minder dichten Lagen gesehn werden, wie z.B. das Grünroth des Carthamus. Vielleicht beruhte auch bei beiden Chamäleonen die Verschiedenheit des tiefern Pigments auf une einem geringfügigen Unter- schied im Cohäsidusmiktan ,„ und es könnte dann dasselbe Individuum nicht nur die Veränderungen zeigen, die wir be- obachtet haben, sondern auch vom Grün ins Violett übergehn. Ueber den Ramus lateralis Nervi vagi bei den Batrachiern. (van Deen, Diss. inaugur. de differentia et nexu inter nervos vitae animalis et vitae organicae, Lugduni-Bat: p.96. — Ders. over de zijdelingsche Takken dar zwervende zenuw van den Proteus anguinens, aus; Bijdragen tot de Natuurkundige WVetenschappen. 1834.) In der Larve der Rana paradoxa habe ich einen Ast des N. vagus gefunden, der, wie bei den Fischen längs der Seite des ganzen Körpers verläuft. Er liegt gleich unter der Haut, neben der Längsfurche, die jederseits zwischen den Mus- kelbündeln des Schwanzes vorhanden ist. So leicht man ihn an dieser Stelle auffindet, so schwer ist es, bei wenig entwickelten Larven ihn bis zum Ursprung zu verfolgen. Erst nach vieler Mühe gelang es mir, zu sehn, dass er zusam- menhängt mit den Aesten, die zu den Kiemen gehn, dann mit einem Nerven, der an die Eingeweide tritt, endlich mit einem, der sich im Kopfe zu verzweigen scheint, aber so dünn ist, dass er sich bald dem Auge entzieht. Im Anfange der Metamorphose wächst dieser Seitennerve, wie die übrı- gen Aeste des N. vagus noch fort, wird länger und stärker, so dass man die Verzweigungen des Vagus ebenso leicht wahrnimmt, als bei den Fischen. Mit dem Seitennerven wächst 475 auch der Schwanz noch. Erst mit der vollendeten Ausbil- dung der vorderen Extremitäten ist sein Wachsthum beendet, dann werden auch die NN. laterales allmählig dünner und verschwinden, wodurch zugleich das. Verschwinden des Schwanzes bedingt ist. Die Entdeckung des N. lateralis bei der Larve der Rana paradoxa brachte mich auf die Vermuthung, dass derselbe wohl allen Reptilia dipnoa, so lange sie durch Kiemen ath- men, zukommen werde, namentlich den Salamandern, so lange sie Kiemen haben, den Caecilien, so lange die Kie- menlöcher vorhanden sind, endlich den Amphiumen, Siren und Proteus durchs ganze Leben, weil diese auch durchs ganze Leben ihre Kiemen behalten. Durch die Güte des Directors des königi. naturhistori- schen Museums, Herrn Temmink, wurde ich in Stand ge- setzt, meine Vermuthung bei einem Proteus anguineus voll- kommen bestätigt zu sehn. Ich fand aber keineswegs ei- nen einzigen Ramus lateralis, wie bei der Larve von Rana paradoxa, sondern zwei, welche beide, der eine etwas tiefer als der andre, in den Muskel gehn. Bevor ich jedoch zur nähern Beschreibung dieses und der anderen Zweige des Vagus dieses Thieres schreite, muss ich Zap bemerken. Ich hatte schon einen Zweig, den tief liegenden nämlich, gefunden, und eine Strecke ver- folgt, als mir das Werk von Rusconi in die Hände kam *). Ich fand auf Tab. IV. Fig. 4 und 9 unter den Nerven des Gehirns auch den Vagus zum Theil dargestellt. Dieses schien auf den ersten Blick meine fernere Forschung nach genann- tem Nerven bei diesem Thier überflüssig zu machen, um so mehr, weil ich auf Tab. IV. Fig. 9 einen Zweig (r) gezeich- net sah, worüber Rusconi Folgendes sagt: „Dieeio o ramo che cammina lungo la linea laterale e sı disperge pe’ mus- coli della spina.“ — Da ich jedoch meine Untersuchung weiter fortsetzte, mehr um Rusconi’s Mittheilung bestätigt zu sehn, als mit der Absicht etwas Neues zu entdecken, wurde ich bald überzeugt, dass jene Aussage in einer Hin- sicht unvollkommen, in einer andern ganz unrichtig war. Aus den Worten jenes Schriftstellers geht wohl hervor, dass er den Ramus lateralis beim Proteus kannte, aber er hat ihn keineswegs genau verfolgt und dargestellt; auch sagt er nicht dass zweı Kami laterales vorhanden sind, so wie er denn ebenfalls die Analogie dieser Nerven mit gleichartigen Zwei- gen bei den Fischen übergangen hat. Aber Rusconi irrt nicht allein in Hinsicht des hier *) P. Configliachi e Rusconi Del Proteo anguino di Lau- renti. 1819, Pavia. Fol. 479 insbesondre angegebenen Zweiges des herumschweifenden Ner- ven; auch die meisten anderen Zweige dieses Nerven sind durch ihn unrichtig beschrieben und abgebildet. Man würde auf den ersten Blick glauben, dass der tief liegende Ramus lateralis wirklich ein Muskelnerv ist: bei al- len Fischen, die ich untersucht habe, läuft er, wenigstens die gröste Strecke, tief in der Muskelmasse, wie diess auch bei Proteus anguineus der Fall ist; eine genauere Untersuchung zeigt jedoch, dass diess sich nicht so ver- hält. Ich bibe nicht einen einzigen Zweig in den Muskeln endigen gesehn; der Nerv läuft vielmehr durch die Muskel- masse hiedurch. An den sehnigen Zwischenräumen der Mus- keln ist er in der Grube des seitlichen Muskels manchmal so fest durch Zellgewebe befestigt, dass es scheint, als bilde er hier kleine Zweige, die zu den Muskeln gehn. Tah habe aber niemals deren gesehn, weder bei den verschiedenen Fi- schen, die ich untersuchte, noch beim Proteus. Der ganze Verlauf des Nerven scheint mir vielmehr anzudeuten, dass er für die Haut des Schwanzes und dessen Flossen bestimmt ist, denn er erhebt sich allmählig nach dem Ende des Fi- sches aus der langen Grube, worin er hauptsächlich am Kopf- theil des musculus lateralis tief liegt, und nähert sich der Haut des untern Theils des Schwanzes, an welche er kleine Zweige abgiebt. Ganz am Ende des Schwanzes, auf dem flachen dreieckigen Theil des letzten Wirbels verbindet er sich mit den letzten Nervi interspinales, und bildet einen Plexus, aus welchem nach der Haut der Pinnae caudales kleine Zweige gehn. Die Verbindung mit den letzten Nervi inter- spinales ıst die einzige, welche ich gefunden habe. Guvier und Valenciennes *) haben daher geirrt, da sie glaubten, der Ramus lateralis profundus verbinde sich bei Perca Huvia- tilis mit allen Neryi interspinales. Diese Verbindung findet so wenig bei diesem, als bei irgend einem andern Fische statt. An ins ;Mhraena anguilla, Pleuronectes platessa, so wie auch an Perca fluviatilis habe ich den Nerven sehr genau untersucht. Die berühmten Verfasser der Histoire naturelle des poissons ha- ben sich durch die Appendices costarum der Perca fluviatilis irre leiten lassen; denn wenn man den Nerven von oben präparirt, liegen die Appendices so, dass man ber könnte, dass ein Zweig eines jeden Nerv. intercostalis zum Ramus lateralis laufe, da dach jene Aeste über diesen Nerven hinweg gehn, ohne sich damit zu verbinden. Durch eine aufmerksame Un- tersuchung kann ein Jeder sich hiervon leicht überzeugen. Die Richtigkeit dieser anatomischen Untersuchung, wodurch es sich deutlich ergiebt, dass der Ramus lateralis kein Mus- *) Histoire naturelle des poissons. I. p. 443. pl. V. F. F. 450 kelnerv ist, bestätigt sich durch die Versuche von Johannes Mueller, welcher durch Galvanisiren des Nerven keine Mus- kelbewegungen hervorbringen konnte. Ich habe selbst über diesen Gegenstand Versuche an Muraena anguilla angestellt, die jedoch noch kein genügen- des Resultat geliefert haben. Was sich aber daraus ergeben mag, so, viel kann ich mit Bestimmtheit erklären, dass dieser Nerv unmöglich bloss ein Muskelnery seyn kann. Denn, wenn ich auch etwa kleine Muskelzweige übersehn hätte, was ich jedoch nicht glaube, wenn auch die Resultate, welche J: ‚Mueller durch den Galvanismus gewann, unrichtig sind, was noch weniger denkbar ist, so steht es doch gewiss fest, dass dieser Nervenzweig zu der Haut, und hauptsächlich zu der Haut der Pinna caudalis geht. Diess Alles hat insbesondre Beziehung auf den Ramus lateralis profundus, über den Ramus superficialis kann noch weniger Zweifel seyn; denn Jeder wird sich leicht über- zeugen, dass dieser Nerv, welcher bei Fischen weder durch, noch zu den Muskeln läuft, kein Muskelnery ist. Man sieht. im Gegentheil deutlich kleine Zweige von ihm sich in der Haut verlieren, Schon hieraus geht hervor, dass der Ramus lateralis ein Ast des Vagus net nicht des Accessorius der Fische ist, wie Serrres und Rolando annehmen, denn der N. acces- sorius ist Muskelnerve. Die Functionen des N. lateralis scheinen, wie die des Va- gus, theils animalische, Leitung von Gefühlseindrücken, theils organische zu seyn. Es ist nämlich wohl anzunehmen, dass er der Respiratior der Haut vorstehe. Zu gleicher Zeit scheint er auch andere vegetative Wirkungen auszuüben. Sein Einfluss auf die Absonderung des Schleims der Haut wird sehr wahrscheinlich, wenn wir auf den Verlauf dieses Nerven sehen; denn bei den Thieren, wo er vorkommt, liegt er gewöhnlich an der innern Seite der Linea lateralis .cutis, und der Ramus profundus verläuft in dem Sulcus musculi la- teralis, an en Stelle viel Schleim abgesondert zu wer- den scheint, 481 Die Metamorphose des Eies der Batrachier vor der Erscheinung des Embryo und Folgerungen aus ihr für die Theorie der Erzeugung. Von Prof. Dr. K. E. v. Baer, (Hierzu Tafel XI. Fig. 1—16,) As Prevost und Dumas ihre Beobachtungen über die auffallenden Furchungen, die auf der Oberfläche der Froscheier zu erkennen sind, bekannt machten, mussten diese Beobachtungen ein lebhaftes Interesse bei den Phy- siologen aller Länder erregen, theils wegen der uner- warteten Erscheinung selbst, dass eine Dotterkugel, die zu einem Frosche werden soll, vorher von einem Netze geometrisch vertheilter Furchen überzogen wird, theils weil es unbegreiflich schien, wie ein so auffallendes Phä- nomen bisher den vielen Beobachtern der Froscheier und unter diesen einem Swammerdam entgangen seyn konnte, Was den letztern Umstand anlangt, so lehrt die Ge- schichte unserer Wissenschaft wohl auf jedem Blatte, dass die zunächst liegenden, ja mit Anstrengung gesuch- ten Entdeckungen den Beobachtern oft entgingen, wenn ihre Phantasie über die Einfachheit der Wirklichkeit weit hinaus ragte, Ich habe schon Gelegenheit gehabt, zu zeigen, dass eine grosse Anzahl guter Beobachter Müller’s Archiv 1834. 31 482 nach dem Eileiter unserer gewöhnlichen Muscheln mit einer Art Verzweiflung gesucht haben und ihn nur dess- halb nicht erkannten, weil sie gleich beim Eröffnen der Muscheln gerade hineinsahen, hierauf aber nicht vorbe- reitet waren, sondern auf unendliche Heimlichkeiten, und will nur noch hinzufügen, dass Haller und Kuh- lemann, wahrlich nicht ohne Ausdauer und Umsicht darnach suchend, wochenlang das Ei der Säugethiere verkannt haben, bloss weil es viel grösser ist, als sie — auf eine ungemeine Rleinheit gefasst — erwarteten. Für das Froschei aber, wo die Entdeckung nur zufällig. zu machen war, musste noch ein anderer Grund wirksam seyn. Er besteht darin, dass in. der nördlichen Hälfte von Europa der braune Frosch (Rana temp.) nicht nur viel häufiger ist, als der grüne Wasserfrosch (Rana esculenta), sondern dass der erstere auch, besonders zur Paarungszeit, sehr viel leichter zu haben ist. An dem Ei von R. esculenta, das die Deutschen fast aus- schliesslich, und eben so auch Swammerdam, vor Augen gehabt haben, sind aber, wegen der pechschwar- zen Farbe des dunkeln Abschnittes der Dotterkugel, die Furchungen nur bei aufmerksamer Beobachtung kennt- lich, auf der braunen Oberfläche vom Eie des grünen Frosches kann man sie. von WVeitem sehen, Es bleibt also nur auflallend, dass sie Spallanzani entgingen, und fast möchte man glauben, dass derselbe, der,von ihm mit Entschiedenheit verfochtenen Präformation zu Liebe, das Gesehene vielleicht verschweigen zu dürfen glaubte, Rösel, der mehrere Arten des hellern Laichs beobach- tet hat, war überhaupt mehr bemüht, das Gesehene treu darzustellen, als keinen Moment der Veränderung sich enigehen zu lassen. Das wesentliche Verhältniss der Furchungen ist Prevost und Dumas entgangen, indem sie, im eigent- lichsten Sinne des Wortes, bei der Oberfläche der Er- scheinung stehen geblieben sind, ohne Zweifel weil ihnen 483 kein Mittel bekannt war, das Eiweiss zu entfernen, um die Dotterkugel zu erhärter um sie einer Zergliederung zu unterwerfen*). Eben so scheint es Rusconi und allen anderen Beobachtern gegangen zu seyn, welche die Metamorphose der Dotterkugel der Frösche vor der Ab- grenzung eines Embryo untersuchten. Alle haben, so viel ich weiss, nur so viel von dieser Metamorphose er- kannt, als man an der äussern Oberfläche sehen kann. Allein auch die Berichte über das äusserlich Sichtbare sind nirgends genau genug. Dass eine Eintheilung der Kugelfläche in quadratische Felder, wie Prevost und Dumas sie sehr bestimmt beschreiben und abbilden, niemals vorkomme, kann ich mit der grössten Zuversicht behaupten, da ich seit drei Jahren mehrmals ganze Hau- fen von Eiern sowohl des grünen, als des braunen Fro- sches in diesen Metamorphosen verfolgthabe. Rusconi’s Darstellung ist weniger unrichtig. als lückenhaft, denn seine Nr. 6. Taf. II. **) kann nach dem allgemeinen Prin- cip der Theilungen gar nicht nach der dritten Theilungs- furche entstanden seyn, wie er glaubt, sondern erst nach der vierten, Am richtigsten ist Baumgärtner's Dar- stellung, doch enthält sie nur die erste Hälfte der Me- tamorphose. Es wird daher unerlässlich, um das Allgemeine und Wesentliche in diesen Vorgängen zu erkennen, sie noch- *) Solche Mittel aufzufinden, ist eben nicht schwer und sie sind von mir schon einmal im Vorbeigehen genannt, Hrn. Dr. Stein- heim darf ich wohl bitten, diese Stelle aufzusuchen. — Wird der- selbe dadurch veranlasst, einige meiner Arbeiten genau durchzugehen, so erhalte ich vielleicht die passendste Genugthuung für die Verdäch- tigung, die sich der Hr. Dr. in der Isis von 1829. gegen mich erlaubt hat. Wenn man auch grössere Batrachierlarven zergliedert und an den kleinen das Unglück gehabt hat, nur die Nabelschnur zu entlek- ken, so hat man dadurch noch nicht das Recht gewonnen, Berichte über die früheren Zustände zu verdächtigen. ”) Rusconi, döveloppement de la grenoyille commune. 1826. fol. 31 * 484 mals im Einzelnen zu verfolgen. Wir werden dabei immer von dem an der Oberfläche Sichtbaren beginnen und dann zu dem Innern fortschreiten, wollen aber zum bessern Verständniss gleich von vorn hinein bemerken, dass die an der Oberfläche sichtbaren Spalten nichts sind als die Gränzen von Theilungen, die die ganze Dotter- kugel erleidet. Ich wähle zur Demonstration die Eier des braunen Frosches, und werde der anderen nur ver- gleichungsweise erwähnen. Vom Baue der eben gelegten Eier bringen wir nur so viel in Erinnerung, als zum Verständnisse des Folgenden dienen mag. Wenn die Eiermasse gelegt und befruchtet ist, besteht sie aus einer Anzahl mehr oder weniger verdrückter Dottermassen, von denen jede von einer nur dünnen Schicht von dichtem Eiweiss umgeben ist. Sogleich aber fängt das Eiweiss an Wasser einzu- saugen, schwillt dadurch an und wird zum grössten Theile völlig durchsichtig. Zugleich gewinnt der Dotter eine kugelige Gestalt und dreht sich in seiner Haut, noch ehe diese Kugelform erreicht ist, innerhalb 5 bis 10 Minuten naeh dem Legen so, dass der dunklere Abschnitt nach oben gekehrt ist. Die Oberfläche der Dotterkugel zeigt nämlich zweier- lei Färbungen. Im Eie des braunen Frosches ist 2 bis 2. der Oberfläche pechschwarz, das übrige 4 bis 4 ist weissgrau. Wir nennen den Inbegriff dieser Kugelflä- chen das dunkle Feld und das helle Feld, die Mittel- punkte derselben den dunklen und den hellen Pol, die Linie zwischen beiden ist dieAxe des Eies. Eine Furche, die von einem Polzum andern verläuft und deren Ebene also durch die Axe desEies geht, nennen wir eine Meridianfurche. Eine Furche, deren Ebene senkrecht auf der Axe des Eies steht, nennen wir eine Aequato- rialfurche, wenn diese Ebene zugleich die Axe des Eies mehr oder weniger genau halbirt, eine Parallel- furche dagegen, wenn sie einem Pole viel näher steht, 485 als dem andern. Die WVahl dieser bestimmten und mit Consequenz unter sich zusammenhängenden Ausdrücke wird uns 'eine sehr genaue und dennoch nicht allzu wort- reiche Darstellung gar sehr erleichtern. Ueber den Bau der noch unveränderten Dotterkugel bleibt noch zu bemerken, dass das dunkle Feld durch eine ziemlich dünne Schicht von schwarzer Dottermasse gebildet wird, die wir den Ueberzug nennen wollen; dass unter ihm noch zweierlei Massen liegen, nämlich eine dunkelgraue Dottermasse unter dem Ueberzuge und eine hellgraue, die ohne Ueberzug nach unten das helle Feld bildet; dass zwischen beiden keine scharfe Gränzen, sondern ein allmähliger Uebergang sich findet. In dem Punkte, den wir den dunkeln Pol genannt haben, ist im schwarzen Ueberzuge, wenn das Ei gelegt ist, eine Lücke, der Keimpunkt. Sie führt durch einen Kanal in eine etwas tiefer liegende Höhlung, welche wahrschein- lich von dem verschwundenen Keimbläschen hinterlas- sen ist, Die umgebenden Häute aber, sowohl die Dot- terhaut, als die Häute des Eiweisses (eine äussere und eine innere ausnehmend zarte Begränzung dieser Substanz, auf deren Bildung einzugehen hier aber gar nicht zum Zwecke führen würde), habe ich auch jetzt, gegen Pre&- vost's Meinung, durchaus nicht durchbohrt finden kön- nen. Dass aber das gesammte Eiweiss sowohl, als auch die Dotterhaut Flüssigkeit einsaugen und durchlassen, ist nicht nur durch das Anschwellen und Auflockern des Eiweisses während der ersten Stunden klar, sondern durch die allmählige Ablösung der Dotterhaut von der Dotterkugel überaus wahrscheinlich, indem sich etwas Flüssigkeit zwischen der Dotterkugel und der Dotterhaut ansammelt, obgleich ein Theil davon aus dem Keimbläs- chen stammen mag. Nachdem nun einige Stunden auf das Anschwellen des Eiweisses und die Ablösung der Dotterhaut verwen- det sind, auch das Keimloch allmählig unscheinbarer und 486 mehr überdeckt wird, beginnen die Metamorphosen, 'wel- che wir hier schildern wollen und der Deutlichkeit we- gen in mehrere Momente theilen. Erste Umbildung, äusserlich kenntlich durch die Entstehung der ersten Meridianfurche. Am Schlusse der fünften Stunde nach dem Legen bildet sich die erste Meridianfurche, vom dunklen Pole aus und schreitet nach beiden Seiten als Bogen eines grössten Kreises allmählig gegen das helle Feld fort und in dasselbe hinein, bis sich beide. Schenkel erreichen. Seine Form ist ungemein scharf, denn oft ist der Kreis ganz regelmässig und wenn beide Schenkel im Augen- blicke, wo sie sich erreichen, einen Winkel mit einander bilden, so weicht dieser wenigstens nur unbedeutend von 180 Grad ab. Der Fortschritt erfolgt nicht ganz conti- nuirlich, sondern ein wenig absatzweise und zugleich so, als ob eine Schwierigkeit zu überwinden wäre. Man sieht nämlich die Furche so sich verlängern, dass die Dottermasse nach beiden Seiten aus einander weicht, indem zugleich die Wände der in der Bildung begriffe- nen Furche zarte, bald vorübergehende Falten werfen, zuweilen auch ein leises, doch deutlich bemerkbares Zittern durch die angränzende Dottermasse fährt. Man sieht schon hieraus, dass die Dottermasse nicht gleich- sam durch ein unsichtbares Instrument ausgefurcht wird, sondern dass sie durch einen lebendigen Act von einan- derreisst. Die trennende Kraft wirkt auch nicht bloss in der Oberfläche, sondern durch die ganze Dotterkugel, denn nach Beendigung der Meridianfurche ist die Quer- axe des Eies bedeutend grösser als die Höhenaxe; beide verhalten sich wie 6:5 und ohne Zweifel würde die seit- liche Verlängerung noch bedeutender seyn, wenn nicht die ziemlich feste Dotterhaut zu wenig nachgäbe. Da- mit stimmt es auch, dass die Eier der Salamander, die schon ursprünglich länglich sind, durch die erste Meri- 487 dianfurche so tief getheilt werden, dass zwei wenig zu- sammenhängende Ellipsoiden neben einander zu liegen kommen. Dass die Furchen nicht ausgegraben werden, auch nicht unmittelbar und vorherrschend durch eine Tendenz der Oberfläche, sich einzufalten, entstehen, ist daraus erkenntlich, dass jeder Theil einer Furche bald nach seiner Entstehung am breitesten ist, nachher aber, wenn an einer andern Stelle die Furche breiter wird, wieder zusammengeschoben wird. Sebr deutlich kann man dieses Verhältniss schon in der ersten Furchung sehen, denn wenn die Furche noch nicht über das dunkle Feld reicht, ist sie hier sehr breit. Dieselbe Breite erreicht sie im hellen Felde überhaupt nie ganz, aber indem sie dahin fortschreitet und an diesen Enden brei- ter ist, als später, schiebt sie sich oben zusammen. Ja ich habe zuweilen gesehen, dass während das eine Ende sich breit aus einander legte, das andere zusam- mengeschoben ward, darauf dieses zweite sich ausbrei- tete und das erste zusammenschob, und so abwechselnd beide Enden der Furche einander zu bekämpfen schie- nen, bis sie endlich sich gegenseitig erreichten, Der aufmerksame Beobachter hat also durchaus die Ansicht als ob eine lebendige Kugel sich in zwei Hemisphären theilen wollte, dabei aber die Zähigkeit der eigener. Masse und den Widerstand der Dotterhaut zu überwin- den hätte. Das WVesen dieses ersten Moments der Me- tamorphosen besteht also darin, dass dieDotterkugel sich in zwei Hemisphären zu theilen beginnt, oder noch richtiger in zweilugeln, die aber an ein- ander gedrückt bleiben. Dennoch faltet sich der Ueber- zug wirklich ein, wie man daran erkennt, dass während der Bildung der ersten Furche der dunkle Abschnitt of- fenbar kleiner wird, als der helle. Dass der Ueberzug aber nicht immer bis auf den Boden der Spalte sich fortziehen lässt, werden wir sogleich hören. Nach Vollendung der ersten Furche tritt eine schein» 488 bare Ruhe ein, allein diese ist eben nur Schein, denn die Spaltung schreitet von Aussen unbemerkbar im In- nern fort. _ Davon überzeugt man sich, wenn man er- härtete Eier zergliedert. Doch wird die völlige Thei- lung nie erreicht, bevor die zweite Furche beginnt, denn man findet, wenn man die beiden Hemisphären eines er- härteten Eies aus, dieser Zeit von einander bricht, dass sie nach unten in einem kreisförmigen Umfange zusam- mengehangen haben und einen unregelmässigen, im glück- lichsten Falle muschligen Bruch hinterlassen, während sie im übrigen Umfange völlig glatte Flächen zeigen (vergl. unsere Fig. 10. x.). Zugleich erkennt man bei diesem Auf- brechen, dass der dunkle Ueberzug nicht viel tiefer ein- gedrungen ist, als man von Aussen in: einen weit geöff- neten Theil der Furche hineinsehen kann, dann aber durchrissen ist. Zweite Umbildung. Erscheinung der zweiten ‚Meridianfurche. Sechs bis sieben Stunden nach der Befruchtung be- ginnt die zweite Meridianfurche. Sie geht aus dem dun- klen Pole nach beiden Seiten in rechten Winkeln von der ersten Meridianfurche gegen den hellen Pol, auf eben die Weise sich ausfurchend, wie die erste. So lange sie nur auf die dunkle Hälfte beschränkt ist, öff- net sich der Pol in eine weite vierschenklige Grube; in- dem'sie fortschreitet, schiebt sie nicht nur die erste Me- ridianfurche zusammen, sondern auch die Polgrube. Also auch hier eine neue Spaltung der Halbkugeln in zwei Viertelkugeln, wobei der Dotter seine längliche Gestalt verliert, und weil eben diese Zerspal- tung die Hauptsache ist, und nicht die Bildung der Furche selbst, so kommt es häufig vor, dass die Furche nicht ganz von derselben Stelle nach beiden Seiten aus- geht, sondern die Furche der einen Halbkugel etwas vor der der andern steht und dass ferner die Winkel sich [ 489 mehr abrunden, weil eben vier Einheiten aus der ur- sprünglichen einzigen sich bilden wollen. Dass auch die zweite Meridianfurche im hellen Felde langsamer fort- schreitet und weniger tief einschneidet, bleibt noch zu bemerken. Nachdem äusserlich Ruhe eingetreten zu seyn scheint, schreitet die Sonderung dennoch im Innern fort. Ein erhärtetes Ei zerspringt am Schlusse dieses Moments in vier Kugelvierlheile.. Längere Zeit erhält sich aber noch ein Theil des ursprünglichen Zusammen- hanges, wie in unserer Fig. 11. abgebildet ist, in wel- cher man zugleich bemerkt, dass der innere Canal der obern Hälfte des Dotters sich sehr erweitert hat, denn alle Theilungen, wie in der Folge noch deutlicher wird, gehen auch von hier aus der äussern Oberfläche entgegen. Dritte Umbildung durch eine Aequatorial- furche. Die vorige Umbildung währt gewöhnlich nicht voll zwei Stunden. Dann bildet sich entweder schon vor Beendigung der zweiten Meridianfurche, oder nachher eine Aequatorialfurche, die jedoch stets dem dunkeln Pole näher ist als dem hellen. Im Ei des grünen Fro- sches ist diese Differenz noch auffallender und es wun- dert mich daher, dass Prevost diesen Umstand nicht bemerkt hat, Die Aequatorialfurche verlängert sich nicht etwa von einem Punkte nach beiden Seiten bis zum ge- genüber liegenden, sondern fast in allen Meridianen zu- gleich und nach beiden Seiten, so dass ihre einzelnen Schenkel auf allen vier Kugelvierteln Vereinigungspunkte haben; dennoch ist ein bestimmter Unterschied darin, dass sie aus den beiden Hälften der ersten Meridian- furche stets früher, und etwas später an der zweiten Meridianfurche sich zeigt. Schon dieser Ausgang aus verschiedenen Punkten macht es nun immer augenschein- licher, dass das Halbiren der schon gesonderten Massen das Bestimmende der Theilung ist. Für die Aequatorial- 490 furche kommt; noch hinzu, dass ihr eine Spaltung von der innern Höhlung aus entgegenwächst, die aber dem Pole näher abgeht. So. zeigt unsere Figur 12. den senk- rechten Durchschnitt einer Dotterkugel vor vollendeter Aequatorialtheilung, Fig.13. nach der Vollendung der- selben. Das VVesen dieses Moments besteht also darin, dass die Dotterkugel in acht rechttwinklige Kugel- dreiecke getheilt würde, wenn sich nicht jetzt schon die Winkel und Kanten trotz des VWViderstandes der Dot- terhaut stark abrundeten, Vierte Umbildung, Theilung der Dotterkugel in acht Massen durch die dritten Meridian- furchen. Die neue Theilung trifft acht Massen und muss da- her in zweien grössten Kreisen bestehn. Sie gehen durch die Axe des Eies und erscheinen also äusserlich wieder als Meridianfurchen, die wie immer vom dun- keln Pol beginnen, dann über die Aequatorialfurche weg gegen den hellen sich verlängern. Ihre Bildung wird durch eine starke Erweiterung der Polgrube eingeleitet, Weil aber‘die gesonderten Massen sich schon stark ab- gerundet haben, auch die Unregelmässigkeiten früherer Theilungen Einfluss gewinnen, so sind sie noch weniger regelmässig. Dennoch ist das Princip gar nicht zu ver- kennen und es ist auffallend, wiePrevost und Dumas die Furchen dieses Moments als parallel mit der ersten Furche beschreiben konnten. Ja ich habe Dotterkugeln von beiden Froscharten gesehen, deren dunkle Hälfte ganz genau in acht gleiche Kugeldreiecke getheilt war, wie die Form in Figur 4. Die helle Hälfte des Dotters ist immer weniger regelmässig, als die dunkle, weil, wie gesagt, jede frühere Unregelmässigkeit spätere erzeugt, hier aber die erste Kreisfurche schon Schwankungen zeig. Wenn aber die T'heilungen dieses Moments bis nach innen durchgedrungen sind, so dass die Theile ganz 491 gesondert sind, so runden sich die Massen noch mehr ab, als bisher geschehen konnte und schieben sich nun unter einander etwas zurecht, je nachdem es der Raum | erlaubt und die Grösse jedes Stückes es verlangt. Rlei- nere Stücke werden ganz vom Pole und .der senkrech- ten Axe des Eies weggedrängt. Die innere Höhle hat sich bedeutend erweitert. Der Canal aber ist nicht mehr deutlich, weil die nun losen Stücke der obern Hälfte gegen einander gedrückt sind. Vergl. Fig. 13. Fünfte Umbildung. Theilung des Dotters in 16 Massen durch Parallelfurchen. Brom- beerform, Die acht Theile der Dotterkugel spalten sich wieder und zwar so, dass von allen die Spitzen abgeschnitten werden. Es erscheinen also Parallelfurchen, aber frei- lich aus den verschiedenen Meridianfurchen beginnend, weswegen die einzelnen Ausgänge sehr bald zusammen- treffen und kaum hat man die T'heilung auf der einen Fläche bemerkt, so ist sie auch in einer andern erfolgt und bald im ganzen Umfange vollendet. Man hat nun acht Circumpolarfelder und acht Aequatorialfelder in der obern Hälfte der Dotterkugel. Da aber alle Vorgänge in der obern Hälfte der Dotterkugel früher erfolgen, als in der untern, so ist die Bildung der obern Parallel- furche ganz getrennt von der untern und früher vollen- det, als diese beginnt, Ferner wird es jetzt ausseror- dentlich augenscheinlich, gleichsam mit Fracturschrift geschrieben, was bei der Bildung der Aequatorialfurche schon angedeutet wurde, dass bei aller Regelmässigkeit der Theilungen die Massen um so grösser werden, je weiter sie nach unten liegen. Die Circumpolarmassen des dunkeln Pols sind die kleinsten; ihnen folgen die un- ter ihnen liegenden Aequatorialmassen; grösser sind die Aequatorialmassen der untern Hälfte; aber bei weitem am grössten die Circumpolarmassen des hellen Pols, die 492 überdies nach innen noch weiter hinauf reichen als; äus- serlich. Vergl. Fig. 14. Eben so ist die Abrundung in den oberen Massen viel stärker, als in den unteren, Alle sechszehn Felder der obern Abtheilung, denn kaum kann man mehr von einer Hälfte sprechen, da der Aequator selbst so hoch hinaufgedrängt ist, wie unsere Figur 14, bei xx. zeigt, schieben sich, sobald die Theilung vollen- det ist, so durch einander, wie es ihre Grössenverhält- nisse verlangen. Es ist ein wunderbares Schauspiel, un- ter derLoupe diesen plötzlichen Tumult in Dotterklümp- chen zu sehen. Manches Individuum wird von seinen unruhigen Nachbarn einigemal hin und her geschoben bevor es zurRuhe kommt. So gewinnt die Dotterkugel oben eine unregelmässige Gestalt, die an eine Brombeere erinnert, aus der es oft schwer wird, die ursprüngliche Lage zu bestimmen, obgleich diese Brombeerform nur in einer kleinen Verrückung der regelmässigen besteht. Doch ist es mir noch inımer gelungen, die acht Circum- polarfelder von den acht grösseren Aequatorialfeldern zu unterscheiden und aufzufinden, welche zusammengehö- ren. Nach unten ist noch fast gar keine Verschiebung erfolgt, weil die einzelnen Dottermassen noch mit schar- fen Kanten und ebenen Flächen, wie Mosaiksteine, an einander grenzen. Die innere Höhlung hat sehr bedeu- tend zugenommen, Diese Umbildung hat also 32 Dot- termassen gegeben. Sechste Umbildung. Zerfallen in 64 Dotter- massen. Himbeerform. Je verschiedener nun allmählig die einzelnen Dot- termassen geworden sind, desto mehr muss, da Lage, Grösse und Gestaltung der einzelnen Massen auf Ort und Zeit ihrer Theilung offenbaren Einfluss ausüben, jede folgende Umbildung wieder in gesonderte Momente zerfallen, So wird die sechste Umbildung durch vier verschiedene Vorgänge erreicht. Es spalten sich zuerst 493 die oberen Aequatorialfelder , die bedeutend mehr lang als hoch sind, der Quere nach, also durch eine senk- rechte Spaltlinie. Bald darauf geht es den unteren gleich- namigen Feldern eben so. Dann theilen sich die dun- keln Circumpolarfelder, so dass die Spitzen dem Aequa- tor parallel abgeschnitten werden, und ihnen folgen die ungemein viel grösser gewordenen unteren Circumpolar- felder. Die Theilung ist aber hier mehr schief der Länge nach. Ueberhaupt mehren sich die Unregelmässigkeiten. Bisher waren die Zahlen bestimmt, wenn auch die For- men schon durch die‘ fünfte Umbildung auffallend un- gleich wurden; denn nur sehr selten fand ich neun Ae- quatorialfelder, statt acht zu finden. Während der sechs- ten Umbildung ist es dagegen sehr häufig, dass eine Ae- quatorialmasse, die etwas länger ist, als sie seyn sollte, erst einen senkrechten Spalt und bald darauf einen zwei- ten bekommt, sich also in drei Massen theilt. Dagegen scheinen ganz kleine Circumpolarfelder der obern Region an der Theilung dieser Umbildung öfter gar keinen Theil zu haben. Selten werden also wohl genau 64 Felder zu Stande kommen. Auffallend ist es, wie viel rascher die Theilung er- folgt, je kleiner die zu theilende Masse geworden ist, Die Brombeerform war an einer Portion Laich, von der ich die Zeiten der Umbildung genau verzeichnete, zehn und eine halbe Stunde nach dem Legen vollendet. Eine Viertelstunde darauf war die Theilung der obern Ae- quatorialfelder kenntlich und in einer Stunde waren alle Momente der sechsten Umbildung vollendet und eine Form erreicht, welche, wegen der kleinen '"T'heilung, die Himbeerform genannt werden kann. Die innere Höhlung hat wieder zugenommen. Noch scheint jede einzelne Dottermasse die innere Höhlung zu erreichen, von den oberen kann ich es mit Bestimmtheit behaupten, obgleich die Zerlegung der Dotterkugel immer schwie- riger wird und unter vielen Versuchen nur diejenigen 494 gelingen, welche an Eiern angestellt werden, die nicht zu stark erhärtet sind. ‘Andere zerfallen bei der leise- sten Berührung in ihre 'constituirenden Massen. In der Siebenten Umbildung (Theilung in centrale und peripherische Massen. Chagrinform) aber erfolgt nun auch bestimmt eine Theilung quer durch den Radius. Noch gelang es, einige Eier mit Präcision zu spalten und mit Bestimmtheit zu erkennen, dass die innere Höhlung von einer doppelten Schicht von Dottermassen überdeckt war. Es ist also vollkom- men sicher, dass die frühern 32 Dottermassen der obern Region sich in obere und untere Hälften gespalten haben. Vergl. Fig. 15. Allein ich habe noch kein Ei aufgespai- ten, in welchem ich als Boden der Höhle auch nur zwei Reihen Dottermassen gefunden hätte, sondern vier und für weitere Umbildungen sechs. Es ist mir daher wahr- scheinlich, dass ein Zerfallen in ein peripherisches und ein centrales Stück in den sehr langen unteren Circum- polarmassen schon während der äusserlich sichtbaren Vorgänge der. vorigen Umbildung erfolgt ist oder we- nigstens begonnen.hat. Man kann in den Kerben, wel- che die untern Massen in Fig. 14. haben, schon die Ein- leitung. hierzu erkennen, Ueberhaupt lassen ‚sich die Grenzen der Umbildungen immer ‚weniger‘ bestimmen, Von der‘ Theilung in peripherische und centrale Massen kann man-äusserlich natürlich nichts wahrnehmen, allein da‘auch «äusserlich viel kleinere Felder sichtbar. werden, wodurch das. ganze Ei, besonders ioben, das Ansehn von Chagrin «erhält (unten bleiben 'sie immer grösser) 'so be- steht der. Uebergang in diese siebente Form wohl in'ei- ner doppelten Spaltung , welche aus jeder frühern Dot- termasse: vier, bildet und viermal’ 64 oder 256 Dotter- massen: für, den ‘von mir noch ‚nicht gesehenen Moment geben 'würde,; wo unter der Höhle zwei Reihen Bau- 495 steine lägen. Wo vier Reihen sind, wie: in Fig. 15., muss die Zahl bedeutend grösser seyn. Dieselbe Abbil- dung lehrt, dass: die innere Höhle anfängt sich 'regel- mässig zu gestalten, indem: die einzelnen Dottermassen wie die Steine eines Gewölbes sich an einander lagern. Achte Umbildung. Sandsteinform. Bei fortschreitender Bildung sieht man äusserlich und innerlich die Theilung sich mehren, ohne die Zahl der Massen bestimmen zu können. Ein ungefähres Mass mag es geben, dass ich gegen das Schlussende dieser Periode 80 bis 100 einzelne Massen auf dem Meridian zählte, was für den ganzen Inhalt der Kugel etwa 3000 geben würde. Aeusserlich werden die Felder so klein, dass die Dotterkugel unter‘ starker Vergrösserung das Ansehn einer aus Sandstein gearbeiteten ‘Kugel erhält; nur um den hellen Pol sieht man noch grössere Massen, zum Theil wie gerundete, zum Theil sogarı' noch wie beschnittene Pflastersteine. Bei aufmerksamer Betrach- tung dieser Gegend am lebenden Eie kann man sogar noch erkennen, dass das Princip der Theilung immer die Spaltung in zwei Hälften geblieben ist. :Die innere Höhle sieht wie die gut abgerundete Höhle eines Back- ofens aus. Vergl, Fig. 16. Neunte Umbildung, Einheit der Dotterkugel. Die Grenze der vorigen Umbildung lässt sich jetzt gar nichtmehr. bestimmen und ich will die neue nur von. da an rechnen, ‘wo die Oberfläche der :Dotterkugel völlig ‘glatt geworden zu seyn scheint.“ Nur bei sehr starker: Vergrösserung sieht man: mit Mühe am Rande der Bilder, welche das Mieroscop giebt, äusserst‘ undeut- liche Unebenheiten, welche den körnigen Baw erkennen lassen. Im Innern ist derselbe nur durch feine Zerthei- lung der Dottersubstanz kenntlich, ‘die nun aus vielen Tausenden von Körnchen besteht. Die Grenze zwischen 496 dem dunkeln und dem hellen Felde sieht im Anfange dieser Periode geflammt aus, wird aber immer mehr: verwaschen, indem sich zugleich die dunkle Färbung all- mählig gegen die helle ausdehnt. Die Dotterkugel ist durch die lange fortgesetzte Theilung wieder zu einem Ganzen geworden, indem die elementar gewordenen Körnchen durch ein verhältniss- mässig zähes Bindungsmittel zusammengehalten werden. Es gelingt daher auch wieder, die Dotterkugel nach Be- lieben zu spalten. Zehnte Umbildung. Der Keim und Einleitung zur Abgränzung des Embryo. Sehr lange besteht die vorige Form, bis sich die erste Spur der Abgrenzung eines Embryo zeigt. In einer Dottermasse, welche alle Bildungen bis zur Sand- steinform in 24 Stunden vollendet hatte und von der er- sten Theilung bis zu dieser achten Umbildung also nicht 20 Stunden zugebracht hatte, wurde die Oberfläche glatt und verharrte so 12 Stunden lang, bevor die 'erste Spur der Begränzung des Embryo sich zu erkennen gab, als ob völlige Leblosigkeit eingetreten wäre, Dennoch geht im Innern ‚die 'Theilung der Dottersubstanz weiter, in- dem die Elementarkörner feiner werden. , Aeusserlich gewahrt man nur die Veränderung, dass der dunkle Ue- berzug immer mehr gegen das helle Feld sich ausbrei- tet und endlich seine ganz verwaschene Grenze etwas genauer sich erkennen lässt. Ich bestimme diesen Mo- ment als den Anfang eines neuen Abschnitts: der Gestal- tung der zehnten Umbildung und rechne diese letztere bis zur ersten Abgrenzung des Embryo. Das helle Feld wird nämlich, je mehr es gegen das dunkle sich. verkleinert, um so mehr länglich, bis es endlich an dem einenEnde, durch eine schwarze Linie, eine ganz scharfe Begränzung gegen das schwarze Feld erhält. Dieser schwarze Bogen bildet endlich eine kleine Einsenkung 497 und damit ist das hintere Ende des werdenden Embryo scharf begrenzt. Seine vordere Begrenzung ist etwas später kenntlich, vielleicht nur weil sie ganz im schwar- zen Felde liegt. Der wahre Inhalt der zehnten Umbildung besteht aber darin, dass sich ein Keim vom übrigen Dotter ab- sondert. Diese Absonderung zeigt sich nicht nur in der Peripherie durch die oben erwähnte Begrenzung, son- dern auch in der Tiefe. Man unterscheidet deutlich in der Dottermasse, die über der innern Höhle liegt, eine obere Schicht, aus dunklerer Masse bestehend, von einer untern. Jene ist der Keim, wie die weitere Ausbildung zum Embryo lehrt. Ja ich glaubte in dem Keime selbst allmählig wieder zweiSchichten zu erkennen, von denen die untere grössere Elementarmassen hat, als die obere, so dass ich an die beiden Schichten im Keime der Vö- gel und anderen Lungenthiere erinnert wurde, die ani- male und die vegetative (das seröse Blatt und das Schleim- blatt mit dem Gefässblatte Panders). Wenn der Em- bryo sich bildet, werden diese Schichten sehr bestimmt gesondert. Hiermit geht für jetzt unsere Darstellung zu Ende. Allgemeine Bemerkungen über den Mechanis- mus der Theilungen. Es wird aber nützlich seyn, aus den Einzelnheiten das Allgemeine zusammenzufassen, das wir in folgenden Sätzen hervorheben: 1. Es ist schon öfter gelegentlich bemerkt, dass die Veränderungen, die man äusserlich an der Dotter- kugel bemerkt, durch ein Zerfallen derselben erzeugt werden; dass dieses Zerfallen, so weit man ihm mit Hs Untersuchung folgen kann, regelmässig in einer Theilung in zwei Hälften besteht, und dass nur durch eine lange Wiederholung dieser Theilung eine sehr grosse Anzahl von Massentheilen erzeugt wird. Das Auge kann den Müller’s Archiv, 1834, 32 498 letzten Theilungen zwar nicht mehr folgen, und es scheint vor der Abgrenzung des Embryo längere Zeit Ruhe zu bestehn. Da aber die beiden letzten Perioden, wie sie nach unserer Darstellung angenommen sind, sehr viel länger währen, als alle vorhergehenden, so ist es wahr- scheinlich, dass noch zahlreiche Theilungen einander folgen. Um so wahrscheinlicher wird diese Vermuthung durch den Umstand; dass die Dauer der T'heilungen von der ersten bis zu den späteren immer kürzer wird. 1I. Nochmals wollen wir ferner darauf aufmerksam machen, dass nicht die geometrische Form ‚der Furchen, wie man beim ersten Anblicke und nach Pre&vost's Darstellung glauben könnte, das Wesentliche seyn kann. Wir haben bemerkt, dass schon die zweite Meridianfur- che nicht an sich ein voller Kreis ist, sondern dass jede Hemisphäre ihre Meridianfurche für sich hat, und beide nur zusammenstossen wegen gleicher Grüsse der Halb- kugeln. So kommt es denn, dass diese beiden Hälften zuweilen im dunklen Pole nicht ganz auf einander tref- fen, sondern vor einander liegen, und etwa so erscheinen. In andern Fällen treffen sie zusammen, cD bilden aber schiefe Winkel mit der ersten Furche, z.B. so „wobei gewiss für die Gleichbildung der Hemisphä- & ren eine Störung stattgefunden hatte. Sollte die Aequatorialfurche ein grösster Rreis seyn, so würde sie nicht über der wahren Aequatorialebene liegen, und würde nicht aus verschiedenen Meridianen zugleich: begin- nen. Noch augenscheinlicher wird das angegebene Verhält- niss bei der Bildung der dritten Meridianfurche. Je nach- dem sich die Schenkel der kreuzförmigenPolgrube vor Be- - ginn dieser Furchen mehr oder weniger erweitert haben, ist ihr Ausgangspunkt auch mehr oder weniger vom Pol entfernt, und in demselben Masse wird die Furche selbst von ihrer normalen Richtung abgelenkt, so weit, dass zuweilen, wenn der erste Anfang der Furche weit vom Pol entfernt ist, diese nicht nach dem Aequator, sondern 499 nach der benachbarten Meridianfurche sich verlängert, und mehr einem Theile eines Parallelkreises, als eines Me- ridians ähnlich ist. Vergl. Fig.5. Wir werden sogleich einer allgemeinen Regel, die die Furchungen beherrscht und solche Abweichungen hervorbringen kann, erwähnen. Jetzt wenden wir uns zu der nächsten Umbildung und bemerken, dass auch die Parallelkreise nur ein Schein sind, weil die einzelnen Theilungsfurchen der früher ge- bildeten Dottermassen um so regelmässiger zusammen- fallen, je regelmässiger diese Massen selbst sind. Die vollste Evidenz giebt endlich die folgende Umbildung, indem sie Parallelkreise nach den Polen zu, aber senk- rechte Furchungen, also Meridiantheile nach dem Aequa- tor hin zeigt. Ueberdiess verlängern sich die senkrech- ten Furchen der obern Aequatorialzone nicht in. die gleichnamigen der untern Aequatorialzone, sondern wech- seln mit ihnen, und auch die Parallelkreise sind ja nur Sammlungen von einzelnen Bogen, sogar nicht einmal vollständige, wenn einige Felder gar nicht getheilt wer- ‘ den. Für die ferneren Theilungen hört bald jeder Schein von einer Beziehung zur Kugeltläche auf. II. Eine allgemeine Regel der Theilungen ist, dass wenn an einer isolirten Dottermasse eine Seite entschie- den länger ist als die anderen, diese von der neuen Thei- lung getroffen wird; nach dieser Regel müssen also noth- wendig die Aequatorialfelder durch senkrechte, die Cir- eumpolarfelder durch eine Horizontalfurche getheilt wer- den. Dieselbe Regel beherrscht auch selbst die Abwei- ehungen, So kommt es, dass wenn bei derBildung der dritten Meridianfurche die kreuzförmige Polgrube in ei- nem Schenkel sich besonders erweitert, im benachbarten aber nicht, wodurch die anstossende Seite der zwischen- liegenden Dottermasse am ersten Schenkel verkürzt wird, am letztern nicht, die neue Furche gegen diese Seite hingelenkt wird, wie Fig. 5. bei x. zeigt. 32* 500 IV. Uebersieht man die erzählte Geschichte der Thei- lungen, so geht aus derselben hervor, dass obgleich das Wesen der T'heilungen in Halbirung der vorhandenen Dottermassen besteht, diese Spaltung sehr regelmässig von der Peripherie nach dem Innern, nicht nur in Be- zug auf das Ganze, sondern auch auf die einzelnen Dot- termassen fortschreitet, und dass ferner in dem kleinen Canale, der aus dem Keimpunkte herabsteigt, eine Deter- mination zu Theilungen seyn muss, Für das letztere Verhältniss spricht zuvörderst die Lage der auf einander folgenden Theilungslinien. Nach- dem die Hemisphären abgesondert sind, scheint es gleich- gültig, durch welchen Theil der Peripherie sie sich hal- biren, da für diese Peripherie alle Dimensionen gleich sind. Die Theilung erfolgt aber nicht in der Aequato- rialebene, wie sich nach einer mathematisch gleichförmi- gen Vertheilung als Gegensatz gegen die erste Spaltung erwarten liesse, sondern nochmals geht vom Canal des Keimloches die Theilung in Form eines Meridians aus. Jetzt sind die vier Theile der Dotterkugel zweimal so lang als breit und müssen sich freilich nach der oben entwickelten Regel so theilen, dass die längste Dimen- sion halbirt wird d. h. in der Aequatorialebene. Allein dadurch sind acht Massen geworden, jede mit drei glei- chen Flächen und für die vierte die Kugelfläche mit drei gleichen Seiten. Es scheint nochmals gleichgültig, 'wel- che von diesen Seiten getheilt wird. ‘Die Theilung er- folgt aber wieder so, dass sie von dem Keimloche und seinem Canale ausgeht, d. h. in der Form von Meri- dianfurchen. (Vergl. vierte Umbildung.) Auch der Um- stand, dass früh aus dem erwähnten Canal Spaltungen den von aussen nach innen sich ausdehnenden entgegen wachsen, spricht für die Determination zu Theilungen, die aus diesem Canale wirkt. Ferner lässt sich der Fort- schritt jeder Form von Theilung von dem dunklen Pole zum hellen und der Umstand, dass gegen den letztern 501 hin immer die Massen derselben Theilungsform grösser ‘ sind, auch die Norm der Theilungen unbestimmter wird, “wohl nur aus dem Keimloche und seinem Kanale ver- stehen und lehrt, dass von dort eine Determination zur Theiling ausgehn müsse. Das ganze geometrische An- sehn der ersten Theilungen hängt eben mit einem VWVorte davon ab, dass durch das Keimloch diesen Thei- lungen ein bestimmter Ausgangspunkt und durch den Canal eine Axe gegeben ist. Wie be- gründet diese Behauptung ist, lehren abweichende Fälle, wo das Keimloch sich ziemlich von der Mitte des schwar- zen Feldes entfernt gebildet hat. Alle Furchen behalten ihre Beziehung zum Keimloche und dessen Canal und man sieht z. B. die Aequatorialfurche auf einer Seite tief in das helle Feld hineingehen, auf, der andern im schwarzen bleiben. Dass, abgesehen von dem innern Canale, die Spal- tungen von der Peripherie fortschreiten, lehrt der ge- sammte Bericht über den Verlauf der Theilungen, den wir fast ganz wiederhnlen müssten, um nachzuweisen, wie sich überall dieses Verhältniss geltend macht. Sollte aber Jemand meinen, wenn auch die Theilungen von aus- sen nach innen offenbar würden, so wäre dadurch noch nicht erwiesen, dass der Grund der Theilung von aus- sen nach innen fortschreite, sie lasse sich anders kaum denken, so bemerken wir dagegen Folgendes zum Be- weise des behaupteten Verhältnisses: man denke sich eine Kugel von weicher, züher Masse, etvra von nassem Thon. Diese Kugel soll plötzlich belebt werden von dem Bestreben, sich zu theilen. Wie wird der Erfolg seyn? Wirkt der Grund zur Theilung von der Mitte aus, so wird unfehlbar, mag nun der Zusammenhang der Sub- stanz zuerst im Innern oder im Aeussern aufgehoben werden, die Kugel sich zuvörderst verlängern und dann erst unter irgend einer Form theilen, — In dem F'roscheie ist es ganz umgekehrt. Die Dotterkugel furcht sich aus 502 an der Oberfläche und später erst verlängert sich die Axe die auf der Furche senkrecht steht. Die grosse Breite welche die Furche gleich anfangs bei geringer Tiefe annimmt, und die sie später nicht einmal behaup- ten kann, ferner die Faltungen und Zuckungen an den Wänden der Furchen beweisen augenscheinlich, dass es zuerst die Substanz der Oberfläche ist, welche aus einander weichen will, und dass dieselbe Tendenz erst allmählig nach innen vordringt. Die hier aufgestellten Normen für die Theilungen enthalten, glaube ich, eine Theoie der Umbildungen, so dass, wenn man den gegenseitigen Kraftwerth jeder die- ser Regeln abwägen kann, man den ganzen Vorgang a priori zu construiren im Stande ist, Folgerungen aus diesen Bemerkungen. Diese Betrachtungen über den Mechanismus der Thei- lungen mussten vorangeschicht werden, um zu der Frage über die lebendige Bedingung derselben überzugehen, I. Bedenkt man, dass sie beginnen, wenn die Auf- lockerung des Eiweisses fast vollendet ist (sechs Stunden nach dem Legen hat das Eiweiss seine grösste Auflocke- rung erreicht, eine Stunde früher, wo das Flüssigwer- den desselben bis zur Dotterhaut vorgedrungen ist, be- ginnen die Furchungen); — fügt man hinzu, dass die Theilungen unterbleiben, wenn das vom Eiweiss aufge- sogene Wasser nicht mit männlichem Zeugungsstoffe ge- mischt war; — erwägt man ferner, dass die aufgesogene Flüssigkeit augenscheinlich durch die Dotterhaut hindurch dringt und dass sie zuerst auf die Peripherie wirken und in dem Canale des Keimlochs ‚sich ansammeln muss, weil die Dotterkugel übrigens noch ziemlich eng an der Dotterhaut anliegt und dass, wie wir so eben sahen, der Mechanismus der Theilung nachweist, der Grund dersel- ben wirke von der Peripherie und von dem Canale des Keimlochs aus, so darf man wohl nicht zweifeln, dass 903 die Theilungen die unmmittelbarste Wirkung vom Ein- Alusse des zeugenden Stoffes sind. In wiefern der frü- here Inhalt des Keimbläschens, von dem mehr oder we- niger sich noch in dem Canale des Keimlochs und in der darunter liegenden Höhle des Dotters finden wird, hiezu mitwirkt, lässt sich schwer entscheiden. Offenbar aber ist, dass, so wie der mit Wasser verdünnte Zeu- gungsstoff die Dotterkugel erreicht, diese sich selbstthä- tig lebendig zeigt. Vorher hatte sie nur ein latentes Le- ben, denn wie lange oder kurze Zeit sie auch in der Erweiterung des Eileiters gelegen haben mag, durch künstliche Befruchtung wird das selbstständige Leben eben so sicher erweckt, als durch die natürliche, ll. Offenbar scheint es, dass nicht die Samenthiere das Wirksame im Sperma seyn können, sondern seine flüssigen oder noch feineren Bestandtheile, denn einen Weg, auf dem die Samenthiere zur Dottersubstanz ge- langen könnten, habe ich durchaus nicht zu finden vermogt. III. Dagegen ist es eine Wirkung der 'Theilungen, dass alle Dottermasse dem Einflusse des flüssigen und flüchtigen Bestandtheils des befruchtenden Stofles ausge- setzt wird. Man darf sich nämlich nicht vorstellen, als ob die gesonderten Dottermassen ohne Bindemittel neben einander lägen, was die Folge haben würde, dass zu- letzt die Dotterkugel nur aus einem Aggregat getrennter Körner, wie ein Haufen Erbsen, bestehen würde. Wenn man von einer wenig getheilten Dotterkugel, etwa aus der dritten bis fünften Umbildung, das Eiweiss mecha- nisch entfernt, was zwar sehr schwierig ist, aber mit Ausdauer doch ziemlich vollständig gelingt, und nun die unveränderte Dotterkugel zerlegt, so sieht man deutlich, dass zwischen den gesonderten Dottermassen eine Art Eiweiss liegt, welches durch die künstlichen Erhärtungs- mittel zerstört wird. Dieses Eiweiss war ursprünglich gleichmässig in der Dotterkugel vertheilt, sammelt sich 504 aber bei der Zerspaltung in den Spalten, als ob es der Dottermasse bei jeder Theilung ausgepresst wür« Das Kleinerwerden der oberen Massen scheint auch r durch ein stärkeres Hervortreiben des Eiweisses ver- ständlich. Hieraus wird evident, dass durch die durch- laufenden Eiweisswände die Dotterkugel in dieser Be- ziehung immer ihre räumliche Continuität behält, Daher kommt es, dass zuletzt wieder kleine Dotter- körnchen in einer Lage von Eiweiss liegen und mit die- sem zusammen,eine continuirliche Kugel bilden.” Nun leitet aber nach Spallanzani’'s berühmten Versuchen das Eiweiss den männlichen Zeugungsstoff oder wenig- stens dessen Wirkung. Es haben also die Zertheilungen des Dotters der Batrachier die Folge, dass die Dotter- substanz’in allen Theilen der Einwirkung des Sperma unmittelbarer ausgesetzt wird. Zu diesen Betrachtungen fügen wir nur noch hinzu, dass während der Zertheilungen die Dotterkugel an Um- fang zunimmt und wenn sie wieder glatt erscheint, sehr merklich grösser ist, als sie vorher war. Sie hat also wohl fortwährend Stoff von Aussen durch das Eiweiss aufgenommen. IV. Und wie äussert sich die erste Regung des Le- bens? Selbsttheilungen setzen sich so lange fort, bis die zahllosen neuen Individualitäten unendlich wenig Bedeu- tung haben und nur als Elementartheile eines neuen In- dividuums erscheinen; — durch einen lebendigen Vor- gang wird das frühere Individuum aufgelöst, ohne es ganz zu zerstören, und ein neues aus den Trümmern des- selben gewonnen; im neuen aber sondert sich, so wie die T'heilung weit genug vorgeschritten ist, ein Keim vom Dotter ab und später im Keime ein Embryo von der Keimhaut, kurz dieses Individuum ist der werdende Frosch selbst. Wir sehen also eine neue Individualität aus früherem Stoffe unter dem Einflusse des männlichen Zeugungsstoffes geworden, und diese Individualität be» 505 ınen mit dem Hinzutritt des an Zeugungs- stofles. _W. Gegen die Wichtigkeit, die wir den Theilungen ‚der Dottersubstanz des Eies der Batrachier zuschreiben, würde es sprechen, wenn bei anderen Thieren gar nichts Analoges wäre. Wir vermuthen aber, ähnliche Vor- gänge seyen da, nur mehr versteckt. Auffallend wäre es mir freilich, in den Eiern der Fische nichts Aehnli- ches bemerken zu können, wenn nicht die Dottermasse der von mir untersuchten Fische so ungemein durch- sichtig wäre. Leider sind alle Versuche, Eier von Lachs- arten zu erhalten, fruchtlos gewesen. Aber ohne die Me- tamorphosen der Froscheier genau zu kennen, habe ich schon bei einer andern Gelegenheit berichtet, dass die Dotterkörnchen im Vogeleie anschwellen und endlich in eine Masse ganz kleiner Körnchen sich aufzulösen scheinen. Hier ist nur [eine andere Form der Vertheilung. Sie ist nicht ein Spalten in zwei, sondern ein Zerfallen -in viele Massen, und wiederholt sich wahrscheinlich we- niger oft. Dass aber das Verhältniss zu dem befruchtenden Stoffe im Vogeleie eben so sey, will ich noch nicht be- haupten. Zwischen der Befruchtung der Eier der Ba- trachier und der höheren Thiere ist eine Differenz, die uns noch keineswegs klar ist, Wollte man aber einwenden, dass das Zerfallen der Dotterkörnchen des Vogels zu einer Zeit beobachtet ist, wo der Embryo schon sich bildet, so bemerke ich dagegen zuvörderst, dass offenbar auch .die Elemente des Keims viel feiner sind, als die der bossen KReimschicht vor der Befruchtung, und dass keineswegs behauptet werden kann, dass im Froscheie der T'heilungsprocess aufhöre, sobald der Embryo da ist. Ich bin vom Ge- gentheile ganz überzeugt und halte das Zerfallen der Dottermasse nur für das Prototyp aller histologischen Ausbildung. Ich glaube nicht, dass ein Elementarfaden 506 eines Muskels sich meben den andern lagert, sondern dass die zuerst gebildeten sich fortwährend spalten. Eben so die Nervenfäden *). - Anwendung auf eine Hauptfrage der Zeugungslehre. Endlich aber bringt die Geschichte der Metamor- phose der Dotterkugel der Batrachier die Lösung einer Frage von dem grössten Gewichte für die gesammte Lehre von der Zeugung und Entwickelung eines neuen Individuums mit einer Evidenz, die mir eben so uner- wartet als erfreulich ist. Es ist hier nicht der Ort, die alte Streitfrage über Präexistenz oder Epigenese des neuen Individuums voll- ständig zu erörtern. Erinnern will ich nur, dass sie noch nicht hat geschlichtet werden können. Wenn von der einen Seite auch die höchste Ausbildung der Hypo- these der Präexistenz, die sogenannte Lehre von der Präformation, welche annimmt, dass das gesammte Indi- viduum mit allen seinen Theilen vor der Befruchtung schon da war und durch diese nur zur Vergrösserung bestimmt wird, längst in das Gebiet der unbegründeten Phantasiegemälde verwiesen ist, so war damit doch noch lange nicht die ganze Frage gelöst, am wenigsten durch Beobachtung. Auf der andern Seite nämlich ist es eben so gewiss, dass alle einzelnen Theile des neuen Indivi- duums nur durch isolirte Umbildung eines vorher schon gebildeten, allgemeinen Theiles sich formen. Alle neueren Untersuchungen geben einen langen Commentar für diese Lehre, Der ganze animalische Abschnitt des Leibes der Wirbelthiere wird aus der obern oder animalischen Schicht des Keims, alle Theile der vegetativen Systeme aus der untern (innern), vegetativen Schicht herausge- bildet. Beide Schichten sind Ablösungen des Embryo, *) Ueber die Entwickelungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. 507 der Embryo eine Isolirung von einem Theile des Keims, und der Keim ist also unbezweifelt das unentwickelte Thier selbst. Aber der Bildung des Heims selbst: ist lange vor der Befruchtung schon die Bildung einer ähn- lichen Masse vorangegangen, die zwar weniger bestimmt geformt, aus weniger feinen. Elementarmassen gebildet, aber doch vom eigentlichen Dotter offenbar verschieden ist, Ich habe diese Masse dieKeimschicht genannt. Im unbefruchteten Froscheie ist der schwarze Ueberzug des einen Abschnitts eben diese Keimschicht. Nun blieb die Frage bisher offen, ob der Keim als die umgebildete Keimschicht zu betrachten sey, nur durch Befruchtung zur Entwickelung aufgeregt oder nicht. Dass er auch für den Fall der Bejahung sich umgeän- dert haben müsse, war augenscheinlich, so wie umge- kehrt, dass wenn beide nicht als identisch zu betrachten seyen, doch die Masse der Keimschicht für die Bildung des Keimes verwendet werde. Doch hierauf kam es nicht an, sondern "besonders darauf, ob die Keim- schicht als continuirliches Ganze und nicht als blosser Stoff zur Bildung des Keimes ver- wendet werde, denn nur im ersten Falle wäre die Um- bildung vollkommen so, wie sie später wirkt, Die Keimschicht der Froscheier ist vor den Fur- chungen ein Continuum. Auch während der Furchungen sieht man sie äusserlich, so weit das Auge in die Fur- chen reicht, und es bleibt also unentschieden, ob sie bloss eingefaltet ist. Allein an dem durch ‘Säuren erhärteten Eie, durch deren Wirkung die Keimschicht dunkelbraun, der übrige Dotter gelb wird, sieht man sehr bestimmt, dass die Keimschicht sich Anfangs in die Furchen hin- eingefaltet hat, dann aber durchrissen ist, so dass nur zwischenliegendes Eiweiss die Theile verbindet, Ihre Continuität wird also mit jeder Theilung aufgehoben und nur die Substanz wird zur Bildung von Keimen ver- wendet. 508 Geht man die Geschichte der Zeugungstheorien durch, so wird es klar, dass die Frösche es sind, wel- che der Lehre von der Präexistenz und Präformation Gewicht gegeben haben, denn Alles, was man in Bezug auf höhere Thiere für diese Ansicht gesagt hat, beruht auf blossen Vermuthungen. Allein an dem Froscheie glaubte der genaue Swammerdam zu erkennen, dass der ursprüngliche dunkle Ueberzug des Dotters sich un- mittelbar in die Froschlarve umwandle. Spallanzani ist so fest in dieser Ueberzeugung, dass er im J. 1768. „die von ihm bei Fröschen entdeckte Präexi- stenz des schon gebildeten Fötus vor der Be- fruchtung“ anzeigte und bei Belianntmachung seiner Be- obachtungen gleich zu Anfange sagt: „jetzt werde er sich bemühen, diese Entdeckung zur völligen Evidenz zu bringen.“ In der That aber hat die Ue- berzeugung sich seiner so bemeistert, dass er kaum einen andern Beweis vorbringt, als dass die Larve nicht aus dem Eie ausschlüpfe. Das thut sie aber vor aller WVelt Augen. Wären nicht alle Eihüllen des Frosches durchsichtig, so würde Spallanzani einen solchen Verstoss nicht haben begehen können. Dennoch ist Spallanzani die Stütze der Präexistenztheorie geworden, Unter allen Eiern, die ich kennen gelernt habe, schienen mir dagegen die Froscheier als die einzigen, an denen die Präexistenz widerlegt werden kann. Erklärung der Abbildungen. Von deu 16 hier beigefügten Abbildungen geben die 9 ersten die Ansicht der unzerlegten Dotterkugel des Froscheies in verschiede- nen Lagen und Entwickelungsstufen, die 7 letzten stellen senkrechte Durchschnitte derselben dar. Diese letzteren sind sämmtlich in der- selben Stellung, indem der dunkle Pol nach oben liegt. Die 9 er- sten Figuren mussten aber in verschiedener Stellung gezeichnet wer- den. Damit man sich bald orientiren könne, ist überall der dunkle Pol mit a. bezeichnet. Fig.1. zeigt die erste Umbildung, etwas von der Seite gesehen. 509 Fig. 2. die zweite Umbildung, ganz von oben. ‚Fig. 3. die dritte Umbildung, schief von oben. Fig. 4. die vierte Umbildung in ganz regelmässiger Form, eben so. Fig. 5. die vierte Umbildung sehr stark von der Regel abweichend und in der Bıldung begriffen, von oben. Fig. 6. die fünfte Umbildung, Brombeerform, eben so. Fig. 7. die sechste Umbildung, Himbeerform, von oben, Fig. 8. die siebente Umbildung, Chagrinform, von der Seite. Fig. 9. die achte Umbildung, Sandsteinform, eben so. Es ist zu bemerken, dass die beiden letzten Figuren so gestellt sind, dass der untere helle Abschnitt nach oben und "seitlich gekehrt ist, weil er sonst in den Schatten gefallen wäre und dunkel hätte gehalten werden müssen. Fig. 10. senkrechter Durchschnitt nach Vollendung der ersten Meri- dianfurche, a. das Keimloch mit seinem Kanale. x. die Stelle, wo beide Halbkugeln noch zusammenhängen, Fig. 11. senkrechter Durchschnitt beim Beginn der zweiten Meri- dianfurche. Fig. 12. senkrechter Durchschnitt nach Vollendung der zweiten Meri- dianfurche. Fig. 13, senkrechter Durchschnitt "nach Vollendung der Aequato- rialfurche. Fig. 14. senkrechter Durchschnitt durch die Brombeerform. Die Kante einer Cireumpolarmasse der hellen Felder ist zwischen den an- deren sichtbar. xx. die Aequatorialfurche. Fig.15. senkrechter Durchschnitt durch die Chagrinform. Fig. 16. senkrechter Durchschnitt durch die Sandsteinform. Die Zeichnungen sind unter meinen Augen von einem hiesigen Studirenden, Herrn Buro w, angefertigt, der gleiche Anlage zum Be- obachten und zum Zeichnen beurkundet, 510 Ueber die sogenannte Erneuerung des Magens der Krebse und die Bedeutung der Krebssteine. Von dem Professor Dr. K. E. v. Baer. a legrand nombre d'observations, qu'’on a faites sur certaines parties de l’histoire na- turelle, il y en a qui demeurent obscures et comme ignor&es, faute d’etre confirme&es par de nouvelles experiences, Cependant pour rendre la physique florissante, ce n’estpas as- sez de faire de nouvelles decouvertes, il est encore importantd’empächer, queles aneiennes ne se perdent, C’est pourquoi il faut quelque- fois remanier de nouveau certaines matieres, qui au bout d'un tems paraissent negligees, et dont on ne peut rien dire que sur la foi de quelqu’auteur, ä qui iln’est pas toujours sür de se fier.“ Mem. de l’acad&mie des sciences. 1709. p. 309. Diese Worte schrieb der jüngere von den beiden älteren Geoffroy’s, im J. 1709., als Einleitung zu einer Abhandlung über den Schalenwechsel der Krebse, in welcher er auch von der sogenannten Erneuerung des Magens spricht und nachweist, dass diese Erneuerung, so wie die Geschichte der Krebssteine von van Helmont 511 beobachtet sey. Heute, nach 125 Jahren, finden jene "Worte auf seine eigne Abhandlung eine so wunderbar vollständige Anwrendung, dass man sie wahrhaft prophe- tisch nennen kann. Sie enthalten auch die genügendste Rechtfertigung für uns, wenn wir hier ein in der That schon ziemlich genau untersuchtes Phänomen nochmals zur Sprache bringen, „car il est encore important d’empöächer, que les anciennes decouyertes ne se perdent.“ Viele Schriftsteller nämlich bezweifeln den Magenwechsel entweder gerade zu, oder übergehen ihn stillschweigend. Die meisten freilich stellen ihn nach Geoffroy’s Angabe dar. Die Magenerneuerung des Krebses gehört recht ei- gentlich zu den Dingen, „dont on ne peut rien dire, que sur la foi de quelque auteur.“ Dieser Autor ist vor allen anderen jetzt Geoffroy selbst, denn seit länger als einem Jahrhunderte scheint Niemand den Ma- genwechsel der Krebse einer gründlichen Untersuchung unterworfen zu haben. Wir werden in dieser Ueber- zeugung bestärkt durch die medicinische Zoologie der Herren Brandt und Ratzeburg, in welcher man gewohnt ist, ausser trefflichen neuen Untersuchungen die Beobachtungen Anderer vollständig benutzt zu. finden. Die Verf. berufen sich vorzüglich auf Geoffroy, aus- serdem auf Reaumur (1712.) und sagen: „Sehr merk- würdig ist, dass auch, während des Häutens, ein neuer Magen sich um den alten bildet und diesen förmlich ver- zehrt *).“ Freilich wäre ein solches Monstrum phy- siologicum horribile sehr merkwürdig! Doch sind diese Schriftsteller nicht die einzigen, die so berichten und wir führen sie nicht an, um sie zu tadeln, sondern aus Hochachtung, weil sie sich das Recht erworben haben, als Repräsentanten der jetzigen Kenntniss betrachtet zu werden. Es ist eben im Allgemeinen gültig, dass Schrift- *) Med. Zoologie. Bd, II. S. 67. 512 steller, welche den Magenwechsel nicht ganz übergehen oder bezweifeln, ihn auf dieselbe Weise darstellen, So nimmt, um nur noch ein Beispiel hervorzuheben, auch Oken in seiner Zoologie keinen Anstand, den neuen Magen um den alten herum werden zu lassen. Diese Darstellung beruht aber zunächst auf der Au- torität von Geoffroy, oder wenn man seinen Bericht genauer prüft, eigentlich auf van Helmont. Geoffroy erzählt nämlich, dass van Helmont glaube, zur Zeit des Schalenwechsels bilde sich eine neue Haut, die den Magen umgebe; diese neue Haut entstehe aus einem milchigen Safte wie Rahm auf der Milch und werde zum neuen Magen, Im weitern Verlaufe, wo Geoffroy die Geschichte der Krebssteine verfolgt, be- richtet er freilich, dass er eine Membran gefunden, die den alten Magen einschloss, und dass man nicht zweifeln könne, aus ihr werde der neue Magen *). Die Ansicht aber, dass diese äussere Haut sich neu gebildet habe, ist von vanHelmont und also ein wenig alt — ein jetzt zweihundertjähriges Erbstück, „auquel,“ um nochmals die Worte aus Geoffroy’'s Prophezeihung anzuwenden, „il n’est pas toujours sür de se fier.*“ Hätte Geoffroy jeneHaut für das, was sie ist, für den alten, bleibenden Magen angesehen, so hätten wir jetzt wenig oder nichts zu sagen, Im Gegentkeil aber haben van Helmont und mit ihm Geoffroy vor dem Schalen- wechsel einen todten, secernirten Ueberzug des Magens für den gesammten Magen angesehen, den lebendigen Theil des Magens dagegen für nichts erachtet. Reaumur hat wieder Geoffroy’s Meinung von der Neubildung des Magens ohne Prüfung angenommen und so ist es weiter *) Ayant lev& cette membrane, on y distingnait tr&s- parfaitement trois nouvelles dents toutes semblables ä celles du vieil estomac, de manitre, que l’on ne peut point douter, que cette membrane ne de- vienne par la suite le veritable estomac. 513 sangen, obgleich Rösel, ganz im Vorbeigehen, den ee richtig ansieht. Var Helmonts Physiologie kann nicht die unsrige seyn, aber er selbst kam schon in ein logisches Gedränge, Zuvörderst lässt er die neue Haut werden, dann eine Flüssigkeit zwischen ihr und dem Magen sich ergiessen, aus dieser Flüssigkeit aber soll die neue Haut wie ein Rahmhäutchen sich absetzen. Hier ist also das Frühere die Wirkung des Späteren*). WVäre es überhaupt denk- bar, dass ein zum lebendigen Organismus gehöriger Theil sich neu bildet, nicht durch Umwandlung, wie wird man es sich vorstellen wollen, dass der neue Magen, um den alten sich lagernd, unter den Ansatz der Muskeln kommt, die doch am alten Magen festsassen? Man wird leicht, wenn man nur den Gegenstand ge- hörig in’s Auge fasst, den wahren Hergang vermuthen, dass nämlich nur die innere, leblose Haut des Magens sich erneut, und es ist völlig unmöglich, dass nicht viele Naturforscher neuerer Zeit ihn erriethen **) und eine Bestätigung durch Beobachtung suchten. WVir glauben also in der That nicht, dass Jemand weiter nachgesucht habe. Wenn wir aber keine Berichte über solche Un- tersuchungen erhielten, so ist anzunehmen, dass die Be- obachter auf eine Schwierigkeit stiessen, die sie das Ver- muthete nicht gleich erkennen liess. Eine solche Schwierigkeit besteht in der That. Die äussere, lebendige Haut des Magens ist so zart und so durchsichtig, dass man durch sie hindurch die innere sieht und jene ganz vermissen kann, Allein durch Er- “ *) So wenigstens hat Geoffroy den van Helmont verstan- den, allein in der etwas dunklen Darstellung des Letztern (Lithiasis, Cap. 7.) ist vielleicht der Vergleich mit dem Rahmhäutchen nur auf die Krebssteine zu beziehen. *) So auch Oken bei Bearbeitung seiner Naturgeschichte für Schulen und in andern Hand- und Lehrbüchern, wo nur im Vor- beigehen des Magenwechsels erwähnt wird. Müller’s Archiv 1834. 33 514 härtung mit Weingeist oder Säuren kann man sich bald überzeugen, dass sie keineswegs sehr dünn, sondern, be- sonders kurz vor dem Schalenwechsel, viel dicker ist als die innere Haut. Nur ihre Durchsichtigkeit und Weiche macht sie unscheinbar, Diese Zartheit und Durchsichtigkeit kommt aber in den Krebsen auch in anderen inneren Theilen vor. Wir wollen nur an das Gefässsystem erinnern, Nachdem wir diese Bemerkungen vorausgeschickt haben, können wir über die Resultate unserer Untersu- chungen ganz kurz berichten. Der Magen des Krebses also ist, wie sich von selbst versteht, kein blosses Hornskelet, sondern besteht aus zwei Häuten, einer innern härtlichen, leblosen und einer äussern lebendigen. Die erstere ist eine Epidermis und also horniger Natur, aber in den verschiedenen Regio- nen sehr verschieden ausgebildet, so dass ein Theil ganz weich und biegsam ist, in dieser allgemeinen Haut aber einzelne, zwar auch biegsame, doch elastisch feste Plat- ten und andere ganz harte, selbst Kalk enthaltende Horn- stücke sich finden. Dieses Gerüste ist nirgends ganz vollständig beschrieben *). Unserm Zwecke liegt eine solche Beschreibung auch fern, doch, da wir sogleich auf einzelne Regionen hinweisen müssen, so können wir nicht vermeiden, Einiges hervorzuheben, was wir so thun wollen, dass man das Angedeutete leicht an jedem Flusskrebse wiederfinden wird. Abbildungen können die- ses Gerüste ohnehin schwerlich deutlich machen, da alle Theile in ganz verschiedenen Ebenen liegen. Der gesammte Magen des Krebses ist gekrümmt, in- dem der Schlund gerade aufsteigt und in den. vordern blasigen, durch eine vordere Mittelfurche etwas getheil- ten Abschnitt des Magens ohne bestimmte Grenze über- *) Am ausführlichsten noch in dem angeführten Werke von Brandt und Ratzeburg. f 515 geht; diesen Abschnitt nennen wir den Mundtheil. Er verlängert sich in einen viel kleinern herabsteigenden Theil, welcher der Pförtnertheil heissen mag. Wenn man nun die Schale des Hrebses wegbricht und den Magen von oben betrachtet, so sieht man in ihm zuvör- derst, ungefähr in der Mitte seiner obern Wölbung, den uerbalken, eine Kalk enthaltende Hornplatte. Vor dem Querbalken ist eine dünne durchsichtige Hornplatte, die Decke. Nur an den beiden äussersten Spitzen ent- hält die Decke etwas Kalk. Zwei Sförmig gekrümmte Seitenpfeiler sind an beide Enden des Balkens durch Gelenke angefügt. Hinter dem Balken aber liegt ein anderer zum Theil mit Kalk gefüllter Bogen, den wir das Joch nennen. Er ist von vorn nach hinten beweg- lich und besteht nicht aus einem Stücke, sondern aus dreien Stücken, einem Mittelstücke und zweien Seiten- theilen. Die Seitentheile des Joches sind durch Gelenke an die Pfeiler des Balkens befestigt. Diese Seitentheile sind sehr unregelmässig gekrümmt und bilden mit ihrer innern Fläche die grossen Seitenzähne, die mit scharfen Spitzen und Leisten nach innen besetzt sind. Das Mit- telstück des Joches ist mit dem Balken durch eine nach unten winklig hinabgeneigte Brücke von kleinen Platten verbunden. Ueber der Brücke ist also eine Vertiefung. An das Joch stösst zuvörderst ein dreieckiges Stück, An dieses stösst ein nach unten und hinten gerichtetes Stück, das den mittlern mit zwei Spitzen versehenen Zahn bil- det; darauf folgt ein quadratisches Stück mit zwei Er- habenheiten auf der untern Fläche. Zuletzt kommt ein schmales Rechteck, das an die lange Seite des Balkens sich anlegt, in jungen Krebsen aber kaum zu unterschei- den ist. Zur Seite und etwas nach unten von den Sei- tentheilen des Joches sieht man jederseits noch eine schmale Leiste. Nach Innen ragt sie mit harten Spitzen vor und muss von Cuvier auch Zahn genannt seyn, weil sonst nicht die fünf Zähne herauskommen würden, 35 # 916 dieCuvier zählt. Noch mehr nach unten ist eine sehr dünne, nicht, kalkige, rundliche Seitenplatte, von der ein Rand mit einer Bogenlinie von Härchen oder Bor- sten besetzt ist. Vor diesem Bogen ist noch ein ähnli- cher mit Härchea. Zwischen beiden Seitenplatten ist unten ferner eine schmale dreiseitige Mittelplatte. Die äussere Haut des Magens ist allerdings ziemlich dünn, doch lange nicht so wie sie ihrer Durchsichtigkeit wegen auf den ersten Anblick erscheint. Es giebt sogar Stellen in ihr wo sie schr dick ist, namentlich zwischen dem Querbalken und dem Joche, wo sie die ganze, zwi- schen beiden Theilen befindliche Grube bis zu der Brücke von kleinen Zwischenstücken ausfüllt und in die Höh- lung des mittlern Zahns eindringt und zu beiden Seiten, wo sie eben so die Höhlung der- Seitenzähne ausfüllt. Durch Weingeist oder Säuren lernt man nicht nur ihre Dicke kennen, sondern man sieht auch, dass hier, wie im Allgemeinen im verdauenden Canale, zwei Schichten über einander liegen eine Muskelhaut und eine Schleim- haut. Es ist nämlich der ganze Magen, auch abgesehen von den isolirt ausgebildeten Muskeln, welche an das äussere Skelet gehen, von einer Schicht Muskelfasern umgeben, die zu beiden Seiten von der Grenze zwischen dem Mundtheile und dem Pförtnertheile des Magens sich strahlenförmig ausbreiten. Die Schleimhaut muss freilich weniger ausgebildet seyn, wo die Oberhaut so viel feste Masse enthält. Im Darme der Krebse ist es umgekehrt. Hier ist auch eine Oberhaut, allein sie ist sehr zart und dünn und dafür die Schleimhaut sehr dick. Vor dem Schalenwechsel liegen beide Häute des Magens (wir zählen die Muskelhaut und die wenig aus- gebildete Schleimhaut immer zusammen als eine einzige Haut) ziemlich eng an einander. Allein so wie der Schalenwechsel eingeleitet wird, trennen sie sich mehr und die Anheftung besteht nur da länger, wo Muskeln vom äussern Skelet an den Magen treten, Die Sonde- [1 517 rung wird erleichtert durch den Absatz der Krebssteirie, ‚welche sich zwischen beiden Häuten des Magens bilden. Wenn die erste, noch ganz flache Scheibe der Krebs- steine sich etwas zu verdicken anfängt, und diese Dicke auch nur noch 4 Linie beträgt, so fangen die zapfenför- migen Verlängerungen der äussern lebendigen Haut, die in den hohlen Zähnen stecken und als Zahnkeime dienen, auch an, sich mit einer harten Decke zu überziehen, Dieser Ueberzug beginnt von den äussersten Spitzen und schreitet sehr langsam fort, so dass erst kurz vor dem Schalenwechsel alle einzelnen Spitzen eines Zahns durch Verlängerung des festen Ueberzuges unter sich eben so in Zusammenhang kommen, wie es bei mehr- spitzigen wahren Zähnen der Fall ist. Da diese Bildung ziemlich mit der Entstehung der Krebssteine zusammen- fällt, so kann man sagen, dass so lange der Krebs Steine im Magen hat, er auch mit einer doppelten Garnitur von Zähnen versehen ist, wovon die neuen in den alten stek- ken. Nichts ist leichter als sich hiervon zu überzeugen. Auch ist es den ältern Beobachtern, namentlich Geof- froy undR&aumur nicht entgangen. In diesen in ein- ander liegenden Zähnen liegt auch wohl der Grund, dass die Krebse während dieser Zeit nichis fressen, gerade wie die Inseeten keine Nahrung zu sich nehmen, wenn die Fresswerkzeuge neue Ueberzüge erhalten haben, die in den alten stecken. So wie vor dem Schalenwechsel die lebendige, in- nere Schicht der allgemeinen Haut saltreicher und dik- ker wird, sö auch die lebendige oder äussere Haut des Magens. Da die letztere aber schon früher weich war, so wird sie jetzt so aufgelockert, dass sie fast wie Gal- lert aussieht. Dieses Ansehn mag van Helmont ver- leitet haben, eine Flüssigkeit anzunehmen, die zu dem neuen Magen gerinnen soll. Wenn nun die äussere Schale so weit gelöst ist, dass man sie vollständig von der Cutis abnehmen kann, Ir 518 so ist auch die Oberhaut des Magens überall gelöst. Ich habe aus einem solchen Magen das innere Hornblait mit allen seinen 'Theilen vollständig herausgenommen und gefunden, dass an der innern Fläche der lebendigen Haut nicht bloss die Zähne da waren, sondern auch die dik- ken Theile des neuen Magenskelets sich erkennen liessen, als: Balken, Joch u. s. w. gerade wie auf der Cutis eine neue Epidermis, doch noch ohne allen Kalk, sich zeigte. Wird nun die Schale wirklich abgestreift, so lüst sich auch der innere Magenpanzer ganz und liegt zusam- mengefallen, nicht in einem neuen Magen, sondern inı alten Magen, der aber rasch auf seiner ganzen innern Fläche eine neue Oberhaut erhält, so wie die alte nie- dergesunken ist. Natürlich liegen nun auch die Krebs- steine im Innern des Magens. Von der Oberhaut wer- den die dünneren Stellen bald aufgelöst und nur die hohlen Zähne mit den dicken Platten verbleiben einige Zeit in demselben. In grösseren Städten ist es selten, Krebse in diesem Zustande zu erhalten, wenn man sich dieselben nur vom Markte bringen lässt, weil die Fischer die ganz weichen Krebse, die sich nicht lange halten, gewöhnlich gleich wegwerfen und überdiess die Krebse in diesem Zustande sich bekanntlich noch eifriger ver- kriechen, als sonst, Auch werden die Zähne, weil sie ihrer unregelmässigen Gestalt wegen sehr beschwerlich fallen müssen, wohl ausgespieen, sobald der Krebs die Kraft dazu hat, Desto leichter ist es von dem längern Verbleiben der Krebssteine im Magen sich zu überzeugen. Man braucht nur in der zweiten Hälfte des Juli oder in den ersten Tagen des August's ein halbes Dutzend Krebse aufzubrechen, um wenigstens bei zweien die Steine im Magen zu finden, wenn sie auch bei andern noch in der Wand des Magens sitzen oder schon verdaut sind. Die Häutung erfolgt nämlich nicht bei allen Krebsen um die- selbe Zeit. Es ist mir daher unbegreillich, wie Rösel 519 hieran zweifeln konnte, und wie man noch jetzt häufig ‚die Krebssteine einen andern, von Rösel vermutheten, für den armen Krebs aber sehr grausamen Weg gehen lassen kann. Sie sollen die Magenwand zerreissen und durch das vordere Athemloch abgehen. Nicht nur ist dieses viel zu eng, sondern es müsste auch an irgend einer Stelle nothwendig noch die Haut durchrissen wer- den. In einer an Krebsen nur allzureichen Gegend gebo- ren, wo das langweilige Krebsessen dem Knaben eine zweimal täglich sich wiederholende Tortur war, habe ich mich mit Sammeln der Steine aus den gekochten Krebsen zu unterhalten versucht, und unter vielen Tausenden er- innere ich mich nicht ein einziges Paar ausserhalb des Magens gefunden zu haben. Wenn man dagegen einem ungekochten Krebse die Schale wegbricht, so reisst wohl einmal die Haut des gezerrten Magens über einem Steine durch, aber dann hat der Stein immer seine ursprüng- liche Pilzform und ist nicht corrodirt. Ich zweifle keinen Augenblick, dass die Rrebssteine den Stoff zur Ablagerung des Kalkes in die Schale her- geben, so oft auch in anderen Thieren die Vermuthung, dass hier oder da ein Organ sey, welches die Schale bereitet, unbegründet gefunden wurde. Auch ist hier kein besonderes Organ zur Bereitung der Schale, son- dern eine Ablagerung eines Stofles an einer secerniren- den Stelle des Magens und zu einer Zeit, wo die Krebse nach reichlicher Nahrung im Frühlinge keinen Kalk mehr in die Schale absetzen können. Sobald sich die innere Haut des Magens gelöst hat, und die Steine im Innern des Magens liegen, nehmen sie nicht nur rasch an Vo- lumen ab, sondern verändern auch ihre Gestalt, indem sie erst stumpf-kegelförmig und dann völlig flach wer- den, Die verlorne Substanz kann offenbar nur in die Flüssigkeit, die im Magen liegt und um diese Zeit im- mer braun ist, gekommen seyn, Auch lehrt der regel- mässige Verlust der Substanz und das Fehlen von klei- 520 nen Brocken, dass die Steine nicht mechanisch zerrieben sind, sondern chemisch aufgelöst, d. h. verdaut werden. Da nun zu gleicher Zeit die neue Schale sich mit Kalk füllt, so ist es wohl höchst wahrscheinlich, dass die Sub- stanz der Krebssteine in das Blut aufgenommen und in oder an der neuen Oberhaut abgesetzt wird*), Man hat zwar eingeworfen, dass auch bei Insecten nach der Häutung die Oberhaut sehr schnell erhärtet. Hiergegen ist aber zu bemerken, dass der Panzer der Insecten aus, Hornmasse, also aus erhärtetem Eiweiss besteht, welches die Haut immer rasch absetzen kann. Unter den ande- ren Thieren mit Kalkschale ist keins bekannt, in welchem die Schale so schnell sich bildete, oder überhaupt nur sich erneuerte **), Da run die Krebse die einzigen Thiere sind, welche in drei bis vier Tagen eine neue Kalkschale bekommen, da sie auch die einzigen sind, welche vorher einen Kalkvorrath im Magen absetzen, so würde nur die chemische Untersuchung mich überfüh- ren können, dass dieser Kalk nicht zur Schule ng verwendet werde. Die Untersuchung bestätigt aber die nahe liegende Vermuthung, indem man nicht nur im Mageninhalte von Hrebsen, die sich so eben gehäutet haben, fast immer Luftblasen sieht, sondern auch dieser Inhalt mit Säuren aufbraust. Misslicher dürfte es seyn, zu bestimmen, unter wel- cher Form die Krebssteine bei anderen Thieren vorkom- men, denn wenn sie auch zur Schalenbildung verwendet werden, so ist ihre morphologische Bedeutung damit noch nicht gegeben. Dass sie nicht ein Absatz aus zwei grünen, drüsenähnlichen, vor dem Magen liegenden Kör- *) Die äusserste Schicht der Haut bleibt nämlich homig und nimmt keinen Kalk auf. **) Dass die Cypräen ihre Schale wechseln, ist eine Hypothese zu der nichts drängt. 521 pern sind, auch nicht mit den dünnwandigen Säcken, die an diese Körper geheftet sind und besonders nach dem Schalenwechsel zu strotzen pflegen, in Verbindung ste- hen, wird ven Brandt undRatzeburg mit Recht be- merkt, Vielmehr liegt zwischen beiden Häuten des Ma- gens eine mützenförmige Hülse, die auf einer Hornplatte der innern Magenhaut aufsitzt und während der Bildung der Krebssteine sich verdickt. Diese sondert den Stoff aus. Am besten wäre es wohl, die Hülse einen einfa- chen, aber durch die Hornplatte verschlossenen Drüsen- balg und den Krebsstein einen Speichelstein zu nennen, denn die Wand der Hülse schien mir unter dem Mikros- kope drüsig. Wenn einige Thiere regelmässig Harnsteine von sich geben, warum nicht andere Speichelsteine? Ich würde entschiedener sprechen, wenn ich mich des Gedankens erwehren könnte, dass die Magenzähne des Krebses hineingedrängte Mundtheile sind. Der Quer- balken mit dem Mittelzahne lässt sich für die Oberlippe, und die Seitenzähne für die Mandibeln der Insecten an- sprechen. Dann wären die Theile, die man in den De- capoden und Stomapoden gewöhnlich Mandibeln nennt, vielmehr die Maxillen und es wäre verständlich warum sie Palpen tragen und gegen alle Analogie keine Nerven aus dem vordersten Ganglion oder dem sogenannten Hirne erhalten. Es wäre verständlich, warum dieser Ma- gen nicht nur ein festes Gerüste enthält, sondern wirk- lich die Speisen kaut, vermittelst Muskeln, die dem Wil- len gehorchen und dem äussern Skelete angefügt sind, es wäre nicht auffallend, dass diese Zähne bei der Häu- tung sich erneuern, wie die Mandibeln der Insecten, denn nur der Pförtnertheil wäre der wahre Magen und was vor ihm liegt Mundhöhle mit eingedrängten vorderen Fresswerkzeugen, Allein gegen diese Deutung lassen sich, besonders von den Stomapoden und Amphipoden her, noch manche ungelöste Zweifel erheben, Die Normalzahl von vierzehn 522 Füssen bei den Crustaceen scheint ebenfalls dagegen zu sprechen, die nachSavigny’s Zählung sich bei den De- capoden wieder finden lässt, wenn man die Theile Man- dibeln nennt, welche diesen Namen gewöhnlich führen, So mag denn diese Frage unentschieden bleiben. Nieht zweifelhaft aber ist es, dass die Schalenbil- dung und die fälschlich sogenannte Erneuerung des Ma- gens der Krebse nichts sind als eine Häutung, und dass diese Häutung ein unmittelbarer Vorläufer der Ge- schlechtsreife it, Denn, kaum ist die Häutung der Krebse beendet, so beginnt die Entwickelung der Ge- schlechtstheile. Die Krebse unterscheiden sich in dieser Beziehung nur darin von den wahren geflügelten Insecten, dass bei den letztern die Blüthe des Geschlechtssystems nur Ein- mal im Leben auftritt, in den Krebsen aber, nachdem sie ein gewisses Alter erreicht haben, jährlich, wie bei den meisten Thieren. Jährlich also wird bei ihnen die geschlechtliche Blüthe durch eine Häutung eingeleitet, bei den Insecten nur einmal im Leben, da ihre frühern Häutungen dem embryonischen Zustande angehören, * Mt * Als ich die obigen Bemerkungen niederschrieb, war Hr. Prof. Dulk verreist und ich sah mich daher ausser Stande eine vollständige chemische Analyse zum Beweise, dass die Krebssteine aufgelöst werden, zu erhalten. In- dessen sammelte ich doch den Mageninhalt eiriger Krebse, die sich eben gehäutet hatten und Hr. Prof. Dulk hatte die Güte diesen, bei seiner Rückkehr fast ganz einge- trockneten Inhalt einer genauen Untersuchung zu unter- werfen und mir über die Ergebnisse derselben eine aus- führliche Mittheilung zu machen, die ich hier vollständig folgen lasse, Es ergiebt sich ausser dem Vorkommen von Salzsäure, ein nicht unbedcutender Antheil von Kok- 923 lensäure und Kalk. Man kann wohl nicht bezweifeln, dass die Kohlensäure und der Kalk aus dem aufgelösten Theile der Krebssteine stammen (was von ihnen noch unaufgelöst sich vorfand, hatte ich sorgfältig entfernt), und dass die Salzsäure, ein gewöhnlicher Inhalt des Ma- gensaftes, die Auflösung bewirkt hatte. Die vorgefun- dene Thonerde rührt wohl daher, dass man oft erdige Massen im Magen der Krebse findet, Ich hatte auch das Blut aus dem Herzen zu sam- meln angefangen, leider aber bei der geringen Ergiebig- keit der Versuche bald aufgehört, in der Hoffnung nach der Rückkehr meines Freundes und Collegen darin fort- fahren zu können. Darin wurde ich getäuscht, Die Häutung der Krebse war in dem jetzigen warmen Jahre um die Mitte des Augusts ganz vorüber. Sehr auffallend war es mir, nirgends eine vollstän- dige Analyse der Krebssteine finden zu können, da ich hoffte, dass sie mir zur Erörterung der Frage, ob sie als Speichelsteine zu betrachten seyen, Stoff bieten könnte, Immer fand ich nur die allgemeine Angabe, dass siereich an kohlensaurem Kalke seyen, wovon man sich freilich durch die einfachsten Versuche überzeugen kann, Soll- ten sie aber auch keine andern Stofle, die den Speichel- steinen höherer Thiere gewöhnlich sind, z. B. Phosphor- säure enthalten, so würde darin doch noch wenig Grund gegen die Deutung als Speichelsteine zu finden seyn, da wir nicht einmal die chemische Beschatfenheit des flüs- sigen Speichels der niedern 'T'hiere kennen, Chemische Untersuchung eines Mageninhalts von Krebsen, die sich eben gehäutet "haben. Vom Professor Dr, Dulk. Der mir zur chemischen Untersuchung übergebene Mageninhalt vom Krebse bildete eine braune, noch flüs- 524 sige Theile enthaltende, beim Durchrühren fasrige Masse, in welcher feste, unorganische Bestandtheile nicht zu erkennen waren. Sie wurde in ein Schälchen gegeben und das Gläschen, in welchem jene Masse enthalten war, mit wenig destillirtem Wasser nachgespült. Bei der Prüfung mit Lackmuspapier zeigte sich eine sehr deut- liche Reaction auf freie Säure. Um diese für sich dar- zustellen,’ wurde die Masse mit etwas mehr Wasser ver- setzt, in eine kleine Retorte gegeben und in der Art der Destillation unterworfen, dass die Flamme der Wein- geistlampe nur die Seitenwände der kleinen Retorte er- hitzte, um das Aufstossen und Ueberspritzen der Masse zu verhüten. Die Destillation wurde unterbrochen, als ein ziemlicher Theil der Flüssigkeit übergegangen, die Masse in der Retorte aber‘ noch hinreichend flüssig war, um dem Brenzlichtwerden zuvorzukommen. Das Destil- lat hatte einen faden Geruch, zeigte aber auf blaues Lackmuspapier keine Einwirkung, wogegen der Rück- stand in der Retorte jenes Papier deutlich röthete, Diese Reaction konnte demnach nicht von Kohlensäure, sondern musste von einer weniger flüchtigen Säure herrühren, Der Rückstand von der Destillation wurde in ein tarir- tes Platinschälchen gegeben und in gelinder Wärme vor- sichtig bis zur Trockne abgedampft, wobei von Zeit zu Zeit eine Prüfung mit einem über das Schälchen gehal- tenen mit Aetzammoniak befeuchteten Glasstabe vorge- nommen wurde, wobei man die Bildung weisser Nebel wahrzunehmen glaubte, was auf entweichende freie Salz- säure schliessen liess. Das Gewicht des Platinschälchens zeigte sich um 0,597 Grammen vermehrt. Die trockne Masse wieder in Wasser aufgenommen, zeigte auch jetzt noch eine deutliche, wenn gleich bedeutend schwächere saure Reaction. Sie wurde auf ein Filtrum gegeben, und hier mit destillirtem WVasser ausgewaschen; die hierdurch erhaltene, wenig bräunlich-gelb gefärbte Flüs- sigkeit wurde, mit Zurücklassung eines kleinen Theils, , 325 zur Trockne abgedampft und in. einem Platintiegel bis zur völligen Farblosigkeit caleinirt, Der höchst geringe Rückstand lösete sich in Wasser völlig auf und gab eine völlig neutrale Auflösung, die nicht alkalisch reagirte, was bei Gegenwart einer organischen Säure hätte der Fall seyn müssen. Als ein kleiner Theil dieser Auflö- sung mit salpetersaurer Silbersolution geprüft wurde, entstand nicht bloss Trübung, sondern ein nach Verhält- niss starker, weisser, käsigter Niederschlag, der nicht von Salpetersäure, wohl aber leicht und völlig von Aetz- ammoniak aufgelöst wurde. Hierdurch war nur die Ge- genwart von Chlormetallen. oder salzsauren Salzen nach- gewiesen, und die Benutzung des zurückbehaltenen Theils der Auflösung, um darin die Gegenwart der Salzsäure im freien Zustande durch Neutralisiren mit Kali nach- zuweisen, unnöthig geworden, daher er auf gleiche Weise zur Trockne abgedampft und geglüht wurde, Eine Nach- weisung der freien Salzsäure durch ein grösseres Ge- wicht des Chlorsilbers war wegen der so sehr geringen Menge der zur Untersuchung dienenden Masse nicht mög- lich, da ein etwaniger Gewichtsunterschied als Fehler des Versuchs angesehen werden konnte. Nach dem Bis- herigen kann es also zwar nicht als völlig gewiss,. je- doch als höchst wahrscheinlich bezeichnet werden, dass die in dem Mageninhalte gefundene freie Säure Salzsäure gewesen sey. Die übrige Auflösung der calcinirten Salz- masse, von der nur ein kleiner Theil zur Prüfung auf Salzsäure verbraucht worden war, wurde mit oxalsau- rem Ammoniak versetzt, worauf sogleich eine sehr deut- liche Trübung entstand, die ich in der Ruhe durch ei- nen Niederschlag aufhellte. Dieser Niederschlag wurde auf einem Filtrum gesammelt. Der beim Auswaschen mit destillirtem Wasser auf dem Filtrum unaufgelöst gebliebene Antheil des Magen- inhalts wurde in einen Platintiegel gegeben und hier mit Salpetersäure betröpfelt, wodurch ein nach Verhältniss 526 der Masse starkes Aufbrausen von entweichender Koh- lensäure entstand. Die Masse wurde dann geglüht, bis der Rückstand völlig weiss war. Dieser zeigte sich in Wasser unauflöslich, wurde aber von zugesetzter Salpe- tersäure bis auf geringe Spuren Rieselerde, die sich beim Reiben mit einem Glasstabe zu erkennen gaben, völlig aufgelöst. Bei Uebersättigung der Auflösung mit Aetz- ammoniak, schied sich etwas eines flockigen Niederschla- ges aus, der auf einem Filtrum gesammelt wurde. Die auf dieses gegebene Aetzkalilauge löste nur einen Theil des Niederschlags auf, und die abtröpfelnde Flüssigkeit liess, mit Salmiakauflösung versetzt, etwas Thonerde aus- scheiden. Der unaufgelöst auf dem Filtrum gebliebene Theil des Niederschlags war hellbraun gefärbt und mochte aus phosphorsaurer Ammoniak-Talkerde mit etwas Ei- senoxyd bestehen; eine genaue Prüfung war, wegen der höchst geringen Menge, nicht möglich. Die vor dem, durch Aetzammoniak bewirkten Niederschlage abfiltrirte Flüssigkeit wurde mit oxalsaurem Ammoniak gefällt und der entstandene Niederschlag auf demselben Filtrum ge- sammelt, auf welchem die aus den in Wasser auflösli- chen Theilen des Mageninhalts gewonnene oxalsaure Kalk- erde gesammelt worden war, um auf diese Weise den ganzen Inhalt an Kalkerde bestimmen zu können. In die- ser Absicht wurde das Filtrum mit dem Inhalte getrock- net, in dem tarirten Platintiegel verbrannt und einge- äschert, wodurch das Gewicht des Platintiegels um 0,003 Gramme sich vermehrt zeigte. Diese Gewichtszunahme ist, da das Glühen des Tiegels hinreichend lange fortge- setzt worden war, für reine, nicht für kohlensaure, Ralk- erde zu nehmen und giebt, wenigstens sehr nahe kom- mend, den Gehalt an Kalkerde in dem zur Untersuchung benutzten, im wohl nicht völlig trocknen Zustande 0,597 Gramme wiegenden, Mageninhalte an, indem die Asche ‚ des kleinen Filtrums und die in der zur Prüfung auf Salzsäure verwandten Flüssigkeit entzogene Kalkerde, b 527 als sich compensirend betrachtet werden können. Ein Theil dieser Kalkerde war als Chlorcaleium oder salz- saure Kalkerde in den auflöslichen, der andere als koh- lensaure Kalkerde in den unauflöslichen Theilen des Ma- geninhalts enthalten. Die Thonerde war wohl nur zu- fällig, wahrscheinlich mit den Nahrungsmitteln, in den Magen des Krebses gekommen, Es könnte auffallend scheinen, dass bei der im Ma- geninhalte gefundenen freien Säure, und zwar höchst wahrscheinlich freien Salzsäure, auch kohlensaure Kalk- erde vorkommen körne; indessen ist es bekannt, dass sich eben nach Bedürfniss freie Salzsäure auf der inzern Magenhaut ausscheidet, und dass die Auflösung der Kalk- erde in Säure, und die Entstehung der gefundenen salz- sauren Kalkerde unerklärlich wäre, wenn nicht freie Säure und zwar freie Salzsäure in dem Mageninhalte vorhanden wäre; diese wird durch jene gefundenen Re- sultate nothwendig. In der That auffallend ist aber das Vorkommen der nicht unbedeutenden Menge kohlensaurer Kalkerde in dem Mageninhalte des Krebses, welches die Chemie zwar nachweisen, aber nicht erklären kann. 328 Beschreibung des Muskelsystems eines Python bivittatus. Von Prof. Dr. E. d’Alton, (Schluss.) (Hierzu Tafel XII) Dritter Abschnitt. Von den Muskeln des Schwanzes und der Beckengegend *). BD: Python, dessen Muskeln wir bisher beschrieben, ist ein männliches Thier und der Schwanz misst, vom hin- teren Rande der Cloakenöffnung bis zur Spitze, genau einen Fuss Pariser Mass. Ich will zuerst die eigentlichen Schwanzmuskeln oder diejenigen beschreiben, welche zur Bewegung des hintersten Theiles der Wirbelsäule die- nen, weil dieselben die grösste Aehnlichkeit mit den mei- sten Rumpfmuskeln haben, und werde dann die Muskeln anführen, welche dem Rudiment der hintern Extremität, den Geschlechtstheilen und der Cloake angehören. I. Von den eigentlichen Schwanzmuskeln, Sie sind im Allgemeinen eben so angeordnet, wie jene *) Durch ein Versehen ist pag. 441. des vorigen Heftes die Ru- brik: von den eigentlichen Muskeln der Wirbelsäule, als dritter Abschnitt bezeichnet; sie muss dritte Abtheilung (I1.) des zweiten Abschnittes heissen. 529 Muskeln am Rumpf, die mehr zur Bewegung der Wir- bel als der Rippen bestimmt sind, und die Hauptunter- schiede zwischen beiden beziehen sich auf den Mangel der Rippen am Schwanze und die grössere Entwicke- lung der Querfortsätze, welche die Stelle der Rippen vertreten. Daher stimmen einige Muskeln am Schwanz ganz mit den Rumpfmuskeln überein, weichen andere nur in sofern ab, als die Structur der Schwanzwirbel eine Aenderung erfordert, fehlen diejenigen, welche den Rippen allein angehören und kommen einige Muskeln am Schwanz vor, die ihm eigenthümlich und keine Ana- logieen von Rumpfmuskeln sind. Hautmuskeln giebt es am Schwanz eigentlich nicht, doch hängen mehrere Mus- keln durch die allgemeine oberflächliche Aponeurose des Körpers und ihre Sehnen deutlich mit der Haut zusam- men, wenn auch schwerlich die Schuppen durch diesel- ben in Bewegung versetzt werden dürften. Folgende sind die Rückenmuskeln, welche am Schwanz aufhören: 1. die inneren grossen und kleinen Rück- wärtszieher der Rippen. 2, Die oberen und unteren langen Zwi- schenrippenmuskeln. 3. Die eigentlichen Intercostalmuskeln und die Muskeln zwischen den Rippenknorpeln, 4. Die Rippenheber (4) und äusseren lan- gen Vorwärtszieher (K). Es bleiben also von den Rumpfmuskeln nachste- hende übrig: h 1.der modificirte zweibäuchige Rück wärts- zieher der Rippen. 2. Der lange absteigende Muskel zwischen den Dorn- und Gelenkfortsätzen. 3. Der aufsteigende Muskel zwischen die- sen Fortsätzen. Müller’s Archiv. 1834. 34 530 4. Der kurze absteigende Muskel zwischen denselben Fortsätzen. 5. Die Muskeln zwischen den Wirbelbogen und Dornfortsätzen. 6. Die Zwischendornmuskeln? 7. Die obere und untere Reihe der Mus- keln zwischen den Gelenkfortsätzen, und 8. Die Analoga der inneren kleinen Vor- wärtszieher der Rippen. Dem Schwanz ausschliesslich zugetheilt sind: 1) die Muskeln zwischen den Querfortsätzen, 2. der oberflächliche und 3, tiefe Schwanzbeuger. Alle genannte Muskeln nehmen den ganzen Umfang des Schwanzes ein und erstrecken sich bis zu seiner Spitze; hier werden sie indess sehr klein und sind we- gen ihrer Dünnheit nicht mehr deutlich zu unterschei- den. In Rücksicht der Lage kann man sie in mehrere Schichten zerlegen, von denen die mehr äusseren die inneren ganz oder grossentheils verbergen. Den Zwi- schenraum zwischen den Dorn- und Querfortsätzen fül- len dreiSchichten aus. 1. Die oberflächlichste be- steht aus a, dem sogenannten zweibäuchigen Rück- wärtszieher der Rippen, von allen der oberfläch- lichste, liegt dicht über den Querfortsätzen, 2. über und hinter ihm befindet sich der lange absteigende Mus- kel zwischen den Dorn- und Gelenkfortsätzen und über und hinter diesem c. der aufsteigende Muskel zwischen den gedachten Fortsätzen, 2. Die mittlereSchicht enthält: a. den kurzen ab- steigenden Muskel zwischen den Gelenk- und Dornfortsätzen, 2. zunächst unter ihm die beiden Reihen der MM. inter proce. obliquos und unter ihnen c. die Muskeln zwischen den Querfort- sätzen. 3. Die tiefste Schicht wird von den Mus- keln zwischen den Wirbelbogen undDornfortsätzen und den MM. interspinosi(?) allein gebildet. 531 Die Muskeln von der untern Fläche des Schwanzes, zwischen den Querfortsätzen beider Seiten, bilden zwei Schichten, eine oberflächliche und eine tiefe, Zwischen diesen Schichten sind die Muskeln eingeschlossen, welche zu den Geschlechtstheilen und der Cloake gehen. Die oberflächliche Schicht zählt zwei Muskeln, die ober- flächlichen und tiefen Schwanzbeuger, die tiefe wird durch die den inneren kleinen Vorwärtszie- hern der Rippen analogen Muskelchen dargestellt. Von den aufgezählten Schwanzmuskeln bedürfen nur die folgenden eine besondere Beschreibung, indem die übrigen ganz denen des Rumpfs gleich, aber kleiner und schwächer sind: 1) Der zweibäuchige Rückwärtszieher der Rippen verdient am Schwanz diesen Namen nicht mehr, da die beiden Bäuche schon ungefähr einen halben Zoll hinter der Klaue, neben dem After, zu einem einzigen verschmelzen. Dieser entspringt mit einer dünnen Flechse, wie weiter vorn der obere Bauch allein, von der Apo- neurose auf dem Rücken, mittelbar von denDornen und geht, sich in fleischige Zipfel spaltend, die am Ende schräg sind, zu den Spitzen der Querfortsätze. Er streckt den Schwanz und biegt ihn nach seiner Seite, beide zu- sammen krümmen ihn nach oben. Meckel führt bereits an, dass sich dieser Muskel über die ganze Länge des Schwanzes ausdehne, 2) 49. Die Zwischenquerfortsatzmuskeln CP). Sie sind natürlich da mehr entwickelt, wo diese Fortsätze selbst ansehnlicher sind, das heisst am vordern Theile des Schwanzes. Sie nehmen den Raum zwischen den Querfortsätzen zweier Wirbel, von der Basis bis zur Spitze ein, und sind an den vordern Wirbeln, wel- che gespaltene Querfortsätze haben, doppelt, Die obere Schicht, zwischen den oberen Spitzen dieser Fortsätze, geht in das hintere Ende des Muskels zwischen den Ge- lenkfortsätzen und den Rippen oder des äussern langen 34 * 532 Vorwärtsziehers der Rippen (X) über. Die untere Schicht begiebt sich zu der letzten Rippe hinüber und hat da- selbst Zusammenhang mit den oberen und unteren lan- gen Zwischenrippenmuskeln, welche hier mit einem spit- zigen, aus wenigen Bündeln bestehenden Ende aufhören, dem untern oder Bauchhautmuskel (7) und dem tiefern Schwanzbeuger. Die beiden eigenthümlichen Beuger des Suhyvanzes verhalten sich auf folgende WVeise: 3) 50. Der oberflächliche Schwanzbeuger (2). Dieser Muskel nimmt mit seinem gleichnamigen Nachbar den ganzen Zwischenraum zwischen den Spitzen der Querfortsätze beider Seiten, vom hintern Rande der Afteröffnung bis zur Schwanzspitze ein. Die Muskeln beider Seiten sind in der Mitte durch einen sehnigen Streifen von einander getrennt, dieser hängt ziemlich fest mit den unteren grossen Schwanzschuppen zusammen und hier sind die beiden Muskeln unter sich fest verbunden, so dass man diese Stelle zum Theil als ihren Ursprung betrachten kaun. Ferner entspringen die Muskeln mit starken sehnigen Köpfen, gemeinschaftlich mit den fol- genden, von der Spitze der Querfortsätze. Auf diese Weise entsteht eine grosse Menge von pyramidalischen Muskelchen, die von derSpitze des Schwanzes an Grösse zunehmen. Die hinteren bedecken überall einen Theil der vordern und jedes hat eine sehnige Cauda. Die Caudae gehen schief auf- und auswärts, neben den Quer- fortsätzen vorbei, und begeben sich zur äusseren Fläche des sogenannten zweibäuchigen Rippenmuskels. Hier kommt ihnen ein Theil der sehnigen Köpfe dieses Mus- kels entgegen und dadurch entsteht auf der äussern Fläche desselben eine Reihe von winkligen Figuren, de- ren Spitze nach vorn steht, die Oeffnung nach hinten. Diese Einrichtung hat einige Aehnlichkeit mit dem zak- kigen Ineinandergreifen der Muskelschichten an den Sei- ten der Knochenfische, und sind die einzelnen Figuren 533 ausserdem noch vereinigt durch einen sehnigen Längs- streifen, welcher alle Winkel halbirt. Vorn findet durch die gabelförmig getheilte Sehne dieses Muskels eine Ver- einigung mit den kleinsten obersten Hautmuskeln (Z) statt. 4) 51. Der tiefere Schwanzbeuger («) liegt über dem vorigen (wenn man sich die Schlange auf dem Leibe ruhend denkt) aber weiter nach aussen und hat an seiner obern, innern Fläche bei männlichen Thieren den Zurückzieher der Ruthe neben sich. Dieser Muskel entspringt, wie oben beschrieben ist, mit dem vorigen gemeinschaftlich durch lange schräge Köpfe von den Spitzen der (uerfortsätze. Seine Fasern ‘gehen ein- und vorwärts und setzen sich, eine gewisse Anzahl von Wirbeln überspringend, mit theils fleischigen, theils seh- nigen Schwänzen an die Spitzen der weiter nach vorn gelegenen Proc. transversi. Er beugt also, so wie der vorige, den Schwanz nach unten und nach seiner Seite, Das vordere Ende dieses Muskels überragt jenes des vorigen, welches da, wo sich der Muskel der rechten und linken Seite in der Mittellinie von einander trennen, über #4 Zoll vom After entfernt bleibt. Der Ursprung beginnt demgemäss beim oberflächlichen Beuger erst un- gefähr am zehnten Wirbel. Bei dem tiefen Beuger reicht aber der Ursprung bis zum ersten Querfortsatz und vermischt sich an seinem Ende mit dem oberflächg lichen und mit den langen Zwischenrippenmuskeln ; auch erstreckt er sich vermittelst der unteren Muskeln zwi- schen den Querfortsätzen bis zur letzten Rippe. In die- ser Gegend, an der Grenze von Schwanz und Bauch, vermischen sich die Muskeln, welche sich begegnen, sehr innig und kann man sie nicht mehr genau trennen. 5) Die kleinen Muskeln unter den Schwanzwirbeln (7), welche den kleinen inneren Vorwärtszie- hern der Rippen entsprechen, entspringen bier von den gedoppelten unteren Dornfortsätzen, gehen aus- und rückwärts zu den Querfortsätzen. Die am vordern 934 Theil des Schwanzes sind grösser, länger und stärker als die hintern. Sie unterstützen die Beugung des Schwanzes nach unten und zur Seite. Der tiefere Schwanzbeuger lässt sich, wenn man die Analogieen zwischen den Rumpf- und Schwanzmuskeln noch erweitern will, mit den langen Zwischenrippenmus- keln oder besser mit den inneren kleinen Rückwärtszie- hern der Rippen vergleichen, sofern diese von Rippen zu Rippen gehen und die Querfortsätze der Rippen cor- respondiren; die Lage an der untern Fläche dieser Fort- sätze würde jener an der innern Fläche der Rippen ent- sprechen und desshalb mehr Aehnlichkeit mit den ge- nannten Rückwärtsziehern der Rippen darbieten. II. Von denMuskeln, welche denRudimenten der hinteren Extremitäten, den Geschlechts- theilen und der Cloake angehören. Wir haben zwar bisher meist nur solche Muskeln beschrieben, wel- che die Bewegung der Knochen bewirken und wollen auch auf’ die Muskeln der Organe nicht weiter eingehen; doch findet sich hier eine schickliche Gelegenheit einiger Muskeln zu gedenken, die mit den Schwanzmuskeln in näherer Verwandtschaft stehen, und daher mögen diesel- ben wenigstens Erwähnung finden, obgleich wir rück- sichtlich der Beschreibung der Genitalien und der in der Cloake sich vereinigenden Harn- und Verdauungsorgane an einen andern Ort verweisen müssten, 1) 52. Die Zurückzieher der Cloake (P). Diese Muskeln liegen unmittelbar unter der mittlern Apo- neurose oder weissen Linie zwischen den oberflächlichen Schwanzbeugern. Sie nehmen die ganze Länge des Schwanzes, von der Spitze bis zum hintern Rande der Cloakenöffnung ein, sind dicht an einander geschoben, in der Mitte durch sehniges Gewebe und auch mit der Scheidewand zwischen den beiden Ruthen verbunden. Es ist schwer den Ursprung dieser Muskeln zu ermitteln. Sie scheinen zu beiden Seiten von dem innern Rand der 935 oberflächlichen Schwanzbeuger und der Haut zu ent- springen, welche die innere Oberfläche dieses und des tiefern Muskels überzieht und mit dazu beiträgt die Scheide des Penis und seines Zurückziehers zu bilden. Theils sieht es so aus, als ob die Muskelfasern von der mittlern Scheidewand und der weissen Linie herkämen. Jeder der beiden Muskeln sendet in seinem ganzen Verlauf seit- wärts Zipfel ab, welche sich zu dem sehnigen Ueberzug an der äussern Oberfläche des oberflächlichen Schwanz- beugers begeben, ‚theilweis in die Cutis und die Muskel- fibern des genannten Beugers fortsetzen. In einiger Ent- fernung hinter dem After hören diese Zipfel auf; dort wird der Muskel breiter, überzieht den Penis von unten, indem er sich in zwei Bündel theilt — das äussere schwä- chere ist länger und vermischt sich mit einigen Fasern des Cloaken- und Afterschliessers, auch geht eine Por- tion in das hintere Ende der Hautmuskeln am Bauch über, welche an dieser Stelle zu einer gemeinschaftlichen Muskelmasse vereinigt sind — das innere Bündel umfasst den Penis von innen, steigt in die Höhe, dicht neben dem der andera Seite und zerstreut sich zwischen die Fasern am hintern Theile des Afterschliessers. Dieser Muskel zieht den hintern Umfang der Cloake zurück, vielleicht unterstützt er auch die Erection, indem er die Kuthe durch diese Bewegung nach vorn schiebt, sobald sie angeschwollen ist. 2) 53. Der Quermuskel der Ruthe (7) liegt über den Schwanzbeugern und besteht aus Fasern, wel- che fast halbkreisförmig quer von aussen und oben nach innen und unten gehen. Der von mir untersuchte Py- ihon war leider am Schwanz, wahrscheinlich durch einen Schlag, beschädigt und diess erlaubte nicht, dem Ver- halten dieses Muskels genauer nachzuspüren; so viel ich aber dennoch erkennen und aus der Section anderer Schlangen entnehmen konnte, so entspringt derselbe von den unteren Dornfortsätzen der Schwanzwirbel, vom 536 ersten. oder zweiten an, und reicht ‘von hier (bei dem vorliegenden Python) über 4 Zoll weit nach hinten, Bei kleinen Schlangen war dieser Muskel viel stärker. Auf diese Weise umgeben die Muskelfasern im vordern Theil den Penis, im hintern seinen Retractor und kommen dann in der Mittellinie von beiden Seiten zusammen, um sich an die fibröse häutige Scheidewand zwischen den Ruthen zu befestigen und mit einander zu verwachsen, Vorn, am diekern Ende des Schwanzes ist dieser Muskel brei- ter; er scheint dazu zu dienen, dass er den Penis bei der Erection aus seiner Scheide treibt und wirkt wahr- scheinlich gemeinschaftlich mit dem vorigen Muskel bei der Begattung. 3) 54. Der Zusammendrücker (Schliesser) der Cloake (d) begrenzt das hintere Ende der Bauch- höhle und entspringt von der untern Fläche der Wir- belkörper der zwei bis drei Bauchwirbel und einer ge- wissen Zahl von Schwanzwirbeln, die ich nicht ermit- teln konnte. Bei diesem Muskel verlaufen die Fasern gleichfalls quer und bogenförmig, wie Sphincteren von beiden Seiten sich begegnend; die vorderen Bündel sind die stärksten und längsten, Der ganze Muskel misst von vorn nach hinten 14 Zoll, wird hinten sehr dünn und die schwachen Fasern verlieren sich in die vorderen Partieen des vorigen Muskels. Unten geht er in den After- schliesser über und verengt mit ihm die Cloake. 4) 55, Der Zurückzieher der Ruthe (#) ist ein gegen sechs Zoll langer, rundlicher Muskel und ent- springt mit einer kurzen runden Sehne von den unteren Dornen eines Schwanzwirbels, der vier Zoll von der Spitze befindlich ist. Der Muskel wird nach vorn stär- ker, ist wenig abgeplattet, ziemlich dick und reicht bis zum hintern Ende des Penis, spaltet sich aber vorher in zwei dicht an einander liegende Caudae, die von hin-. ten an das doppelte Ende jeder Ruthe befestigt sind, Der ganze Muskel, so wie die Ruthe selbst, ist in eine 537 zellhäutige Scheide eingeschlossen und zieht die Ruthe in ihre Scheide zurück. Ich will hier beiläufig bemer- ken, dass ich von dem Hautmuskel am Bauch ein Fasei- kel sich trennen und an den Penis, besonders den hin- tern mit der Scheide verwachsenen Theil treten sah. Dieses Bündelchen dürfte die Stelle eines Vorwärtszie- hers der Ruthe vertreten und ich habe es in Fig. 2. und 3. mit £ bezeichnet. Man sieht in diesen Figuren, dass sich einige Fasern von dem Hautmuskel lösen, über dem hintern Rand der Cloake in die Höhe schlagen und rück- wärts laufen, Ohne genauere Darstellung vom Bau des Penis selbst, lassen sich die angeführten Musheln nicht deutlicher zeichnen und beschreiben. * * * Die Bewegungen des Rudimentes der hintern Ex- tremität werden durch sieben Muskeln ausgeführt. Diese Muskeln sind von zweierlei Beschaffenheit, die einen verschieben die sämmtlichen Knochen auf einmal und be- wirken eine Veränderung in der Lage derselben gegen die Rippen und Wirbelsäule; die anderen bewegen nur den zweiten kleinern und hintern Knochen, sammt seiner Klaue, auf dem hintern Gelenkende des vordern grössern Knochen. Ehe ich zur Beschreibung dieser Muskeln selbst übergehe, will ich die Lage der fraglichen Rudi- mente etwas näher angeben. Die Theile, welche man als die verkümmerten Ueberbleibsel des Beckens oder der hintern Extremität im Allgemeinen ansehen kann, ich meine die Knochenknorpel und die dazu gehörigen Muskeln bilden eine Masse, die über zwei Zoll lang, vorn und hinten zugespitzt und in einiger Entfernung vom hintern Ende am dicksten und breitesten ist. Der vor- dere Theil liegt an der innern Seite der hinteren Rip- pen, der hintere durchbohrt die äussere Haut und prä- sentirt sich zu beiden Seiten neben dem After als eine mit einem hörnernen, festen Ueberzug versehene, spit- zige, wenig gekrümmte Kralle. Der vordere, grössere 538 Knochen und sein Knorpelanhang befinden sich aber nicht bloss fast ganz innerhalb der hinteren Rippen, sondern auch an der innern Fläche der Bauchmuskeln, oberhalb ihres Ursprungs, zwischen ihnen und dem Bauchfell. Die Kralle oder der Nagel tritt unterhalb der Sehne, welche die Hautmuskeln des Bauchs mit den beiden Schwanzbeugern verbindet, nach aussen und wird hier von der äussern Haut umfasst. Oberhalb der genannten Sehne und unterhalb des Ursprungs des hintersten Fas- eikels des Bauchhautmuskels kommt der obere Knorpel (zwischen dem grossen und zweiten Knochen der Extre- mität) zum Vorschein und setzt sich hier an ihn eine Sehne, welche vom Bauchhautmuskel selbst abgeht. Der untere Knorpel zwischen den angeführten Theilen hängt gleichfalls mit den Muskeln der Bauchhaut zusammen, nämlich wo sich die Bündel des Cloakenmuskels mit ih- nen verschmelzen, Ich habe nicht wahrgenommen, dass der grosse Knochen der Extremität den Bauchmuskeln zum Ursprung diente, wie Heusinger bei Boa murina an dem hintern Theil des queren Bauchmuskels beob- achtet hat. Mayer hat in einer neuern Abhandlung über die hintere Extremität der Ophidier ete. (Tiedemann’s Zeitschrift für Physiologie. Bd.III. S.251.) die Frage aufgeworfen, ob vielleicht bei dem Männchen des Genus Python die ganze hintere Extremität stärker entwickelt sey, als bei dem WVeibchen; ich gebe hier meinen Bei- trag zur Beantwortung derselben, indem ich die Masse der einzelnen Stücke mittheile. Der grössere vordere Knochen (bei Heusinger das Darmbein) ist fast 14 Par. Linien lang und trägt am vordern Ende einen 5” langen Knorpel; der zweite Knochen und das mit ihm verwachsene Nagelglied (Heusinger’s erstes und zwei- tes Fussglied) messen 6" Länge (d.h. nachdem der hör- nerne Ueberzug von dem Zapfen der Kralle abgezogen war), die Hornscheide des Nagels allein ist 5" lang. Nun zur Beschreibung der Muskeln selbst; die bei- 539 den ersten bewegen die ganze Extremität; die fünf übri- gen wirken besonders auf die Kralle, beugen und strek- ken sie; oder geben ihr eine Richtung nach innen oder aussen. 1) 56. Der Rückwärtszieher und Heber der hintern Extremität (() entspringt aussen vom oberen Umfange der Cloake, in der Gegend der letzten Rücken- wirbel; bis zu diesen Wirbeln selbst konnte ich den Ursprung nicht verfolgen. Der Muskel desselben Namens auf der andern Seite entspringt dicht daneben und daher sehen beide zusammen so aus, als bildeten sie einen Muskel. Ihr Anfang liegt an der innern Fläche des Cloa- kenmuskels. Dieser Muskel ist lang, schmal bandartig, . geht vor- und abwärts, wird allmählig etwas breiter, begiebt sich an den obern Umfang der den grössern Knochen einhüllenden Muskelmasse und strahlt mit sei- nen Fasern auf deren innerer und äusserer Fläche aus, indem er sich in die Zellscheide, welche diese Muskeln umgiebt, inserirt; an den Knochen selbst heften sich we- nige Fasern. Die längsten Fasern reichen bis zum vor- dern Knorpelanhang, die hinteren kürzesten bis zu den Knorpeln, zwischen dem ersten und zweiten Knochen. Dieser Muskel zieht die ganze Extremität zurück und nach oben. . 2) 57. Einwärtszieher der hintern Extre- mität (7) liegt hinter dem eben beschriebenen Muskel und mit seinem Ursprung an dessen äusserer Seite, zwi- schen ihm und dem Cloakenmuskel. Auch er ist band- förmig, geht ab- und auswärts und setzt sich an den in- nern Umfang der Gegend, wo das Nagelglied und der zweite Knochen mit einander verwachsen, und an den Höcker nahe an dem hintern Ende des -letztern. Er zieht die ganze Extremität einwärts, 3) 58. Der längere Beugemuskel des zwei- ten Knochens und Nagelgliedes (9). Er ist der grösste unter den Muskeln der hintern Extremität und 540 entspringt mit zwei Köpfen; der grössere nimmt seinen Anfang an dem Knorpel des grossen Knochens, an diesem selbst und zwar gegen das Ende von seinem ganzen Um- fang, in der Mitte nur vom innern und obern Theil des- selben — so reicht der Ursprung bis zum hintern Drit- tel der Länge. — Der kurze Kopf ist sehr klein und schwach und geht vom hintern Ende des vordern Kno- chens ab. Beide Köpfe setzen sich an den untern Um- fang des zweiten Knochens, etwas weiter nach aussen und unten als der vorige Muskel. 4) 59, Der kürzere Beuger des zweiten Knochens und Nagelgliedes (x) liegt an der äus- sern Seite des vorigen Muskels und bedeckt ihn zum Theil, sein Ursprung beginnt erst am Ende des verdern Drittels der längern Knochens und erstreckt sich weiter nach hinten als jener des langen Kopfs des vorigen Mus- kels. Er ist an seinem Ende mit diesem verwachsen und inserirt sich an dieselbe Stelle, nur etwas weiter hinten. Die beiden beschriebenen Muskeln beugen ver- mittelst des zweiten Gliedes die Kralle oder machen, dass sie nach unten vorspringt. 5) 60. Der Einwärtszieher des zweiten Knochens (A) legt sich an den obern Umfang und äus- sern Rand des grossen Beugers, wird etwas von Nr. 1) bedeckt und entspringt vom hintern Ende des vordern grossen Knochens und von der obern Fläche des klei- nern Knorpels hinter diesem, Er ist kurz und breit, fast ganz fleischig und setzt sich an , den Höcker unten und vorn vom zweiten Knochen. Indem er diesen nach innen zieht, beugt er ihn zugleich nach unten, 6) 61. Der Auswärtszieher des zweiten Knochens (4) entspringt von der äussern Seite des hintern Endes des grossen Knochens und vom grössern der beiden hinteren Knorpel, schlägt sich um und unter diesen nach dem zwyeiten Knochen, wo er sich über der Insertion der beiden Beuger, mehr an der innern Seite 541 des zweiten und Nagelknochens befestigt. Er zieht beide nach aussen und beugt die Klaue zugleich ein wenig. 7) 62. Der Strecker des zweiten Knochens und Nagelgliedes (») ist ansehnlicher als die beiden vorigen Muskeln und entspringt etwas hinter der Mitte vom obern convexen Theil des grossen Knochens und über der obern Fläche der beiden Knorpelanhänge (wel- che hier gerade an einander stossen). Er füllt die Aus- höhlung des grössern Knorpels aus und setzt sich an die untere Fläche des platten Mittelstücks des zweiten Kno- chens, nahe bei der Verbindung mit dem Mittelglied und neben der Insertion des grossen Einwärtsziehers der ganzen Extremität. Er streckt das Nagelglied und den zweiten Knochen und zieht sie zugleich nach innen. . Noch kann man zu den Muskeln der hintern Extre- mität das Bündelchen rechnen, welches vom Bauchhaut- muskel zum grössern Knorpel geht und mit & bezeichnet ist. Es bildet einen Auswärtszieher für das ganze Ru- diment. Erklärung der Abbildungen. Folgende Zeichen beziehen sich auf knöcherne und knorp- lige Theile, welche auf Tafel VII. und X. noch nicht sichtbar waren: Nr. 7, Die Querfortsätze der Schwanzwirbel. Die zur hintern Extremität gehörigen Stücke sind: 1. der vor- dere grösste Knochen (Darmbein bei Heusinger). 2, der zweite, kleinere, hintere Knochen, 3. der knöcherne Zapfen des Nagels (2 und 3 das erste und zweite Glied des Fusses bei H.). 4. Der Knorpelanhang am vordern Ende des grössten Knochens. 5. der obere grössere Knorpel zwischen dem ersten und zweiten Knochen (Sitzbein?). 6. der untere klei- nere Knorpel (Schossbein?). X die Basis des kleineren Knorpels, worin ein Knochenkern steckt und welche dem Einwärts- zieher zum Theil als Ursprung dient. 7 Höcker am zweiten Kno- chen, an welchem sich der eben genannte Muskel inserirt, Die auf der anliegenden Tafel abgebildeten neuen Muskeln sind folgende: 1. eigenthümliche Schwanzmuskeln und Muskeln der Geschlechts- theile und Cloake. 2 der oberflächliche und « der tiefere 542 Schwanzbeuger. TT die kleinen Muskeln, ‘welche den in- nernkleinenVorwärtsziehern derRippen entsprechen. ß Zu- rückzieher der Cloake. y Quermuskel der Ruthe. d Zu- sammendrücker oder Schliesser der Cloake. e Ringmus- kel desAfters, £ Portion von den Hautmuskeln am Bauch, welche an die Ruthe geht. 2. Muskeln der hintern Extremität selbst. & Rückwärtszieher und Heber derselben, n Einwärtszicher. & langer Beu- ger des zweiten Knochens und Nagelgliedes x kurzer Beuger derselben. A Einwärtszieher derselben. u Auswärts- zieher und v» Strecker. & Portion vom Bauchhautmuskel zum grösseren Knorpel (5). Fig. 1. Das hintereEnde desRumpfes und das vordere des Schwanzes, von der rechten Seite. Alle Theile sind in ihrer natürlichen Lage geblieben, nur die obersten, kleinsten Hautmuskeln (ZZ) sind nach unten geschlagen und die hintern Fascikel des Sei- tenhautmnskels ( SS) nach aussen gezogen, um den Situs der hintern Extremität zu zeigen. Man sieht in der Umgebung der sogenannten Beckenknorpel die Vermischung der langen Zwischenrippen- und Hautmuskeln am Bauch mit den beiden Schwanzbeugern und sieht in der dadurch entstehenden Oeffnung einige von den Extremitäten- muskeln. Der Anus liess sich in dieser Ansicht nicht darstellen, Fig. 22 Die Aftergegend und der vordere Theil des Schwanzes von unten. Die rechte Klaue ist etwas nach aussen gezogen und man kann die Insertion einiger von den Muskeln der- selben unterscheiden. Der linke oberflächliche Schwanzbeuger ist weggenommen und man sieht den tiefern, den Quermuskel der Ruthe und den Zurückzieher der Cloake. Fig. 3. stellt dieselbe Portion dar, Um diese Figur zu verstehen, muss man sich vorstellen, dass auf der rechten Seite der oberflächliche Schwanzbeuger und Quermuskel der Ruthe entfernt sind; es zeigt sich neben der Mitte der rechte Zurückzieher der Cloake (8) mit seinen abgeschnittenen schnigen Zipfeln am äussern Rand und der untern Fläche und vorm der Uebergang in den Afterschliesser; neben diesem Muskel, zwischen ihm und dem tiefen ‚Schwanzbeuger befindet sich die Ruthe A, von welcher nur der hintere Theil mit seinem Zurückzieher sichtbar ist. Auf der linken Seite sind der ober- Nflächliche und tiefe Schwanzbeuger nebst dem Zurückzieher der Cloake weggenommen, der Quermuskel der Ruthe (y) ist an seinem innern untern Rand von seiner Anheftung getrennt und nach aussen geschla- gen, eben so der Cloakenschliesser (0) und dadurch wird der vor- dere Theil des Penis mit seiner Scheide frei. Von dem Retractor 543 penis ist dagegen nur der vorderste Theil erhalten, um die darüber gelegenen kleinen Dorn -Querfortsatzmuskeln (TT') anschaulich zu ınachen. Fig. 4. Alle Theile, welche zu dem Rudiment der lin- ken hinteren Extremität gehören, so gut als möglich in der natürlichen Lage erhalten und von der innern Seite angesehen. Man nimmt hier das Verhältniss dieser Theile zu den innern grossen Rück- wärtsziehern der Rippen, zu den Bauchmuskeln und zu dem Cloa- kenschliesser wahr und sieht die respective Lage der Extremitäten- muskeln gegen einander. Fig. 5. Die hintere Extremität mit ihren Muskeln allein, von der äussern Seite und ohne die benachbarten Theile des Rumpfs und Schwanzes. Es ist auch der Apparat der linken Seite gewählt und nichts an den Muskeln verschoben. 514 Beitrag zu der Entwickelungsgeschichte der Schildkröten. Von dem Prof. Dr. K. E. v. Baer. (Hierzu Taf. XI. Fig. 17.18.) D.:. ganz eigenthümliche Bau der Schildkröten musste auf die Untersuchung der ersten Periode ihrer Entwik- kelung sehr. begierig machen und hatte deshalb schon lange den lebhaften Wunsch in mir erregt, hierzu eine Gelegenheit zu erhalten. Meine Versuche blieben aber mehrere Jahre hindurch fruchtlos. Um Königsberg kommt keine Art aus dieser Thierfamilie vor, wohl aber findet sich Emys europaea in einigen Gegenden von Litthauen. Mochten nun die Eier, die ich von dort er- hielt, unterwegs verdorben seyn, oder mochten die Weib- chen, unter denen ein Paar Eier legten, unbefruchtet, oder die Eier später abgestorben seyn, ich. erhielt das erwünschte Resultat nicht. Im vorigen Sommer endlich war eine Schildkröte, die mir zum Kauf angeboten wurde, so gefällig, mir gleich einEi in die Hand zu le- gen, als ich sie aufhob, „Das ist ein ehrenwerthes Un- terpfand und Handgeld,‘* dachte ich und machte aus der Geberinn meine Hausgenossinn. In einen, zur Hälfte mit angefeuchteter Erde gefüllten Kasten ward sie, mit noch anderen Schildkröten, unter denen auch Männchen waren, eingesperrt. Hier legte sie noch mehrere Eier, von 545 denen einige dazu dienten, die Zeit anzugeben, wann die anderen zu öffnen seyn würden, um bestimmte Fragen zu lösen. Ich war denn auch glücklich genug, über die Bildung der Rückenplatten mich zu belehren, aber alle Eier, welche ich nach dem zehnten Tage öffnete, fand ich leider verdorben. Hiernach muss ich vermuthen, dass in den Verhältnissen, unter denen ich die Eier zur Entwicklung bringen wollte, etwas Störendes war. Die Erde wurde in einem geringen Grade von Feuchtigkeit erhalten, weil die Schale der Schildkröteneier so porös ist, dass der Inhalt bald austrocknet. Die Schildkröten- eier halten hierin die Mitte zwischen den Eiern der Vö- gel und der Nattern, War die Feuchtigkeit vielleicht noch nicht hinlänglich? Diese Frage musste in mir auf- steigen, als ich später die Schildkröten, die etwas ein- zutrocknen anfıngen, von Zeit zu Zeit in eine Spühlig- tonne legen liess, in welcher bekanntlich Emys euro- paea sich am besten halten lässt, und nun bemerkte, dass die Weibchen am liebsten diese Zeit wahrnehmen, um ihre Eier in den Spühlig zu legen. Man wird sich er- innern, dass nach anderweitigen Beobachtungen, auch Nattern ihre Eier einige Zeit im Leibe zurückbehalten, wenn sie nicht einen Boden von gehöriger Feuchtigkeit finden *). Es lässt sich jedoch nicht erwarten, dass die Eier der Schildkröten einer so grossen Feuchtigkeit be- dürfen, als die Eier der Nattern. Vielleicht war aber auch in dem etwas tiefen Kasten nicht genug Luftwechsel innerhalb der Erde, da die genannte Art im freien Zu- stande ihre Eier am liebsten in die aufgelockerte Erde _ der Kartoflelfelder legt. Möglich ist es ferner auch, dass es an hinlänglicher Wärme fehlte, da ich den Kasten nur in einem Keller halten konnte, Ich glaubte auf diese Bedenlien aufmerksam machen zu müssen, um Beobach- *) Dass dieses Zurückhalten der Nattereier lange und ohne Scha- den für den Embryo währen könne, bezweille ich freilich. Müller's Archiv. 1834. 35 546 ter, welche Gelegenheit haben, Schildkröten im Freien zu halten, zur Fortsetzung dieser Untersuchungen auf- zufordern, Es ist also nur ein kleiner Beitrag zur Entwicklungs- geschichte der Schildkröten, den ich jetzt liefern kann, doch dient er zur Erläuterung der wesentlichsten Eigen- thümlichkeit im Baue dieser Thiere und ihres Verhält- nisses zu dem allgemeinen Typus der Entwicklungs- weise der Wirbelthiere. Das Eigenthümliche im Baue der Schildkröten liegt nämlich darin, dass eine Reihe von Knochen, die in vie- ler Hinsicht als Rippen sich zu erkennen geben, nicht nur unter sich verwachsen ist, sondern auch die ge- sammte Wirbelsäule vom Halse ab überdeckt und sogar die Wurzelglieder der Extremitäten umschliesst. Da nun schon an einem andern Orte von dem Verf, dieser kurzen Anzeige ausführlich berichtet ist, dass er an Vögeln, Batrachiern und Eidechsen die Bildung des gesammten Leibes aus zwei Paar Platten, zwei Rücken- und zwei Bauchplatten, vollständig verfolgt hatte, dass auch, was ihm von der Entwicklung der Säugethiere' bis dahin bekannt geworden war, auf dieselbe Entwicklungs- weise hinführte, so stand er nicht an, die doppelt sym- metrische Entwicklung von einem Stamme aus als allge- mein gültiges Schema der Ausbildung und als ihnen al- lein zukommend zu betrachten. Später hat er auch an Säugethieren und Fischen die frühe Form, wo der Rülk- ken noch eine offene Rinne ist, zu untersuchen Gelegen- heit gehabt. Um so begieriger musste er seyn, die Mo- dification zu erfahren, welche derselbe Typus bei den Schildkröten erleiden muss, um die ungewöhnliche Stel- lung zu geben, Hierauf waren also die Untersuchungen besonders gerichtet. Ich fand nun in einem Schildkröteneie, sechs Tage nachdem es gelegt worden war, die Keimhaut schon weit ausgedehnt... Innerhalb derselben war eine 547 eiförmige Figur von 15 Linien Länge und etwas geringe- rer Breite (Tab, XI. Fig.17.). Sie war schildförmig etwas erhoben. In dieserFigur, doch an das eineEnde anstos- send, ja sogar überragend,- war eine zweite viel schma- lere Figur. Diese war nicht über der grössern Figur erhaben, sondern was sie erzeugte, lag grösstentheils un- ter der allgemeinen Wölbung des Schildes, wie man am besten von der untern Fläche erkannte. Von oben sah man einen Eingang in diesen untern Wulst und durch den Eingang liess sich eine dünne Sonde einführen in einen innern Kanal des Wulstes. Ein senkrechter Quer- schnitt durch die ganze Figur hinter dem Eingange ge- führt lehrte, dass der eben erwähnte Canal nichts an- ders sey, als der Rückenkanal. In Fig. 18. ist dieser Durchschnitt in zehnfacher Vergrösserung dargestellt. Die Wölbung des Schildes wird durch zwei nach aus- sen herabgekrümmte Platten (2. c.) gebildet, welche fest und dick genug sind, um auch beim Durchschnitte ihre Wölbung zu bewahren. Ich muss sie für die Bauchplat- ten halten. WVo sie in der Mitte sich einander nähern, liegt unter ihnen eine enge Rinne aus zwei viel schma- leren, stark gegen einander gekrümmten Platten gebildet, welche die Rückenplatten seyn müssen (a.2.). Nach un- ten hat ein sehr dünnes Blatt sich zu lösen angefangen, das Blatt für die plastischen Organe (oder die Gefäss- und Schleimhautschicht), welches am Rande der Bauch- platten (e.), so wie an dem schwachen Wirbelstamme (a.) noch anhaftend ist und dann in die Keimhaut übergeht, In dieser waren zwar die verschiedenen Höfe abgegrenzt, aber noch kein rothes Blut. Das vordere Ende der untern Figur ragte über das Schild vor und war herabgekrümmt. Dies war der künf- tige Kopf mit dem Hals, Ohne Zweifel fehlten die Rückenplatten hier nicht ganz, nur waren sie ganz un- scheinbar gegen die Ausdehnung, die sie im Rumpfe hatten, Wir finden also alle Theile wieder, welche an an- 35 + 348 deren Embryonen von Wirbelthieren vor dem Erschei- nen des rothen Blutes bemerkt werden, nur in etwas veränderten Verhältnissen, die Bauchplatten sitzen näm- lich da an den Rückenplatten an, wo diese nach oben sich vereinigen, um die Rückenfurche zu schliessen. Dass auch in den Schildkröten die Rückenplatten nicht ursprünglich schon oben verwachsen sind, lehrt nicht nur die unvollkommene und schwache Verbindung, wel- che unser Schnitt in der Mitte des Embryo traf, sondern auch die Oeffnung (Fig. 17. a.), welche eben in nichts anderes als in den Rückencanal führt, der hier noch nicht geschlossen ist. Zwei Tage später ist auch diese Oeffnung geschwun- den und mithin der Rücken völlig geschlossen. Auch ist um diese Zeit der Rücken, so weit der Rumpf reicht, noch tiefer herab gesunken. Auch um diese Zeit sah ich noch kein rothes Blut, doch schienen schon Rinnen von ungefärbtem Blute im Gefässhofe zu seyn. Das Eigenthümliche in der Entwickelungsweise der Schildkröten besteht also darin, dass die Bauchplatten ziemlich nah an der Schlusslinie der Rückenplatten an diesen anliegen. Man könnte in Versuchung kommen, ihnen alle Beziehung zum Wirbelstamme abzusprechen und den doppelt-symmetrischen Bildungstypus oder diese Durchschnittsform der $, welche allen Embryonen von Wirbelthieren zukommt, hier ganz zu verkennen, wenn sich nicht allmählige Abstufungen von dem reinen Grund- typus in den verschiedenen Thierklassen nachweisen lies- sen. Nur in der niedersten Form, in den Fischen näm- lich, ist dieser Grundtypus unvermischt, der Wirbelstamm liegt ganz in der Mitte zwischen Rücken- und Bauch- platten. In den Vögeln, den Säugethieren und den mei- sten Reptilien ragt der Wirbelstamm bald mehr, bald weniger gegen die Bauchhöhle vor, dennoch zeigt der ganze Bau, dass der Wirbelstamm als der Ausgangspunkt der Bauchwand anzusehen ist, wie die knöchernen Re- 549 präsentanten, die Rippen durch ihre Anfügung nachwei- sen. Bei den Schildkröten ist es nicht anders, nur dass hier der höchste Grad der Abweichung sich findet. Der Wirbelstamm ist sehr schwach und nur mit einer dünnen Fortsetzung neigt sich die Rippe gegen diesen Wirbel- . stamm. Man wird mich bei aufmerksamer Betrachtung eines Schildkrötenskelets leicht verstehen , wenn ich meine Ueberzeugung dahin ausspreche, dass in den ge- bogenen Blättern unsers Durchschnitts (Fig. 18. a. 2.), die wir bisher Rückenplatten genannt haben, nicht diese allein enthalten sind, sondern auch die Anfänge der Bauchplatten, wie ja bei Vögeln und Säugethieren, nur in geringerem Grade, die innersten Ränder der Bauch- und Rückenplatten, wo sie am Wirbelstamme ansitzen, auch verschmolzen sind. Nur der oberste |Rand der Rückenplatten, aus welchem die Dornfortsätze sich bil- den, ist in der Schildkröte frei, Viel wesentlicher ist ohne Zweifel eine andere Ab- weichung in derEntwickelung der Schildkröten, die dar- in besteht, dass die Grundlage für die Extremitäten sich nicht von der obern (oder äussern) Fläche der Bauch- und Rückenplatte ablöst, wie in andern Wirbelthieren, sondern von der untern (innern)Fläche. Ich habe zwar diese Ablösung noch nicht wahrnehmen können, allein man sieht leicht aus unserer Figur, dass sie nicht anders geschehen kann. Hieraus scheint zu folgen, dass zur Ab- lösung einer Schicht für die Extremitäten und zunächst für die Wurzelglieder derselben, Bauch- und Rücken- platten gemeinschaftlich wirken. Im Embryo der Schild- kröten ist das auf der obern Fläche nicht möglich, son- dern nur auf der untern (innern), und hieraus wird man wieder als wahrscheinlich folgern dürfen, dass wenn auch Rücken- und Bauchplatten in der Anlage schon im er- sten Keime enthalten seyn sollten, worüber hier nicht entschieden werden soll, doch die Schicht für die Extre- 550 mitäten es nicht ist, sondern diese später erst entsteht, d. h. sich absondert. Ueber den Bau der Schildkröteneier will ich nur bemerken, dass ich eben so wenig als Berthold (Isis, 1829. S.413,) Hagelschnüre in demselben gefunden habe. Diese gedrehten Enden der innern Haut des Eiweisses kommen überhaupt nur im Eie der Vögel vor, und zur Bildung derselben scheint eine sehr dicke Lage von Ei- weiss erforderlich. Das Eiweiss der Schildkröteneier ist zwar ungemein durchsichtig, aber keineswegs sehr verdünnt. Der Keim schien mir lange nicht so bestimmt geformt als der Keim (Hahnentritt) im Vogeleie, im Au- genblicke, wo dieses gelegt wird. Dies mag mit der un- gemein langsamen Entwickelung unserer nordischen Schild- kröten zusammenhängen, denn Carus sah, dass Eier, welche am 14, Juni gelegt waren, bis zum 4. Juli (d. h. nach 17 Tagen) es nur bis zu einer Figura venosa von 2 Zoll Durchmesser mit kleinem unförmlichen Em- bryo gebracht hatten (Hecker's Lit. Annalen der Heilk. 1829, Febr. S.150.) und ich fand, dass erst am achten Tage die Rückenfurche sich geschlossen hatte. Ueber die Form des fast reifen Embryo haben wir sehr schätzbare Beobachtungen von Tiedemann in seiner Schrift: Zu der Jubelfeier S. Th. v. Sömmerring. 1828. Heidelb. 4. Erklärung der Abbildungen. Taf. XI. Fig. 17. sechstägiger Embryo von Emys europaea, von oben gesehen, fünfmal vergrössert. a. Eingang in den Rückencanal. Fig.18. Querdurchschnitt durch denselben Embryo, zehnmal vergrössert. a. Durchschnitt des WVirbelstammes mit der Wirbelsaite. ab. Rückenplatte, bc. Bauchplatte, ac. (unterhalb) plastisches Blatt. d. Durchschnitt einer Verdickung, die den Gefässhof begrenzt, die werdende Grenzvene, 551 Ueber den Begriff des latenten Lebens. Von Medicinalrath Dr. Carus. D ie neuen interessanten Beobachtungen vom Hrn. Prof. Schultze über den von ihm sogenanrten Macrobiotus Hufelandi und das merkwürdige von mir ebenfalls beob- achtete Wiederaufleben dieses Thierchens in einem VWVas- sertropfen, nachdem es mehrere Jahre in Sand und Staub selbst als Staubkörnchen gelegen hat, haben theils die frühern, von Loewenhoek, Fontana und Spallan- zani bereits angegebenen, neuerlich aber von Mehreren und unter diesen selbst von dem scharfsichtigen Ehren- berg geleugneten Thatsachen wieder bewahrheitet, theils zu manchen weitern Betrachtungen über die Verschie- denheit der Lebensformen Veranlassung gegeben. Von den letztern will ich mir erlauben hier einige weiter zu verfolgen, und wenn es hierbei gelingt auf einige bisher weniger beobachtete Momente in der Biologie aufmerk- sam gemacht zu haben, so ist das Ziel des gegenwärti- gen Aufsatzes erreicht. Da es indess bei Betrachtungen dieser Art eigentlich unerlasslich ist, sich zuerst über die Grundansichten von der Lebenslehre überhaupt entschie- den auszusprechen, damit jeder den dem Darstellenden eignen Standpunkt erkenne, so sagen wir nur in kur- zem und im voraus, dass uns das Wort Leben nur dann einen Sinn hat, wenn wir es als die eigenthümliche Da- seynsform der gesammten Welt anerkennen, eine Da- 5952 seynsform, welche bedingt ist durch eine rastlose, stäte und unausgesetzte Durchdringung und Ineinanderwirkung der beiden ursprünglichen Offenbarungen des höchsten göttlichen Wesens, d.i. der Idee und der Naturelemente, oder wie man diesen Gegensatz sonst ausdrücken will, als etwa der Vernunfteinheit und der unendlichen Man- nigfaltigkeit der Substanz, oder des physischen und des somatischen Princips. Es folgt daraus, was Jedem, der sich in den vielfältigen, verfehlten Versuchen, eine so- genannte todte und eine belebte Natur zu unterscheiden, etvwyas umgesehen hat, ohnehin klar geworden seyn wird: nämlich dass wesentlich nur eine, jedoch auf unendlich verschiedene Weise sich äussernde Lebensform der ge- sammten WVelterscheinung eigen sey, dass ein engherziges Beschränken desLebens auf irgend eine besondere Reihe von WVelterscheinungen z. B. auf die Thier- und Pflan- zenwelt, als gänzlich unstatthaft, sich darstellen, und dass uns nur dann erst, wenn wir das Leben in seinem eigen- thümlichen göttlichen Wesen recht klar und rein aufzu- fassen den Muth gehabt haben, uns die Freudigkeit und Lust recht aufgehen werde, um auch alle die tausend und aber tausend verschiedenen Formen dieses Lebens, wie es uns bald in den Kreisen der Sonnensysteme, bald in dem electro-magnetischen Leben der Erdatmosphäre, bald in den crystallinischen Bestrebungen der Erdmasse, bald in der Entwickelung der Pflanzen und bald in dem alle diese Erscheinungen zuhöchst wieder in sich concentriren- den Leben der Thier- und Menschenwelt vorliegt, mit an- haltendem Fleisse und verständigem Auge zu betrachten. Um uns in diesem unübersehbaren Labyrinthe eini- germassen zurecht zu finden, wird eine Sonderung desselben in mannigfaltige Abtheilungen entschiedenes Becürfniss; und man darf wohl sagen, dass je vollstän- diger unser Geist sich der Unterscheidungsmerkmale der verschiedenen Lebensformen bewusst wird, um so ge- nauer wird er ihr eigenstes Werk erkennen, so dass der 953 alte Spruch: „qui bene distinguit, bene docet,“* auch als ein „qui bene distinguit, bene cognoseit,‘“ Anwendung finden könnte. Fassen wir nun für jetzt das Leben der auf Erden als besondere, als individuelle, und weniger oder mehr, nie aber ganz selbstständige Einzelwesen er- scheinerden Organismen der Pflanzen und Thiere nach seinen allgemeinsten Formen ins Auge, so scheint es, wenn wir uns alle dessen Eigenthümlichkeiten deutlich machen wollen, sehr zweckmässig, einen Begriff hier einzuführen, welcher bis jetzt fast allein von den Phy- sikern in der Betrachtung grösserer allgemeiner Erschei- nungen des Erdenlebens in Anwendung gebracht worden ist, ich meine den Begriff des latenten oder des ge- bundenen Zustandes. Man hat nämlich bei chemi- schen und physikalischen Untersuchungen und Beobach- tungen häufigst sich überzeugt, dass man bei vielfältigen Gelegenheiten genöthigt sey, zweierlei Zustände ir- gend einer Thätigkeit oder irgend einer Substanz zu un- terscheiden, nämlich wo dieselbe mit allen Zeichen ihrer eigenthümlichen Regung und Bewegung frei und entschie- den hervortritt und einen, wo ihre Erscheinung für den Moment gleichsam vernichtet oder aufgehoben ist und dessen ungeachtet das Vorhandenseyn derselben zugege- ben werden muss. In diesem Sinne sprechen dann die Physiker ven latenter Wärme, von latenter Ele- etrieität u,s. w. und bezeichnen damit Zustände, wo diese Wirkungen gebunden urd in allen ihren Erschei- nungen suspendirt angenommen werden müssen, obwohl sie gleichsam nur das lösende Wort erwarten, um frisch und kräftig in ihrer eigensten Natur hervorzutreten. Ebendenselben Unterschied nun aber auch in den For- men des Thier- und Pflanzenlebens anzuerkennen, ist von grösster Wichtigkeit, ja er führt sich eigentlich von selbst ein, sobald wir einmal zu der Erkenntniss gelangt sind, dass von einem absoluten Unterschiede zwischen Pflanzen- und Thier- und Erden- und Weltleben nicht 554 die Rede seyn kann, sondern nur von einem relativen, woraus dann folgt, dass was vom Leben der einen Reihe im Allgemeinen gesagt werden kann, auch dem Leben der andern Reihe zukommen muss. Finden wir nämlich im Pflanzen- und Thierleben Zustände, wo alle besonderen Lebensphänomene, aufgehoben und verschwunden sind, nur noch eine oft auch verkümmerte somatische Form trotz innerster Zurückgezogenheit aller Lebensregung, sich, in ihrer Integrität ruhend, auf unbestimmte Zeit- räume hinaus erhält, so wissen wir kaum, wie wir ein solches Verhalten mit den Vorkommnissen des gewöhn- lichen, durch irgend eine eigenthümliche Bewegung und Umbildung sich stätig characterisirenden individuellen Le- bens vereinbaren sollen? Haben wir dagegen gelernt, dass derselbe Unterschied der Lebensform, welchen wir in der Physik anzuwenden genöthigt sind, auch auf die Physiologie auszudehnen sey, sind wir unterrichtet, dass auch ein gebundener und freier, ein manifester und ein latenter Zustand des Thier- und Pflanzenle- bens anzuerkennen, ja für die Unterscheidung der ver- schiedenen Lebenserscheinungen dieser Organismen höchst wichtig sey, so finden wir uns alsobald in dem Ver- ständnisse dieser Vorgänge gefördert und können somit ruhiger und klarer mit dem erfahrungsmässigen Studium der einzelnen Verhältnisse, unter welchen bald dieser bald jener Zustand hervortritt, uns beschäftigen. Unter- nehmen wir es jetzt nur einen flüchtigen Ueberblick zu geben von den prägnantesten Fällen, in welchen ein ge- bundener oder latenter Zustand des Thier- und Pflan- zenlebens anzunehmen ist, so können wir doch zuvor nicht umhin die Frage aufzuwerfen, ob nicht auch in der Reihe allgemeinen Erdlebens und ausserhalb jener oft ausschlussweise organisch genannten Naturkörper der Be- griff des latenten Zustandes weiter auszudehnen sey, als man ihn gewöhnlich auszudehnen pflegt, und ob er na- mentlich nicht anzuwenden sey auf eine ganze Reihe von irdischen, unserer Scheidekunst nicht weiter zerlegbaren 555 Substanzen, welche wir oftmals so plötzlich hervortreten und fortwirken sahen an Orten, wo früher nicht die lei- seste Spur ihres Vorhandenseyns angetroffen wurde, so dass wir dazu gedrängt werden, sobald wir nicht eine jedesmalige neue Fortschaffung derselben statuiren wol- len, anzunehmen, dass nach ihrem ersten freien Hervor- treten nunmehr für einige Zeit ein gebundener, latenter Zustand dieser Substanz eingetreten sey, aus welchem sie nun abermals frei hervortrete. Beispiele dieser Art aus dem terrestrischen Leben, wo bald einzelne Salze, bald Schwefel und bald Metalle plötzlich an Orten her- vortreten, wo ausserdem nur andere, keinen ihrer Be- standtheile enthaltende Stoffe sich finden, hat Kefer- stein in seiner Physiologie der Erde, in grosser Anzahl gesammelt; man darf jedoch nur an das bei Bebrütung jedes Hühnereies leicht zu beobachtende Erscheinen ei- nes Kalkskelets sich erinnern, wie es aus der Masse des keineSpur von Kalk zeigenden Eiweisstoffes*) hervortritt, um ein von aller Täuschung freies und sicheres Beispiel eines solchen Actes zu haben, welchen wir wenigstens ganz mit eben dem und vielleicht mit mehr Recht durch Freiwerden dieses vorher latenten Stoffes, als durch eine vollkommene Generatio spontanea zu erklären im Stande sind. Doch möge über diese Art latenten Lebens unter den allgemeinen Substanzen des Erdlebens dereinst eine weitere entwickelte, und mehr die wahrhaft genetische Methode beachtende Physik und Chemie entscheiden! Hier ist zuvörderst unverkennbar, welche grosse Rolle im Auftreten der vegetabilischen und animalischen Reiche das latente Leben, wie es bei den Pflanzensamen und Thiereiern, in gewissem Masse immer, aber, unter beson- dern Umständen, auch in höchst ausgedehntem Masse vorkommt, zu spielen im Stande se. WVie als durch das auf eine ganz unzuberechnende Zeit sich ausdeh- *) Das Eiweiss enthält allerdings Kalkerde nach Adet, Four- eroy, John, Prout. Anm. d. Red. 556 nende latente Leben, dessen die Pflanzensamen fähig sind, erklärt sich das von den glaubhaftesten Reisenden be- richtete Erscheinen einer ganz neuen Vegetation nach dem Abbrennen der Urwälder Amerika’s, wie als. auf diese Weise können wir verstehen, wenn wir auch in unsern Gegenden bemerken, dass z. B. Stellen, wo viel- jährig mit Wasser erfüllte Teiche abgelassen worden sind, sich mit einem oft manches Ungewöhnliche zeigenden Pflanzenwuchs schnell. bedecken? Und haben wir nicht auch sonst Beispiele, wo Samen, welche Jahrhunderte lang an trocknen Orten aufbewahrt wurden, im fortge- setzten latenten Leben ihre Keimkraft keineswegs verlo- ren? Gehen wir nun aber gar davon aus, dass die Spo- ren der niedrigsten Pflanzen vielleicht ähnlicher lang aus- gedehnter latenter Zustände fähig seyen, so könnte diess leicht dazu führen, das Vorkommen wahrhaft neuer spon- taner Erzeugung in immer engere Grenzen einzuschliessen. Wenden wir uns hierauf zum Thierreiche, so bieten zu- nächst selbst bei den höchsten Thieren und endlich auch beim Menschen, die durch v. Baer entdeckten Urbläs- chen in dem Graäf’schen Bläschen, offenbar ein sol- ches latentes Leben dar, da sie ohne Bewegung und Stoff- und Formwechsel, ziemlich unbestimmte Zeit- räume nur eben ihr Daseyn erhalten, bis dann plötzlich eine einwirkende befruchtende Erregung das gebundene latente Leben frei macht und die Entwicklung eines neuen Organismus hervorruft. Nicht bloss bei unbefruchteten Eiern jedoch, son- dern auch bei befruchteten, einer weitern Entwickelung alsobald fähigen Eiern, scheint ein solcher Zustand laten- ten Lebens mehrfältig vorzukommen, denn nicht nur, dass schon Leeuwenhoek's Beobachtungen über das VVieder- aufleben der Räderthierchen dafür zu sprechen scheinen, dass auch die Eier derselben aus dem Zustande des la- tenten Lebens während der Vertrocknung wieder hervor- treten können, so kommt dergleichen sicher auch bei 957 andern Eiern niederer 'Thiere vor; namentlich will es Leuchs an den Eiern der Ackerschnecke beobachtet haben, bei denen mir jedoch der Versuch nicht gelang. Auch das Ueberwintern so vieler befruchteten Kerfeier kann hierher gezogen werden. Deutlicher scheint dage- gen, dass es nur durch Eintritt und Lösung eines laten- ten Lebens der Eier von Apus cantriformis erklärlich werde, wie diese Thierchen zuweilen so mit einemmale in Wassertümpfeln an Stellen, welche vorher lange ver- trocknet waren, zum Vorschein kommen können, und auf dieselbe WVeise verhält es sich wahrscheinlich mit der Brut von tausenden von Oozoen, wo man denn aber- mals gestehen muss, dass wenn erwiesen werden könnte, es vermöchten die doch oft unendlich kleinen Eier der Infusorien ebenfalls (wie doch sehr glaublich ist) im Zu- stande latenten Lebens vertrocknet anzudauern, die An- nahme einer Generatio aequivoca dieser Geschöpfe, wenn auch nicht ganz wegfallen, aber doch höchst eingeschränkt werden dürfte. Bemerkt muss übrigens immerhin wer- den, dass der Act des Ueberganges vom manifesten zum latenten Leben, namentlich wenn er durch Eintrocknen bedingt wird, immer für das weiter entwickelte Geschöpf ein bedenklicher und leicht völlige Vernichtung herbei- führender Moment sey. So ist es wahrscheinlich ein Grund, welcher mehrfältig das Wiederaufleben der Rä- derthierchen als Fabel erscheinen liess, dass man diese zarten Geschöpfchen allein auf einer Glasplatte eintrock- nete. Hierbei geschieht es nämlich gewöhnlich, dass z. B. vorderes und hinteres Ende oder die ganze Unter- fläche auf einmal an die Glastafel ankleben; es wird nun nicht mehr möglich, dass der 'Thierkörper sich so allmählig von allen Seiten gegen seine Mitte contrahiren kann, wie vorausgesetzt wird, wenn er die Integrität sei- ner Structur vollkommen erhalten soll, und die Folge davon ist Zerreissung grundwesentlicher Gebilde und unfehlbarer Tod. Liegt dagegen das Thierkörperchen 558 von Sandkörnchen oder Pflanzenstäubchen umgeben, so dass von allen Seiten her allmälig die Eintrocknung vor sich geht (wie denn Schultze deshalb sehr zweckmäs- sig einen vertrockneten Macrobiotus mit zwei ankleben- den Sandkörnchen abbildet), so bleibt das Wesentliche der Organisation ungestört, und so wie die zur Lebens- äusserung unablässige Feuchtigkeit wieder eindringt, quellen die Organe wieder auf und die Lebensregungen gehen alsbald wieder frisch und anhaltend vor sich. Endlich ist aber auch nicht unbeachtet zu lassen, dass es, wie nirgends in der Natur, so auch hier nicht, an einer Menge von Uebergangsstufen zwischen latentem und ma- nifestem Leben fehlt, ja es scheint mir sogar als wenn erst, nachdem man als zwei entschieden entgegengesetzte Zustände das manifeste und latente Leben fest in's Auge gefasst hätte, eine ganz richtige Würdigung der den Ue- bergang zwischen beiden Polen vermittelnden Mittelglie- der möglich wäre. Als Uebergangszustände solcher Art möchten wir aber aufführen, erstens den Winterschlaf der Säugethiere, Lurche, Kerfe und Mollusken, in wel- chen Blutlauf und Athembeweguug wie eigne Wärme fast völlig erlischt und ‘wobei sogar Uebergänge in ein ungemein langes latentes Leben möglich werden; wie man denn überzeugt seyn kann, dass wenn sich ein auch oft geleugnetes Factum der in Steine eingeschlossenen HKröten doch bewahrheitet, diess nur durch Ueberdek- kung winterschlafender Individuen mit versteinernden Nie- derschlägen, erklärt werden könnte. Ferner gehört zu jenen Uebergangszuständen der Sommerschlaf mancher Schnecken, und zuletzt ist ein partielles Suspendiren oder Latentwerden von Lebensfunctionen selbst bei dem ge- wöhnlichen Schlafe nicht zu übersehen, und so fände sich also noch zu vielfältigen Betrachtungen über allge- mein oder partiell latentes Leben Gelegenheit, wenn wir nicht absichtlich vermeiden wollten einem neu in die Phy- siologie eingeführten Begriff gleich eine zu grosse Aus- 559 “ dehnung zu geben, vielmehr denselben zuvörderst nur einer weitern Beachtung der Physiologen überhaupt em- pfohlen wissen wollten. Dagegen kann ich aber nicht umbhin, hier noch eine andere wichtige Seite dieses appercu (wenn man ein sol- ches fremdes aber unübersetzbares Wort hier gestatten will) zu berühren, und dies ist seine Anwendung auf die Entwicklungsgeschichte der Krankheiten; eine Anwen- dung, welche in der Pathologie im weitesten Umfange möglich ist. Auch in der Krankheitslehre möchte ich aber zuvörderst das allgemeinere und bestimmtere Ge- wahrwerden der Natur der Krankheit als eines organi- schen Ganzen, als eines gewissermassen selbstständigen eigenthümlich Lebendigen, für einen grossen Fortschritt der Wissenschaft erklären, und die neuere mehr auf Ent- wickelungsgeschichte gerichtete Art und Weise der Na- turwissenschaft überhaupt, hat hier oflenbar einen bedeu- tenden und heilbringenden Einfluss auf die Mediein geäus- sert, Indem man aber darauf aufmerksam, wurde, wie die Erzeugung und das Wachsthum, das eigenthümliche Leben und das Untergehen der Krankheit, vollkommen ähnlich sich verhält, wie die gleichnamigen Erscheinungen an ein- zelnen Pflanzen oder T'hieren, so musste auch Gelegenheit sich erschliessen, noch manche andere Aeusserungen des kranken Lebens richtiger, ihrer individuellen Bedeutung nach, verstehen zu lernen, und es wird einem künftigen aufmerksamen Beobachter nicht schwer werden, über ei- genthümlich animales und vegetatives Leben, über Ath- mung, Ernährung, Absonderung und Fortpflanzung der Krankheit, so wie über das Verhältniss des Krankheitle- bens im Allgemeinen zu äussern Einflüssen (woraus eine rationelle Heilmittellehre endlich hervorgehen kann) der- einst die interessantesten Darlegungen zu geben. Von al- lera diesen kann nun hier im Besonderen nicht weiter die Rede seyn; dagegen sollten hier noch einige Andeutungen darüber versucht werden, dass dem Krankheitsleben, 560 gleich dem Leben so mancher niedern Organismen, mög- lich sey, nicht nur im Zustande eines manifesten, sondern auch in dem eines latenten Lebens zu verharren. Hat man es aber einmal ausgesprochen, dass schon seiner wesentlichen Gleichartigkeit halber im Krank- heitsleben sowohl als im Leben der Pflanzen und Thiere, neben dem Zustande regsamen, thätigen Lebens, auch der des gebundenen latenten Lebens vorkommen müsse, so werden jedem umsichtigen und erfahrenen Arzte alsbald eine Menge Fälle in das Gedächtniss kommen, in welchen latente Krankheiten theils durch ihr vorhandenes, aber zur Zeit regungsloses somatisches Substrat, theils durch ihr späterhin plötzliches Auftreten, oder ihr Freiwerden, mit- telst Hinzukommen eines ihrem Lebensprocesse irgend gün- stigen Moments, sich auf das Deutlichste darstellten. Es wird ihm klar werden, dass der grösste Theil der von Gaubius mit mehr logischem Scharfsinn als Naturwahr- heit aufgeführten prädisponirenden Krankheitsur- sachen nichts anders sind, als wirkliche und wahrhaft vorhandene, nur ein allgemein oder partiell latentesLe- ben führende Krankheiten, und eben so werden ihm Fälle in das Gedächtniss kommen, wo eine einwirkende Schädlichkeit, z.B. eine Ansteckung mit Pest-, Wuth- oder syphilitischem Gift, nicht alsogleich die entsprechenden Krankheitsphänomene erzeugte, sondern die angeregte Krankheit, gleichsam im Zustande des Samenkorns, lange Zeit hindurch im Körper verborgen blieb, bis irgend eine neue Einwirkung den latent lebenden Keim in's Leben rief. Namentlich die Lehre von den angeerbten Krankheiten und den Contagien ist es aber, welche vom Begriff des latenten Lebens die mannigfaltigste Anwendung gestattet. Wie sehr finden wir uns nämlich nicht im Verständniss dieser Erscheinungen gefördert, wenn wir z.B. in einem Kinde von phthisischen Eltern erzeugt, bereits die Archi- tectur eines phthisischen Kranken angedeutet sehen und nichts desto weniger kein einziges Symptom eines activen 561 Krankheitsprocesses dieser Art wahrnehmen? Hier wird der scheinbare Widerspruch, dass eine Krankheit zugleich da sey und nicht da sey, nur gehoben, wenn wir uns er- innern, dass allerdings die Krankheit selbst als vorhanden angenommen werden müsse, dass sie aber vorhanden sey, nicht als freie, sondern als gebundene, als latente Krank- heit. Dasselbe ist ferner sehr vielfältig bei Vererbung von Geisteskrankheiten, von Gicht und drgl. zu beobachten. Eben so sehen wir nicht selten Menschen, welche an ir- gend einem Orte mit Typhuskranken in Berührung gekom- men sind, noch längere Zeit scheinbar gesund fortleben, Reisen machen, über keine Symptome von Krankheit kla- gen, und plötzlich wird das latente Leben des Krankheits- processes entbunden und mit zerstörender Heftigkeit ver- breitet sich seine Wirkung über das Eigenleben des Or- ganismus. Ja selbst in den Effluvien des Krankheitsor- ganismus, in welchen man wohl eine Art von infusiorel- lem Eigenleben erkennen kann, ohne deshalb an besondere infusorische Thierchen zu denken, ist die Beachtung des Vorkommens latenten Lebens von höchster Wichtigkeit, und nur auf diese Weise wird es uns verständlich, wie z.B. das Effluyium der Pest, wenn es irgend einen dem Thierleben verwandten oder homogenen Stoff erfasst hat, im verschlossenen Raume Jahre lang sein latentes Leben erhalten kann, bis es entweder durch Einwirkung äusserer Einflüsse doch zerstört wird, oder einen neuen mensch- lichen Organismus ergreifend, das gesammte Bild der Krankheit wieder hervorrufen und somit zugleich unend- lich neue Sporae erzeugt, die sich alsbald verheerend aus- breiten werden. Kurz, je mehr man sich den Begriff’ des latenten Lebens deutlich macht, um so mehrfachere An- wendung wird er gestatten, und hierauf die Aufmerksam- keit der Physiologen und Pathologen zu lenkien, war eben der Zweck gegenwärtiger \leinen Abhandlung. — c> fe 7} Müller’s Archiv, 1834. 562 Vorläufige Mittheilung einiger bisher unbekannter Structurverhältnisse bei Acalephen und Echinodermen. Von C. G. Ehrenberg *). A, Structur der Medusa aurita. (Zoologia danica, Tab, LXXVI LXXVII,) D:. planconvexe Knorpelscheibe der Medusa aurita be- steht aus einer in drei Häuten eingeschlossenen mit Ge- *) Obwohl in den Handbüchern der Naturgeschichte, auch in Cuvier’s bedächtigem Werke, von grösster Einfachheit der Medusen die Rede ist, so sind doch schon viele wichtige Schritte zur Erkennt- niss einer ansehnlichen Organisation bei ihnen gethan. Obenan steht Gäde’s fleissige Schrife. WVichtige Zusätze lieferten Eysenhardt, Rosenthal, vonBaer, Eschscholz. die ich als bekannt voraus- setze. Das Neue, wasich hier mittheile, beschränkt sich auf dieAnal- öffnungen, die Kiemen, die Augen, die Nerven, die Mus- keln und die (kohlensauren Kalk-?) Crystalle der Augenbeutel. Mein Hauptbestreben war bei diesen Untersuchungen, die Gesammt- organisation zu erläutern und zu versuchen, ob sie sich nicht mit den grösseren Thieren auf einen und denselben Organisationstypus reduci- ren liess. Möge man über meine mühsamen Untersuchungen nicht voreilig aburtheilen, auch nicht mehr verlangen, als ehrliche Mühe zu liefern vermochte. Später vielleicht bekannt zu machende zahlreiche Abbildungen, die ich von diesen Gegenständen nach dem Leben ge- zeichnet habe, werden zur deutlichern Erkenntniss dieser Verhältnisse noch mehr beitragen, so wie weitere Untersuchungen sie gewiss bald noch mehr fördern werden. 563 fässen, drüsenartigen Körnern und schüsselförmigen Saug- wärzchen dicht durchzogenen, mithin keineswegs einfa- chen, vielmehr sehr organisirten Gallerte. Die einfache Oberhaut der convexen (Rücken-) Seite schliesst ein dich- tes Netz von meist sechseckigen Maschen ein und diese Zellen enthalten hie und da eine trübe, sehr feinkörnige, weissliche Substanz. Die Fäden, welche das Netz bilden, sind nicht Zellwände, sondern erscheinen wie feine Ge- fässe, deren Durchmesser Eraser 0, und zn liegt. 100 Die Maschen sind oft 1, — 1", zuweilen bis „" breit, zu- 100 96 weilen viel kleiner und ihr Durchmesser Zeigt keine feste Regel. Diese Oberhaut ist nicht glatt, sondern durch in kleinen Abständen haufenweis gestellte, schüsselförmige Körner (Saugrfäpfchen), deren einzelne Häufchen auf klei- nen Erhebungen (flachen Wärzchen) stehen, uneben. Die grössten dieser Saugnäpfchen, deren Zahl in jedem Haufen 5 bis 10 ist und um welche herum oft noch 10 bis 20 kleinere unregelmässig stehen, haben im Durch- messer „I; Linie. Ein ganzes Häufchen misst „, bis „; und man kann diese Häufchen der Shugrispfchen jeder- zeit recht wohl mit blossen Augen erkennen, Die concave oder flache (Bauch-) Seite der Knorpel- scheibe, an welcher der Mund und die grossen Fangarme befindlich sind, zeichnet sich durch eine doppelte Haut, eine äussere und eine innere aus. Die äussere Haut, welche die Epidermis bildet, wenn man den dünnen Schleimüberzug übersehen will, enthält, wie die der con- vexen Fläche, ein feines Gefässnetz und Saugnäpfchen von ganz gleichartiger Natur, allein die Saugnäpfchen sind nieht haufenweis gruppirt, sondern einzeln verstreut und durchgehend kleiner. Dicht hinter dieser äussern Haut liegt eine zweite, mit ihr parallele Haut, welche ebenfalls durch ein Gefässnetz von sechseckigen Maschen ausgezeichnet ist, aber keine Saugnäpfchen, sondern ver- streute wasserfarbene Körner enthält, die den benachbar- ten der Gallerte gleichen. Der Zwischenraum zwischen 36 * 364 der Mittelhaut und der Rückenhaut ist viel grösser, als der zwischen derselben und der Bauchhaut. Beide sind mit wasserheller Gallerte erfüllt, die zahlreiche verstreute Körnchen, wie Drüsen, in sich enthält. Diese Körnchen sind rundlich, nicht gleich gross und etwas, aber nicht viel kleiner als die Saugnäpfchen der Oberflächen, je- doch differirt es oft um die Hälfte. Alle Körnchen sind durch feine Fasern (Gefässe?), nicht Häute, verbunden, die übrige Gallertmasse ist zu durchsichtig, um weitere Organisationsverhältnisse erkennen zu lassen, allein der scheinbar structurlose Raum ist nun nicht mehr bedeu- tend gross, zumal da er noch von den grossen Ernäh- rungscanälen durchzogen wird. Es ergiebt sich hieraus, dass die Gallertscheibe der Medusen kein unwesentlicher Theil ihres Körpers ist; besonders wichtig orgaisirt ist aber noch der Rand Gc Scheibe, Ernährungssystem. Zwischen den vier Fangarmen der Bauchseite (wo vier sind) in der Mitte ist die bekannte viereckige Mund- öffnung, deren Winkel in der Richtung der Fangarme selbst liegen. Dieser Mund ist eine viereckige, kurze Röhre, welche nach dem Bauche zu vier lange Lippen oder Tentakeln hat, die bekannten vier Fangarme. Diese sind Verlängerungen der Mundwinkel und gleichen bei Me- dusa aurita anLänge dem Radius der Scheibe. Jeder Fahgarm besteht aus einer dicken, knorplichen, soliden Mittelrippe, an der zwei häutige, gefranzte Blätter unten der ganzen Länge nach angeheftet sind. Gewöhnlich lie- gen sie an einander und erscheinen wie ein einfacher, ge- franzter, wellenförmiger Rand. Die Seiten dieser häuti- gen Blätter haben die Fähigkeit sich zu vielen kleinen Taschen auszuweiten, von welchen bei den Geschlechts- organen noch einiges zu sagen seyn wird. Der auf diese Weise unterwärts in Fangarme verlängerte, prismatische Mund geht aufwärts in vier, seinen Winkeln entsprechende 965 kurze Röhren über, die durch einen dicken, knopfarti- gen, viereckigen (nicht achteckigen) Zapfen der Knorpel- scheibe aus einander gehalten werden und divergiren *). Diese vier Röhren sind ganz offenbar vier Oesophagi, ‚denn sie führen aus dem viereckigen Munde in vier ge- räumige, runde Magenhöhlen, die halbkugelförmig sind und unter welchen unmittelbar die vier Eierhöhlen liegen, deren oft violette, meist halbzirkelförmige Eierstöcke man leicht wahrnimmt. ‚Umgekehrt liegen die vier Magenhöh- len unmittelbar über den Eierhöhlen, ohne mit diesen in Verbindung zu stehen. Diese vier Magen sind nicht. von einander scharf gesondert, sondern sie stehen durch die Oesophagos in unmittelbarer Verbindung, indem immer jeder Oesophagus sich in zwei Magen öffnet. Man könnte daher, wenn man die Erweiterung jedes Oesophagi, wel- che zwischen je’zwei Magen liegt und sich unmittelbar in beide einmündet, wie es wohl anginge, einen beson- deren, ersten Magen nennen wollte, dieser Meduse acht Magen zuschreiben, nämlich vier kleinere Vormagen und ‚ vier grössere eigentliche oder Hauptmagen, oder man (önnte ihr auch einen einzigen viertheiligen oder acht- theiligen Magen zuschreiben. Diese Magen nun sind mit einer besondern Haut ausgekleidet, welche Körnchen (Drüsen?) aber kein Gefässnetz enthält und an den gal- lertartigen Knorpel fest angeheftet ist. Nur die nach der Eierhöhle zugekehrte Hälfte der grossen Magen hat eine freie häutige Wand, welche aber aus zwei dicht an einander liegenden Häuten besteht, deren eine der Eierhöhle, die andere dem Magen gehört. Mit diesen Magenhöhlen stehen in der Richtung des Scheibenrandes viele grosse Canäle in Verbindung, die ebenfalls zum Ernährungssystem unmittelbar gehören. *) Wie ein Achteck mit ungleichen Seiten erscheint dieser pyra= midal gespitzte Zapfen nur dann, wenn man die Eindrücke der vier Schlunde an seinen Ecken mit berücksichtigt. 566 Aus der Erweiterung jedes Oesophagi entspringt unmit- telbar ein (meist) dichotomisch verästetes, bis zum Schei- benrande verlaufendes Gefäss und aus jedem der vier grösseren Magen entspringen drei grosse, ebenfalls bis zum Scheibenrande sich erstreckende Canäle, von denen jedoch die zwei seitlichen einfach sind, nur der mittlere dichotomisch verästet ist. Diese 16 grossen Gefässstämme mit ihren vielen, zuweilen anastomosirenden Verzweigun- gen münden sämmtlich in einen bekannten Cirkelcanal des Randes, Neuerlich scheint man nun allgemein angenommen zu haben, dass die Mundöffnung auch zugleich die After- öffnung der Medusen sey, indem man die acht braunen Körper am Scheibenrande, welche ©. F. Müller für die excernirenden Darmstellen hielt, als Analoga der Leber ansah. Ich habe mich wieder des einfachen Mittels der Färbung des Wassers durch geniessbare Stoffe bedient und ein ganz anderes, vollständig deutliches Resultat er- langt. Färbt man das Seewasser, worin man lebende Medusen hat, mit reinem Indigo blau, so erkennt man binnen 24 Stunden ganz leicht und ohne Widerrede alle die Canäle welche zum Ernährungssystem gehören, wie ich sie so eben angezeigt habe. Mund, Schlunde, Ma- gen, besonders aber die Bauchcanäle und das Randgefäss werden allmählig strotzend von blauer Farbe, während die übrigen Theile farblos bleiben und das Thier sich munter bewegt. Am abgeschnittenen Rande sieht man unter dem Microscope sehr leicht, dass die braunen Kör- per unverändert geblieben, dagegen die beiden kleinen Blinddärmchen an ihrer Basis sich blau gefärbt haben. Ueberraschend war esmir aber, dass ich auf diese WVeise eine schon früher von mir gemachte Beobachtung von excernirenden Stellen am Scheibenrande leicht ausser al- len Zweifel setzen konnte. In der Mitte nämlich zwi- schen je zwei braunen Körpern, giebt es eine excerni- rende Stelle am Scheibenrande, der eine grössere Schuppe 567 der Randblättchen entspricht, welche die Fühlfäden be- decken. , An dieser Stelle bildet das Randgefäss eine kleine sackartige Erweiterung, in der ich schon früher allerlei organische Fragmente gefunden hatte und die sich durch Farbennahrung ungemein deutlich auszeichnet. Dieselbe Stelle ist jedesmal das Ende der je zwei ein- fachen Canäle, die aus jedem einzelnen Magen entspringen. Man sieht sehr leicht das Excerniren selbst an dieser Stelle, sobald man nur die Thiere beunruhigt. NRäder- thierchen-Hülsen, microscopische Muscheln und Bacilla- rien sah ich oft in diesen cloakenähnlichen Beuteln wäh- rend ihres natürlichen Zustandes, jedoch entleeren die Thiere gewöhnlich den Inhalt sobald sie beunruhigt wer- den, weshalb man sie am besten in engen Glasgefässchen beobachtet, während sie frei schwimmen, oder auch in Uhrgläsern und auf Tellern, ohne sie viel zu berühren. So kann ich denn als sicheres Factum mittheilen, dass die Medusa aurita acht excernirende Oeffnungen am Schei- benrande hat und keineswegs afterlos ist, Auch mag O. F, Müller diese Excretion schon richtig gesehen, nur die Stelle mit der der braunen Körper verwechselt ha- ben, denn auch diese Stellen sind braun wenn die Thiere reichliche Nahrung von braunen Stoffen hatten, nur giebt es dann 16 braune Punkte am Rande, 8 After, $ Fortsätze. Die Canäle auf der Bauchseite der Medusen sind also mit dem Namen eines verzweigten Darmes, Darmver- zweigungen, zu belegen. Sie liegen weder in der Ober- haut der Bauchseite, noch unmittelbar hinter derselben, sondern tiefer, hinter der innern oder mittlern Haut, welche unter jedem Canal sich nach der Bauchhaut zu einbiegt und an diese ganz eng anschliesst, Jene Canäle liegen mithin in einer Furche der mittlern Scheibenhaut, auf der der Rückenhaut zugekehrten Seite, Sämmtliche Canäle haben eine deutliche Gefässhaut und sind auf der Bauchseite etwas verdickt, Im Innern dieser Canäle sieht man leicht eine Bewegung der Speisen, die zuweilen 568 einer Blutcirculation ähnlich ist und die man bei Medu- sen, Beroön, Halcyonellen und Sertularien auch schon fälschlich für Säftebewegung ausgegeben hat, Es ist eine Wirkung der der peristaltischen Bewegung analogen Thä- tigkeit der innern Darmhaut. — Es gehen kleine Fort- sätze des Darmes vom Randcanale aus in die Basis aller einzelsen Randfasern, aber diese sind keineswegs bis zur Spitze hohl, sondern durchaus solid bis gegen die Basis. Muskelsystem. Man hat sich noch immer die Bewegungen der Me- dusa aurita nicht erklären können, weil es an Apparaten dazu zu fehlen schien, jedoch ist es nicht schwer, diesel- ben aufzufinden. Die Canäle, welche die Darmverzwei- gungen auf der Bauchseite bilden, werden sämmtlich von zwei, meist blassrosenrothen, zarten Linien eingefasst und unter dem Microscope erkennt man an diesen Stellen deutliche zarte Längsstreifung. Bei Querdurchschnitten sieht man, dass die Canäle auf ihrer gegen die Bauch- seite gewendeten Wandhälfte zwei verdickte Stellen ha- . ben und diese entsprechen den röthlichen Seitenlinien. Es liegt. mithin am Tage, dass diese Streifen Muskeln sind, welche zu beiden Seiten der- Darmyerzweigungen verlaufen und diese überall begleiten. Ueberdiess giebt es noch andere Muskeln, Jede der Randfasern der Scheibe ist ein mit Saugwärzchen dicht besetzter sehr contractiler und sehr irritabler Fühlfaden, Jeder dieser Fühlfäden hat an seiner Basis zwei keulen- förmige Organe, welche ebenfalls eine röthliche Färbung haben und ganz den Muskeln gleichen, die im Zangen- fusse der Räderthiere liegen. Diese je zwei keulenför- migen Muskeln der Fühlfäden scheinen sich durch die ganze Länge dieser Fäden fortzusetzen, und auch die Fühl- fäden der Eierhöhlen zeigen einen ähnlichen Apparat. Sehr schwach mag eine ähnliche Vorrichtung bei den Fühlfäden der Fangarme seyn, indem ich sie da nicht 569 auffinden konnte, Vielleicht fehlt sie da und die Beweg- lichkeit dieser Fasern ist auch bei weitem schwächer. Geschlechtssystem. Der weibliche Geschlechtsapparat der Medusa au- rita ist sehr deutlich. Dicht um die Mundöfinung auf der Bauchseite, unmittelbar ‘unter den grösseren vier Magen- höhlen, liegen vier, meist halbeirkelförmige, durch violette oder gelbliche Farbe stark ausgezeichnete Eierstöcke in eben so viel besonderen Höhlen. Diese Höhlen und Eier- stöcke liegen in den Zwischenräumen der vier grossen Fangarme und wechseln mit derenBasis ab. In der Mitte jeder Höhle ist eine runde oder ovale Oeffnung. auf der Bauchseite nach aussen, welche innerhalb mit Fühlfäden besetzt ist, die an der Spitze Saugwarzen führen. Durch diese Oeffnung communieiren die Höhlen frei mit dem umgebenden WYasser. Jeder der halbeirkelförmigen Eier- stöcke besteht aus einem einfachen gefalteten Schlauche, der, wenn er mit jungen Eiern dicht erfüllt ist, schön violet erscheint, wenn er aber theilweis entleert ist, we- niger und grössere Eier enthält, eine braungelbe Farbe hat. Die Eier bleiben nicht bis zur vollendeten Reife im Eierstocke und Eileiter, auch nicht in der Eierhöhle, son- dern gleiten durch die Oeffnung der letztern ins Wasser, werden aber von den Fühlfäden und den zwei Blättern der grossen Fangarme aufgefangen oder angezogen und in kleine Beutel aufgenommen, welche sich an jenen Blät- tern, von innen nach aussen gerichtet, bilden. In diesen Beuteln verändern sich dieEier und wachsen. Die Eier- beutel der Fangarme sind periodisch da und fehlen, und wenn die sie erfüllenden Eier verschwunden sind, ver- gehen auch die Beutel wieder. Im Eierstocke haben die rundlichen Eier eine dünne, häutige, glatte Schale und erscheinen wie mit einer lein- körnigen, trüben, violetten Masse erfüllt. Die in den Beuteln der Fangarme befindlichen Eier haben keine 570 Schale mehr und zeigen dreierlei sehr verschiedene son- derbare Förmen. Einige sind wie Brombeeren gestaltet und haben eine blass-violette Farbe, bald kugelförmig, bald eiförmig, andere stellen eine kleine, dicke, blass- violette Scheibe vor, die einer kleinen Meduse ohne Fang- arme und Nahrungscanäle gleicht. Endlich giebt es For- men, und diese bilden die Mehrzahl, welche cylindrisch, an beiden Enden abgestutzt und von Farbe braungelb sind. Die letzten beiden Formen sind dicht mit Wim- pern besetzt und können frei schwimmen. Die grössten Körper der letztern Art erreichen 4" Grösse. Schalen haben die Eier nur bis zur Grösse von „4. Obwohl es keineswegs wahrscheinlich ist, dass die- sen Formen die männlichen Sexualorgane abgehen, so habe ich doch noch keine Organe mir’ deutlich machen können, welche mit Wahrscheinlichkeit dafür angesehen werden könnten. Die grosse Verschiedenheit der Form bei den Jungen ist sehr auffallend. WVären vielleicht die einen Männchen und blieben microscopisch, während nur die Weibchen sich so gross entwickeln? Parasiten sind es nicht, denn sie finden sich auch schon im Eierstocke und sind zu regelmässig periodisch und allgemein ver- breitet, auch in der Structur der andern Brut nicht un- ähnlich. Blutbewegung, Respiration ? Frühere Beobachter, welche von Blutbewegung bei den Medusen gesprochen haben, mögen wohl die Speise- bewegung in den Darmverzweigungen dafür gehalten ha- ben, denn da ist sie von ihnen angegeben. Oft sind solche Bewegungen sehr täuschend und ich habe mich selbst lange damit begnügt, indem ich die Blutgefässe über und neben den Darmcanälen gelegen meinte, Ich habe nun so viel feststellen können, dass es deutliche, runde, gleichförmige, farblose Kügelchen giebt, die in Canälen eine circulirende Bewegung haben, dass aber die 571 meisten Bewegungen in den Darmverzweigungen dazu nieht gehören. Nur in der Nähe der braunen Körperchen am Scheibenrande existirt: eine wahre, unläugbar krei- sende Bewegung von blutartigen Körnchen, welche je- doch mit den Bewegungen in der Chara mehr Aehnlich- keit, als mit einer allgemeinern Bluteirculation hat. Be- sonders deutlich und nie fehlend ist diese Körnerbewe- gung in dem kurzen Stiele der braunen Körper und in dem hellen Säckchen an ihrer Basis. Die farblosen Blut- körner sind sphärisch, einfach und erreichen an Grösse +, viele nur „45. Einen Zusammenhang der ver- schiedenen Strömungen unter einander habe ich mir nicht deutlich machen können. Uebrigens gleichen aber diese Blutkörner an Farbe und Form, selbst an Grösse und Bewegung den Körnchen, welche bei Daphnien so deut- lich der wahren allgemeinen Circulation dienen. Bei Daphnien sind, wie ich bereits mitgetheilt habe (Organi- sation im. kleinsten Raume III. p.45.), zwei Kreisläufe des Blutes. Giebt es vielleicht deren acht bei den Me- dusen, die unter sich abgeschlossen sind? Diess habe ich noch nicht genügend entscheiden können. Da die braunen Randkörper freie Fortsätze nach aussen sind und da in ihrer Basis, dem Stiele, die Kör- nerbewegung nie fehlt und deutlich umkehrt (eineSchlinge bildet), was weder in den Fühlfäden noch in den Fang- armen zu erkennen ist, so bin ich geneigt, die Stiele der braunen Körper für kiemenartige Organe zu halten, wel- che eine Respiration vermitteln, Dass diese Organe aber noch überdies eine andere Function haben, werde ich sogleich berühren. Augen und Nerven, Empfindung hat man den Medusen schon immer zu- gestanden, aber die Versuche, Nerven nachzuweisen, sind ohne genügendes Resultat geblieben und die Meinung, dass bei den kleineren und gallertigen 'Thieren die Ner- 572 vensubstanz überall eingemischt, nicht gesondert sey, hat verursacht, dass man sich vorzeitig beruhigte. Obwohl ich die braunen Körperchen am Scheibenrande .der Me- dusen schon im rothen Meere unzähligemal untersucht habe, so hat die wiederholte, angestrengtere und umsich- tigere Prüfung derselben doch erst im vorigen Monate mich zu einer richtigern Erkenntniss ihrer Bestimmung geführt. Diese acht Körperchen, welche den Randenden der mittleren Stämme der acht verästeten Darmcanäle entsprechen und, wie ich schon erwähnt habe, in ihrem kurzen Stiele eine stete kreisende Bewegung von durch- sichtigen Kügelchen zeigen, haben noch andere, höchst merkwürdige Structurverhältnisse. Jedes einzelne besteht aus einem gelblichen, ovalen oder cylindrischen Köpf- chen, das auf einem wenig dünneren Stiele sitzt. Die Form erinnert sehr an die Form eines männlichen Zeu- gungsgliedes. Der kurze Stiel des Organs sitzt auf einer Blase, in welcher ein, im Microscop beim durchgehenden Lichte gelblicher, beim rückstrahlenden Lichte weisslicher, drüsiger Körper frei liegt, von dem zwei Schenkel nach dem Stiele des braunen Körpers gehen und bis an den eichelartigen Kopf desselben ragen, Ich war eine Zeit lang nicht wenig geneigt, in diesem Apparate eine wirk- liche Geschlechtsfunction, nämlich eine Ausscheidung von Samen aus den zweischenklichen Drüsen anzunehmen, welche durch die nach unten klappende Bewegung der ganzen Scheibe in Verbindung mit den unten offenen Eierhöhlen trete. WVeitere, noch intensivere Beobachtun- gen haben mich diese Ansicht ganz bei Seite setzen lassen, Ich fand, dass jedes der braunen Körperchen auf der Rückenseite seines gelben Kopfes einen ganz deutlichen rothen Punkt hat. Ich verbinde nun meine übrigen zahl- reichen Beobachtungen über solche rothe Punkte bei den kleineren und feiner organisirten Thieren und finde grosse Uebereinstimmung mit den Augen der Räderthiere und Entomostraca. Der drüsige, zweischenklige Einoten an j 373 der Basis des braunen Körpers erscheint wohl in dem Rechte eines Nervenganglions und die beiden Schenkel lassen sich für Augennerven ansprechen. Die bald zu beschreibende Crystallbildung in der Nähe dieser Nerven bestätigt diese Ansicht, Ich verfolgte nun weiter die so gewonnenen annehm- lichen Spuren eines Nervensystems und untersuchte noch- mals auf das intensiveste die am meisten irritabeln Stel- len dieser Thiere. Ich glaube nöch auf andere Nerven hinweisen zu können. Um den-Mund unmittelbar hat es mir nicht gelingen wollen, etwas Nervenartiges oder Hırn- artiges zu erkennen, allein ich fand längs des ganzen Scheibenrandes zwischen je zwei der feinen Fühlfäden einen gelblichen (weisslichen), markigen, zweischenkligen Knoten, in Form dem oben beschriebenen ähnlich, des- sen Schenkel zu zwei verschiedenen Fühlfäden gehen, in deren Basis ich sie eine Strecke lang verfolgen konnte, indem sie an der Innenseite der beiden keulenförmigen Muskeln liegen. Zwischen ihnen liegt der kleine Blind- fortsatz des ernährenden Randcanals, welcher sich mit Farbe füllt. Hierbei verschweige ich ein Bedenken nicht, welches zu entfernen ich mir mit vieler Anstrengung habe angelegen seyn lassen, dessen Lösung ich aber nicht herbeiführen konnte, Sind die genannten Organe am Grunde der Fühlfäden nämlich Nerven zu nennen, so lie- gen sie unmittelbar im Randcanale des Ernährungssystems selbst und bilden die äussere Wand dieses Canals. Viel- leicht sind sie aber doch durch eine sehr zarte, bisher unsichtbare Darmhaut überzogen und so ausgeschlossen vom Canale, obschon sie mit ihm eng verbunden sind. Ferner fand ich sehr zahlreiche markige Knötchen an der Basis des Kranzes von Fühlfäden, welche in den Eierstockhöhlen dicht am Schlunde liegen. Es schienen je zwei Knötchen zw einem Fühlfaden zu gehören. Wären diese letzteren Knötchen Nervenmasse, wie sie sich in Vergleich mit den Augennerven und den Randfühlernerven 574 denn allerdings dafür ansprechen lassen, so wäre die Ver- theilung der Nervensubstanz im Groben folgende: Es liegen um den Schlund herum in den Geschlechts- höhlen neben den Eierstöcken vier Gruppen von Mark- knötchen, welche in nächster Verbindung mit eben so vielen Gruppen von Fühlfäden stehen. Ferner liegt eine zusammenhängende Reihe von Markknötchen am äusser- sten Scheibenrande dicht an der Basis der Randfühlfäden, welche nur bei jedem braunen Körper, also achtmal, un- terbrochen ist. Endlich giebt es acht isolirte Markknöt- chen an der Basis der acht braunen Körper, von deren jedem zwei fadenförmige Fortsätze (Augennerven) aus- gehen, welche in der Mitte ihres Verlaufs durch einen Querfortsatz zu anastomosiren scheinen. Die Augenner- ven und das Gehirn der Daphnien werden ganz deutlich von der Bluteirculation unmittelbar umspült. Auch um die vermeinten Augennerven der Medusen spielen ähn- liche Rörnchen, sogar am ganzen Rande scheint eine solche Körnerbewegung die vermeinten Ganglien und Ner- ven zu begleiten. Möge man diese Verhältnisse mit mir noch eg verfolgen. Die er. Binlto; welche ich für Augen zu hal- ten geneigt bin, bestehen aus einem sehr feinkörnigen rothen Pigment, das eine sehr bestimmte Substanz er- kennen lässt, der die Farbe inhärirt. Gerade so zeigt sich das Pigment der Räderthiere und der Cyclopsarten, Man sieht sie schon mit blossem Auge, leicht mit der Lupe. Crystalle bei den Augen der Medusen. Schon Gäde, der vortreffliche classische Monograph der Medusen, erkannte kleine sechseckige Körperchen in den braunen Randkörpern, Rosenthal erkannte sie als harte Körperchen und hielt sie, weil sie mit Vitriolsäure nicht brausten, für Kieselerde oder Sand. Dieses orga- nische Verhältniss habe ich folgendermassen in Rlarheit gebracht. Die Form der braunen Körper, die ich nun 575 wohl gestielte Augen nennen kann, ist keine feste, son- dern eine veränderliche. Ich fand immer an einer und derselben Scheibe einige mit sehr langem cylindrischen Kopfe, andere mit sehr kurzem, kaum deutlich ausgebil- detem Kopfe, und ein mühsameres Nachforschen gab mir folgendes Resultat. Jedes gestielte Auge sieht nach dem Rücken hin und hat nach der Bauchseite zu ein gelbes veränderliches Beutelchen hinter sich, in dem sich bald mehr bald weniger harte Körper finden. Diese harten Körper sind meist regelmässig auserystallisirte, wvasser- helle Formen von der Crystallgestalt des Quarzsystems, nämlich sechsseitige kurze, zuweilen fast kugelartige Säulen mit doppelter dreiseitiger oder sechsseitiger Zu- spitzung. Oft sind es regelmässige gleichseitige oder längliche sechsseitige Tafeln, wie sie der kohlensaure Kalk bildet, nicht selten sind es auch längere sechsseitige Stäbchen mit ungleichen Zuspitzungsflächen, immer aber sind es ganz deutliche, meist regelmässige Crystallformen. Uebergoss ich die ganzen Beutelchen sammt ihrer Um- gebung mit Schwefelsäure, die ich allein zurHand hatte, so erfolgte wenig Einwirkung, weil ich aber die Schleim- hülle für das die Einwirkung Hindernde hielt, so isolirte ich viele dergleichen Beutelchen und zerdrückte sie mit einem feinen Messer. Sobald ich die auf diese Weise freier gelegten Crystalle mit einem Tröpfchen Schwefel- säure in Berührung brachte, lösten sie sich alsbald und zwar die meisten unter Blasenbildung auf und verschwan- den. Die Blasenbildung liess sich oft sogar mit blossen Augen erkennen. Diese Körperchen sind mithin für mit Säuren brausende wahre Crystalle zu halten, welcheviel- fache Aehnlichkeit mit den bei Amphibien und Säuge- thieren von mir entdeckten kohlensauren Kalkerystallen haben und die Form der braunen Körper oder der die Augen überragenden gelben Beutelchen ändert sich nach der Menge der zufällig daselbst abgesonderten Crystalle 576 ab. Die gelbe Farbe der Körper gehört dem Bau chen und dem sie umhüllenden Schleime an, hi Vergleiche ich nun meine früheren und anderweiti- gen Beobachtungen von kohlensauren Kalkerystallen im lebenden organischen Körper, so scheint es mir nicht unwichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass sich der- gleichen bisher nur in der Nähe des Rückenmarkes, des Gehirns oder der edleren Sinnesnerven gefunden haben. Vielleicht dient also diese so bestimmte Ablagerung mit zu einem Fingerzeige, dass in jenen Stellen die Nerven- substanz in der Nähe befindlich ist. Ich übergehe noch andere, für die Organisation der Medusen wohl nicht ganz uninteressante Beobachtungen, besonders über die Zahlverschiedenheiten der Organe, in deren Beobachtung vonBaer mir schon so fleissig und glücklich vorangegangen ist, und über andere Ver- hältnisse, die ich in diesem Sommer in Wismar an der Ostsee gleichzeitig mit obigen erlangt habe, indem ich wünsche, sie mit den detaillirten Zeichnungen, wel- che ich nach dem Leben gefertigt habe, zu begleiten und zu erläutern und schliesse diese vorläufige Anzeige mit folgender Uebersicht: Bild des Baues einer Acalephe. Medusa aurita besitzt einen scheibenartigen Körper mit strahliger Anordnung der organischen Systeme. Ein unterer viereckiger Mund läuft an seinen Ecken in vier lange, armartige, gefranzte Lippen oder Fangarme aus, die zugleich periodisch Brutträger sind. Vier Schlunde und vier Magen, die in ein vielspaltiges Gedärm über- gehen, welches die leicht‘sichtbaren Canäle der Bauch- seite (Mundseite) bildetund sich in einem cirkelförmigen Randcanale vereinigt, machen das Ernährungssystem. Acht zwischen den braunen Körpern am Rande gelegene Oeffnungen vermitteln die Excretion der verdauten Stoffe. Acht schön rothe Augenpunkte stehen auf eben so viel 577 stielartigen Kiemen (?) am Rande und sind dem Rücken zugewendet. Die Bewegung der Medusen mit der Rük- ienseite nach vorn ist daher organisationsgemäss und nicht dem Zufall überlassen. Diese Augen können in be- sondere Scheiden eingehüllt werden, welche schon be- kannt waren. Der Rand der Scheibe ist mit zahlreichen Fühlfäden besetzt, deren jeder einzelne zwischen je zwei Blättchen sitzt. Wo ein After ist, befindet sich ein grös- seres Blättchen und sämmtliche Blättchen und Fühlfäden sind auf der Bauchseite noch durch eine schmale zusam- menhängende freie Haut bedeckt. Die Nervensubstanz ist in mehrere Gruppen vertheilt, wovon vielleicht vier um den Schlund, die übrigen am Rande liegen. Eine Cireulation von Blut erscheint als in mehrere getrennte Systeme vertheilt, ohne pulsirende Centralorgane. Ein sehr verbreitetes feines Gefäss(?)netz ohne sichtbare Cir- eulation und zu fein für die Blutkörner, überzieht die Oberflächen des Körpers und durchdringt denselben. Vier besondere Geschlechtshöhlen, mit Fühlerkränzen um eigenthümliche Oeffnungen, umhüllen vier schlauchartige gefaltete Eierstöcke. Die rundlichen Eier haben anfangs eine glatte Schale, welche verschwindet. und an deren Stelle dann Wimpern erscheinen, die den ganzen Körper bedecken. Fangarme und die anderen äusseren Organe bilden sich später aus. Die aus dem Eierstocke ausge- schiedenen Eier wachsen in den Fangarmen weiter aus, ohne die vollendete Gestalt der Alten daselbst zu erhal- ten. Die Jungen sind den Alten schon vollkommen gleich organisirt ehe sie sechs Linien Grösse erreichen. B. Zur Structur der ÄAsterias violacea. Als ich die Untersuchungen über die Structur der Acalephen ernsthaft vornahm, hatte ich in diesem Som- mer in Wismar gleichzeitig Gelegenheit, kleine Exemplare der Asterias violacea lebend zu beobachten und ich theile hier auch einige Resultate vorläufig mit, Müller’s Archiv 1834. 37 378 Seit Tiedemann’s vortrefflichen und classischen Untersuchungen über den pomeranzenfarbenen Seestern ist die von ihm ausgesprochene Meinung feststehend ge- worden, dass die Seesterne und Seeigel, eben so wie die Holothurien, eine Respiralion in ihrem innern Körper- raume haben, zu welchem Behufe sie durch besondere Oeffnungen Wasser einnähmen. Schon Carus (Anale- cten pag. 132.) hat vor mehreren Jahren (1829.) die Auf- merksamkeit auf eine Erscheinung bei den Seeigeln ge- lenkt, nach welcher innerlich unter den Ambulacris kleine abgeschlossene Kreisläufe des Bluts zu existiren scheinen. Beim Echinus saxatilis der norwegischen Küste sah ich im vorigen Jahre, dass alle Stacheln mit einer gewimper- ten wirbelnden Haut*) überzogen waren und bei. der Asterias violacea habe ich mich überzeugt, dass alle auf dem+Rücken hervorstehenden einziehbaren Fasern eine innere Circulation von Hörnchen führen, die mit dem, was man sonst Blutkörner nennt, ganz übereinstimmen. Diese Circulation kann man schon mit der Lupe sehen und das zusammengesetzte Microscop zeigt überdiess, dass die ganze Oberfläche dieser, eine innere Circulation von Körnern zeigenden Röhren äusserlich mit Wimpern besetzt ist und wirbelt, gerade wie wir bei Kiemen es zu sehen gewohnt sind. Das Gefässsystem für diese Kie- men hat schon Tiedemann nachgewiesen und man darf wohl vermuthen, dass das, was Carus unter den Am- bulacris des Echinus fand, ebenfalls eingezogene Or- *) Da neuerlich von diesen Flimmerbewegungen specieller die Rede gewesen ist, so möge man bei weiteren Untersuchungen nicht ferner übersehen, dass dieselben von mir zum Character einer ganzen Thierklasse, der Turbellarien, benutzt wurden und im Darme der Rä- derthiere und Naiden angezeigt worden sind, ganz abgesehen von der ganzen Masse der Infusorien. Nur durch eine Gesammtübersicht die- ser Erscheinungen wird sich ein Resultat ziehen lassen. Eben diese Flimmerbewegung ist ein Character wohl aller Bryozoen, im Gegen- satz der Anthozoen, Ich sche überall VVimpern als Bedingendes. 579 gane dieser Art gewesen sind, deren weitere Beobach- tung nun wünschenswerih ist. Ferner war es wohl ein glücklicher Tag zu nennen, wo die Natur der rothen Puncte sich in mir so lebhaft als Augen geltend machte, dass ich in Versuchung ge- rieth, auch die Asterias scharf zu prüfen, ob sie nicht ebenfalls dergleichen verrathen wolle. Mehr als ich er- warten konnte, fand sich vor. An allen Spitzen der fünf Arme der lebenden Asterias sah ich sogleich auf der Bauch- seite einen schönrothen, scharf umschriebenen Punlit, und die Art wie die lebenden Thiere diese Spitze beim Kriechen zurückgebogen trugen, liess mich sogleich kaum zweifeln, dass ich nicht wahre Augen aufgefunden hätte. So haben denn diese Seesterne an den Spitzen ihrer Strahlen auf der Unterseite so viel einzelne rothe Punkte, als sie einzelne Strahlen haben, und diese Punkte beste- hen ebenfalls aus einem schön rothen Pigment. Beim Kriechen biegen sie die punktführende Spitze nach dem Rücken zu um. Sind nun diese Punkte Augen, so sehen sie damit vorwärts nach der Richtung ihres Randes zu, gerade dahin, wohin sie sich bewegen. Da es ziemlich leicht ist, die Tiedemannschen Nerven der Seesterne aufzufinden, so verfolgte ich dieselben bis an die Spitze der Strahlen mit dem Messer. Es gelang leicht, weil sie zähe sind und ich fand an der Spitze, dicht am Auge, eine kleine Verdickung des Nerven auf welcher das Auge aufsitzt, wie es bei den Räderthieren häufig der Fall ist, also unmittelbar auf dem Ganglion *). Die Faserung der Nervensubstanz selbst liess sich deutlich von den sie umhüllenden Sehnenfasern unter- scheiden, jedoch waren ihre Durchmesser nicht stark ge- nug, um die Röhrenform zu erkennen. In der Nähe des Auges, vor dem Knoten, nach dem Munde zu, glaubte *) Ich habe diese Beobachtung an Exemplaren, die ich in schwa- chem Weingeist aufbewahre, bier nachuntersucht und bestätigt. 37 * 580 ich gegliederte Nervenfasern 'zu erkennen und ich fand diese Gliederung nicht in der Nähe des Mundes; dann wäre also vielleicht der edlere Theil der Nervensubstanz bei diesen Thieren nur an den Spitzen der Strahlen. Aehnliche Punkte kenne ich bis jetzt nur in den Strah- ‘ lenspitzen der Asterias militaris, wo sie von Vahl in der Zoologia danica abgebildet sind. In Spiritus auf- bewahrte Exemplare mehrerer grossen Arten zeigten keine besonders gefärbten Augen, oder das Pigment ent- färbt. Vielleicht besitzen auch nicht alle Arten solche Augen, wie es augenführende und augenlose Formen in fast allen Thierabtheilungen giebt. Endlich bemerke ich vorläufig, dass der Tiede- mannsche spiralförmige Kalkbeutel der Asterias keinen Kalkstoff enthält, sondern ein dickes Gewebe von Kalk- fasern zeigt, die sechseckige oder fünfeckige Maschen bilden und eine kalklose Höhle einschliessen. Der Bau erinnert an die Corpora cavernosa der männlichen Zeu- gungsorgane und seine erneute aufmerksame Untersu- chung dürfte leicht ein interessantes Resultat herbeiführen. 981 Verzeichniss der Schriftsteller deren Werke oder Abhandlungen im Jahresbericht angeführt werden. A: 48, Adams, 169. Agassız, 160. Albers, 191. Alessandrini, 62. Alexander, 162. Alison, 161. Allan Thomson, 120. v. Ammon, 47. 171. 185. Arming, 192. Audouin, 69. Augustin, 195. Ayre, 201. Banzmann, 159. Baring, 191. Barkow, 78. Barruel, 110. Bartels, 160. ' Baumgärtner, 154. ff. Bell, 54. Bendz, 13. ff. " Bennati, 162. Bennett, 47. Berard, 17. Berres, 24. 32. ff, 160. Billing, 118, Bird, 105. 198. Bishop, 132. Blackwall, 76. 148. 151. Blurmhardt, 167. Borchardt, 79. Boudet, 103. Bouillaud, 118. 172. Bowerbank, 119. Braconnot, 110. Brandt, 47. 48. 64. ff. Breschet, 15. 16, 18. 52, Brett, 105. 198. Brewster, 43. 144. Brierre de Boismont, 199. Brodie, 124. Brookes, 56. Broun, 192. Bryan, 117. Cantin, 196. Carlile, 119. Carswell, 186. ff. Carus, 159. 160. Casper, 171. Caswall, 148, Chassainiac, 17. 18. Chauffard, 131. Chaupard, 147. Chevreul, 139. Coldstream, 156. Collard, 78. Coste, 154. ff. Craigie, 201. Czermak, 16], Dalton , 111. ff. Dawson, 182. ff. Delpech, 154. Dieffenbach, 123. 982 Dubois d’Amiens, 161. Duges, 76. Dumortier, 161. Dupuytren, 192, Dutrochet, 105. 115. Duval, 162. -Duvernoy, 50. 59. 62. Earle, 161. Eckström, 78. Edwards, 69. 76, Ehrenberg, 35. ff. 158. ff. Eichmann, 195. Estoc Demazy, 201. Estor, 201, Ferrus, 195. Fielding, 46. Fitzinger, 58. Fleischmann, 201. Flourens, 114. 116. Fontenelle, J. de, 161. Fourcault, 161. Fräntzel, 129. Fricke, 181. Froriep, R., 173. 182. 198, Gendrin, 192, Geoffroy St. Hilaire, 49. 51. 60. Geoffroy St, Hilaire, Isid., 171. Gerdy, 192. Gescheidt, 196. Gmelin, 163. ff. Gottsche, 61. 63. Granville, 4. ff. Grant, 66. 70. Grant Calder, 134. Graves, 181. Gray, 68. Gurlt, 194. Hache, 192. Hagenbach, 13. 18. Hardy, 185. Hasse, 79. Henle, 196, Hering, 119. Hesselbach, 173. v. d. Hoeven, 62. Hoffmann, 105 ff. Hope, 201. Hueck, 40. Huschke, 24. 42. 45. 135. 158. Jäger, 113. Jones, 46. Kane, 196. Kaup, 54. Kiernan, 162. Krause, 40. Krombholz, 160. Kuhn, 194. Lassaigne, 110. Lauth, 25. ff. 113. 168, Lelut, 25. Lenoir, 178. Leon Dufour, 71. f. LePelletier , 181. LeSauvage, 162. Leuret, 17. Levy, 175. Ley, 9. Lionelli Poletti, 116. Macnee, 116. Manec, 182. Mansfeld, 178, Mantell, 60. Marianini, 161. Marshall Hall, 121. 135. Martin St. Ange, 71. Mateucci, 162. Mayer, C., 10.ff. 13.53, 57,123. 136, Mayo, 9. 29. 583 Meckel, 55, 79. Reid Clanny, 107. Melloni, 115. Retzius, 39. . Meyen, 47. 99. Ritgen , 160. v. Meyer, 55. R Ritter, 140. Mitscherlich, €. G., 109. Roemer, 171. Mitscherlich, E., 103. ff. Roemhild, 201, Montault, 130. Romberg, 138. Morgan, 49. 52. Rose, F., 109. Mühry, 190. Müller, J., 10. 11. 50. 58. 103. Schlemm, 164. ff. 117. 161. 179. ff. Schultz, C. H., 159. 160. 161. Murdoch, 184. Scoutetten, 178. Sedillot, 198. Nagle, 119, : Seifert, 192. Nasse, H., 109. Seiler, 141. 169. ff. Newport, 65. Seubert, 125. ff. Niemeyer, 169. Shrapnell, 24. Nitzsch, 58. Smith, T., 147. Nobili, 115. Spessa, 168. Stanley, 9. Osann, 142. fi. N 180. Ouh, 50. Sticker, 134. Otto, 54. 78. Stutchkury, 77, Otto, 174. Smm io Owen, 48. 49, 56. Swan, 40. Panima, 57. Thomson, Alex., 40. 186. Person, 115. Tiedemann, 99. 103, ff. 174. Peygot, 167. Toulmouche, 162. Philips, B., 192. Tourtoual, 166. 168. 176. 193. Phoebus, 165. 199. fl. Treviranus, G. R., 56. 161. Bren er 5 Troxler, 199. richard, 97. ff. = Prinz, 171. Tuson, 115. Puchelt, 118, Valentin, 13. 41. ff. 160, Purkinje, 31. Velpeau, 4. ff. Vines, 162, Radford, 162. Voisin, 162. Raspail, 161. Rathke, 151 ff. 156. Wagner, D., 197. Ratzeburg, 157. Wagner, R., 41. 45, 77, 78, 100. Rees, 105. Wattmann, 181. Reich, 41. ff, 44. Weber, E., 28, 584 Wendt, A., 30. Wulfsheim, 169. WVestwood, 76. Wilson Philip, 132. ff. 136. ff. Yvart, 110. Berichtigungen. Seite 17. und 18. statt Chaussaigniac lies Chassainiac. In dem Aufsatze von Dr. Eschricht, über einige neue Muskeln am Kehlkopfe eines langarmigen Affen, S, 218. u. f., lies statt albi- frons überall albimanus. S, 320. Zeile 1 von unten, statt Dibbitz lies Dibbetz. S. 477. Zeile 22 statt Bijdragen tot de natuurkundige VWVetenschappen, 1834. lies Tijdschrift voor natuurlijke Geschiedenis, uitgegeven door J, van derHoeven en W.H.de Vriese. 1834. p. 112. Gedruckt bei den Gebr. Unger. TAB. CE Meber se, Hillers Archiv 1634. G Ag 2. _ > _—___ TE Weber serdp, ‚r 4 Wiillers Arch: vIE3# I Band. 130. Malers Archie 1834 : 2 ab EEE Line se, im Breslau £ Yuinond se TE Meber 50. PDF Alten del. Tab. UI. Müller's Archiv IS3#. Hiller» Archiv 189%. Zap. IX- DIRT 98 YET pp many u Zu \ ! | 572772777 r ep may e 3 = UX PL er TEE BERN > z 707 APIS , ö |